Erin Brockovich

USA 1999 · 131 min. · FSK: ab 6
Regie: Steven Soderbergh
Drehbuch:
Kamera: Edward Lachman
Darsteller: Julia Roberts, Albert Finney, Aaron Eckhart, Marg Helgenberger u.a.

Erin Löwenherz

Erin ist allein­er­zie­hende Mutter von drei Kindern, war zweimal verhei­ratet und kämpft jetzt in einer lausigen ameri­ka­ni­schen Klein­stadt mehr schlecht als recht ums Überleben. Auf dem Konto hat sie nur noch 74 Dollar. Zu wenig, wenn man übers Woche­n­ende kommen will. Das hört sich nicht gut an... Doch Erin ist eine Kämpferin. Ihre Ausdrucks­weise ist derb, sie schaut immer ein bißchen schlampig aus, ihr BH ein ums andere Mal aus den zu engen Kleidchen. Es besteht kein Zweifel, daß sie es schaffen wird, aus der Misere zu kommen. Wenn man sie angreift, sie ohne Respekt behandelt, neigt sie zu Ausbrüchen. Unge­rech­tig­keiten haßt sie wie der Teufel das Weih­wasser. Erin weiß, wie die Welt läuft, aber das ist noch lange kein Grund, sich mit ihr abzu­finden. Sanfter als ihr Auftritt ist ihr Inneres, und ihr Herz ist groß genug für alle, die sie brauchen.

Nach The Limey beschert uns Steven Soder­bergh den zweiten Film innerhalb weniger Monate. Erin Brockovich heißt das gute Stück, benannt nach der Prot­ago­nistin, und die Prio­ritäten sind damit klar verteilt. Julia Roberts spielt die Rolle der gestran­deten ameri­ka­ni­schen Schön­heits­kö­nigin, deren Leben zwischen Familie und Gele­gen­heits­ar­beiten zu scheitern droht, und dies bemer­kens­wert facet­ten­reich. Erin ist schwach und stark, dann wieder scheint sie zu resi­gnieren, kämpft jedoch mit unver­min­derter Energie weiter. Und ihre Kraft braucht sie auch, denn die zu bewäl­ti­gende Aufgabe, die sich bald zur Chance ihres Lebens entwi­ckeln wird, ist nicht gerade die einfachste: Es ist der berühmte Kampf Davids gegen den großen, mächtigen Goliath.

Durch ihre bedin­gungs­lose Art verschafft sich Erin einen Job als Ange­stellte in einer kleinen Anwalts­kanzlei. In den Akten eines bereits abge­schlossen geglaubten Falls stößt sie auf ein Umwelt­ver­bre­chen unge­ahnten Ausmaßes. Ein lokaler Ener­gie­kon­zern hat das Grund­wasser vergiftet und damit die Einwohner einer ganzen Klein­stadt. Erin nimmt sich der Opfer, die mit den Folgen der Verschmut­zung zu kämpfen haben, an. Ihr Kampf gegen den Indus­trie­riesen wird zum Kampf des Mitlei­dens, der Mitmensch­lich­keit, der Aufop­fe­rung für das Gute und Gerechte. Während der Schlacht mit den Umwelt­sün­dern mausert sich Erin zur smarten Anwalts­ge­hilfin, die ihre Herkunft, ihre Wurzeln in den unteren, einfachen Schichten doch nie ganz verleugnen kann. Sie pflegt den persön­li­chen, intimen Umgang mit den Klienten und revol­tiert damit gegen die Praxis der etablierten Anwalt­schaft.
Soder­bergh nimmt sich und seine ästhe­ti­schen Ambi­tionen merklich zurück, zugunsten der wahren Geschichte, auf der der Film basiert.

Während The Limey durch seine außer­ge­wöhn­liche Expe­ri­men­tier­freude über­zeugte, bei der das visuelle Konzept oftmals zum Selbst­zweck avan­cierte und die Chro­no­logie der Story hinter den Rhythmus der Montage zurück­trat, besitzt Erin Brockovich ein viel höheres Maß an Realismus. Die Jump- und Matchcuts aus dem reichen Reper­toire werden nur noch spärlich einge­setzt, und nur dann, wenn sie der Narration dienen. Der Zuschauer darf sich orien­tieren. Soder­bergh schenkt den Esta­blis­hing-Shots wieder seine Aufmerk­sam­keit. Die irri­tie­rende, scheinbar will­kür­liche Verzah­nung der Räume von The Limey weicht dem unsicht­baren Schnitt, dem Konzept des klas­si­schen Hollywood-Kinos.

Entgegen den visuellen Stra­te­gien arbeitet der Inhalt wider die Konven­tionen. Soder­bergh insze­niert das Paradigma der Umkehr der Geschlech­ter­rollen. Die Hausfrau und Mutter Erin, das domes­ti­zierte Wesen, das sich im Alltag aufreibt und dem Mann immer zu dienen hatte, schwingt sich auf zur Karrie­re­frau. Ihre Passion ist ihr Job, und endlich denkt sie einmal an sich selbst. Da ist George, der neue Nachbar, ein Rebell und Harley-Davidson- Fahrer. Er trifft auf Erin und, was soll man sagen, verliebt sich in sie. Ohne seine Hilfe würde ihr beruf­li­cher Aufstieg im Nichts enden. Bald verwan­delt sich George in das Kinder­mäd­chen, nimmt den Part ein, den Erin in ihren geschei­terten Ehen spielen mußte. Er tut das zunächst ohne Ansprüche, selbst­ver­loren, wird zum (Ersatz-)Vater, wie man ihn sich nur wünschen kann. Der opfer­be­reite, liebe­volle Helfer im Hinter­grund. Bis zu dem Tag, an dem er es mit Erins Arbeitswut nicht mehr aushält...

Das bestän­dige Kreisen der Narration um die Heldin ist viel­leicht das einzige, was man dem Film negativ anlasten kann. Soder­bergh und die Kamera bleiben sehr nahe an der Heldin. Klar macht es Spaß, ihr zuzu­schauen, ihrer Energie ausge­setzt zu sein, ihrem Willen nach Gerech­tig­keit. Dennoch wirkt der Film gegen Ende zwei­di­men­sional, wenn nicht platt, die psycho­lo­gi­sche Tiefe wird unscharf, reduziert sich auf wenige Gesten und Worte. Wenn Erins Obsession für ihren Fall über­mächtig wird, droht der Film in ein Gerichts­drama zu kippen. Der Blick reduziert sich haupt­säch­lich auf die Gespräche mit den Betrof­fenen. Die fami­liären Bindungen und Probleme treten in den Hinter­grund. Die nur an wenigen Stellen gebro­chene Erzähl­weise aus der Perspek­tive von Erin beengt die Geschichte. Dennoch ist Erin Brockovich ein mehr als sehens­werter Film. Soder­bergh schafft es ohne einen Anflug von Pretty Woman-Romantik, von Schmalz und Kitsch, einen authen­ti­schen Fall zu zeigen, bei dem man leicht ins Melo­dra­ma­ti­sche abrut­schen könnte. Denn irgendwie ist die Geschichte, wenn man nur die Fakten nimmt, zu schön um wahr zu sein.