Die Fabelmans

The Fabelmans

USA 2022 · 151 min. · FSK: ab 12
Regie: Steven Spieberg
Drehbuch: ,
Kamera: Janusz Kaminski
Darsteller: Michelle Williams, Paul Dano, Seth Rogen, Gabriel LaBelle, Judd Hirsch u.a.
Filmszene »Die Fabelmans«
Selbstporträt des Künstlers als junger Mann
(Foto: Universal)

Das Kino sieht mehr als der Mensch

Steven Spielbergs Reise in die eigene Kindheit und Jugend ist auch reich an USA- und Filmgeschichte – ein Glücksmoment und Schlüssel zu Spielbergs Werk

Spätes­tens jetzt kann man mit Wehmut auf all die Regis­seure zurück­bli­cken, die nicht bis jetzt gelebt haben und die gegen­wär­tige Phase auto­fik­tio­nalen Erzählens nicht mehr erleben konnten. Spätes­tens jetzt, da auch ein Altmeister wie Steven Spielberg sich von seiner Kindheit, seinem Coming-of-Age hat inspi­rieren lassen, um sich mit seiner Film­sprache der eigenen Vergan­gen­heit zuzu­wenden, um über das Kleine das Große, über die Familie die Welt zu erklären. Und an so großar­tige Arbeiten der letzten Zeit wie Paul Thomas Andersons Licorice Pizza, Mike Mills C'mon C'mon, Kenneth Branaghs Belfast, Paolo Sorren­tinos Die Hand Gottes oder James Grays Arma­geddon Time anzu­knüpfen.

James Grays auto­fik­tio­nale Reise nach Queens und in das Jahr 1980 ist es dann auch, die Spiel­bergs Blick zurück am ähnlichsten ist, in denen nicht nur die Shoa thema­ti­siert wird, sondern auch jüdisches Leben in den USA, das für Gray aller­dings nicht mehr die düstere Mobbing-Note hat, die es für Spielberg (Gabriel LaBelle) in den späten 1950er Jahren noch hatte, als er sich wegen seines Jüdisch­seins auf dem College gegen körper­liche Über­griffe wehren musste. Doch da ist Spielberg immerhin schon soweit innerlich gefestigt, dass er von sich bereits wie Joyce von einem Porträt des Künstlers als junger Mann sprechen kann, der seit einem trau­ma­ti­schen ersten Kino­be­such mit einer Art Konfron­ta­ti­ons­the­rapie sein Trauma bewältigt und dabei gleich­zeitig einen Traum kreiert.

Diesem Traum bis zu seiner ersten zaghaften Verwirk­li­chung zu folgen, ist die Geschichte, die Spielberg in den Fabelmans erzählt. Und er erzählt sie so, wie es Spielberg immer gemacht hat, es ist seine Hand­schrift in bester Schön­schrift, und er ist damit natürlich weit entfernt von einem jüngeren Regisseur wie James Gray, der den Zuschauer am Ende im Dunkeln stehen lässt, ohne rechte Hoffnung, dass es wieder Licht werde. Spielberg hingegen sieht selbst in der fins­tersten Dunkel­heit noch Licht. Und er weiß das genau so zu erzählen. Er weiß, wann es Zeit für die großen Gefühle ist und wann die Zeit für schwie­rige Dialoge gekommen ist und wann die Zeit für Stille und wann für Hoffnung. Das Timing ist so perfekt und ohne Brüche wie die hier erzählte Geschichte, die wie James Grays Arma­geddon Time natürlich viel mehr als nur eine Fami­li­en­ge­schichte ist, wenn auch ohne die poli­ti­schen Untiefen, die bei Spielberg einfach wegfallen. Doch es ist immer noch mehr als eine Fami­li­en­ge­schichte; es ist eine Geschichte über das Kino und das Lebens­ge­fühl in Amerika in den 1950er und 1960er Jahren und auch eine große Geschichte über die Liebe und das Coming-of-Age der Liebe.

Spielberg erzählt – wunderbar verschach­telt – aller­dings gleich zwei Liebes­ge­schichten, die beide im Kern große Miss­ver­ständ­nisse sind. Die seines Alter Egos Sammy (Gabriel LaBelle), dessen erste große Liebe auf dem College und die ebenso schwie­rige Liebe seiner Eltern, seiner Mutter Mitzi (Michelle Williams) und seines Vaters Burt (Paul Dano) und die des besten Freundes Bennie (Seth Rogen), eine Menage à trois, wie ich sie in den letzten Jahren selten kunst­voller und empa­thi­scher erzählt gesehen habe. Denn wie Spielberg die Bezie­hungen der Erwach­senen aus der Sicht seiner ersten Kind­heits­er­in­ne­rungen andeutet und dann mit den Augen des Jugend­li­chen erst wirklich versteht, als er seine Kamera und den Film an seiner Seite hat, das ist nicht nur eine der schönsten Liebes­er­klä­rungen an offene Bezie­hungs­ar­beit, sondern auch eine der hell­sich­tigsten Bekennt­nisse an die Macht des Kinos.

Die semi­bio­gra­fi­sche Geschichte, die Spielberg hier auf so vielen Ebenen erzählt, ist so stark, berührt derartig subkutan, wird mit all den Mitteln, die diesem großen, alten Meister des Kinos zur Verfügung stehen, so zärtlich und doch konzen­triert erzählt, dass es einem schon beim Wieder­zählen nicht nur die Tränen in den Augen treibt, sondern dass mit jeder Wieder­erzäh­lung dieses Films das Gesamt­werk von Spielberg vor Augen tritt. Es ist fast so, als ist diese frühe Lebens­er­zäh­lung der Schlüssel zu Spiel­bergs Werk: ist diese Art von Familie auch die Familie in allen späteren Filmen – in E.T. – Der Außer­ir­di­sche  ganz genauso wie in Indiana Jones oder in Catch Me If You Can, kann man dem Modell Familie so wie in Spiel­bergs eigenem Leben nie wirklich trauen.

Und weil dysfunk­tio­nale Familien immer auch die Notwen­dig­keit provo­zieren, sich eine „Ersatz­fa­milie“ schaffen zu müssen, muss schon die Liebe – im Vorfeld der Familie – an Berufe und Beru­fungen gebunden werden, weil die Liebe selbst sich nie erfüllt, es irgend­wann immer einen Abschied gibt. Das zieht sich so durch das Werk Spiel­bergs wie durch diesen Film und ist so wunderbar traurig wie entsetz­lich tröstlich. Man könnte auch sagen: es ist die Kunst des Lebens, weil Kunst immer ambi­va­lent sein muss, um große Kunst zu sein.

Und so ambi­va­lent ist dann auch die letzte große Szene dieses Films, als der junge Sammy dann tatsäch­lich den ersten ganz realen Schritt aus dem Traum in die Film­in­dus­trie setzt und in einem ikoni­schen und fantas­tisch insze­nierten Vorstel­lungs­treffen auf John Ford trifft, der von niemand anders verkör­pert wird als David Lynch. Und weniger wichtig ist es dann fast, was Ford über den Film zu sagen hat, sondern dass hier ein Schatten aus einer anderen Zeit spricht, der seine Heimat Familie genauso verloren hat wie Spielberg, für den die Berufung genauso essen­ziell zum Überleben wurde. Und dem man sich nach diesem Film genauso wünscht, einen solchen Film wie Spiel­bergs Fabelmans gemacht zu haben, einen Film, den man aber dennoch ganz plötzlich, für einen Augen­blick nur vor Augen sieht, obwohl es ihn nie gegeben hat und nie geben wird. Es ist aber auch ein Film über die Vergäng­lich­keit des Kinos, denn in diesem Moment sehen wir auch, was nach Ford kommt, sehen New Hollywood am Horizont auftau­chen und wieder vergehen und die Zeit des großen Block­bus­terkinos anbrechen und die Zeit, die danach kommt.

Dieses asso­zia­tive Angebot begleitet den ganzen Film, gibt es immer wieder genau diese Momente. Das ist wie Zauberei, es ist ein Wunder, es ist große Kunst, es ist Spielberg.

Play it again, Sammy

Filmemachen als Kontrollversuch gegen das Chaos des Lebens in Spielbergs autobiographischem Cine-Bildungsroman The Fabelmans

Kino, das ist Inge­nieurs­kunst: 24 Foto­gra­fien pro Sekunde, Projek­t­orlampe, Persis­tenz des Sehens. Sagt der Vater. Kino, das sind Träume! Sagt die Mutter. Von der ersten Szene, der ersten Einstel­lung an steht Sammy Fabelman zwischen diesen beiden Polen, in diesem Span­nungs­feld. Zwischen dem Kino als Instru­ment der Ratio, Kontrolle – und dem Kino als Hort des Unter­be­wussten, Unkon­trol­lier­baren. Zwischen Vater und Mutter.

Die Einstim­mung durch die Eltern kann nicht verhin­dern, dass der erste Kino­be­such für Sammy zum trau­ma­ti­schen Erlebnis wird: Der Crash des Zirkus-Zugs in DeMilles The Greatest Show on Earth ist zuviel für den Kleinen.

Doch er weist ihm auch den Weg, über trau­ma­ti­sche Erleb­nisse, über das Chaos der Welt und der Gefühle Macht zu gewinnen: Daheim stellt Sammy den Unfall mit der Modell­ei­sen­bahn nach. Bannt ihn auf Super-8. Trans­for­miert das Trauma zum Film, und bekommt es unter Kontrolle, gerade indem er es nun immer wieder und wieder durch­leben kann – als Fiktion, als Projek­tion im sicheren Rahmen des Bild­ka­ders, der Leinwand.

Potential für seelische Verstö­rung bietet Sammys Familie genug, auch wenn es ihm und seinen drei Schwes­tern scheinbar an nichts mangelt, sie eine behütete, verspielte Kindheit durch­leben mit durchaus liebenden Eltern.

Der Vater Burt ist ein Pionier der Compu­ter­technik, als diese noch nicht einmal den Mikrochip kennt. Zunächst schlägt er sich noch mit Fern­seh­re­pa­ra­turen durch, doch seine visi­onären Patente mit Röhren und Tran­sis­toren erwecken das Aufsehen von GE, später IBM. Sein beruf­li­cher Aufstieg lässt ihn immer häufiger abwesend sein, entwur­zelt die Familie, führt sie von New Jersey nach Arizona, dann Kali­for­nien. Was die jüdische Familie auch immer wieder in Gegenden bringt, wo sie in den latent anti­se­mi­ti­schen USA der 1950er als Fremd­körper inmitten von WASPs empfunden wird.

Die Mutter Mitzi ist eine Künst­ler­seele, die eine mögliche Karriere als Pianistin, Tänzerin aufgab zugunsten der Familie. Und die zunehmend psychi­sche Haarrisse erkennen lässt. Verspielt­heit, Neugier, Unkon­ven­tio­na­lität können schnell kippen ins Besorg­nis­er­re­gende – etwa wenn sie die Kinder ins Auto packt, um sie zum Spektakel eines heran­brau­senden Tornados zu fahren.

Und dann ist da noch »Onkel« Bennie, der Kollege Burts und Freund der Familie. Von dem Sammy erst allmäh­lich (und letztlich dank seiner Kamera) begreift, dass er die wahre Liebe der Mutter wäre.

So sehr The Fabelmans ein Regiefilm ist: Einen Gutteil seines emotio­nalen Gewichts stemmt das bis in die Neben­rollen großar­tige Ensemble. Es verkör­pert komplexe Figuren, die alle mehr Geschichte, mehr Facetten haben, als es Sammy aus seinem jugend­lich egozen­tri­schen Blick­winkel wahr­nehmen kann. Die der Film nun aber in seiner scho­nungslos liebenden Rückschau erkennt. Menschen, denen man anspürt, dass oft eine erheb­liche Kluft herrscht zwischen dem, was sie tun und sagen, und dem, was sie dabei in Wahrheit empfinden, sich wünschten. Menschen, die einander unwil­lent­lich verletzen, weil das Leben sie gemeinsam in eine unauf­lös­bare Konstel­la­tion manö­vriert hat, bevor sie selbst recht entdeckten, wer sie eigent­lich sind.

Paul Dano ist als Burt – eher gegen seinen gewohnten Typ besetzt – ein Schwärmer, zu jung, zu gutmütig in die Rolle des Patri­ar­chen gefallen. Der in der Wissen­schaft, dem Erfinden aufgeht wie andere in der Kunst. Der seine Frau vergöt­tert, aber wohl insgeheim spürt, dass sie ihn lediglich sehr schätzt. Und der sein Bestes tut, die Familie zusam­men­zu­halten, aber als Mann in den USA der 1950er dafür wenig Rollen­bilder hat als den hart arbei­tenden Ernährer.

Michelle Williams wirft sich mit aller Verve in den schwie­rigen Charakter Mitzis – einer Frau, nicht minder gefangen in dieser Familie, die sie dennoch wahrhaft liebt; gefangen in dem Schnitt­muster »Mutter«. Einer­seits tatsäch­lich begabt und auf eine charmante, kreative Weise neben der Konven­tion – ande­rer­seits aber auch mit (teils vom seeli­schen Druck ihrer Position gezeugten) bedroh­li­chen Problemen mit ihrer geistigen Gesund­heit, die nicht als Verschro­ben­heit wegzu­lächeln sind. Williams umschifft die Melodram-Klippen, die Tränen einer Frau zum bloßen Schauwert, zur prei­se­hei­schenden Bravour­nummer zu machen, weil sie Mitzi weder nobel noch »hyste­risch« zeichnet, aber stets sehr mitfühlbar mensch­lich.

Und Gabriel LaBelle hat die buben­hafte, sympa­thi­sche Anmutung eines typischen Spielberg-Prot­ago­nisten. Zugleich sozial unge­lenker Nerd und erwa­chendes Genie. Doch dieser Sammy kann als letztlich opti­mis­ti­scher Held seines eigenen Dramas von den Freuden und Leiden des jungen F.s in seiner Foku­siert­heit auf sich und seine Kunst mitunter ein ziemlich selbst­ge­rechter Stink­stiefel sein, in dem wohl­ver­borgen etwas durchaus Dunkleres lauert.

Allesamt aber bekommen offenbar zudem noch eine über­zeu­gende Mimikri der realen Vorbilder hin – auch wenn die uns Publikum in Aussehen, Stimme, Gestik kaum vertraut sind; doch wohl­do­ku­men­tiert im privaten Archiv des Regis­seurs.

Denn Sammy Fabelman, das ist freilich Steven Spielberg. The Fabelmans ist der filmische Bildungs­roman seiner Jugend. Wie der Film­fa­mi­li­en­name schon sagt, ist alles ein wenig ins Reich der Fabel gerückt. Ist zu einer Film­dra­ma­turgie umar­ran­giert, überhöht, pointiert; das ein oder andere von Spielberg und Autor Tony Kushner auch dazu­fa­bu­liert.

Doch im Kern stellt Spielberg in den meisten Szenen hier seine Erin­ne­rung nach – mitunter, nach eigener Aussage, wort­ge­treu. (Und anyway: Print the legend …) Inklusive seiner frühen Gehver­suche auf Super-8, bei denen Steven und seine Spezl mit ihren beschei­denen Mitteln, aber viel Enthu­si­asmus und Erfin­dungs­reichtum nach­machten, was sie im Kino begeis­terte: Western, Kriegs­dramen. Was The Fabelmans mit einer fast feti­schi­sie­renden Freude an der Mate­ria­lität echten Films zele­briert – dem Zelluloid, der Schnei­de­klinge, dem Montage-Kleber – und an der Verspielt­heit, dem inge­niösen Bast­lertum des »naiven« Filme­ma­chens.

Doch schon da schleicht sich für Sammy immer wieder in die kontrol­lierte Fiktion ein, was tiefere Schichten seines Bewusst­seins umtreibt. Der Leinwand-Soldat soll trauern um all die Männer seines Trupps, die er mit seinem Befehl in den Tod geführt hat – und da merkt Sammy, dass ihm das zum Bild des Zerfalls seiner eigenen Familie gerät und seiner Wut, Trauer darüber, seiner vermeint­li­chen Schuld daran.

The Fabelmans ist Spiel­bergs offen auto­bio­gra­phischster Film. (Und dabei im vermeint­li­chen Spätherbst seiner Karriere, nach einer schon länger eher durch­wach­senen kreativen Strecke, ein uner­war­tetes Meis­ter­werk.) Doch sollte er einen gerade deshalb kurieren von dem geläu­figen Miss­ver­ständnis, dass der Rest seiner Filmo­gra­phie weniger persön­lich sei. Spielberg war nie bloß der Märchen­onkel, der virtuose Block­buster-Impressario. Er hat das enorm Persön­liche lediglich lieber übersetzt in Genres, hat ihm Kostüme angezogen, hat es ins Histo­ri­sche verschoben.

Spätes­tens The Fabelmans öffnet die Augen, wie sehr trau­ma­ti­sche Themen ihn verfolgen, sein Werk durch­ziehen. Wie ernst es mit all den bedrohten Familien, mit der exis­ten­zi­ellen Verlas­sen­heit etwa in E.T. immer war. Wie sehr z.B. Saving Private Ryan, so proble­ma­tisch der politisch ist, doch verklau­su­liert ein Film über und für den Vater ist, der offenbar seine eigenen Kriegs­er­leb­nisse eher verdrängte.

The Fabelmans ist durchaus selbst auch ein Genre-Stück, spielt bewusst mit dem Hollywood-Kino der darge­stellten Ära. Man wohnt anfangs in Suburb-Häusern, die verdächtig der »Colonial Street« auf dem Universal-Studio­gelände ähneln – Heim unzäh­liger Film­fa­mi­lien der ‘50er. Die Melo­dramen Douglas Sirks scheinen nie fern, Mitzi Fabelman würde oft problemlos als Double für Doris Day durch­gehen.

The Fabelmans macht kein Hehl daraus, ein Film zu sein, setzt nicht die üblichen Marker für »Authen­ti­zität« (Hand­ka­mera, blasse Farben, Verzicht auf Musik etc.). Er lebt gerade von der Spannung zwischen der Arti­fi­zia­lität, Über­le­bens­größe des Kinos und der Präsenz eines realen Lebens.

Niemand hat die Grammatik klas­si­schen Film­erzäh­lens virtuoser beherrscht als der junge Spielberg. (Soder­bergh fühlte sich einmal dazu bewegt, den Anfang von Raiders of the Lost Ark in Schwarz-weiß und stumm ins Netz zu stellen, mit einem: Leute, guckt hin, wie unfassbar genial das filmisch erzählt ist!) Später wurde Spiel­bergs Filmen freier, loser – aber in The Fabelmans kehrt er wieder, etwas subli­miert, zurück zu einem Stil, bei dem jede Kadrie­rung, jede Kame­ra­be­we­gung, jeder Schnitt narrativ begründet ist.

Doch zugleich sind die Emotionen hinter den Bildern so roh, so unge­fil­tert, dringlich wie selten in seinem Œuvre. Wo Spielberg sonst die Apparatur des Kinos oft nutzt, beim Publikum Gefühle zu erzeugen, da fühlt sich The Fabelmans vielmehr durch­drungen an, durch­wirkt von Spiel­bergs eigenem Empfinden.

Nach dem Tod von Mitzis Mutter bekommt die Familie (einen womöglich hell­se­he­risch ange­kün­digten) Besuch des Onkels Boris – eine späte Para­de­rolle für Judd Hirsch. Boris wird für Sammy zum Menetekel. Er kennt sich aus im Show­ge­schäft, war im Zirkus Löwen­bän­diger, wursch­telte später im frühen Hollywood herum. Wo immer man Juden halt halbwegs duldete. Er erkennt in Sammy eine verwandte Seele – und sieht das mit Bedauern für den Bub. Die Beru­fen­heit zur Kunst ist ein Fluch, Kunst macht dich einsam, prophe­zeit er ihm.

Und in der Tat: Als Burt und Mitzi den Kindern ihren Entschluss zur Trennung offen­baren, sitzt Sammy schon abgerückt, wenn nicht entrückt daneben, ist Beob­achter seines eigenen Lebens und sammelt Stoff für spätere Werke.

Die Kamera, das Filme­ma­chen, das Kino sind in The Fabelmans zugleich Instru­mente der Wahrheit, der Aufklä­rung, der Kontrolle, mithin der Therapie. Und stemmen dabei doch immer wieder den Türspalt auf für das Unbe­wusste, Unkon­trol­lier­bare, Verlet­zende.

Burt verlangt von Sammy, dass er ein Fami­li­en­film­chen zusam­men­schneiden soll vom gemein­samen Picknick-Ausflug, um damit Mitzi nach dem Tod ihrer Mutter aus der zuneh­menden Depres­sion zu holen. Sammy setzt sich wider­willig an die Arbeit, will eigent­lich lieber sein Amateur-Kriegs­epos drehen. Doch beim Betrachten des Materials entdeckt er im Hinter­grund, am Rand der inten­dierten Bilder die Intimität zwischen Mitzi und Bennie.

Er schneidet eine offi­zi­elle Version, ein heiteres Filmchen über eine glück­liche Familie. Und eine Outtake-Rolle, die das wahre, prekäre emotio­nale Gefüge offenbart.

Lang hortet er Letzere als Geheimnis, und wird darüber zornig, selbst­mit­leidig, wird verstockt und ungerecht gegenüber der Mutter. Bis er sie schließ­lich in seinen Wand­schrank als quasi zugleich Vorführ­ka­bine und Kinosaal hockt und ihr den inkri­mi­nie­renden Film zeigt.

Zumindest in seiner Sicht besiegelt er damit das Ende der Familie – doch es ist zugleich der Grund­stein für ein neues, verstän­di­geres Verhältnis zu seiner Mutter.

The Fabelmans ist, einer­seits, eine Kontroll-Fiktion: Der Versuch, nun mit 76, nach dem Tod der Eltern, das letzte Wort über das eigene Lebens-Narrativ zu gewinnen.

Im Kern, in einer absoluten Schlüs­sel­szene aber, verharrt das Uner­klär­bare, Unkon­trol­lier­bare. Weil er dafür eine Arriflex in die Hände bekommt, erklärt Sammy sich bereit, den Strand­aus­flug seines High­school-Jahrgangs zu filmen. Klar, dass er die Gele­gen­heit nutzt, einen der Bullys bloß­zu­stellen, die ihm das Schul­leben schwer machen – ihn in der Montage zum mitleid­erre­genden Clown ernied­rigt. Doch was treibt ihn dazu, den anderen, den wahren Anführer seiner Peiniger, mittels seiner Kunst zum Leinwand-Helden, zum Halbgott zu stili­sieren? Der sonst in vielem fast über­de­ter­mi­nierte Film hat darauf bewusst keine klare Antwort.

Und die unge­plante Volte: Gerade das erweist sich als vernich­tendste Rache. Der blonde, strahläu­gige High School-Athlet begreift, dass er als realer Mensch nie das Verspre­chen des Film-Götzen einlösen wird, welchem Sammy sein Äußeres verlieh. Dass sein Leben von nun an nur Enttäu­schung sein kann.

Schließ­lich schafft es Sammy zu einem Hilfsjob bei Universal. Sein Chef ist dort auch nur ein kleines Rädchen, ein TV-Produzent. Doch im Büro gegenüber, da sitzt eine Legende. Ob Sammy die mal kennen­lernen will, fragt er ganz beiläufig, als bedeute das nichts.

Und ob Sammy will! Unver­mit­telt wird er so in die Begegnung mit seinem wohl größten Idol geschubst. Wer das ist? Und wer den spielen darf, ohne sich des Sakrilegs fürchten zu müssen?

Die Szene ist ein solch absoluter cine­as­ti­scher Glücks­mo­ment, dass ich allen, die die Antwort auf obige Fragen noch nicht mitbe­kommen haben, ihn hier nicht spoilern möchte. Ich war meiner­selbst unvor­be­reitet und bin, die Augen eh schon latent feucht vom voran­ge­gan­genen Film, im Kino­sessel fast wegge­schmolzen vor Seligkeit.

Nur soviel sei gesagt: Es ist der Gast­auf­tritt just eines Groß­meis­ters des Kinos als Projek­tion des unge­fil­terten Unter­be­wusst­seins, der unkon­trol­lierten (Alb-)Träume.

Die Schluss­pointe nimmt jene Lektion auf, die Sammy bei dem Treffen erteilt wird. Und ist ein Augen­zwin­kern in Richtung des Kinos als Illusion, als mecha­ni­sche Apparatur, mit Objek­tiven und Stativen.

Es ist nur eine kleine Kame­ra­be­we­gung. Doch eine der cleversten der Film­ge­schichte. Und sie rückt Sammy alles zurecht für eine … inter­es­sante Zukunft.

Alles an und für sich ganz nett

Technisch perfekt, aber wenig überraschend: Steven Spielbergs autofiktionaler The Fabelmans

Der erste Kino­be­such ist für viele Menschen wahr­schein­lich einer der magischsten Momente überhaupt – auch wenn man davor mögli­cher­weise Angst hat, so wie bei Sammy (frisch­ge­ba­ckener Critics Circle Awards Gewinner Gabriel LaBelle), dem Prot­ago­nisten von Steven Spiel­bergs neuestem Werk The Fabelmans. »Was, die Lichter gehen aus?«, fragt der Junge verängs­tigt und will am liebsten direkt am Absatz des Foyers kehrt­ma­chen. Doch als sich der purpur­rote Vorhang öffnet und das Licht des Projek­tors die ersten Szenen des Films The Greatest Show on Earth über die Leinwand flackern, ist es um Sammy geschehen. Das wird in einer der nach­fol­genden Szenen sehr deutlich. Der junge Prot­ago­nist sitzt wie vom Blitz getroffen regungslos und mit weit aufge­ris­senen Augen im Auto. Während sich seine Eltern besorgt fragen, ob dieser Kino­be­such wirklich eine gute Idee war, steht für Sam fest: Was auch immer ich gerade gesehen habe, war ein Erlebnis! Wenn ich groß bin, möchte ich genauso mitreißende Filme machen, die die Leute begeis­tern! Dieser Initia­ti­ons­ritus in die Welt des Films tritt die Ereig­nisse der rest­li­chen knapp 150 Minuten von The Fabelmans los. So erwartet das Publikum eine kine­ma­to­gra­phi­sche und zeit­gleich cinephile auto­fik­tio­nale Aufar­bei­tung der Kindheit und Jugend des mehrfach oscar­prä­mierten Regis­seurs Steven Spielberg.

Generell scheint die Verar­bei­tung der eigenen Kindheit in Hollywood gerade ziemlich angesagt zu sein: Egal ob Belfast von Kenneth Branagh, Zeiten des Umbruchs von James Gray oder eben The Fabelmans von Steven Spielberg. Doch während erst­ge­nannter sich eher mit den Unruhen in Nord­ir­land befasste, liegt der Fokus in The Fabelmans auf den ersten filmi­schen Gehver­su­chen Spiel­bergs. Gerade das Plädoyer für die Leinwand als Ort, an dem vermeint­lich kleine Details ganz groß erscheinen und man mit der klas­si­schen analy­ti­schen Montage echte Emotionen beim Publikum wachrufen kann, werden viele Publi­kums­herzen höher­schlagen lassen.

Und wenn ein Regisseur weiß, wie er die Gunst der Zuschauer gewinnen kann, dann Spielberg. Wie kein anderer zeichnet er das Porträt einer zutiefst dysfunk­tio­nalen jüdischen Familie im Amerika, die gerade aufgrund ihrer kleineren und größeren Makel über­zeugen soll. Mehr als über das Prädikat: Nett, aber nichts, was man nicht schon zigfach bereits gesehen hat, geht The Fabelmans aber nicht wirklich hinaus. Es folgt eine kurze Aufzäh­lung der Figuren: Der technisch versierte Vater, der in der Cine­philie seines Sohnes nur ein Hobby sieht und hofft, dass er ihm nach­ei­fert. Die Mutter, die vor der Geburt ihrer Kinder eine Künst­lerin war und ihrem alten Leben insgeheim hinter­her­trauert. Schluss­end­lich noch der film­be­geis­terte Sammy mit seinen beiden Schwes­tern. Paul Dano spielt Burt Fabelman als einen Vater, der seinen fami­liären Verpflich­tungen eher als lästige Pflicht nachkommt – und dann wäre da noch Michelle Williams. Sie mimt die liebens­wür­dige, wenn auch fast schon wahn­sinnig anmutende Mutter, was durchaus über­zeugen kann, teils aber ins starke Over­ac­ting abdriftet. Gerade bei einer renom­mierten Schau­spie­lerin wie Williams ist es überaus enttäu­schend, wie Spielberg seine vermeint­liche »Mutter« ab einem gewissen Zeitpunkt im Film als eine Art von über­spitzter Figur darstellt, was die Lust am (Zu-)Schauen eher vermin­dert als vergrößert.

Mag die schau­spie­le­ri­sche Leistung im Großen und Ganzen durchaus größ­ten­teils über­zeugen, so trifft dies mit Sicher­heit nicht auf die Handlung zu. Denn was bereits für die recht generisch geratene Figu­ren­kon­stel­la­tion gilt, trifft genauso auf die Story zu. Spielberg scheint bei seinen Alters­werken, egal ob West Side Story oder jetzt in The Fabelmans, auf Nummer sicher zu gehen: Wer große Über­ra­schungen erwartet, wird enttäuscht werden. Bis auf ein paar nette Anekdoten, wie geschickt der Regisseur die Mani­pu­la­ti­ons­macht des Mediums Film bereits in jungen Jahren zu nutzen wusste, ist vieles eher Dramen-Einmal­eins. Eine Ehe, die langsam aber sicher in die Brüche geht, die ersten filmi­schen Gehver­suche von Sammy in Verbin­dung mit den ersten Rück­schlägen, ein Umzug und Stress an der neuen Schule. Dabei wird dem Film insbe­son­dere seine Laufzeit von knapp zwei­ein­halb Stunden zum Verhängnis, da The Fabelmans zu oft auf altbe­kannte Klischees setzt. Besonders negativ bleiben all jene Sequenzen in Erin­ne­rung, die an Sammys neuer Schule spielen. Hier wirft Spielberg so ziemlich alle Formel­haf­tig­keit in den Ring, die es in den High­school­filmen innerhalb der vergangen 50 Jahren gegeben hat: Die rassis­ti­schen Mobber, die am Endes doch nur halb so schlimm sind, die ange­sagten Mädchen, die mit den größten Machos abhängen und in Wirk­lich­keit doch recht naiv sind, usw. Dadurch entstehen dann Szenen, wie jene, in der Sammys erste Freundin ihn zu sich nach Hause einlädt und sich heraus­stellt, dass sie einen ausge­prägten Jesus-Fetisch besitzt, was genauso unan­ge­nehm zum Ansehen ist, wie es klingt.

Aus rein tech­ni­scher Perspek­tive lässt sich nicht viel gegen The Fabelmans anbringen. Dass Kame­ra­mann Janusz Kaminski, mit dem Spielberg unter anderem bereits bei West Side Story zusam­men­ge­ar­beitet hat, schöne, von Liebe zum Film nur so sprühende Bilder einge­fangen hat, über­rascht genauso wenig, wie der gefühl­volle Sound­track von John Williams. Das ist alles an und für sich ganz nett, aber im Grunde genommen erzählt The Fabelmans weder etwas Neues noch wirklich Span­nendes, das auch nur im Ansatz die Laufzeit oder die bishe­rigen Lobprei­sungen wirklich recht­fer­tigen würde. Die Figuren sind als Sympa­thie­träger angelegt, die Geschichte besitzt eine Menge an Verweisen auf Film­klas­siker mit dem ein oder anderen Cameo, kurzum: Spielberg macht das, was Spielberg am besten kann. Das Publikum mit wenig über­ra­schenden, dafür aber umso emotio­na­leren Geschichten (immer wieder im Zentrum: dysfunk­tio­nale Familien) an die Leinwand zu fesseln. Wer genau das erwartet, wird wahr­schein­lich seine Freude an diesem Film haben – wer aber immer noch darauf hofft, dass Spielberg von seinen bekannten Pfaden abweicht, wird auch weiterhin darauf warten müssen.