Fear and Loathing in Las Vegas

USA 1998 · 116 min. · FSK: ab 16
Regie: Terry Gilliam
Drehbuch: ,
Kamera: Nicola Pecorini
Darsteller: Johnny Depp, Benicio Del Toro, Tobey Maguire, Craig Bierko, Katherine Helmond u.a.

Acid-Culture

Terry Gillliams beein­dru­ckende Zumutung aus den Jahren, als das Wünschen plötzlich nicht mehr geholfen hat

Ein perverser, schreck­li­cher, sehr guter Film, zynisch und zuschau­er­ver­ach­tend, den man gesehen haben muß. Nicht um mitreden zu können, denn zu reden ist da nicht viel, sondern weil hier selten im Kino- wirklich etwas zu erleben ist.

Angenehm ist das nicht gerade. Gut möglich, daß den einen oder anderen der Würgreiz kitzelt, und man kann auch keinen Tip geben, ob es besser ist, den Film mit vollem oder leerem Magen zu sehen, vorher schon ein Bier zu trinken oder nicht, denn das kommt auf die Konsti­tu­tion jedes einzelnen an.

Jeden­falls sollte man zweimal in diesen Film gehen: Einmal um die Über­ra­schung zu erleben, die er jedem bereitet, der Terry Gilliam-Übliches erwartet, wie Brazil oder Münch­hausen. Obwohl es genau betrachtet hier wie dort um Befrei­ungs­ver­suche geht, und um das Erreichen des Punktes, an dem solche Versuche zwangs­läufig fehl­schlagen.
Beim zweiten Mal wird man den Film besser finden, denn man weiß, was auf einen zukommt: Keine Geschichte, keine Logik, keine Hollywood-Drama­turgie, aber auch kein inde­pen­den­t­hafter Lang­weiler-Realismus, bei dem man eine Vier­tel­stunde zwei Leuten beim Kaffee­trinken zuschaut. Godard oder Truffaut, das ist für Gilliam nicht die Frage. Er macht keines von beidem. Sein Film ist ein Trip hinein ins Herz des ameri­ka­ni­schen Alptraums, zwangs­läufig ekelhaft, denn man kann nicht zwei Stunden in Scheiße wühlen, und dabei saubere Hände behalten.

In Cannes, als Fear and Loathing in Las Vegas urauf­ge­führt wurde, haben die manier­li­chen Franzosen alle Manieren verloren, und auf die verrückten, perversen Ameri­kaner geschimpft. Sie meinten eher die message, aber sie schlugen auf den Über­bringer Terry Gilliam ein, der doch nur in surrealer und gerade darum sehr tref­fender Manier erzählt, wie es war in jener Zeit, als das Wünschen plötzlich nicht mehr geholfen hat.
»Fear and Loathing in Las Vegas« von Hunter S. Thompson ist ein Buch aus dem Jahr 1971. Es handelt von dem Moment, an dem die Welt plötzlich kompli­ziert wurde: Die ersten Jahre nach der Revolte, als es sich Nixon gerade im White House so richtig gemütlich machte, und mit Old-Metter­nich Henry Kissinger den Vietnam-Frieden herbei­bombte. Die schönen Jahre waren vorbei, man zog sich in hallu­zi­no­gene Innen­welten zurück und alle Drogen rein, die man bekommen konnte. Las Vegas wird zur verzerrten, extremen vers­tö­renden Metapher Amerikas und gleich­zeitig zum Paradies jener »Acid Culture«.

Gilliam schuf keine kreuz­brave »Lite­ra­tur­ver­fil­mung«, sondern einen der subjek­tivsten, damit auch angreif­barsten US-Filme der letzten Jahre. Hektisch, verrückt, kaum erträg­lich, eine Zumutung. Ob der Film deshalb schon richtig gut ist, läßt sich schwer sagen. Aber immerhin ist es eine Sicht der Dinge.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann kiffen sie noch heute.

Als das Kiffen noch geholfen hat...

1971: Debbie Reynolds singt in einer Lounge in Vegas »Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band«.
Der neu ameri­ka­ni­sche Traum der jungen Gene­ra­tion der ‘60er – der Traum, mit Liebe und Drogen und Musik die Welt zu verändern – ist ausge­träumt. Der Traum ist verraten. Der Traum ist verkauft.
Was Manson (mit auf die Stirn täto­wierter Swastika soeben zum Tode verur­teilt), was die Hell’s Angels in Altamont (soeben in Gimme Shelter bei der Ermordung eines jungen Schwarzen für alle im Kino zu sehen) nicht kaputt gemacht haben, was die Tode von Hendrix, Joplin und Morrison, die Trennung der Beatles noch übrig­ge­lassen haben – das fleddert nun das Esta­blish­ment.
Wo Schlags­töcke und Tränengas, der Aufmarsch der National Guard versagten, den Wider­stand nur stärker machten, greift nun die perfidere Taktik: Das Rebel­li­sche wird gefressen, assi­mi­liert, als kommer­ziell verwert­bares Produkt konsum­fertig für die Massen wieder ausge­spuckt.
Debbie Reynolds singt in einer Lounge in Vegas »Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band«.

Las Vegas: Die Hure unter den ameri­ka­ni­schen Städten. Die Bastard-Schwester von L.A. und San Francisco, das grell­ge­schminkte, obszöne Zerrbild des alten ameri­ka­ni­schen Traums – des Traums, seines eigenen Glückes Schmied zu sein und vom Teller­wä­scher zum Millionär zu werden.
Die Stadt, in der die Herr­schenden buchs­täb­lich Gangster sind; die Stadt, in der dem Volk sein größter Traum mit weit­ge­spreizten Beinen auf Spiel­ti­schen zum Kauf darge­boten wird.

1971 begibt sich Hunter S. Thompson, Erfinder des »Gonzo-Jour­na­lismus«, im Auftrag des »Rolling Stone« nach Las Vegas, um über das Mint 400, das berühmte Motor­rad­rennen durch die Wüste von Nevada, Bericht zu erstatten. Mit ihm im Auto: sein Freund Oscar Zeta Acosta, Bürger­rechts­ak­ti­vist latein­ame­ri­ka­ni­scher Abstam­mung, und ein Koffer voller Drogen.
Das Ergebnis: Der stets an der Grenze zur Reportage wandelnde Roman »Fear and Loathing in Las Vegas« – ein Kultbuch, das sich diesen Titel verdiente, als er noch nicht wöchent­lich dreimal vergeben wurde.

Vor allem im ersten Teil von Fear and Loathing in Las Vegas bleibt Terry Gilliam der lite­ra­ri­schen Vorlage fast sklavisch treu – hat aber dennoch weit­rei­chende Freiheit, für den knappen, auf detail­lierte Beschrei­bungen fast völlig verzich­tenden Text Bilder und Töne, Farben und Rhythmen zu finden.
Das Resultat ist ein zwei­ma­liger Abstieg in die Hölle, um die Demontage zweier Hotel­suiten in Vegas herum struk­tu­riert; ein Drogen-Slapstick, dem das Grinsen immer wieder zur Toten­fratze gefriert.
Johnny Depp läßt das Thompson-alter ego Duke wie einen Stummfilm-Komiker durch eine Welt zappeln, in der eine Grenz­zie­hung zwischen drogen­ver­zerrter Innen­sicht und objek­tiver Wirk­lich­keit längst sinnlos geworden ist; in der psyche­de­li­sche Muster, hundert­fache Spiegel, quietsch­bunte Lich­ter­or­gien zur regulären Innen­austat­tung gehören.
Gilliam schichtet Element um Element aufein­ander, überlädt den Frame mit Orna­menten, Bewe­gungen, Farben, türmt voice-over auf Dialoge und Musik und Hinter­grund­geräusch, bis das Publikum in einem Meer von filmi­scher Infor­ma­tion zu ertrinken droht – und läßt den Film in einer über­flu­teten Hotel­suite enden, einer Art Ursuppe der Post­mo­derne, in der die Fragmente der Welt frei herum­schwimmen und auf eine Rekom­bi­na­tion warten, die ihnen noch einmal Sinn stiftet.

Es geht in Fear and Loathing in Las Vegas mindes­tens genauso um heute und die gesamte ameri­ka­ni­sche Gesell­schaft, wie um 1971 und Las Vegas. Wo das Buch bei seinem Erscheinen nur Bestands­auf­nahme sein konnte, ist der Film nun gleich­zeitig ein Abgesang auf den geschei­terten Traum der ‘60er, eine vorsich­tige Analyse der Wurzeln unseres heutigen Dilemmas, und ein Versuch der Teufels­aus­trei­bung des letzten Jahr­zehnts.
Vor allem aber ist Terry Gilliams Fear and Loathing in Las Vegas – viel mehr noch als ein cine­as­ti­scher Drogen­trip – ein Traum. Ein Traum davon, daß man auch heute noch Filme machen kann gegen den satten, faulen Konsens; Filme gegen die Regeln von Plot und Charakter, gegen die von Studio­buch­hal­tern diktierte Plastik-Ästhetik; gegen flau­schiges Wohl­ge­fühl und Sicher­heits­ga­rantie. Filme, die etwas wagen. Filme, die etwas bedeuten. Filme, die – zusammen mit Liebe und Drogen und Musik – die Welt verändern.

Der Ex-Monty Python und großar­tige Kino­vi­si­onär Terry Gilliam ist von der Zukunft (12 Monkeys) in die problem­be­la­denen Früh­sieb­ziger zurück­ge­gangen. Von dort bringt er der Welt den wohl übelsten und abge­dreh­testen Drogen­trip der Film­ge­schichte, basierend auf dem für unver­filmbar gehal­tenen Roman von Hunter S. Thompson. Nach drei Jahren Pause vom Regie­führen schickt er den Jour­na­list Duke (Johnny Depp) und seinen Anwalt Dr. Gonzo (Benicio del Toro) auf psyche­de­li­sche Irrfahrt in die Spie­ler­stadt der Spie­ler­städte, Las Vegas.

Dort schlagen sich die beiden mit hart­nä­ckigen Hallu­zi­na­tionen, bemit­lei­dens­werten Anhaltern und einigen anderen seltsamen Zeit­ge­nossen herum, oder trak­tieren zur Abwechs­lung unschul­diges Hotel­per­sonal. Dabei sind fast alle Neben­rollen Cameo­auf­tritte bekannter Darsteller oder Musiker. Voll­ge­dröhnt bis zum geht-nicht-mehr begeben sie sich schließ­lich zum Kongreß der natio­nalen Drogen­kon­fe­renz, nur um danach ein weiteres Hotel­zimmer gnadenlos zu ruinieren.

Die verschie­denen Trips, die in den unter­schied­lichsten Farben, Formen und Stim­mungen gezeigt werden, nehmen zwar schnell an alptraum­hafter Bedroh­lich­keit zu, lassen aber in mehr als zwei Stunden eine eindeu­tige mora­li­sche Position vermissen. Es gibt wohl keinen Film, der ähnlich intensiv und umfang­reich den absur­desten Drogen­konsum darstellt und aus dem Zuschauer einen hefti­geren Teilzeit-Junkie macht. Sogar die extremen Vorstel­lungen von Train­spot­ting werden weit hinter sich gelassen, besonders weil Fear and Loathing in Las Vegas nur eine rudi­men­täre Story aufzu­weisen hat und so einen anderen Schwer­punkt setzen kann.

Gerade deshalb macht es aber auch ungemein Spaß, der inten­sivsten Droge­n­ab­fahrt des Jahres beizu­wohnen.