Großbritannien 1998 · 69 min. · FSK: ab 16 Regie: Christopher Nolan Drehbuch: Christopher Nolan Kamera: Christopher Nolan Darsteller: Jeremy Theobald, Alex Haw, Lucy Russell, John Nolan u.a. |
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Dekonstruktion als Denkrichtung... | ||
(Foto: Drop-Out-Cinema) |
Es dürfte im Sinne des Künstlers sein, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in einen Dialog treten zu lassen. Christopher Nolans Following zum ersten oder wiederholten Mal zu sehen, ermöglicht, das Schaffen des Regisseurs noch einmal unter anderen Vorzeichen zu lesen und Verbindungslinien zu entdecken. Gerade jetzt, nachdem der gebürtige Brite mit Oppenheimer einen neuen Karriere-Höhepunkt hingelegt hat. Sein auf 16mm gedrehtes Debüt aus dem Jahr 1998, das man nun in bestechender Bildqualität wieder in den Kinos sehen kann, zeigt die anregenden Ambitionen und Ideen, an denen es Nolans Schaffen bis heute nicht mangelt.
Bereits in Following dreht sich zunächst alles um ein Puzzle, das sich zusammensetzt. Wie man es so oft von Nolans sehr konzeptuell gedachten Modellversuchen und verschachtelten Erzählweisen kennt. Figuren und Biographien sind nur mit den nötigsten Konturen umrissen. Nolan geht es schon hier darum, mit ihnen etwas Größeres zu demonstrieren und zu erforschen. Chronologien und Szenen werden dabei durcheinandergewürfelt, um später plötzlich in anderem Licht oder überhaupt in einem klaren Kontext zu erscheinen. Betrüger und Betrogene, Paranoia, Fallen, die unbemerkt zuschnappen, fatale Verführungsstrategien und ausgeklügelte Verbrechen – Nolan entlehnt Motive und Versatzstücke des Krimis und des Film Noir, die er auch im Verlauf seiner späteren Karriere mehrfach variiert hat. Nie wieder ist ihm das so kompakt und pointiert – in nur einer reichlichen Stunde – gelungen wie in Following. Vielleicht wäre ohnehin eine Rückkehr zu einer solch verdichteten Miniaturform eine erfrischende Perspektive, nachdem sich Nolan zuletzt an immer umfassender werdenden Filmepen abgearbeitet hat.
Following erzählt von einem Schriftsteller (Jeremy Theobald), der aus einer Laune und Langeweile heraus beginnt, Menschen in den Straßen Londons zu verfolgen und zu beobachten. Eines Tages gerät er an den Kriminellen Cobb (Alex Haw), den Namensvetter für die spätere Figur von Leonardo DiCaprio in Inception. Gemeinsam dringen sie in Privaträume Fremder ein, verstricken sich in ihre Obsessionen und finden sich in einem verbrecherischen Netz wieder.
Erstaunlich an Following ist, wie Nolan, früher Literaturstudent, in dieser Low-Budget-Produktion die Zutaten seiner Genre-Traditionen an eine grundsätzliche menschliche Fremdheitserfahrung und an anthropologische Selbstentwürfe bindet. Nolan mag selten psychologisch erzählen; das macht seine Filme aber mitnichten unmenschlich. Seine Protagonisten, die sich durch die Großstadt treiben lassen und dem Fremden zuerst über reines Beobachten, später über das gewaltsame Eindringen und gegenseitige Manipulieren begegnen, sind zutiefst bemitleidenswerte, ambivalente Gestalten. Nähe und Ferne werden ihnen zu unsicheren Erfahrungswerten.
In diesem Zusammenhang spielt Nolan auf ähnlich kluge Weise mit Krimi-Konventionen wie der Schriftsteller Paul Auster in seiner berühmten NEW-YORK-TRILOGIE. Parallelen ergeben sich insbesondere in deren Mittelstück »Schlagschatten«, das ein Observierungsszenario entwirft, in dem die Sehprozesse, Blickwechsel und Entfremdungen im Beschatten und Verfolgen einer anderen Person befragt werden. Die Verunsicherungen gegenüber der eigenen Identität, die Auster in seiner selbstreflexiven und auf diversen Metaebenen gebauten Krimi-Trilogie durchspielt, taugen bei Following zum Vergleich, weil Christopher Nolan ebenfalls an den Fundamenten des Ichs rüttelt. Er kratzt daran, wie es sich im Privaten und Öffentlichen definiert und alle Gewissheiten verliert. Ein schöner Zufall, dass der Film in Deutschland parallel zu Todd Haynes’ grandiosem Schauspiel-Drama May December in den Kinos läuft, der an ähnlichen Erschütterungen arbeitet!
Viele Fragen tun sich in Nolans Hauptfigur auf, wenn sie Leute aus der Ferne beobachtet. Eine distanziert wahrnehmbare Gestalt wird zum imaginären Antrieb für ein Spiel der unbegrenzten Möglichkeiten. Wer ist diese Person? Wohin geht sie? Was bewegt sie? Im Inneren der Wohnung dann findet man Gegenstände, Objekte. Man bastelt sich eine Identität anhand von Spuren zusammen, dringt in einen gespenstischen Raum ein. Man sucht die Erfahrung einer »Nähe, so fern das sein mag, was sie hinterließ«, wie Walter Benjamin die Spur in seinem »Passagen-Werk« beschrieb. Aber bleibt dieses Zusammensetzen, diese riskant gesuchte Nähe nicht ebenfalls eine bloße Wunschvorstellung? Cobb macht sich einen Spaß daraus, kleine Dinge im vertrauten Gefüge der Unbekannten zu verändern. Etwa indem er Unterwäsche in der Wohnung als Indiz einer geheimen Affäre drapiert – das provozierte Chaos wird nur in seiner Fantasie, im Unsichtbaren geschehen. Allein die Vorstellung scheint ihm zu genügen. Dass die Begegnung mit anderen Menschen irgendwann nur noch in deren Abrichtung zur lenkbaren Marionette geschehen kann, ist eine bittere Zuspitzung.
Zeit, Nolans wiederkehrendes Kernthema, meint in Following ein Ablaufen paralleler Routinen, in denen Mensch und Umwelt, Lebendiges und Nicht-Lebendiges ein Netzwerk formen. Menschen suchen danach, sich in diesen Parallelitäten und dem drögen Nebeneinander- und Vorbeileben zu spüren, gerade in der Anonymität. Und doch entfernen sie sich unaufhaltsam, da ihnen die vorgegaukelte zwischenmenschliche Verlässlichkeit spätestens in der finalen Finte als Trugschluss enthüllt wird. Also muss das Individuum elendig vergehen oder es verschwindet wieder in der gesichtslosen Masse. Following ist in seinem Menschenbild bis heute einer der düstersten Nolan-Filme. Was braucht es, um eine Unterbrechung in jenen Routinen und Abläufen zu provozieren und die eigenen Alltagsregeln zu durchkreuzen? »Du nimmst es weg und zeigst ihnen, was sie hatten«, erklärt Cobb trocken und lenkt das fremde Leben.
Der Eindruck eines ernüchterten Zusammenbruchs wird durch Verschiebungen in der Chronologie schon früh angedeutet, obwohl die Zeichen dessen für das Publikum noch nicht transparent erscheinen. Ihre Auflösung ist anwesend, wenn ihr eigentlicher Erkenntniswert noch abwesend ist. So wie dieser ganze Film in seinem Herantasten an Menschen und in seiner verwirrenden Wirklichkeitskonstruktion jederzeit von einer zermürbenden Abwesenheitserfahrung (un)greifbarer Persönlichkeiten geprägt ist. Auch in den Momenten, in denen Figuren ihr Gegenüber zu manipulieren versuchen und glauben, es anhand von Studien begriffen zu haben.
Man könnte das titelgebende Following inzwischen weiterspinnen. Wie sich das anonymisierte Verfolgen und Zusammensetzen von Inszenierungen von Personen in das Internet verlagert hat. Welche Ungewissheiten damit einhergehen, die auch den Figuren in Nolans Krimi widerfahren. In diesem Sinne hat sein Langfilmdebüt nichts an Brisanz und Denkräumen verloren. Auch in den Irrungen des Netzes versucht der Mensch, das Erleben von Abwesenheit und Ferne technisch zu überwinden. Menschen werden anhand von Bruchstücken imaginiert und entworfen. Eigentlich sind sie permanent mit den Grenzen und Trugschlüssen dieses Vorhabens konfrontiert.
Dekonstruktion als Denkrichtung ist in all ihren unauflösbaren Paradoxien, Abhängigkeiten und Verzahnungen letztlich ein wichtiges Stichwort, um Nolans Werke und überhaupt einen Großteil gegenwärtiger Kino-Erzählungen zu greifen. Dem Philosophen Jacques Derrida diente die Gleichzeitigkeit von An- und Abwesenheit etwa als Grundlage für die Denkfigur des Gespenstischen in den Nachwehen des Kalten Krieges. Sie dient auch Nolan in vielen seiner Filme als wiederkehrendes, sinnstiftendes Element und menschliche Konstante. Sie lässt seine Werke miteinander kommunizieren. Sei es im Umherspuken von Begehrensfiguren in den Träumen von Inception, dem Angriff der verlorenen Zukunft in Tenet, die ihre Vergangenheit auszulöschen versucht, oder im Zusammenfließen von Handlungen und Auswirkungen, also in der Heimsuchung durch ausgeblendete Konsequenzen in Oppenheimer. Die ungeschliffenen, nervös taumelnden und pulsierenden Schwarz-Weiß-Bilder von Following werfen zum ersten Mal die Schatten solcher Themen in einer schier unerschöpflichen Filmographie voraus.
Mit dem Noir-Thriller Memento wurde Christopher Nolan weltberühmt, mit dem Serienkillerfilm Insomnia schaffte er den Sprung in Hollywoods Topliga, drehte mit Al Pacino und Robin Williams. Im Sommer kommt sein Film Batman Begins ins Kino. Längst hat sich der Brite Christopher Nolan als eine der großen Regie-Hoffnungen dieses Jahrzehnts etabliert. Er liebt verschachtelte Geschichten, erzählt nach dem Vorbild des modernen Romans – Alain Robbe-Grillet nennt er selbst im Gespräch auf Nachfrage als ein Vorbild – und möchte wie sein Vorbild Kubrick Filme schaffen, die »das Kino transzendieren«.
Following stand ganz am Anfang. Über ein Jahr dauerten die Dreharbeiten zu dem Film, der ganz ohne Geld, mit Hilfe von Freunden gedreht wurde. Gemessen an den Voraussetzungen ist Following ein großer Wurf, doch auch wenn man nichts von Budget und Regisseur weiß, ist der Film ein guter, spannender Thriller, fehlerfrei inszeniert, verrätselt und voller Geheimnis.
Erzählt wird von einem Mann. Ein Schriftsteller, einsam und isoliert, der plötzlich auf die fixe Idee verfällt, völlig unbekannten Menschen auf der Straße nachzugehen, sie wie ein Detektiv zu beschatten. Dieser Bill ist ein Voyeur, der sich das Leben, das er selbst nicht hat, durch seine Verfolgungstrips sozusagen aus zweiter Hand besorgt. Einem seiner »Opfer« fällt er auf – es handelt sich um Cobb, einen professionellen Einbrecher. Der raubt, und genießt ähnlich obsessiv wie Bill seine Verfolgungen, das heimliche Eindringen in intimste Privatverhältnisse. Bald begleitet Bill Cobb auf seinen Einbrüchen und verliebt sich überdies in die attraktive Freundin eines Gangsters
Following ist bestechendes Kino, das in seinen Grundideen sowie in einzelnen Szenen an Hitchcock wie Godard erinnert – und an den Film Noir sowieso: Ganz in Schwarzweiß gedreht, erzählt dieser Thriller eine Geschichte aus der moralischen Grauzone, über geheime Träume, über Lüge und Überwachung, über die Grenze zwischen äußerem Schein und Privatheit. Dabei erinnert Nolans Beschwörung des Großstadtdschungels an die Filme der 40er-Jahre, seine fast dokumentarischen, wenngleich ausgeklügelt inszenierten Bilder an Filme der 60er und 70er. Die Grundidee freilich ist ganz modern – der erste Paukenschlag eines hochspannenden Regisseurs.