Deutschland 2015 · 104 min. · FSK: ab 12 Regie: Gordian Maugg Drehbuch: Gordian Maugg, Alexander Häusser Kamera: Lutz Reitemeier, Moritz Anton Darsteller: Heino Ferch, Thomas Thieme, Samuel Finzi, Johanna Gastdorf, Lisa Charlotte Friederich u.a. |
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Ein Kunstgriff, nicht Naturalismus |
»Wer weiß denn wie es in mir aussieht? Wie es schreit und brüllt da innen, wie ichs tun muss, will nicht muss, will nicht muss, und dann schreit eine Stimme und ich kann es nicht mehr hören...« – eine der berühmtesten Szenen der deutschen Filmgeschichte – Peter Lorre als wahnsinniger Serienmörder in Fritz Langs Film M – Eine Stadt sucht einen Mörder von 1931. Der Film ist ein Kinoklassiker und Meisterwerk der den Zeitgeist der Weimarer Republik atmet und zugleich voller Hellsicht ist für den aufkommenden Faschismus und das Regime der deutschen Mörder.
Aber wie kam es überhaupt zu diesem Film? Das erzählt jetzt der der aus Heidelberg stammende Regisseur Gordian Maugg. Sein Kinostück Fritz Lang würde man Dokufiction nennen, wäre dieser Begriff nicht von schlechtem Fernsehen kontaminiert. Er ist Fiktion – weil ausgedacht, und zugleich dokumentarisch, weil er äußerst faktensatt ist.
Tatsache ist zum Beispiel die Geschichte von Peter Kürten, dem »Vampir von Düsseldorf« einem der brutalsten Serienmörder der 1920er Jahre. Er versetzte Düsseldorf und Umgebung in Angst und Schrecken. Monatelang suchte die Polizei nach dem Täter, die Jagd verwandelte die Stadt in einen Ausnahmezustand.
Mehr Dichtung als Wahrheit ist das Portrait des Regisseurs Fritz Lang. In den 1920er Jahren schuf der Filmregisseur Klassiker des Welt-Kinos: Dr. Mabuse, Die Nibelungen, Metropolis.
Maugg zeigt den berühmten Regisseur, der im wahren Leben eher liebenswürdig und skeptisch war, als Mann in der Krise, im Writers Block gefangen, depressiv und arrogant, gigantomanisch und frustriert. Oder als Salonlöwen. Aber dann doch nur bei schlechtem Sex mit Prostituierten – wenn schon, dann hätte man doch gern die selbstentworfene Cocktailbar im Keller und den weißen Mercedes-Cabrio mit roten Ledersitzen gesehen.
Das Genie Fritz Langs wird hier dagegen etwas banalisiert – als ob seine Inspiration vor allem als Patchwork aus Wirklichkeitspartikeln vorstellbar wäre. Dabei muss man nicht Lang-Kenner sein, um zu wissen, was für ein harter Arbeiter Lang war nicht nur Kontrollfreak, er war auch ein genauer Rechercheur, der ein großes eigenes Archiv anlegte. Einer der Hinsehen wollte, herausfinden wie es ist.
Den Tatsachen allerdings entspricht das Ehedrama, die zerbrechende Partnerschaft mit Thea von Harbou, die auch eine berufliche war. Sie zerbrachen, in diesem Film zumindest, an Streit über das, was das Kino zeigen soll: »Es war der falsche Weg« sagt Lang da, »Menschenmassen und Maschinen. In jedem Film. Ich will das nicht mehr. Mir geht es nur noch um den Menschen, um einen Menschen.« Und sie erwidert: »Es kann doch nicht alles, was damals gut war, heute schlecht sein.« Von Habou
wurde jedenfalls eine Starfilmemacherin der Nazis, Fritz Lang ging bald nach der Machtergreifung ins Exil.
Trotzdem ist solch eine Szene kaum die halbe Wahrheit, weder über das Verhältnis von Lang zu seiner zweiten Frau, noch über Langs Ansichten zu seinen eigenen Weimarer Filmen. Denn alle seine Filme handeln vom Verhältnis zwischen Einzelnen und der Masse, oft sind diese Einzelnen gehetzt, mitunter megaloman.
Trotzdem hat Mauggs Film auch viele informative Qualitäten und ist
eine gute Einführung in Langs Werk.
Brillant ist in jedem Fall die sinnlich-satte ästhetische Umsetzung: In prächtigem Schwarzweiß, nostalgischem 4:3-Format, in der Mauggs einzigartiger Methode – bereits in Der olympische Sommer (1991/92), Hans Warns – Mein 20. Jahrhundert (1999) Zeppelin! (2005) mischte Maugg historisches und neu gedrehtes Material miteinander bis fast zur Ununterscheidbarkeit – entsprechenden Vermischung von dokumentarischem Material, von »found footage« und Spielszenen, deren Anmutung im besten Sinn altmodisch und zeitgemäß wirkt, lässt Maugg das alte Berlin und die Weimarer Republik in ihrer Jugend und ihrem Flair wiederauferstehen. Als Bewusstseinsstrom und impressionistisch-pulsierende Collage aus Modernitätspartikeln: Neon, Nacht, Maschinendampf...
Um so trauriger, dass viele Zuschauer offenbar gar nicht mehr erkennen können. Sogar die Kritikerin der TAZ merkt nicht mal, dass Heino Ferch in altes Material per Digitaltechnik hineingesetzt wurde, sondern behauptet frech, Lang alias Ferch könne »ja doch nicht« im historischen Zug sitzen. Von wegen!
Die selbe Autorin wirft dem Film allerdings auch vor, es fehlten die Dialekte (sie schreibt »akzentfrei«) – nun, Lang hatte eben keinen österreichischen Akzent. Und die
Verwendung von Dialekten verstärkt gerade eine historische Diantanz, die Maugg aufbrechen will.
Er bringt uns alte Zeiten nahe, nicht uns in alte Zeiten. Sein Film ist ein Kunstgriff, nicht Naturalismus. Manchmal muss man derart wie im Proseminar erläutern, damit dieser Film nicht ganz zum Vergnügen für die »happy few« wird. Denn leider ist das breite auch professionelle Publikum offenbar kaum in der age, sich derartigen Erfahrungen auszusetzen.
Dabei hat Maugg auch hervorragende Darsteller: Heino Ferch als ein stoischer Fritz Lang, Samuel Fintzi als abgründig-schillernder Serienmörder Peter Kürten. Und vor allem der großartige Thomas Thieme als Kommissar, der Lang aus früheren Zeiten kennt.
Diesen Film hätte Dieter Kosslick auf der Berlinale zeigen müssen – wenn nicht im Wettbewerb, dann als Spezialvorstellung. Man versteht nicht, wieso sich ausgerechnet ein Berliner Festival diesem Berlin-Film verweigert, und damit auch dem deutschen Kino seiner größten Zeit nicht die angemessene Plattform bietet.
Was wir auch noch sehen: Das Aufkommen der Nazis. Denn zwar ist die Weimarer Republik viel mehr als nur die Vorgeschichte von Hitler. Doch wenn heute viele wieder fragen: Kehrt Weimar zurück, ist das gemeint: Das Aufkommen der Nazis scheinbar aus dem Nichts. Weil es keiner für möglich hielt.