Fünf Uhr am Nachmittag

Panj é asr

Iran/F 2003 · 105 min.
Regie: Samira Makhmalbaf
Drehbuch: ,
Kamera: Ebrahim Ghafori
Darsteller: Agheleh Rezaie, Abdolgani Yousefrazi, Razi Mohebi, Marzieh Amiri
Filmszene »Fünf Uhr am Nachmittag«
(Foto: Alamode)

Dunkle Schönheit

Filmen vor der Explosion: Samira Makhmalbaf beim Filmfest München 2003

Ein kleiner zier­li­cher Körper, ein großer Kopf: »Ich will von der Wirk­lich­keit erzählen« sagt Samira Makhmalbaf, »ich will beschreiben, was ich beobachte, will nicht verfäl­schen. Aber manchmal sind Symbole, ist eine Wendung ins Abstrakte und Symbo­li­sche viel realis­ti­scher, als eine lange Doku­men­ta­tion.« Mit intel­li­genten, wachen Augen mustert die junge Regis­seurin den Frage­steller, schnelle Hand­be­we­gungen begleiten jedes Wort. Man kann sie sich gut vorstellen, wie sie am Set das Team und ihre Darsteller dirigiert, Laien fast alle. »Was soll ich mit Stars?« fragt sie, »wir haben ja viele im Iran. Aber die Menschen, die in meinen Filmen spielen, sind doch so viel besser, in ihrer Direkt­heit und Klarheit. Stars könnten das nicht.«

Manchmal ändere sie die ganze Geschichte, um jemanden, den sie traf, in den Film einzu­bauen. Etwa eine junge Mutter, die in Panj é asr auftritt, ihrem neuesten Film, der nach seiner preis­ge­krönten Cannes-Premiere jetzt von ihr persön­lich beim Filmfest München vorge­stellt wird. »Ich hörte ihre Stimme, und wusste: Das ist ein Teil meines Films.« Panj é asr handelt vom Dasein junger Frauen im gegen­wär­tigen Afgha­ni­stan, in zertrüm­merten Städten, in einem in zwei Jahr­zehnten in die kultu­relle Steinzeit zurück­ge­wor­fenen Land. Von »Befreiung« möchte Makhmalbaf auch jetzt nicht sprechen: »Was ist das für eine Freiheit, die mit Bomben gebracht wird? So kann man die dortigen Zustände nicht ändern. Die Taliban sind nach wie vor da, in den Köpfen, im täglichen Leben.« Aber keine Frage: »Es ist im letzten Jahr besser geworden, es gibt ein bisschen mehr Freiheit, Frauen dürfen wieder zur Schule, wenn auch nur mit Burka.«

Makmalbaf weiß, wie es ist, die von strengen Isla­misten vorge­schrie­bene Total­ver­schleie­rung zu tragen: »Man kann kaum atmen, es ist heiß, man sieht nur wenig.« Die 23jährige ist im Iran der Ayatol­lahs aufge­wachsen, noch unter recht privi­le­gierten Verhält­nissen, als Tochter des bekannten Regis­seurs Mohsen Makhmalbaf. Eine Kino­fa­milie: Auch die Stief­mutter macht Filme, der Bruder schneidet und produ­ziert, »und meine kleine 14jährige Schwester hat gerade ihren ersten Film fertig­ge­dreht: Eine Doku­men­ta­tion über meine Dreh­ar­beiten bei Panj é asr›. Zuvor hat die junge Frau schon drei Filme von erstaun­li­cher Reife und Konse­quenz, voller klugem Humor gedreht, die sämtlich in München gezeigt wurden: Der Apfel mit 17 Jahren war ihr Debüt, bereits ihr zweiter Film Schwarze Tafeln lief im Wett­be­werb von Cannes. Zuletzt steuerte sie eine der besten Episoden zum Kompi­la­ti­ons­film 11'09''01 – September 11 bei.‹«

In Afgha­ni­stan hat sie aber nicht wegen des jüngsten Krieges gedreht, oder aus Sensa­ti­ons­gier: »Das Land gehörte lange zum Iran, wir sprechen die gleiche Sprache, haben die gleiche Kultur, viele Flücht­linge von dort leben im Iran. Und es war einfacher, diesen Film in der gegen­wär­tigen Situation in Afgha­ni­stan zu machen. Aber ich wollte das Land nicht nur benutzen, obwohl es natürlich auch eine Geschichte aus dem Iran, und einigen anderen isla­mi­schen Ländern ist.« Die Hoffnung bei Amts­an­tritt von Präsident Khatami sei im Iran schnell verflogen: »60 Prozent der irani­schen Bevöl­ke­rung sind jünger als ich. Sie haben andere Träume, sie wollen Wechsel, Bewegung, Demo­kratie, Glück. Aber die Alten herrschen. Und so entsteht Wut.« Diese Situation doku­men­tieren Makhmalbafs Filme: Eine Welt zwischen Hoff­nungs­lo­sig­keit und drohender Explosion, voll dunkler Schönheit. Wer auf die junge Regis­seurin trifft, begreift schnell, wie lohnens­wert und spannend es wäre, Perspek­tiven wie der ihren häufiger zu begegnen, sich auf sie einzu­lassen. Sonst muss sie bald in neuen Trümmern drehen.