USA/GB 2024 · 148 min. · FSK: ab 16 Regie: Ridley Scott Drehbuch: David Scarpa Kamera: John Mathieson Darsteller: Paul Mescal, Pedro Pascal, Connie Nielsen, Denzel Washington, Joseph Quinn u.a. |
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Im Angesicht des Verbrechens... | ||
(Foto: Paramount) |
Ridley Scott macht es einem nicht leicht. Gleich zu Anfang zitiert er in einer Szene, in der sein »neuer Gladiator« Lucius Verus (Paul Mescal) irgendwo im nordafrikanischen Nubien Getreidekörner durch die Hand fahren lässt – hier allerdings schon geerntet, anders als im ersten Teil, wo es die noch ungeernteten Ähren sind –, einen der ganz großen ikonischen Momente der Filmgeschichte. Doch anders als in Gladiator im Jahr 2000 ist hier nichts ikonisch oder überraschend. Gladiator war der erste Monumentalfilm mit antiker Thematik seit den 1960er Jahren. Zwar griff er zahlreiche Elemente aus Der Untergang des Römischen Reiches aus dem Jahr 1963 auf, doch gelang Scott mit seinem Film ein wirklicher Relaunch und das nicht nur inhaltlich, sondern über ein großartiges Ensemble wie die von Russel Crowe und Joaquin Phoenix gespielten Antagonisten auch ein schauspielerisches Spektakel.
Dass diese Vorlage schlichtweg zu groß ist, scheint auch Scott gespürt zu haben, denn nicht allein durch die erwähnte Eingangsszene versucht Scott seinen ersten Gladiator wieder und wieder zu re-enacten. Denn auch danach passiert eigentlich all das, was schon einmal passiert ist, stirbt wieder eine geliebte Frau, führen alle Wege nach Rom. Doch auch diese Szene, die im ersten Teil von großer epischer Tragik ist, ist hier nicht mehr als pathetischer Kitsch. Das liegt nicht nur an dem Over-Scoring von Harry Gregson-Williams, der im zweiten Teil seinen Mentor Hans Zimmer ersetzt, der kein Interesse daran hatte, die alten Partituren für einen zweiten Teil zu adaptieren. Es liegt aber auch an den Bildern, der Regie und dem Narrativ selbst, einer Überquerung des Styx, die erst recht so platt und aufgesetzt wirkt, vergleicht man sie mit einer wirklich kreativen Neuauslegung dieses alten mythologischen Bildes wie der in Sean Durkins The Iron Claw.
Nach diesen sein eigenes Werk dekonstruierenden Momenten wird es langsam besser, wohl auch, weil damit endlich alle Erwartungshaltungen dekonstruiert sind. Überraschend bleibt dennoch, dass großartige Schauspieler wie Paul Mescal, der zuletzt in Aftersun oder All of Us Strangers so überragend gespielt hat, aber auch Denzel Washington als Macrinus und neuer Antagonist, in Scotts Fortsetzung weit hinter ihren Möglichkeiten zurück bleiben. Möglicherweise belastet ihr Spiel die Tatsache, dass das Drehbuch zu nah am ersten Teil geschrieben ist und eine schauspielerische Emanzipation schlichtweg nicht möglich ist. Doch selbst neue Charaktere wie der vom Fauda-Producer und Hauptdarsteller Lior Raz dargestellte Gladiatoren-Coach bleiben erschreckend hinter ihren Möglichkeiten.
Immerhin gelingt es Scott auf der Action-Ebene neue Fahrwasser zu etablieren und das nicht nur durch die Flutung des Circus Maximus, die wie das neue Kaiser-Personal auf historischen Tatsachen beruht.
Spätestens mit dieser Personalie, der ebenfalls verbürgten Doppelkaiserschaft von Kaiser Geta (Joseph Quinn) und Kaiser Caracalla (Fred Hechinger) in einem dekadenten, autokratisch regierten Rom, das wie schon im ersten Teil seine demokratischen Ideale verraten hat und in Korruption und Misswirtschaft versinkt, macht Scott deutlich, warum es diesen zweiten Teil überhaupt braucht, ein Warum, das wohl jedem Zuschauer fast die ganze erste Hälfte des 148 Minuten langen Films aufstoßen muss wie bittere Galle.
Doch mit der zunehmenden Politisierung des Films wird deutlich, dass der am 30. November 87 Jahre alt werdende und altersweise Scott mit seiner Fortsetzung wohl am ehesten ein fast schon propagandistisches Plädoyer für die Demokratie im Sinne hatte. Denn was hier im alten Rom an populistischer Politik getrieben wird und wie das gemeine Volk zum Spielball kapitalistischer Interessen wird, unterscheidet sich kaum von dem, was heute in unserer politischen Gegenwart passiert. Das macht Scotts Film dann trotz bisweilen bizarrer Momente, die an die alten Monumentalfilme Hollywoods und ihre Nachfolger, die Sandalenfilme des italienischen Kinos erinnern, dann doch sehenswert, auch wenn deutlich wird, dass Scott gerade in den hervorragend inszenierten Mensch-jagt-Mensch-Szenen nach neuen »Meilensteinen« wie Die Tribute von Panem oder Squid Game wie aus der Zeit gefallen wirkt. Was umso mehr überrascht, als Scott ja erst 2021 mit seinem Ritterfilm The Last Duel gezeigt hat, dass er auch auf diesem Terrain zu Innovation fähig ist.
Doch Scotts verlorener »Traum von Rom«, der durch »Ehre und Stärke« wieder reaktiviert werden soll, ist dann am Ende so leidenschaftlich formuliert, dass alles, was vordem noch so antiquiert gewirkt hat, plötzlich hochmodern wirkt und wie jede gute Propaganda macht Scott am Ende nicht nur durch ein letztes Zitieren seines Vorgängerfilms mit dem schon erwähnten ikonischen Moment klar, dass Demokratie immer wehrhaft bleiben muss und es sich nicht nur lohnt, für sie zu kämpfen, sondern man für sie kämpfen muss, denn besser ein Tod in Freiheit als einer in Gefangenschaft.
»Dominus imperat, servus arat.« – »Der Herr befiehlt, der Sklave pflügt.« Das war der erste, der allererste Satz in meinem Lateinbuch, die allerersten Worte in der Sprache des Römischen Weltreichs, die ich lernte. Gleich zu Beginn, in der fünften Klasse (»Sexta«) des Humanistischen Gymnasiums meiner Schulzeit, irgendwann vor langer Zeit im weit entfernten 20.Jahrhundert wurden mit der ersten Fremdsprache die Verhältnisse zurechtgerückt und so in Blei gegossen. Es gibt Ungleichheiten, es gibt Menschen, die befehlen, und welche, die dienen müssen, es gibt auch die, die zum Herrschen geboren sind, und die, die nie frei sein werden, oder sich allenfalls ihre Freiheit mühsam erkaufen können. So war es im Alten Rom. So ist es auch in unserer Zeit, nur dass wir es weniger gern offen sagen und dies auch nicht opportun ist, weil man empfindlicher geworden ist und sich ungern eingesteht, dass unser Wohlstandsleben, dass Europa auf Ausbeutung und Versklavung anderer gebaut ist.
Hollywood ist da noch relativ offenherzig.
Immer wieder erzählt die Traumfabrik des Westens uns allen Geschichten, in denen schöne saubere Menschen auch die Guten sind und hässliche, dreckige die Bösen. Oder sie sind nur vermeintlich dreckig und eigentlich im Herzen schön und werden dies auch äußerlich im Laufe des Films.
Immer wieder erzählt uns Hollywood von Ungleichheit: von Menschen, in denen das Blut ihrer Ahnenlinie stärker ist als die Umstände; in denen der Amerikanische Traum, nach dem alle Menschen gleich sind
und ihnen alle Türen gleichermaßen offenstehen, konterkariert wird dadurch, dass sie aus Familien kommen, die ihnen Willensstärke gegeben haben und außergewöhnliche Fähigkeiten, die sie erzogen haben zum Herrschen und in denen sie ihr Heil finden, indem sie den Spuren ihrer Ahnen, vor allem ihrer Väter folgen. Hollywood ist nicht nur eine Traumfabrik, sie ist gerade in den letzten zwei Jahrzehnten, in den Filmen des vermeintlich so fortgeschrittenen, so achtsamen, so diversen
und so gleichen 21. Jahrhunderts eine Schule der Ungleichheit in Uniformität und eine Schule des Rassismus.
In diesen Filmen sind Herkunft und Hautfarbe und Kultur und Religion und alles das, was wir heute in einer eigentlich völlig irrsinnigen Wortverdrehung »Identität« nennen, so wichtig, wie sie niemals zuvor gewesen sind.
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Mehr als für alle anderen Filme gilt das für Marvels pubertäres Krach-Zack-Bumm-Kinderjahrmarktskino und für die infantilen Tolkien-Verfilmungen, und für all die anderen Franchises, für die Fantasy- und Superhelden-Filme, die dieses 21. Jahrhundert prägen, das ja so fortgeschritten ist und alle Fehler des 20. ja so perfekt vermeidet.
Als Gladiator zum Ende dieses heute gern gering geschätzten 20. Jahrhunderts in die Kinos kam, war es eine Art Summe der 90er Jahre mit ihren vielen ausgezeichneten Filmen, ihren vielen großen Möglichkeiten und zugleich der schiefen Ebene, auf der sich dieses Kino schon in den 90ern mit Beginn der Digitalisierung befand und die zu der Misere geführt hat, in der wir heute uns im filmischen Erzählen, aber auch in anderer Hinsicht befinden.
Auch die jetzige völlig entbehrliche, aber gut ansehbare Fortsetzung Gladiator II ist eine einzige Bestätigung dieser Beobachtungen.
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Ganz am Anfang, noch vor Beginn des Films, erscheint der Titel und das vor 25 Jahren ikonisch gewordene Logo: »GladIator«, wobei das I besonders groß geschrieben wird, wie eine römische I. Dann spaltet sich diese I zu einer römischen II und wir lesen »GladIIator« – ein visueller Gimmick, nicht überaus originell, aber auch nicht schlecht, so wie dieser ganze Film. Aber vor allem ein – den Filmemachern unbewusster – Verweis, auf das, was in diesem Film vor sich geht.
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Denn so wie Ridley Scotts mit fünf Oscars prämierter Gladiator 1999 ein Film über die Einheit war, über das letzte Aufbäumen römischer Tugenden in Marc Aurel – all das mögen Klischees sein, Vereinfachungen, komplett unhistorisch, aber darum geht es nicht, wir sind in Hollywood –, über den einen Kaiser, der in dem einen Kämpfer Maximus die Möglichkeit eines Weiterlebens des eigenen
Erbes der Einheit Roms erkennt, so ist die von Scott selber ein Vierteljahrhundert später inszenierte Fortsetzung Gladiator II ein Film über den Zerfall. Über die Zersplitterung, über Dekadenz und Hoffnungslosigkeit. Es mag ums Ganze gehen, aber dieses Ganze ist bereits unrettbar zerbrochen.
So zerbrochen, wie die Erzählkunst Hollywoods, die Erzählkunst der Neunziger-Jahre, die mehrere Dutzend Meisterwerke brachten, zerstoben ist im digitalen
Sturm, der sich seitdem entfachte und nicht nur das Showbusiness, sondern auch die Politik und die Kultur mit sich riss in den Maelstrom.
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Konsequenterweise verdoppelt auch der Film, um die Story fortzusetzen, seine Figuren: Wo mit Maximus ein Held war, um Römertugend zu verkörpern, wenn auch ein in Offizier und Arenakämpfer, Herr und Sklave gespaltener, braucht es nun zwei sich auch äußerlich ähnliche Figuren, um das zu zeigen, was im ersten Teil noch in einer war: Lucius Maximus, den Sohn des Gladiator Maximus, der in dessen Fußstapfen tritt, sich als Kaisersohn entpuppt und zwischenzeitlich zum Spartacus mutiert, und den Feldherrn Marcus Acacius (Pedro Pascal), der von einer Renaissance der Republik träumt, aber offenbar weder Tacitus noch Cicero noch Caesar gelesen hat, sonst wüsste er es besser. Zu diesen zwei Lookalikes als Helden stellt Ridley Scott auch zwei Lookalikes als Kaiser, zwei Seiten von Verworfenheit und Dekadenz. Sie sollen den immerhin charismatischen Joaquin Phoenix als Commodus ersetzen. Wie bewusst diese Doppelung dem Regisseur ist, macht der mehrfach bemühte Verweis auf Romulus und Remus klar, die zwei von einer Wölfin gesäugten Zwillingsbrüder am Anfang der Gründung der Stadt.
Und vielleicht möchte der Regisseur ja noch ein Lookalike erzeugen: Im Kopf des Zuschauers, die Parallele zwischen den Verhältnissen des Films und jenen in der zeitgenössischen Politik: Alles ist Spektakel, alles Effekt und Performance, alles mediengemacht, alles Arena, alles Blut und Spiele.
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Der Film beginnt spektakulär und emotional, im Stil des Originalfilms. Nach einem Insert, das uns »um 200 n. Chr.« situiert und behauptet, unter der »Dekadenz« unter den Doppelkaisern Geta und Caracalla sei »der Staat von Marc Aurel nicht mehr«, wird »das letzte freie Land Afrikas« (»Numidia«) in einem filmisch formidablen und extrem gut inszenierten Galeerenangriff niedergeworfen.
Feuerbälle prasseln auf die Galeere und von der Galeere zurück. Bogenschützen sorgen für Pfeilgewitter, Schwerter spalten Schädel. Hier ist Ridley Scott at his best. Man merkt, dass der Mann auch mit 86 Jahren noch gerne militärwissenschaftliche Bücher liest und den Geist des British Empire geatmet hat. Genau solche Szenen sind seine Stärken; sie sind auch seine Vorlieben.
Held Lucius, der noch nicht weiß, dass er so heißt, aber schon ein wackerer Kämpfer ist, mit allen Eigenschaften zum Offizier: Natürliche Führungskraft, Mut und kaltblütige Übersicht im Kampftaumel, redet über Rom, wie heute ein Hamas-Terrorist über den Westen: »They bring destruction and call it peace.«
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Dies ist, auch das zeigt sich früh, ein Hollywood Film, der sich nicht mehr mit Rom identifiziert, der an Rom nicht glaubt, sondern halb ausgesprochene Sympathien mit dem Globalen Süden und antizivilisatorischer Barbarei hegt. Das wirkt sich aus auf den Film, der seine innere Mitte und sein weltanschauliches Zentrum nie findet. Es ist genau diese Schizophrenie, für die Ridley Scott zwei Hauptfiguren braucht: Einerseits den römischen Feldherrn, der die alte Welt verkörpert und mit einer Mischung aus Technik, Vernunft und Römertugend die schwarzen Barbarenstämme unterwirft. Und andererseits den Rebell aus jener Dritten Welt, der Zorn, Idealismus und Ressentiment zugleich verkörpert – und dem die antizivilisatorische Frechheit, der Affront gegen Westen, Moderne und Vernunft und damit die Provokation für unsereins zugleich wieder genommen wird, weil er ja selbst ein Weißer und Römer ist, und in seinen Adern sogar das blaue Blut des Kaiserhauses pulsiert, nur energetisch aufgeladen und erfrischt durch die wilden Stämme jenseits der Pax Romana.
So funktioniert die Biopolitik des Ridley Scott.
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Nach etwa 30 der insgesamt 150 Minuten des Films kommt es – Lucius wurde gefangen, gebrandmarkt und als Sklave nach Rom verschleppt – zur ersten Arena-Schlacht der Gladiatoren und aus dem Bauch des römischen Kolosseums taucht eine Gruppe digital erzeugter Affen mit Riesengebiss auf, die in der Logik nicht nur von Gladiator, sondern auch von Gladiator II absolut unakzeptabel ist. Sie wirken wie aus einer Horrorversion von Der Herr der Ringe. Es handelt sich um überdimensionierte Paviane, die genauso schnell wieder verschwinden, wie sie auftauchen, nachdem einer von ihnen vom Helden totgebissen wurde. Den späteren Hai-Alarm im Kolosseum und einen gepanzerten Reiter, der stehend auf einem galoppierenden Nashorn kämpft, mag man in all seiner abstrusen Absurdität noch akzeptieren, aber dies hier nicht.
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Nicht besser wird es mit den Kaisern Geta und Caracalla. Sie wirken nicht majestätisch, sondern wie böse Pausenclowns, erst recht durch ihre übertrieben bunte Maske, weiß gepuderte Gesichter, »unmännliche« Sprechweise und schwule Gestik. Diese wahnsinnigen Brüder sind nicht einmal komisch, sondern nerven eher, als dass sie unterhalten. Während die Kaiser immer unberechenbarer und wahnsinniger werden, mit Affen als ständigen Begleitern, werden Allianzen geschlossen, Wetten gewonnen und verloren, und Enthüllungen über die Motive und langfristigen Pläne verschiedener Hauptfiguren gemacht.
Aber es gibt keinen einzigen Moment ihrer Präsenz auf der Leinwand, der nicht peinlich für die Macher ist. Vielleicht ist das trotzdem so beabsichtigt, damit Denzel Washington in seiner Rolle als intriganter Aufsteiger Macrinus um so mehr glänzen kann, doch die Entscheidung geht nach hinten los: Schwache Ziele schwächen den Gegenspieler.
Nur die Tatsache, dass zeitgenössische Filme so schlecht sind, macht es möglich, all dies trotz der ernsthaften Mängel des Films zu genießen.
Trotzdem ist die Figur des schwarzen Sklavenhändlers Macrinus (Denzel Washington) interessant und diejenige, die Ridley Scott am meisten interessiert. Denn hier findet er das Thema seines Kinos: Alien! Der Außenseiter im System: Der Außenseiter als Agent des Wandels. Eine Kraft, die sich an den Rändern eines Systems bewegt, bis sie ihm entkommt, es zerstört oder es erobert.
Durch diese Figur vergisst man plötzlich die technischen Nachlässigkeiten, die Wiederholungen des
Immergleichen, die ermüdenden Palastintrigen.
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Macrinus wird zwischenzeitlich zum Ersatzvater und zweiten Schöpfer des Helden Lucius. Er macht ihn zu seinem Werkzeug und zugleich erklärt er ihm, wer er ist, und befreit ihn so: »Du trägst etwas in dir, die Griechen haben ein Wort dafür: Thymos. Qual, Wut. Diese Wut ist deine Gabe. Du darfst sie nie verlieren, denn sie wird dir zu Größe verhelfen.«
Es liegt nahe, in Macrinus ein Selbstbild des Regisseurs zu sehen, des Außenseiters Ridley Scott inmitten der Filmindustrie Hollywoods. Wie Macrinus hat auch Ridley Scott bei jedem seiner Schritte eine verborgene Absicht. Anders als andere Veteranen des Regiehandwerks will Ridley Scott weder sein Gewissen reinigen noch dem Publikum erklären, warum er Filme macht. Er macht sie einfach – und zündet damit dann das ganze System an.
Im Gespräch mit Marc Aurels Tochter Lucilla entpuppt sich Macrinus dabei als politischer Realist und Vorläufer des Denkens der Staatsraison: »Du bist die Tochter deines Vaters. Sein Traum von Rom war nie ein Traum, es war eine Illusion. Ich gebe mir alle Mühe, es deinem Vater nicht gleich zu tun. Er sprach von Träumen, ich spreche von Wahrheit. Und die einzige Wahrheit in meinem Rom ist das Gesetz des Stärkeren. Ich war Besitz eines Kaisers – jetzt kontrolliere ich ein Weltreich. Wo sonst, wenn nicht in Rom könnte man das erreichen?«
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Alles ist übrigens historisch, denn Ridley Scott ist auch ein historisch überaus interessierter Faktennerd. Aber weil er auch ein Regisseur ist, der Erfolg will und viele Zuschauer, sind die Fakten doch nur halbwichtig, und am Ende war im Grunde nichts so, wie er es zeigt. Es gab Macrinus, der wurde aber über ein Jahr lang Kaiser und hatte keine schwarze Hautfarbe. Macrinus brachte tatsächlich Caracalla um, dieser war aber keineswegs ein schlechter Kaiser. So wenig wie sein Bruder Geta, den wiederum Caracalla zuvor hingemetzelt hatte, so wie das der Film zeigt.
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Neben dem Quatsch steht der Kitsch: Die Fortsetzung nutzt jede Gelegenheit, um die Verbindung zum Vorgänger zu unterstreichen, und das Herz des Publikums zu gewinnen – doch der rührselige Ton des ersten Films ist inzwischen veraltet, und selbst seine treuen Fans werden feststellen, dass die Wiederholung bestimmter Elemente eher wie eine Parodie wirkt als eine Fortsetzung.
Ridley Scott geht ästhetisch große Risiken ein, indem er mit diesen Verbindungen spielt, doch aus finanzieller Sicht ist das Geschäft gesichert.
Die Puzzleteile fügen sich zwar nie richtig zusammen, doch wird alles am Ende immerhin ein zutiefst nihilistischer Film über die Mechanismen, die Macht schaffen, strukturieren und schwächen – damals wie heute. It’s not the economy, stupid! Es ist das Ego und der Narzissmus und die Wut und der Hass und das Ressentiment – für diese Einsicht zumindest hätte man nach diesem Film Trumps Wahlsieg nicht mehr gebraucht.
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Friedrich Nietzsche hat das alles und die dazugehörigen psychologischen Prozesse gut beschrieben: »Der Sklavenaufstand in der Moral beginnt damit, dass das Ressentiment selbst schöpferisch wird und Werte gebiert: das Ressentiment solcher Wesen, denen die eigentliche Reaktion, die der Tat, versagt ist, die sich nur durch eine imaginäre Rache schadlos halten«, schrieb er. Die Sklaven-Moral bedürfe immer einer Gegen- und Außenwelt, »ihre Aktion ist von Grund aus Reaktion.«
Am Ende muss der Kaisersohn Führungsstärke zeigen und den zum Kaiser aufgestiegenen Sklaven Macrinus zurechtweisen, ihm seinen Platz zeigen. Die Demokratie, die »Rückkehr zur Republik«, von der in diesem Film ausgerechnet die Sprösslinge der Elite träumen, ist hier realistisch betrachtet immer schon verloren. Und das liegt nicht nur an der Amoral der Berufspolitiker im Senat.
Sondern an objektiven Verhältnissen: Diesem Staat fehlt das verbindende Element, mit der die hier
mehrfach bemühte Formel von der »Einheit und Stärke« mehr wäre als eine Worthülse.
Eine Rückkehr zur Demokratie ist nicht möglich.
Scott zeigt das, aber bitte nicht zu deutlich, das könnte ja empfindsame Zuschauer verschrecken. Der Film entschuldigt sich quasi permanent für das, was er ist, bzw. eigentlich sein möchte, bzw. auch sein könnte. Und so zeigt er am Ende dann doch vor allem, was passiert, wenn die Sklaven siegen. Und wenn die Sklaven-Moral zu herrschen beginnt.