USA/F/GB 2023 · 96 min. · FSK: ab 12 Regie: Woody Allen Drehbuch: Woody Allen Kamera: Vittorio Storaro Darsteller: Lou de Laâge, Melvil Poupaud, Valérie Lemercier, Niels Schneider, Elsa Zylberstein u.a. |
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Frische Frühlingsgefühle im holden Herbst... | ||
(Foto: Weltkino) |
Es ist schon ein wenig bezeichnend, dass das Raunen um Woody Allens 50. Film immer auch eine Abschiedsnote erhält, weil Allen während der Präsentation seines Films in Venedig – wo er außer Konkurrenz lief – munkelte, dass dies vielleicht sein letzter Film sein könnte, was angesichts Allens 88 Jahren nicht ganz unwahrscheinlich ist. Eine Abschiedsvorstellung ist immer besser besucht, das weiß jeder Marketing-Anfänger und so liest es sich denn auch querfeldein über diesen Film, oftmals mit der ein wenig ambivalenten Zusatznote, wie beim NDR: Woody Allen-Fans kommen voll auf ihre Kosten.
Für jene Fans, die sich vielleicht in derselben Altersklasse wie Allen bewegen und möglicherweise erste Demenz-Erscheinungen haben, mag das zutreffen, doch für jene, die noch die Kraft der Erinnerung haben, dürfte das allerdings weniger zutreffen.
Denn was Allen hier zeigt, ist so banal und nebensächlich und völlig unerheblich, dass es vor allem jene schmerzen dürfte, die sich noch an die Kraft und Herrlichkeit von Allens Hauptwerk erinnern, das eben genau das nicht war: das nicht nebensächlich, das nicht unerheblich und tatsächlich nie banal war. Das vor allem vom Ringen um Beziehungswahrheit auf allen Ebenen erzählt hat und von wahrhaftiger Katharsis durchdrungen war, um dem Elend der eigenen neurotischen Wirklichkeit endlich zu entkommen. Wer Filme wie Der Stadtneurotiker (1977), The Purple Rose of Cairo (1985), sein großes Meisterwerk Hannah und ihre Schwestern (1986) oder September (1987) gesehen hat, weiß, wovon ich schreibe.
Auch Allens neuer Film spielt möglicherweise im September. Es ist ein Herbstfilm so wie September, doch ist in Allens vielleicht düstersten Filmen immer auch der Herbst der Seelen gemeint, ist es in Ein Glücksfall »allen«falls ein Herbstpanorama aus und über Paris, dem leichten, touristischen Paris, das nicht weiter entfernt von einem gegenwärtigen Paris sein könnte wie etwa dem in Jacques Audiards Wo in Paris die Sonne aufgeht (2021), wo wir den ambivalenten Hauch der Gegenwart spüren und schmecken können. Allens Blick ist der eines Flaneurs, der seine Figuren in ein romantisch verklärtes Paris führt, in dem nichts modern ist, weder die Häuser noch die Menschen, wo einem jedoch alles irgendwie vertraut ist. Entweder aus Postkarten oder Allens filmischem Werk der letzten Jahre. Ein Werk, das sich mehr und mehr von seinen Ursprüngen entfernt und in dem der Geldadel immer öfter eine tragende Rolle gespielt hat.
Auch in Ein Glücksfall sind es nicht mehr die Neurosen, sondern das Geld, das die Beziehungen durcheinanderbringt. Und ein bisschen auch die französische Amour fou, die ja inzwischen auch schon ein alter Schuh ist, der in Zeiten, die zwischen Tinder und asexueller Enthaltsamkeit changieren, eher ein Relikt aus alten Zeiten denn ein bodenständiger Realitätscheck ist.
So sieht sich dann auch die Geschichte an. Ein wenig so, wie man vor zwanzig Jahren einen Miss Marple-Film gesehen und sich über dessen Antiquiertheit gewundert, aber die Zeitreise auch genossen hat. Bei Allen kommt von all dem und noch ein bisschen mehr zusammen. Da gibt es Anspielungen auf den späten Resnais und ein bisschen systemkritischer Chabrol (denn wir befinden uns ja in Frankreich und zum ersten Mal in einem Allen-Film auch mit einem ausschließlich französischen Ensemble), ist es die Welt der Reichen mit ihren versteckten, kriminellen Elementen, die Allen über seine Fanny Fournier (Lou de Laâge) und Jean Fournier (Melvil Poupaud) leichtfertig skizziert, um dann irgendwann den seichten Bruch herbeizuführen, als Fanny auf ihren alten Schulfreund Alain Aubert (Niels Schneider) trifft, der nicht reich, dafür aber Schriftsteller ist und schon immer in sie verliebt war.
Alles weitere mag sich jeder selbst zusammenreimen, was mit dem Stichwort Eifersucht noch einmal schneller gehen dürfte. Allen zimmert dieses Geschichtchen so elegant wie leichthändig und stets mit seinem Faible für genauso leichten Jazz zusammen, und wenn dann auch noch Fannys Mutter (Valérie Lemercier) ins Spiel kommt und dubiose Privatdetektive, wird der Zuschauer dann tatsächlich in die frühen 1960er Jahre und die legendären Agatha Christie-Verfilmungen mit Margaret Rutherford als Miss Marple (z.B. 16 Uhr 50 ab Paddington) katapultiert.
Das heißt natürlich auch, dass all diese Dinge schon tausend Mal erzählt worden sind, dass hier nichts, aber auch gar nichts überrascht, aber dennoch nett anzusehen ist, denn es ist nicht umsonst Allens 50. Film. Und vielleicht gerade deswegen so gar nichts für Woody Allen-Fans, sondern eher jene, die es noch werden wollen.