Deutschland/F 2019 · 110 min. · FSK: ab 18 Regie: Fatih Akin Drehbuch: Fatih Akin Kamera: Rainer Klausmann Darsteller: Jonas Dassler, Margarethe Tiesel, Katja Studt, Marc Hosemann, Tristan Göbel u.a. |
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Kneipen-Treibgut |
»›Ich liebe dich, jetzt will ich dich ficken.‹
Was Besseres ist ihm in dem Moment nicht eingefallen. Helga starrt ihn sprachlos an. Er rupft und zerrt an ihrer Bluse, dass sämtliche Knöpfe wegplatzen und der Büstenhalter gleich mit kaputt ist. Ihre Brüste sind große warme Fladen Dung, die auseinanderfallen. So sehen die also aus. Er hat sich immer vorzustellen versucht, wie die wohl aussehen, ausgepackt. So also. Er drückt und quetscht und patscht erregt an ihnen herum. Helga stößt kurze Angst- und Schmerzensschreie aus, dann schlägt sie. Sie schlägt nach Fiete, bis der von ihr ablässt. Dann reißt sie sich los und stürzt davon. Fiete ist zu betrunken, um die Verfolgung aufzunehmen.« (Heinz Strunk, »Der goldenen Handschuh«)
Heinz Strunks Roman, »Der goldene Handschuh«, ist ein sinnliches Unterfangen. Eine Stimme, die direkt im Kopf des Hamburger Frauenmörder Fritz Honkas sitzt, gibt sein Innerstes wieder. Wir erfahren, wenn wir das Buch lesen, von seinen Träumen und Sehnsüchten, lesen von einer gebrochenen Seele, die vergeblich versucht, Liebe zu finden. Wir kommen ihm so nah, dass wir ihn fast verstehen können, und sind zugleich so abgestoßen, dass wir nicht glauben können, was sich da aus den Worten des Romans herausschält. Ungeheuerlichkeiten, haltlose Monströsität. Irgendwann geben wir die Hauptfigur auf.
Fatih Akin macht sich das leichter. Wo Strunk seinen Roman vielschichtig anlegt und den frauenmordenden Honka zunächst einmal als sensible Figur zeigt, die verzweifelt versucht, ein bürgerliches Leben ohne Alkohol, aber mit Arbeit und später vielleicht auch einer Frau zu führen, ist in seinem Film Der goldene Handschuh von Anfang an nur der abstoßende Frauenmörder sichtbar. Verurteilt wird hier ohne Liebe. Es folgt ein ziemlich stupendes Nummerntheater, das sich zwischen dem »Goldenen Handschuh« und der Wohnung von Honka abspielt, mit den immer gleichen Zutaten: Korn und Zorn. Und blutige Teile von Frauenleichen: Oberschenkel, Rümpfe. Alles ist auf Schock inszeniert, Akin will die Gewalt zeigen. Schonungslos. Auf der Pressekonferenz der Berlinale, wo sein Film Premiere hatte, brüstet er sich damit, er hätte seinen Figuren ihre Würde zurückgegeben. Bei all den oberflächlichen Schaueffekten ist das kaum zu glauben. Und »schonungslos« ist hier nur als Platzhalter eingesetzt. Der Film gelangt in keinster Weise zu der horrifizierenden Wirklichkeit, die das Buch durch Worte aufzubauen vermag. Es gibt keine retardierenden Momente, kein Zögern der Figuren, keine Täuschung, übrig bleibt nur das brachiale Draufhauen und das Anstellen des Plattenspielers, wo dann Schlager ablaufen, immer das gleiche Lied. Honka verstaut die blutigen Leichenteile in einem Verschlag in der Wand, und als Running Gag sehen wir bald einen ganzen Wald aus Duftbäumen wachsen, die die Verwesung überstinken sollen. Mann, ist das witzig.
»Der goldene Handschuh«, das ist eine Kneipe auf St. Pauli, die mit dem Film jetzt wohl ebenfalls der Gentrifizierung anheim fallen wird. Zumindest gibt es sie noch. Hier hat Honka sein Leben verzecht, hat Frauen auf der Suche nach der Liebe aufgegabelt, nur die abgefucktesten wollen mit ihm mit. In Strunks Roman erfahren wir, wer in diesen geschundenen Leibern steckt, wer die anderen Kneipenbesucher sind, und warum hier alle so verzweifelt und verloren sind, sich am Glas und noch mehr Gläsern festhalten, um sich besinnungslos zu betrinken. Es sind die 1970er Jahre, und alle sind irgendwie vom Krieg übriggeblieben, sind späte Kriegsopfer, die nicht auf die Beine kommen, KZ-Waisen, Hafenhuren der Nachkriegszeit, ein Wehrmachtssoldat ist auch dabei. Die Backwound-Story ist für den »Goldenen Handschuh«, das Lokal, ganz wesentlich, wenn man kein Kuriositätenkabinett vorführen will.
Akin kann und will das nicht miterzählen und entscheidet sich fürs Kabinett. Sein Film illustriert das Buch, als sei es ein Malbuch, das man nur ausmalen müsste. Settings: originalgetreu. Figuren: aufgedunsen und authentisch. Honka: mit Pappmaché-Maske. Moment! Es haben sich doch alle auf der Berlinale-Pressekonferenz gegenseitig auf die Schulter geklopft, wie gekonnt die Verwandlung des doch in Wirklichkeit so hübschen und so jungen Schauspielers Jonas Dassler in ein entstelltes Monster gelungen sei! In der übertriebenen Maske liegt jedoch nur Groteske. Der Film-Honka schielt stärker als der echte schielte, die Nase ist noch größer und vernarbter als in Wirklichkeit. Hässlich meint hier böse, und weil Honka ein triebgesteuerter Frauenmörder war, ist er als oberböse einzustufen, da muss er ja schließlich oberhässlich sein! Diese gestalterische Abkürzung, die Akin nimmt, ist auch sehr gefährlich. Aber nicht nur hier wählt er die Schlagzeile.
Figurenperspektive: Fehlanzeige. Wie in einer Puppenstube schlachtet Honka in seinem Zimmer die hässlichen, ungewaschenen Weiber ab. Weder fühlen wir mit den Opfern, noch erschrecken wir uns vor dem, was wir sehen. Achselzuckend, wahlweise voyeuristisch (wie viel zeigt der Film? wie zeigt er es?) gucken wir dem Treiben auf der Leinwand zu.
Auch wenn Heinz Strunk sein Placet gegeben hat und sogar einen kurzen Auftritt in der Kneipe hat, wird man in Akins Verfilmung mit keiner Unze das stimmungsvoll-abstoßende Sittengemälde aus dem Hamburger Hafenviertel der 70er Jahre entdecken können. Falls man wirklich an einem Honka und seiner mörderischen Seele interessiert ist, an den langen und schmerzhaften, abgründigen Nachwehen des Krieges, mehr von den Heruntergekommenen, Aussortierten, Alkoholkranken erfahren will, sollte man den Roman lesen. Aber darf man das, an »solchen« Menschen interessiert sein? Muss in Deutschland nicht alles Abgründige zur Schenkelklopfer-Groteske werden, um rezipierbar zu sein? Im Film, so scheint es, ja.
»So lange der Film bei seinem Helden bleibt, den Jonas Dassler mit einer hilflosen Verzweiflung spielt, die man in Deutschland so nur bei Peter Lorre in M und Der Verlorene erlebt hat – so lange ist Akins Goldener Handschuh groß. Er ist groß, weil er die Frauen, die Honka umbringt oder zu töten versucht, weder verachtet noch romantisiert, sondern in ihren zerbrochenen Gesichtern die Sehnsucht nach jenem Glück zum Vorschein bringt, das die Schlager der siebziger Jahre versprechen. Und er ist groß, weil er das Halbwelttheater des Bierlokals in St. Pauli, das Buch und Film den Namen gab, mit der illusionslosen Härte betrachtet, die den meisten bundesrepublikanischen Rückblicken fehlt. Hier sitzen und saufen sie zusammen, die Ex-SS-Offiziere und die ehemaligen Zwangsprostituierten aus den Lagern, die Gefallenen, Gepfändeten und Betrogenen, und warten auf den Engel der Geschichte, der nicht mehr kommt.«
(Andreas Kilb)
Heinz Strunks »Der Goldene Handschuh« ist ein ziemlich unangenehmes Buch. Nach der Lektüre nur einiger Seiten möchte man duschen. Es steckt voller unglaublich ekelerregender Geschichten, Figuren, Momente und Szenen. Manche Bilder hätte man lieber nicht im Kopf. Zugleich, und das hängt zusammen, ist es ziemlich witzig. Und sehr gut geschrieben. Man will es nicht weglegen. Irritierend ist nur, dass ich irgendwo gelesen habe, das Manuskript sei eigentlich dreimal so lang gewesen. Kommt der gute Stil also vom Lektorat, oder wie soll man es sich vorstellen? Lange ist es auch her, dass ich in einem Buch so viele neue Wörter gelernt habe. Mein Lieblingsbegriff: »Fako«. Das kann man trinken, und ist Fanta-Korn, im Verhältnis eins zu eins. Schon die Vorstellung graust und macht Kopfweh. Man trinkt es übrigens aus Biergläsern, 0.3 aufwärts.
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Das Buch handelt von Fritz Honka, einem vierfachen Hamburger Mörder, wobei er in drei Fällen später nur wegen Totschlags verurteilt wurde. Wohl weil er zur Tatzeit schon viel zu voll war, um auch voll schuldfähig zu sein. Honkas Opfer waren ältere Frauen, die in der sozialen Leiter derart weit unten standen, dass sie keiner vermisst hat. Honka hat sie zersägt, und die meisten Leichenteile in seiner Mansardenwohnung unterm Dach versteckt.
Fatih Akin hat Strunks Buch jetzt verfilmt.
Das hat ein paar Gründe, neben der erwähnten Qualität. Der biographische ist der, dass Akins Freund und Darsteller Adam Bousdoukos als Kind mit seiner Familie im gleichen Haus wie Honka, direkt unter ihm, wohnte. Allerdings war er bei Honkas Verhaftung erst eineinhalb Jahre alt.
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Deutlich spürbar ist auch Akins nostalgische Lust am detaillierten Nachzeichnen der späten Nachkriegs- und Wiederaufbaujahre mit den unvergleichlich schönen Autos, den vergessenen Eckkneipen und Sprachschöpfungen. Wikipedia glaubt zwar »Stützbier« sei eine Wortschöpfung von Strunk, ich kannte sie aber schon, da gab es den Roman noch gar nicht. Das Setdesign ist großartig – man kann die Orte förmlich riechen, die Getränke geradezu schmecken.
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Trotzdem ist das Buch einfach besser. Das liegt nicht nur an Strunks Sprache, an den Facetten seiner Story. Der Film bleibt demgegenüber äußerlich. Das Buch besticht durch seine Sprache und Humor, der Film kann die Sprache nicht in ähnlich starke Bilder übersetzen, und er hat im Vergleich wenig Humor. Dieser ist, wenn überhaupt ein grotesker Humor.
Wichtiger: Das Zentrum des Buchs, die abgeranzte St. Pauli-Kneipe »Zum Goldenen Handschuh« wird hier ein Nebenschauplatz. Dabei sind die
Szenen die hier spielen, die besten.
Dagegen ist die Haupfigur bei Akin dreimal hässlicher und ekelerregender, als der reale Honka, ein bis zur Lächerlichkeit monströses Wesen. Ohne Würde, aber auch ohne Schrecken, sondern ein schlurfender grotesker Witz, erstarrt unter der Maske. Aus einer Vorlage, die eigentlich von der deutschen Nachkriegszeit handelt, vom verdrängten Krieg und Faschismus, von den schwarzen Seiten des Wiederaufbaus, und von einem allgegenwärtigen
Unterschicht-Milieu, von Männern die soviel saufen und rauchen, dass man nicht versteht, wie sie das auch nur fünf Jahre überleben, von alten Frauen und SS-Kämpfern, die bei Heintje weinen, und von Leichenteilen in leeren Hinterhöfen, aus alldem wird in diesem Film eine Freakshow. Nur selten geht’s tiefer, meist bleibt alles äußerlich. Nie erreicht Der goldene Handschuh die Augenhöhe mit Filmen wie Der Totmacher oder Nachts, wenn der Teufel kam, von M einmal ganz zu schweigen.
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Ist das nun nicht einfach nur alles ganz schrecklich? Naja: Natürlich ist es schrecklich, wenn einer Frauen mit bloßen Händen ermordet, sie zersägt, und die allmählich verfaulenden Leichenteile im Dachboden verstaut. Ja. Aber auch »Frankenstein« von Mary Shelley ist schrecklich, Das Schweigen der Lämmer und auch David Lynchs Eraserhead sind schrecklich. Das Problem ist nicht, dass das schrecklich ist, sondern dass der Film nicht so gut ist wie die genannten Beispiele.
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Völlig unklar ist mir, wer sich diesen Film ansehen wird und soll? Warum also? Warum hat Akin dieses Buch verfilmt? Was wollte er mit diesem Thema? Das ist die große Frage: Die einzige mir plausible Erklärung: Fatih Akin macht auf seine Art immer Heimatfilme. Auch dies ist ein, wenn auch seltsamer Hamburger Heimatfilm.
Er handelt von einer Kindheit in den 70ern, in der Welt von Altona und Ottensen. Von einem Deutschland, in dem der Faschismus aus allen Ritzen quillt, und in fast jedem
Haus in den Wänden Leichenteile versteckt waren, und es nach Verdrängtem stank.
Nur Fassbinder hat damals von diesem Deutschland erzählt, und Kino aus Blut, Schweiß, Tränen und Dreck gemacht.