USA 2001 · 131 min. · FSK: ab 18 Regie: Ridley Scott Drehbuch: David Mamet, Thomas Harris Kamera: John Mathieson Darsteller: Anthony Hopkins, Julianne Moore, Giancarlo Giannini, Francesca Neri u.a. |
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Ein paar Schnappschüsse, eine Melodie, ein Duft. Die Stimme, die Erinnerung. Und eine Art Liebesbrief: Wenn der Geliebte fern ist, bleiben von ihm nur Stückchen, Mementos, Spuren. FBI-Agentin Clarice Starling weiß, wie man Spuren verfolgt – und auch wenn sie es nie eingestehen würde: Für sie ist Dr. Hannibal »The Cannibal« Lecter so etwas wie ein Geliebter. Einst haben sie sich tief in die Seele geschaut und haben sich erkannt – nicht im biblischen Sinne, aber der Unterschied war nicht groß.
Doch nichts ist mehr wie damals, als man sich so gefährlich nahe kam, in Das Schweigen der Lämmer (Silence of the Lambs). Clarice ist eine andere (auch im Wortsinn: Julianne Moore ersetzt Jodie Foster), und ebenso die Welt in der sie sich bewegt. Das FBI ist nicht mehr Hort der Aufrechten und Guten – auch die Jagd auf Serienkiller ist nun Teil der freien Marktwirtschaft. Selbst Staatsbeamten gilt statt dem Gebot der Gerechtigkeit das Höchstgebot in Dollar. Und das bietet Mason Verger (Gary Oldman), den Hannibal einst buchstäblich in den Gesichtsverlust trieb. Wie ein Stephen Hawking der Börse rollt er nun gräßlich entstellt durch seinen Landsitz. Sammelt mit perverser Lust Souvenirs an seinen Erzfeind. Und plant bizarre Rache: Er will die Perle Lecter vor die Säue werfen.
Auch der Ton des Films ist ein anderer geworden: So schlüssig und vielschichtig wie der Vorgänger – dieser Essay über’s Sehen und Begehren, über das Kino selbst – ist Hannibal nicht; manchmal spürt man da eine gewisse Ratlosigkeit gegenüber der Romanvorlage. Viele Details des Buchs sind brav übernommen, ohne dabei jedoch den entsprechenden Kontext zu importieren – zuviel steht da unverbunden und unverständlich im Raum. Ein Film der Mementos eben: Von Lecter, von Silence of the Lambs, vom Roman »Hannibal«. Dafür wird aus dem üppigen Bildungsballast von Thomas Harris bei Ridley Scott sinnfrohe Opulenz: Lecter ist ein Mann mit Geschmack, ein Mann der Alten Welt; sein Aufenthalt in Florenz erinnert an das barock ausschweifende Italo-Horrorkino der 70er; in den Farben, in der Atmosphäre ist da manchmal selbst Meister Argento nicht fern.
Und der Film ist ein Festmahl für die Schauspieler: Mit sichtlichem Genuss schlüpft Anthony Hopkins wieder in seine Paraderolle, lässt keinen Bissen, keinen Tropfen der saftigen Aufgabe unausgekostet – und muss sich doch fast von Oldman die Show stehlen lassen, der auch hinter Makeup-Schichten verborgen noch mehr perverse Freude am Bösen ausstrahlt.
Clarice Starling (nun Beschützerin statt Jägerin) wird da mehr zur Randfigur, zum Katalysator. Starling kommt der Halt abhanden in ihrer sicher geglaubten Welt, ihr Leben wird zur taumelnden Karussellfahrt. In einen Liebesalbtraum schlittert sie schließlich, ein surreales Dinner For Three ohne Angst vor BSE-Risikogewebe. Hannibal zeigt da seine ganze Monstrosität – und unerwartete Verletzlichkeit. Ausgerechnet er, das Monster, ist als einziger in dieser Welt zu einem selbstlosen Akt der Liebe fähig. Und wenn der Geliebte geht, bleibt immer etwas von ihm zurück...
Untergangsszenarien, Katastrophenbilder – im Horror scheint zumindest eine Kontinuität der Filme im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale zu liegen. Nach dem Stalingraddrama zur Eröffnung der Berlinale, und den Filmen von Soderbergh (Traffic) und Kaufman (Quills) gab es nun mit dem außer Konkurrenz laufenden Hannibal, Ridley Scotts lang und mit Spannung erwarteter Fortsetzung des vor zehn Jahren oscargekrönten Qualitätsschockers Das Schweigen der Lämmer (Silence of the Lambs) (Regie damals: Jonathan Demme) eine weitere Erkundung des Grausamen zu sehen.
Allein die Vorgeschichte zeigt, dass man es hier mit einem schwer vergleichbaren Projekt zu tun hat: Nach jahrelangem Zögern legte der Schriftsteller (und Rechteinhaber) Thomas Harris vor gut zwei Jahren seinen dritten Band in jener Reihe vor, in deren Zentrum der hochintelligente Serienmörder Hannibal Lecter steht. Mit Bedacht und einem gewissen spielerischen Ehrgeiz hatte Harris absichtlich ein „unverfilmbares“ Werk geschrieben. Für Unsummen von Hollywood
gekauft, setzte man zunächst David Mamet daran, eine Drehbuchfassung zu erstellen. Mamet, selbst Regisseur so spannender wie geschmackvoller Filme, aber auch Autor von Filmen, Romanen und Theaterstücken von hohem Rang, legte ein Script vor, das zwar von den beiden Stars des ersten Teils, Anthony Hopkins und Jodie Foster akzeptiert worden war, nicht jedoch von den Studios. „Zu brutal“ hörte man. Mamet zog zurück. Nachdem sein Script von dem ebenfalls über alle Zweifel
erhabenen Steven Zaillian mit erheblichen Änderungen versehen war (jetzt befinden sich die Namen beider Autoren auf dem Abspann), ging es zwar bei den Studios durch, nicht aber bei der Hauptdarstellerin.
Ersetzt wurde Foster durch Julianne Moore. Das stellt sich in Scotts Fassung als eine gute Wahl heraus, denn die etwas herbere Moore gibt der zehn Jahre gealterten FBI-Agentin Clarice Starling den nötigen resignierten Ernst, ohne aus ihr eine völlig andere Figur zu machen.
Überhaupt ist Ridley Scotts Film eine angemessene und gelungene Fortsetzung des Stoffes, gerade weil sie gar nicht erst versucht, ein „zweiter Teil“ zu sein. Hannibal ist ein eigenständiger Film, der zwar mit Kenntnis von Silence of the Lambs weit besser verständlich ist, trotzdem aber jederzeit der Falle entgeht, bloßes Zitat zu sein. Trotzdem können auch
Scott und der wieder exzellent agierende Hopkins in der Rolle seines Lebens nicht verhindern, dass jeder neue Auftritt der Figur des Dr. Lecter automatisch Kommentar aller vorherigen ist. Seit einem Jahrzehnt gehört sie zum festen Inventar der Popkultur: ein Zeichen.
Die Struktur der Geschichte ist entsprechend die eines Versprechens und seiner ständig aufgeschobenen Erfüllung. Zwei Stunden lang harrt der Zuschauer auf das unvermeidliche Wiedersehen von Detektiv und Killer. Bis es
dazu kommt wird er mit drei Nebenhandlungen bei Laune gehalten, die allesamt spannend sind, zusammen den Film aber ein wenig konfus wirken lassen. Denn zu deutlich geht es um anderes: die unausgesprochene Liebesgeschichte zwischen den beiden Hauptfiguren. Wie sie sich schließlich erfüllt, darf nicht verraten werden. Leser des Romans sollten allerdings wissen, dass das letzte Filmdrittel mit ihm kaum noch etwas zu tun hat, alle anderen Zuschauer sollten sich auf großartig
inszenierten, schlimmen Horror gefasst machen.
So ist Hannibal ein würdiger Nachfolger geworden, wenn ihm auch eindeutig der epochale Rang des ersten Teils fehlt. Seine Fans wird er trotzdem zufriedenstellen.