Deutschland/Schweiz 2011 · 89 min. · FSK: ab 16 Regie: Tim Fehlbaum Drehbuch: Tim Fehlbaum, Oliver Kahl, Thomas Wöbke Kamera: Markus Förderer, Tim Fehlbaum Darsteller: Hannah Herzsprung, Lars Eidinger, Stipe Erceg, Angela Winkler, Lisa Vicari u.a. |
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Zwischen Licht- und Dunkelhölle |
Endzeit 2016: Gleißende Helligkeit. Die Sonne brennt gnadenlos auf die ausgetrocknete Erde. Drei Menschen – die Schwestern Leoni und Marie und der Mann Phillip – in einem alten Auto auf dem Weg in die Berge, wo es Wasser geben soll. Gefahr lauert überall. Eine Tankstelle wird zur Falle, eine Straßensperre zum Verhängnis. Tim Fehlbaum, 28-jähriger Absolvent der HFF München, hat mit seinem Regiedebüt einen fantastischen Apokalypse-Horrorthriller geschaffen. Mit das Spannendste daran sind die menschlichen Beziehungen, die sich unter dem tödlichen Druck der Extremsituation beweisen müssen. Auch ein Schauspielerfilm. Allen voran Hannah Herzsprung spielt die Marie mit einer unwahrscheinlichen Intensität, die den Zuschauer in jeder Sekunde fesseln kann. Während diese Frau die Beziehungen zu den Männern eher unter pragmatischen Gesichtspunkten gestaltet, ist die Liebe und Treue zu ihrer Schwester die eigentliche Hauptantriebsfeder des ganzen Films. Immer wieder riskiert sie für die jüngere Leoni ihr Leben und begibt sich, statt sich selbst zu retten, in klaustrophobische Situationen. Die anderen Figuren verhalten sich nicht so eindeutig, sie schwanken, sie zögern, sie machen Fehler, sind egoistisch, sie überwinden ihre Ängste. Kurz: sie verhalten sich menschlich.
Nach einem eher langsamen Beginn, der die verdorrte und nahezu ausgestorbene überhelle Tages-Welt zeigt und nach einem kurzen Kampf an der Tankstelle eine neue Viererkonstellation mit Tom installiert, die das Beziehungsgefüge dynamisiert, wird das Tempo im zweiten Teil richtig rasant. Jetzt dominieren die Schatten der Nacht. Dunkler Wald, eine Bande von Menschenjägern, ein Bauernhof, ein Schlachthof. Nichts für schwache Nerven. Eindeutige Horroranleihen. Und mittendrin Angela Winkler als die Bäuerin Elisabeth, die Güte in Person. Zunächst...
Ein Film aus einem Guss. Ein spannendes Drehbuch mit klarem Aufbau. Überzeugende Figuren, die von tollen Schauspielern umgesetzt werden. Eine sehr variable Kameraführung – fantastisch zum Beispiel die unglaublich dynamische Verfolgungsjagd über das Feld – die alle Möglichkeiten klug ausschöpft, anstatt sich in einem Stil festzufahren. Und natürlich an erster Stelle: das Licht. Die geradezu schmerzhafte Lichthölle des Tages im Kontrast zur Dunkelhölle der Nächte. Prägnante Profile im Schattenriss. Dazu die Räume: der verbrannte Wald und die Räume der Angst: ein Tunnel, eine verlassene Kirche, ein einsamer Bauernhof, eine enge Kammer usw. Man kann ins Schwärmen kommen, mit welcher handwerklichen Sicherheit dies alles durchdacht und in Szene gesetzt wurde. Natürlich gibt es auch bereits Gesehenes, aus anderen Werken übernommene Szenarien (etwa Cormac McCarthy The Road) und typische Genresituationen, aber die Handschrift ist eigen.
Die Exposition entfaltet bereits einen Teil des Schreckens, den dieser Film parat halten wird: Ein Paar mittleren Alters, offenbar Franzosen, hat einen Autounfall gehabt. Es herrscht Zwielicht, das Auto liegt auf dem Dach in einem Wald. Der Mann ist verletzt, und kann sich nicht aus dem Wagen befreien. »Sie kommen!« sagt er, nachdem die Kamera bereits mit subtilen subjektiven Bewegungen die Präsenz von Beobachtern angezeigt und latente Bedrohung angedeutet hat. Er drängt seine Begleiterin zur Flucht, kurz ist sie starr vor Schrecken, dann hastet sie los durch den Wald – und mit ihr die Kamera...
Dann folgt ein Szenenwechsel. Man lernt die drei Insassen eines Autos kennen, dass sich auf einer ansonsten menschenleeren Straße durch eine Wüstenlandschaft fortbewegt. Das Auto ist schmutzig, überladen mit teilweise vermüllt aussehenden Gegenständen, mit Werkzeug und verbeulten Blech- und Kunststoffgefäßen, die, wie sich bald herausstellt, die beiden wertvollsten Stoffe in dieser Welt enthalten: Wasser und Benzin. Die Scheiben des Autos sind fast vollkommen abgedunkelt, kaum ein direkter Lichtstrahl darf hineindringen. Wenn die Insassen das Fahrzeug verlassen, bedecken sie ihre Haut und tragen starke Sonnenbrillen. Diese Insassen sind zwei Schwestern: Marie (Hannah Herzsprung), die Ältere und Leonie (Lisa Vicari). Am Steuer sitzt Phillip, dessen Beziehung zu den beiden Schwestern zunächst unklar ist. Etwas später wird klar: Er ist Maries Liebhaber, ein Mann mit selbstsüchtigen Zügen, sie scheint eher pragmatisch an ihm interessiert – im Angesicht des Weltuntergangs muss man schließlich zusammenhalten, Fragen der Beziehungstauglichkeit reduzieren sich wieder auf Elementares, das bereits im Neandertal galt: Wer Schutz und Nahrungsversorgung leisten kann, hat gute Karten.
Und um den Weltuntergang, genauer gesagt um das, was von unserer Welt nach der Apokalpyse übrigbleibt, geht es. Bereits der Titel ist daher doppelsinnig zu verstehen: Er meint das Gegenteil von Dunkel, jenes gleißende Licht, das hier über weiteste Strecken dominiert, und bezeichnet zugleich auf Englisch jene Hölle, die diese helle Welt in nahezu jeder Hinsicht geworden ist. Hell ist eine Science-Fiction-Thriller, eine Dystopie, die in unserer unmittelbaren Zukunft spielt, im Jahr 2016. Vieles sieht hier noch so aus, wie es uns vertraut scheint, und doch ist alles grundsätzlich anders geworden – denn der Klimawandel hat sich derart rasant beschleunigt, dass die Erde sich um 10° Celsius erwärmt hat und zu einer Wüste geworden ist. Wasser ist das kostbarste Gut, auch Nahrung und Treibstoffe sind überaus knapp.
Die drei wollen sich nach Norden durchschlagen, dort soll es angeblich Wasser und Zufluchtsorte für Überlebende geben. Bald stößt noch ein vierter (Stipe Erceg) zu ihnen. Über alle vier erfährt man bis zum Ende des Films nicht übermäßig viel – nur weniges aus ihrem vorigen Leben wie über die Katastrophe, die sie hinter sich haben, wird angedeutet.
Dem aus der Schweiz stammenden an der HFF München studierenden Tim Fehlbaum gelingt in seinem Debüt – zugleich HFF-Abschlußfilm –, der bereits beim Filmfest München mit dem »Regieförderpreis« ausgezeichnet wurde, eine kleine Sensation: Zwar ist kaum etwas wirklich neu an diesem postapokalyptischen Drama, das Motive von Invasion er Körperfresser, I Am Legend, The Last Man On Earth und nicht zuletzt The Road aufgreift, John Hillcoats Verfilmung des vielfach ausgezeichneten gleichnamigen Romans von Cormac McCarthy. Manche Genrespezialisten könnten bemängeln, dass ihnen viele Plottwists vertraut seien. Aber der Film richtet sich keineswegs an jene Gemeinden von Eingeweihten, die bereits in den 70er Jahren jede Vorstellung des »Mitternachtskinos« besuchten, in denen Dystopie- und Kannibalenfilme liefen. Vielmehr geht es ihm darum, das aufgeschlossene Massenpublikum für diese Stoffe zu öffnen.
Das gelingt, der Film ist packend und für das Mehrheitspublikum, das vor allem Mainstream gewohnt sind, trotzdem eine Herausforderung – da neben dem Horror der Verhältnisse auch explizite Gewaltdarstellungen und Kannibalismus zu Fehlbaums Version des Zivilistionsendes gehören. Virtuos spielt Fehlbaum dabei mit Zitaten aus der Filmgeschichte. Er zeigt, dass er die Klassiker des Genres kennt, der kombiniert ihre Versatzstücke einfallsreich und in sich schlüssig. Betont werden muss, dass Hell nicht zuletzt eine ausgezeichnete Produzentenleistung darstellt. Es mag sein, das dieser Film ohne die Beteiligung von Roland Emmerich nicht möglich gewesen wäre – doch im Ergebnis wurde hier mit einem Bruchteil der finanziellen Mittel ein Film hergestellt, der sich neben Hollywoodproduktionen nicht zu verstecken braucht: Das gilt für den Look des Films, sein Produktiondesign, aber auch für die zügige Erzählweise: Ohne etwas zu verschenken, wird hier kein Einfall »zu Tode geritten«, sondern in Andeutungen und gradlinig erzählt. Souverän beherrscht Fehlbaum seine Mittel – so etwas hat man aus Deutschland seit Fleisch nicht gesehen.
Und wie Reiner Erlers fürs Fernsehen entstandener, international wirksamer Klassiker des Genrekinos berührt auch Hell, wenn man ihn ernst nehmen will, seriöse Fragen nach dem Verhältnis von Anthropologie und Moral. Wie verankert sind zivilisatorische Tabus, was sind Menschen unter extremen Verhältnissen bereit, zu tun?
Dass Hell trotzdem zugleich auch einfach Spaß macht, liegt nicht zuletzt an der Besetzung: Wer hätte nicht eine Angela Winkler immer schon mal als Kannibalenmutter sehen wollen, Lars Eidinger als einen Nerd, den es in den Weltuntergang verschlagen hat, und Hannah Herzsprung als das, was die Amerikaner »final girl« nennen: Eine ungewollte Amazone, die es mit allen Gegenspielern aufnimmt, und jede Herausforderung überlebt.