DK/F/D/S 2018 · 153 min. · FSK: ab 18 Regie: Lars von Trier Drehbuch: Lars von Trier Kamera: Manuel Alberto Claro Darsteller: Matt Dillon, Bruno Ganz, Uma Thurman, Siobhan Fallon Hogan u.a. |
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Aber was steckt hinter alldem? |
Für Shizu
»You are so judgemental. Don’t look at the acts, look at the work.«
Aus: The House That Jack Built»Some people claim, that the atrocities we commit in our fiction are those inner desires we can not commit in our controlled civilisation.«
Aus: The House That Jack Built
Wagner, Breughel, Ascheregen – niemand hat im Kino die Welt auf eine so lakonische, düster-poetische Weise untergehen lassen, wie in dem acht-minütigen Prolog zu Melancholia, einem der ikonischen Kinomomente dieses Jahrtausends.
Seine Filme sind Experimente; mit sich selbst und dem Publikum. Sie sind sehr verschieden, aber immer ästhetisch wie moralisch aufgeladen. Sein
Kino ist ein Frontalangriff auf unsere Gesellschaft und ihre in postmoderner Seichtigkeit getränkten Erlösungsversprechen.
The House That Jack Built, das klingt harmlos, als ginge es metaphorisch um Ratgeber-Psychologie oder konkret um das Portrait eines Architekten. Ein Architekt ist jener Jack tatsächlich, vor allem aber ist er ein sadistischer Serienkiller.
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Im Autoradio spielt Glenn Gould Bach. Am Straßenrand steht eine Frau, sie hat eine Autopanne. Jack hält an, nimmt die Frau mit. Und bald danach kommt es zu einem Mord aus Zufall... »Uhps. That was maybe a mistake.«
Dann wird alles immer brutaler. Jack ist sehr böse. Aber er ist auch ein Logiker und Kontrollfreak. Und er fühlt sich als Künstler.
In seinem neuen Film zeigt Lars von Trier eine Evolution und Eskalation der Gewalt.
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Ich verstehe nicht, warum so viele Leute Lars von Trier nicht mögen. Die Aggression, die er auf sich zieht, und deren Maßlosigkeit enthüllt die Sprecher, nicht ihr Objekt. Sie spricht für den, der diese Aggression weckt und die Friedhofsruhe stört.
»So provoziert ein Idiot«, »ein zu langer Witz«, »kein Ereignis mehr«, »nicht ernstzunehmen« – mehr abgestumpft und gelangweilt als schockiert reagierte die deutsche und internationale Filmkritik im Frühjahr auf die Rückkehr von Lars »persona non grata« von Trier nach Cannes. Dabei hat sein neuer Film eine intelligentere Auseinandersetzung verdient als solche Schlagzeilen. The House That Jack Built ist nämlich alles andere als trivial. Es
handelt sich sogar um einen der interessantesten Filme dieses Regisseurs.
Warum diesen Film also nicht einfach ernstnehmen? Gerade weil The House That Jack Built ein lustiger Film ist, ein Film, in dem man mehr lachen kann als in den meisten in getragenem Ernst daherschreitenden Autorenfilmen. Diese harmlose Feststellung mag von manchen bereits als polemisch empfunden werden, schließlich kreist die Handlung nahezu ausschließlich um einen
sadistischen Serienmörder.
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Schon lange nämlich ist Lars von Trier noch vor David Lynch der witzigste unter jenen zeitgenössischen Filmemachern, die keine Komödien drehen. Von Triers Humor ist schwarz, grob und extrem, morbid; er verspottet alles, was scheinbar heilig ist, besonders die heilige bürgerliche Familie. Auch hier ist diese Haltung überall präsent, die Variationen des Grauens sind auch welche des Lachens.
Ein Serienkillerfilm als Komödie aus Lust, Langeweile und Perversion. Witzig ist der
Ordnungszwang des Mörders, der sich als »hysterical about cleaning« beschreibt. Witzig ist, wie der erste Mord daraus entsteht, dass ihn die Uma-Thurman-Figur gereizt und gedemütigt hat. Wie der zweite Mord aus der offenkundigen Dummheit des Opfers entsteht, die den Mörder aus Geldgier in die Wohnung lässt. Schon klar, dass manche darüber aber schon aus Prinzip nicht lachen können.
Witzig ist, wie der Regisseur und sein Mörder die Lebenslügen dieser beflissenen Moralisten bloßlegen:
»Nobody wants to help!«
Witzig ist, wie Lars von Trier dem Publikum erklärt, wie seine Filme zu sehen sind, und wie nicht: »You are so judgemental. Don’t look at the acts, look at the work.«
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Witzig sind kurze knappe Bilder kurz vor den Morden, die einen Tiger zeigen, der sich die Zähne leckt, ein Lamm, den Ausschnitt aus einem Comic-Film. Grandioser Kitsch und tiefschwarzer Humor verbinden sich zu einer fesselnden, immer auch verstörenden Mischung.
Lars von Trier ist so etwas wie der Mephisto des zeitgenössischen Kinos. Blendend beherrscht er die Kunst der Provokation, die nur deswegen so perfekt gelingt, weil er sich selbst mit allem, was er hat, in sein Werk
hineinwirft. Ein Narziss und Neurotiker, dem nichts und niemand heilig ist, und der es – sehr zu recht, scheint mir – albern findet, überhaupt etwas heilig zu finden. Aber gerade dadurch, durch Neurose und Narzissmus gelingt es ihm immer wieder, die Grenzen des Kinos auszuloten.
Seine Filme sind als auf die Leinwand gebannte Albträume zu beschreiben, und wie alle Träume sind sie rücksichtslos, enthüllend für beide Seiten, den Träumer und sein Publikum.
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In fünf klar umrissenen Situationen, »incidents«, sehen wir dem Titelhelden Jack (Matt Dillon, der sich einmal mehr faszinierend neu erfindet), einem gescheiterten Architekten (ein Beruf, den er mit auffallend vielen Regisseuren teilt), beim Morden von Frauen zu. Uma Thurman und Bruno Ganz sind in wichtigen Nebenrollen zu sehen. Jede dieser Situationen ist anders, besonders, jede erlaubt Jack und uns Einblick darin, was er ist und was er tut. Jede beruht mehr oder weniger klar auf
einem bestimmten Genre des Kinos: Die erste ist vom Film Noir der 40er Jahre mit seinen Liebesgeschichten und der besonderen Bedeutung der Autos inspiriert. Uma Thurman verkörpert die Vulgärausgabe einer Femme Fatale, die mit Jack flirtet, mit der Bedrohung spielt, für die sie unterbewusst ein präzises Gespür hat. Ihr Verhalten ist klassischer Todestrieb, unbewusstes Verlangen nach Übergriff. Sie redet so viel, so vulgär, so ununterbrochen, dass er, der er ihr nur hilft, weil
er nicht nein sagen kann, ihr quasi aus Notwehr den Wagenheber ins Gesicht schlägt. Er hat es einfach satt. Jack tötet aus dem Wunsch nach Ruhe, nach Ende des Geplappers, aus Bedürfnis nach Einsamkeit, der Wunsch wird vom Opfer geweckt, sie ist hier also gewissermaßen »selber schuld«. Man kann Jack gut verstehen, so verstehen, wie Lars von Trier 2011 Hitler verstehen konnte, also »verstehen« in Anführungsstrichen geschrieben (dies nur als Fußnote für die Leser, die hier mitlesen, obwohl
sie nichts verstehen).
Im zweiten »Incident« ist es noch ähnlicher Todestrieb, aber hier bietet das Melodrama der 50er mit den Desperate Housewives und den in ihm eingekapselten unerbittlichen Burlesken das Modell, auch der bürgerliche Horror eines Hitchcock, die absurden Reinigungsphantasien der Puritaner. Dann erreicht der Film in der dritten Szene die Zerschlagung der Suburbia-Family im sadistischen Horror der 70er Jahre. Die vierte Szene ist intimer, 80er Jahre-artig und
Brian-de-Palma-haft, in die Länge gezogen, psychologischer, sich am Leiden weidender, von grausamen Pointen über die Liebe geprägt. Der fünfte »Incident« ist dann im Stil des postmodernen, die Körper dekonstruierenden Torture-Porn gehalten. Jede dieser Genre-Situationen hat ihre eigenen Gesetze, ihren eigenen bizarren Humor. Schämen wir uns für unser Lachen, oder geben wir es zu? Man kann sich mit Verweis auf die Meisterschaft des Filmemachens aus der Affäre ziehen.
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Aber was steckt hinter alldem? Gegen Ende wechselt der Charakter des Films. Auf die fünf Stadien folgt zunächst die Katharsis: Jack, der Architekt, hat sein Haus gebaut, enthüllt sein Kunstwerk.
In einem Kühlhaus hat Jack seine wahllos ausgesuchten Opfer kunstvoll arrangiert. Dieses Arrangement ist das Haus des Titels. Seine früheren eigenen Häuser hat Jack immer wieder eingerissen.
Und im Finale folgt die Höllenfahrt.
»Your house is a fine little house, Jack.« sagt Bruno Ganz mit Bruno-Ganz-Stimme, die sehr erschreckend klingen kann; im Film heißt er Verge – »call me Verge – I've been in here for a while, you just did not notice me« –, und das soll uns selbstverständlich auch an Vergil erinnern, in Dantes »Göttlicher Komödie« der Führer durch die Unterwelt. Dies ist auch und nicht zuletzt Lars von Triers »Inferno« – und ein retrospektives autobiographisches Bekenntnis.
Die Kunst als Mord betrachtet.
»You read Blake like the Devil reads the bible.« sagt Verge. Er liest offenbar auch Poe: »Sometimes the best way to hide is not to hide at all.«
Aber Verge ist mehr: Ein Verhöroffizier, ein Über-Ich, oder eben Vergil.
Sie reden über Mussolini und Hitler, über die Stukas (»das beste Flugzeug ever«), ihre Sirenen, den Psychokrieg, die Trompeten von Jericho, über Hitler als großen Künstler, Ikonenbauer, über Goethes Eiche in Buchenwald. Über den Sinn der Kunst als Ikonen-Kreation – aber auch die Stukas sind Ikonen –, über Experimente der Deutschen im Zweiten Weltkrieg, die mit nur einer Kugel möglichst viele Menschen zu töten versuchten. Jack versucht, dies nachzustellen. Und es sieht aus wie die Installation eines modernen Künstlers. Und es fällt der Satz »Heaven and Hell are one of the same.«
Beim Abstieg sieht Jack Männer mit Sichel auf einem Feld in einer Reihe gehend, im Rhythmus schneidend, und es sieht aus wie das ähnliche Bild in Veit Harlans »Opfergang«. Mir kommt der Satz in den Sinn: »Der Tod ist ein Schnitter«, der wohl auch beim Faschisten Harlan im Unterbewusstsein mit präsent war.
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Das ist insofern natürlich alles andere als nur humorvoll gemeint. Es ist Selbstkritik eines Künstlers; es ist Kritik am Publikum, an einem Publikum, das in Gewalt vernarrt ist, vorausgesetzt, sie kommt im richtigen Design daher. Es ist Zivilisationskritik: »Some people claim, that the atrocities we commit in our fiction are those inner desires we cannot commit in our controlled civilisation.«
»Die Grausamkeiten«, sagt Jack, »die wir in unseren Fiktionen begehen, stehen für innere Begierden, für das, was wir in der disziplinierten Kultur unserer Kontrollgesellschaft nicht begehen können.«
Lars von Triers Lachen ist nicht das Lachen des Hofnarren an unserer Tafel. Eher schon das Kichern des Teufels... »Take the road Jack!«