Ich will alles. Hildegard Knef

Deutschland 2025 · 103 min. · FSK: ab 12
Regie: Luzia Schmid
Drehbuch:
Kamera: Hajo Schomerus
Schnitt: Yana Höhnerbach
Ich will alles. Hildegard Knef
(Foto: Piffl)

Wenig Filmmeter

Luzia Schmid hat einen Dokumentarfilm über die Knef gemacht, lässt dabei aber ausgerechnet ihre filmischen Glanzpunkte weg

Einen Doku­men­tar­film über Hildegard Knef zu drehen, ist das nicht fast ein Selbst­läufer? Ein Star, ein aufre­gendes und aufrei­bendes Leben voller Höhen und Tiefen, Abstürze und Comebacks, eine Frau, die als Schau­spie­lerin, Sängerin, Autorin, Inter­view­part­nerin beein­druckte, hoch­in­tel­li­gent, schön, schlag­fertig, selbst­be­wusst, verletz­lich, selbst­kri­tisch, bisweilen schnod­derig. Da kann an sich nichts schief­gehen.

Luzia Schmid, mehrfach mit dem Grimme-Preis ausge­zeichnet (zuletzt für »Drei Frauen – Ein Krieg« (2022) über die ameri­ka­ni­schen Jour­na­lis­tinnen Martha Gellhorn, Lee Miller und Margret Bourke-White), folgt diesem Leben im Großen und Ganzen chro­no­lo­gisch, aller­dings unter Ausklam­me­rung von Kindheit und Jugend: Wir erfahren von den trau­ma­ti­sie­renden Wirkungen des Bomben­kriegs seit 1943 auf die damals Sieb­zehn­jäh­rige, von ihrer Haupt­rolle in Wolfgang Staudtes Die Mörder sind unter uns (1946) und dem ersten, enttäu­schenden USA-Inter­mezzo 1948-51; dann der Skan­dal­film Die Sünderin (1951) und die zweite, wesent­lich erfolg­rei­chere Zeit in Amerika mit dem Höhepunkt der Broadway-Haupt­rolle in der Urauf­füh­rung von Cole Porters Musical Silk Stockings (1955); es folgen schlechte Filme in Europa und die Liebe zu David Cameron, der ihr Mann, ihr Manager und der Über­setzer ihrer Biografie »Der geschenkte Gaul« (1970) wurde; dann die Brust­krebs­er­kran­kung, verar­beitet in »Das Urteil« (1975), und die allmäh­liche Zerrüt­tung ihrer Ehe, die schmerz­be­dingte Morphi­um­sucht und die Liebe zu Paul von Schell, die bis zum Leben­s­ende 2002 hielt. So weit, so gut, all das liefert bewegende, oft auch berüh­rende Bilder und Töne.

Gut tut dem Film zudem die Präsenz von Hildegard Knefs abge­klärter Tochter Christina Palast­anga aus der Ehe mit David Cameron. Sie sieht ihre Mutter reflek­tiert, gar nicht unkri­tisch, aber nie unfair. »Sie hat sich leider daran gewöhnt, krank zu sein«, sagt die Tochter einmal. »Es wurde Teil ihres Lebens­stils, es hat sie auch verändert.« Auch Paul von Schell, Knefs Partner seit den späten 70ern, kommt zu Wort, und man versteht, wie viel Halt und Mut er ihr gegeben hat.

Beein­dru­ckend überdies, was Nina Kunzen­dorf aus dem Off aus Knefs Auto­bio­gra­fien vorliest, über den Rausch etwa als »die lebens­läng­lich ersehnte Gemein­sam­keit aller« oder über das Fehler­be­gehen (»Wenn du Fehler machst, mach große, dicke, fette, sei nicht pusselig, weder so noch so«).

Auch in den vielen Fern­seh­in­ter­views äußert Knef – befragt von fast verges­senen Schlacht­rös­sern wie Matthias Walden, Hans­jürgen Rosen­bauer und Joachim Fuchs­berger – viel Kluges, das ihre stets männ­li­chen Gesprächs­partner mitunter sehr alt aussehen lässt. Fraglich aber, ob die Konzen­tra­tion auf die Bekennt­nis­se­lig­keit Knefs nicht span­nen­deren Themen zu viel Platz raubt.

Wirklich ärgerlich aber ist die Auswahl der Film­aus­schnitte. Hildegard Knef spielte eine (leider undank­bare) Neben­rolle in Helmut Käutners Meis­ter­werk Unter den Brücken (1944/45), in dem Hannelore Schroth bril­lierte – doch was bekommen wir zu sehen? Einen Kurzfilm namens Schau­spiel­schule, ebenfalls von 1944, Regie Hans Fritz Köllner (nicht Köhler!), ein krasser Nobody. Hildegard Knef spielte 1948 in Film ohne Titel eine ihrer schönsten Rollen an der Seite von Willy Fritsch, Teil des Traum­paars Harvey/Fritsch aus den 30er Jahren – dieser »Trüm­mer­film« von Rudolf Jugert nach einem Drehbuch von Käutner ist ein Glanz­stück an Hellsicht und Tragi­komik, der Regis­seurin aber kein Wort, kein Bild, geschweige denn einen Ausschnitt wert. Und Nachts auf den Straßen (1952), ein groß­ar­tiger Genrefilm, ebenfalls von Jugert mit einem erstaun­lich starken Hans Albers, der trotz gele­gent­li­cher Betu­lich­keit womöglich sogar den Ober­hau­se­nern und den jungen Franzosen gefallen hätte und in dem Hildegard Knef als Tramperin eine Haupt­rolle spielt, wird ebenfalls komplett über­gangen.

Damit aber wird die spannende Konstel­la­tion um 1945 ignoriert: Es gab sie noch, die alten Schau­spie­l­er­re­cken, es gab Regis­seure der jüngeren Gene­ra­tion, die sich eher dem poeti­schen Realismus fran­zö­si­scher Prägung verpflichtet sahen (auch Peter Pewas sei hier erwähnt), und es gab eine Riege junger, überaus ehrgei­ziger Schau­spie­le­rinnen, die in den Start­löchern stand. Auch Margot Hielscher ist hier zu nennen, klasse in Hallo Fräulein (1949) von Jugert, einem Film, dessen erste Hälfte den Aufbruch in eine demo­kra­ti­sche und soli­da­ri­sche Zukunft fast wie ein Märchen erzählt, um in der zweiten Hälfte erbar­mungslos im patri­ar­chalen Ehehafen zu landen: ein Restau­ra­ti­ons­film, dessen Realismus sich gewaschen hat. Und Ilse Werner natürlich, Partnerin von Hans Albers und Hans Söhnker in Käutners Große Freiheit Nr. 7. Warum wird dieses Panorama, das Hildegard Knef ganz anders in ihre Zeit einge­ordnet hätte, nicht wenigs­tens für zehn Minuten aufge­rissen? Warum bekommen wir statt­dessen allzu lange Konzert- und Inter­view­aus­schnitte aus den 60ern, 70ern, 80ern zu sehen, die allzu oft nur bestä­tigen, was wir längst wissen?

Und ketze­risch weiter­ge­fragt: Warum gibt es keinen einzigen Filmmeter von Die Mörder sind unter uns zu sehen, dafür aber einschlä­fernde Sekunden aus Die Sünderin oder eine grotesk schlechte Szene aus Madeleine und der Oberst? Luzia Schmid gönnt Hildegard Knef nur eine Filmszene, in der sie stark ist, nämlich in Entschei­dung vor Morgen­grauen (1951) von Anatol Litvak mit dem sehr jungen Oskar Werner. Ansonsten scheint alles darauf getrimmt, zu bestä­tigen, was Knef selber sagte: dass sie mit vielen bedeu­tenden Regis­seuren gear­beitet habe, die ausge­rechnet mit ihr einen schlechten Film gemacht haben (man denke an Billy Wilders Fedora von 1978). Und auch wenn die Silk Stockings-Premiere am Broadway einigen Raum im Film einnimmt und klar wird, dass der große Cole Porter von Knefs Stimme begeis­tert war und sie zum Singen brachte: Warum wird verschwiegen, dass dieses Musical die Adaption von Lubitschs Ninot­schka (1939) war, dass also Hildegard Knef die Rolle hatte, die zuerst Greta Garbo gespielt hat? Das sind Konti­nui­täten und Zusam­men­hänge, die erwähnt gehören, ähnlich wie der Umstand, dass Ewald von Deman­dowsky (»EvD«) – Reichs­film­dra­ma­turg und Produk­ti­ons­chef der Tobis, mit dem Knef 1944/45 liiert war – 1946 in Berlin-Lich­ten­berg vom sowje­ti­schen Mili­tär­tri­bunal zum Tode verur­teilt und hinge­richtet wurde (reha­bi­li­tiert 1991), im gleichen Jahr also, in dem Knef für die Ostber­liner Defa Die Mörder sind unter uns gedreht hat.

»Es ist nun mal ein unordentliches Leben«

Gegen die »auf Keuschheit bedachte Betulichkeit«: Luzia Schmid zeigt Hildegard Knef als Frau von modisch-zeitgeistiger Verletzlichkeit

»Ich habe Ehrgeiz und werde ihn behalten. Er begleitet mich wie eine Liebe, die gute und schlechte Tage hat.«
Hildegard Knef

Hildegard Knef ist eine seltsame und einmalige Erschei­nung: Eine intel­li­gente Frau im nicht immer intel­li­genten Show­busi­ness; eine Frau, die sehr deutlich ein Kind ihrer Zeit war, der in den 20er-Jahren geborenen, in der Nazizeit erwachsen gewor­denen jungen Trüm­mer­mäd­chen und -jungen, die für den frühen Aufbruch der ersten Nacht­kriegs­jahre in West­deutsch­land standen, für Befreiung und Ameri­ka­ni­sie­rung, mondän und welt­ge­wandt, zugleich sehr deutsch in ihrer Wirkung im Ausland in der Wahr­neh­mung durch Nicht­deut­sche.

Aber eben »eine Erschei­nung«. »Die« Knef. Das »die« macht den Unter­schied. Ein Glücks­fall für den deutschen Pop bis hin zur Extra­breit-Version von »Rote Rosen«.

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Sie war in ihrer öffent­li­chen Persona sperrig, und ähnlich wie Marlene Dietrich – der sie in vielem ähnelt, weit mehr als Romy Schneider, denen beiden sie aber in ihrem dauer­haften Ruhm um einiges nachsteht – hat sie auch unan­ge­nehmste Themen ange­spro­chen, hat öffent­lich Auschwitz und Treblinka früh mit Namen genannt: »Es schien eine bemer­kens­werte Vergess­lich­keit zu herrschen, was eini­ger­maßen erstaunte, waren doch kaum fünf Jahre seit Majdanek, Auschwitz und Treblinka vergangen.« Sie hat den Deutschen den Spiegel vorge­halten. In ihrer ersten großen Filmrolle, in Wolfgang Staudtes Die Mörder sind unter uns (gerade wieder zu sehen in ausge­wählten Kinos ange­sichts des Jubiläums der Befreiung vor 80 Jahren, sowie in der arte-Mediathek) spielt sie eine KZ-Über­le­bende, die ins Trüm­mer­berlin zurück­kehrt.

Doch danach kam Willy Forsts Die Sünderin. Ein Film mit Folgen.

»Ich begriff nicht. Hatte die Jahre der sitt­li­chen Aufrich­tung, der ersten Zeichen eines Wirt­schafts­wun­ders und der Instand­set­zung einer nach Ordnung und Moral stre­benden Gesell­schaft verpasst. Verstand nicht, dass mit Währungs­re­form, regel­mäßiger Nahrung und warmer Heizung eine auf Keusch­heit bedachte Betu­lich­keit Einzug gehalten hatte.«

Ange­sichts des medi­en­ge­machten »Skandals« um Die Sünderin, in der ihr Körper sechs Sekunden lang nackt zu sehen ist, sprach sie später von »hyste­risch hemmungs­losen« Protesten.

Sie hat pola­ri­siert.

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Die Knef war eine Frau, die so gar nicht in unsere Zeiten zu passen scheint, die puri­ta­nisch und feige sind, in denen zwar Sadomaso und andere sexuelle Praktiken wie fluide Geschlech­ter­iden­ti­täten in jeder Talkshow ausge­breitet werden, die aber zugleich sexuelle Exzesse weder bei Männern noch bei Frauen dulden, jeden­falls nicht, wenn sie öffent­lich werden.

Aber es ist eben auch ein Klischee, dieses »Ich will alles«, das sich schon im Titel findet. Knefs Leben kann man als eine lange Kette von Tabu­brüchen beschreiben, die der Knef aber wider­fahren sind, die sie nicht gesucht hat.

Leicht übersehen wird in der Erin­ne­rung an Hildegard Knef, dass sie eben keine durch­ge­hende Karriere machte, sondern immer wieder lange Phasen von Miss­erfolg hatte. Ende der 50er-Jahre etwa, sagt sie selbst, hatte sie »überhaupt kein Geld«.

Hildegard Knef hatte viele Bega­bungen, und sie war darauf stolz:

»Denn die Verän­de­rungen, die Verän­der­lich­keit ist ja wohl das Bestän­digste in unserem Leben. Es ist nun mal ein unor­dent­li­ches Leben. Jedes Leben. Selbst wenn Sie versuchen, es sehr ordent­lich zu gestalten. Es ist unor­dent­lich, weil die Verän­der­lich­keit meiner Ansicht nach für mich besonders zutrifft, das bestän­digste ist.«

Und viel­leicht war die Knef sogar als Schau­spie­lerin am Unin­ter­es­san­testen – wobei Andreas Heckmanns Anmer­kungen in der hier stehenden Paral­lel­kritik über die Versäum­nisse der Regis­seurin Luzia Schmid, der Schau­spiel­kar­riere der Knef gerecht zu werden, unbedingt zutreffen –, als Sängerin und Autorin jeden­falls viel inter­es­santer. Ihr Gesang ist sehr besonders, aber nicht perfekt. Sondern er funk­tio­niert vor allem als Marke und Unver­wech­sel­bares, als Marke der Unver­wech­sel­bar­keit. Ihre Texte aber sind von erstaun­li­cher Qualität, viel besser als ihre Schau­spiel­kunst.

Etwa in dieser Passage:

»Sie brummen am blitz­blauen Herbst­himmel. Sauberes Dreieck zu sauberem Dreieck. Kurz fliegen sie sehr hoch, fast uner­reichbar. Sie machen Kleckse, kleine schwarze Kleckse, die größer werden, ich schlag hin auf Kies, schlag Ohr auf Kies, hab Sand, hab Blut in Mund in Nase. Kralle versengte Hände in Boden. Oben fliegen die Dreiecke, machen neue Kleckse. Als meine Mutter, Halb­bruder auf dem Arm und ich nach diesem Angriff auf die Straße wateten, sahen wir, dass unser Dach brannte. Da merkte ich, dass Krieg war und dass es so bleiben würde für lange Zeit und ich fing an zu weinen.«

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Am besten ist der Film da, wo sich Knef über ihre Arbeit äußert, ihre Konzerte als eine Art Koitus mit dem Publikum beschreibt und Sätze sagt wie: »Nach dem dritten Lied musst du sie haben.«

Sie beschreibt, dass man Spannung aufbauen muss: »Wenn Sie entspannt auf eine Bühne gehen, überträgt sich gar nichts.«

»Manchmal alleine auf eine Bühne zu gehen und zu singen, zwei Stunden lang: das ist Löwenmut. Oder allein ein Buch zu schreiben, zwei Jahre hinter dem Schreib­tisch … ich habe ja doch zwei Berufe, der eine sehr intro­ver­tiert, der andere sehr extro­ver­tiert. Beide über­for­dern mich manchmal. Dennoch ist es offenbar mein Schicksal oder mein Trauma oder meine Neurose, dass ich mich über­for­dern möchte.«

Sie beschreibt auch sehr gut, wie es ist zu schreiben: Dass man erstmal auf seine »Schreib-Frequenz« kommen muss, und dabei viel­leicht Unsinn macht und blöd vor sich hinstarrt, dass man einfach wartet, bis man fertig ist für den Auftritt am Schreib­tisch, der eben auch ein Auftritt ist.

Sie beschreibt sich selbst auf der Schau­spiel­schule im Rückblick, als »die Eitle, deren Eitelkeit es war, die Beste zu werden«. Und ihrer Tochter rät sie etwa zur gleichen Zeit öffent­lich: »Wenn du Fehler machst, mach große! Dicke, fette, sei nicht pusselig, weder so noch so.«

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Pünktlich zum hundertsten Geburtstag rekon­stru­iert die Schwei­zerin Luzia Schmid in ihrem sehr gelun­genen Doku­men­tar­film Knefs Leben anhand ihrer bemer­kens­werten Texte und vielen Inter­views, vor allem aber anhand vieler ungemein sehens­werter Film- und Fern­seh­auf­nahmen aus den Bild­ar­chiven.

Sehr, viel­leicht ein bisschen zu zeitgemäß wird Hildegard Knef neu inter­pre­tiert als sensible und »verletz­liche« – das Burschi­kose, das sie besonders machte, wird zur Maske degra­diert.

Regis­seurin Schmid sagt das selber: »Ich finde die Art und Weise total heutig, wie Hildegard Knef in einer völligen und erkämpften Selbst­ver­s­tänd­lich­keit ihr Ding macht. Da kann man sich viel abgucken von ihr. So wie sie diesen schnö­se­ligen Jour­na­listen freund­lich, aber bestimmt in den Senkel stellt, wenn der nach dem Altern fragt, und sie antwortet: 'Was ist denn die Alter­na­tive?' Das ist einfach großartig.«

Ihre Stimme war unver­wech­selbar und die Auftritt in der Mischung aus Selbst­be­wusst­sein und Zerbrech­lich­keit auch. Aber viel­leicht ist es doch ein Klischee, wenn dieser Film sugge­riert, dass Hildegard Knef mit jedem Auftritt alles in die Waag­schale warf, ihre ganze Seele, als stünde mit jedem Auftritt ihr Leben auf dem Spiel.

Manchmal nur möchte man diesem Film zurufen: »Vorsicht vor der Heilig­spre­chung!«