Indiana Jones und das Rad des Schicksals

Indiana Jones and the Dial of Destiny

USA 2023 · 148 min. · FSK: ab 12
Regie: James Mangold
Drehbuch: , , ,
Kamera: Phedon Papamichael
Darsteller: Harrison Ford, Phoebe Waller-Bridge, Mads Mikkelsen, Antonio Banderas, John Rhys-Davies u.a.
Filmszene »Indiana Jones und das Rad des Schicksals«
Zwischen Vergänglichkeit und Ewigkeit
(Foto: Disney)

Tut das weh?

James Mangold und seinem Drehbuchteam gelingt das Unmögliche: Trotz ein paar Kollateralschäden unbeschadet zurück in die Zukunft zu reisen und Indiana Jones einen Stern am Himmel zu reservieren

»Take care of all your memories. For you cannot relive them.«
– Bob Dylan, Open the door, Homer

»The magical mystery tour is coming to take you away
Coming to take you away
The magical mystery tour is dying to take you away
Dying to take you away, take you today«

– The Beatles, Magical Mystery Tour

Viel­leicht sollte das voran­ge­stellt sein: begleitet einen ein Autor, ein Regisseur oder ein Künstler oder einfach nur ein fort­lau­fendes Werk fast ein ganzes Leben, hat man im Grunde keine Wahl. Man muss ihn, sie oder es lieben oder hassen, bleiben oder gehen. Wohl deshalb liest sich der Kriti­ker­spiegel zum wohl letzten Teil des Indiana-Jones-Franchise so divers wie bei nur wenigen Filmen. Die einen schreiben von einem würdigen Abschluss, andere munkeln von einem Abschuss.

Wie so oft, muss man wohl die Filmo­grafie eines jeden dieser Kritiker kennen, die Filme, die sie gesehen haben, unter denen sie gelitten, die sie verändert haben, um ihr Urteil zu verstehen. Und an Manès Sperber denken, und an das Vorwort seines bahn­bre­chenden Werks Wie eine Träne im Ozean: »Um einen Lebenden zu verstehen, muss man wissen, wer seine Toten sind. Und man muss wissen, wie seine Hoff­nungen endeten – ob sie sanft verbli­chen oder ob sie getötet wurden. Genauer als die Züge des Antlitzes muss man die Narben des Verzichts kennen.«

Die Toten und die Narben waren für mich der Neue Deutsche Film der 1970er und frühen 1980er, mit dem ich sozia­li­siert wurde, der mir irgend­wann so vertraut war wie meine eigene Sehnsucht oder besser noch, dessen Verzweif­lung, Leid und Reflexion sich volls­tändig auf mich übertrug und sich wie mein eigenes Leben anfühlte. Das änderte sich schlag­artig mit dem ersten Indiana Jones, den ich erst Jahre später nach seinem Erscheinen sah, der aber ein fast schon thera­peu­ti­sches Erdbeben in mir auslöste. Es war die Eintritts­karte für ein neues Empfinden und Verstehen; die Erlaubnis, auch Spaß und rausch­ar­tige, völlig nebulöse Empfin­dungen im Kino ausleben zu können und zu erkennen, dass nichts ewig währt und dass jeder Mensch so wie das Kino mehr als nur eine Seele in sich trägt.

Deshalb ist nach den vielen Jahren, die seitdem vergangen sind, der fünfte Indiana Jones wie die Rückkehr zu einem alten Ich, und es ist ein wenig so, wie sich auf Dr. Emmett »Doc« Browns DeLorean zu verlassen, um damit Zurück in die Zukunft zu rasen. Denn das umschreibt Indiana Jones und das Rad des Schick­sals viel­leicht am besten. Eine Zeitreise.

Dafür ist es dann wohl auch gut gewesen, dass Steven Spielberg wegen inhalt­li­cher Diffe­renzen mit Disney nicht hinter der Kamera stand und George Lucas nicht für das Drehbuch verant­wort­lich zeichnete, beide aber als ausfüh­rende Produ­zenten mit dabei sind. Und ein junges Dreh­buch­team die Vergan­gen­heit so wüst wie akribisch beharkt hat und James Mangold Regie geführt hat, ein Regisseur, der exzel­lente Genre-Arbeiten (Ford v Ferrari, Logan – The Wolverine, The Wolverine, 3:10 to Yuma, Walk the Line) hingelegt hat, diese aber erstaun­li­cher­weise nie mit einer eigenen Hand­schrift versehen hat.

Deshalb sieht sich dann vor allem die lange Intro-Sequenz so an, als ob nicht mehr als 40 sondern eher vier Jahre seit dem Jäger des verlo­renen Schatzes vergangen sind. Es ist das Jahr 1944 und Indy sieht sich seinen Lieb­lings­feinden ausge­setzt, wasch­echten Nazis, mit denen seine Persön­lich­keit stets am meisten wuchs, denn das, was wir am meisten hassen, stärkt und verändert uns auch am meisten. Unter­stri­chen wird dieser Moment mit dem von Disney entwi­ckelten FRAN (face re-aging network), das einen 35-jährigen Harrison Ford so zeigt, wie jeder ihn, der mit Ford groß geworden ist, auch erinnert. Das ist tatsäch­lich der wahr gewordene Hippie-Traum von Dylans Forever Young. Doch wie bei allen Wünschen und ihrer Erfüllung ist es natürlich immer ein Zerrbild, ist der Wunsch zwar Wirk­lich­keit geworden, aber eine Wirk­lich­keit, die dann doch auch so etwas wie ein ironi­scher Kommentar auf den Wunsch selbst ist und den Zeitgeist sowieso.

Fühlt sich dieses Intro in seiner perfekten, konser­ven­schil­lernden Eleganz und dem direkten Anschluss an den dritten Indiana Jones, Indiana Jones und der letzte Kreuzzug also fast wie ein unlieb­samer Geist an, den wir riefen und nun nicht mehr loswerden, entscheidet sich Mangold für den Rest des Films dann doch für einen wichtigen Bruch.

Wir befinden uns plötzlich im Jahr 1969, hören die Beatles und ihr Mr. Magical Mystery Tour (dessen Lyrics diesen Film übrigens nicht besser charak­te­ri­sieren könnten) und sehen Harrison Ford aka Indiana Jones als alten Mann, sehen Fords nackten Ober­körper, sehen auf seinem Körper die Narben des Verzichts und in seinem Antlitz die Toten seines Lebens, einen gebro­chenen Mann, der nur noch lebt, weil ihn der Tod nicht erlösen kommt. Das ist auch deshalb eine wichtige Szene, weil sie einmal mehr zeigt, dass Ford nicht nur fähig ist, sich selbst zu spielen, sondern auch im Alter Rollen viel­schichtig inter­pre­tieren kann, sieht man sich etwa seine anderen Alters­rollen an, etwas in der wunder­baren Thera­peuten-Serie Shrinking oder in Taylor Sheridans Spät­wes­tern-Serie 1923.

Mangold und seinem »Writers Room« ist das natürlich zu wenig, wissen sie doch, dass auch alte Männer ihre Lieb­lings­feinde brauchen, um wieder stark zu werden. Und einer davon könnte mit Mads Mikkelsen nicht besser besetzt sein, aber es ist nicht nur Mikkelsen, sondern auch ein toller Thomas Kret­schman, der hier sein Bestes gibt, um alte Teufe­leien über­zeu­gend zu reinkar­nieren. Und Mangold weiß auch, dass Indiana eine Frau an seiner Seite braucht, und am besten eine, die, wie schon im ersten Teil, die Tochter eines Kollegen ist und ihn mit seinen eigenen Stärken (und Schwächen) in den Schatten stellt. Fleabag-Star Phoebe Waller-Bridge ist hier die perfekte Wahl und eine fast schon ideale »Leer­stelle«, in die im Laufe des Films immer mehr Anspie­lungen auf die anderen Filme der Reihe gegossen und zu einer wilden Gegenwart amal­ga­miert werden. So wie der Junge an ihrer Seite, der ja nicht nur in so vielen Indiana Jones-Filmen, sondern auch anderen Filmen von Spielberg eine fast schon ikonische Bedeutung hat und immer auch ein Alter Ego von Spielberg selbst ist, wie er es in seinem großen Erinnern in den Fabelmans (2022) ange­deutet hat.

Zwar wirkt auch dieser Mittel­teil – ganz so wie der Anfang – nach den ersten initialen Über­ra­schungs­mo­menten eher wie selbst­be­wusstes, hippieskes Epigo­nentum des eigenen Werks, doch sieht man dabei dann auch, wie viel besser das Original ist, vergleicht man es etwas mit den grotesken Indiana Jones-Varianten der letzten Zeit wie The Lost City oder Jumanji – The Next Level. Gerade im Vergleich zu diesen und den vielen anderen Filmen, die in den letzten vierzig Jahren fast schon ein eigenes Abenteuer-Genre etabliert haben, zeigt sich aber auch, dass die spek­ta­kulären Action-Sequenzen es schwer haben, dass alles ein wenig mecha­nis­tisch runter­ge­spult wirkt und nur da zu sein scheint, weil es so sein muss, weil es immer so war und das Genre inzwi­schen die Regeln vorgibt.

Dieser goldene Käfig wird dann zwar wie üblich durch selbst­iro­ni­sche Dialoge und Gesten aufge­bro­chen und bildet auch der große Umzug anläss­lich der erfolg­rei­chen Mond­lan­dung ein selten gesehenes Zeit­ko­lorit, aber so richtig rausch­ar­tige Ekstase wie zu den Anfangs­zeiten, als Spielberg und Lukas damit New Hollywood den finalen Dolchstoß verpassten, mag sich nicht einstellen.

Das passiert dann aber immerhin am Ende, als Indiana nicht nur gezwungen wird, sich seiner eigenen Vergäng­lich­keit zu stellen, sondern nach dem wichtigen Cameo-Auftritt von John Rhys-Davies als Salah nun auch Karen Allen als Marion Ravenwood ihren Auftritt hat. Und wie dieser Moment insze­niert wird, mit einer wunder­schönen Anspie­lung auf die ersten Zärt­lich­keiten zwischen den beiden im ersten Teil und vor allem mit einem Dialog, der klar­stellt, dass wir nicht mit Freunden auf einer Old Ager Party sind, auf der nur die Songs der eigenen Jugend gespielt werden, sondern dass wir endlich in der Gegenwart ange­kommen sind. Natürlich nicht im Jahr 1969, sondern im Jahr 2023. Also die Zukunft der Gegenwart genauso wie die der Vergan­gen­heit. Was kann man mehr wollen? Denn es ist ja die Ewigkeit, nach der wir uns alle immer und immer wieder sehnen, die Unsterb­lich­keit, die wir hier über eine aufrei­bende und aufre­gende Magical Mystery Tour geschenkt bekommen haben. Und die mit allem versöhnt, selbst mit dem Tod.

Jäger des verlorenen Publikums

Das Kino als Zeitmaschine: Indiana Jones und das Rad des Schicksals bedient die Sehnsucht nach analoger »Authentizität« und den Jahrmarktscharakter des Mediums

Wenn sich die Fans doch wenigs­tens einigen könnten! Aber den einen ist der neue Indiana Jones-Film zu schnell geschnitten und sie schreiben über »Holly­woods ADHS Probleme«. Den anderen ist er einfach zu lahm. Die einen vermissen die B-Movie-Ästhetik der ersten Filme der Reihe, die anderen jammern darüber, dass die Computer-Effekte nicht perfekt sind. Nostalgie wollen sie, aber wenn der Green-Screen dann aussieht wie von damals, dann wird am Aussehen herum­ge­me­ckert. Manchen Fans war der letzte, vierte Indiana Jones-Film zu viel Action, jetzt ist es den Fans zu wenig Action. Man kann es den Leuten nicht recht machen.
Haupt­sache man hat etwas zu schimpfen und das Kino geht endgültig unter. Früher war alles besser, außer Marvel.

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Niemand, der die Indiana-Jones-Filmreihe mag, sollte sich von solchen Nach­richten irri­tieren lassen. Es geht in diesen Filmen um billigen Spaß, um einen Kino­kir­mes­be­such, und als solcher funk­tio­niert auch der neue, fünfte Film der Reihe gut und bietet kurz­wei­ligen Spaß.
James Mangold inter­pre­tiert die zeitlosen Funda­mente dieses modernen Kino­my­thos überaus zeitgemäß, und vertei­digt dabei den – unzeit­ge­mäßen – hedo­nis­ti­schen Kern von Indiana Jones: Dies ist Kino, das nie belehren und nie »alles richtig machen« will, das mutig und nie beflissen ist, das den Jahr­markt­cha­rakter des Mediums gegen seine post­mo­dernen Verächter vertei­digt und dabei seinem Idea­lismus treu bleibt, nie neokon­ser­va­tiven oder tradi­tio­na­lis­ti­schen Versu­chungen nachgibt.

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Bei einem Archäo­logen, der die ganze Welt zu seinem Spiel­platz seiner Abenteuer macht und Schätze aus fremden Ländern und fernen Kulturen raubt, liegt es nahe, irgend­etwas Post­ko­lo­niales zu formu­lieren und politisch korrekte Sätze über Kolo­nia­lismus und Impe­ria­lismus zu schreiben.

Das kann ich auch: Die Haupt­figur betreibt meistens das, was man als kultu­relle Ausplün­de­rung einer anderen Kultur bezeichnen kann, ohne jetzt zu nahe zu treten. Wir treffen den aben­teu­er­li­chen Archäo­logen nämlich im Dschungel von Latein­ame­rika, wo er irgend­etwas für ein Museum nach Hause bringen möchte, und es mit verschla­genen Latinos zu tun hat, mit primi­tiven Urein­woh­nern und ähnlichen Projek­tionen des weißen hete­ro­nor­ma­tiven Blicks.

Genau deswegen gehen viele Menschen nämlich ins Kino: Nicht-westliche Menschen – früher Indianer, heute Nazis – bedrohen hier weiße Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­guren beider Geschlechter. Die jüdisch-christ­liche Kultur und der jüdisch-christ­liche Mono­the­ismus liefern die Antworten auf alle Fragen. Alle anderen Kulturen sind dagegen irgendwie aus der Geschichte heraus­ge­fallen und abge­schlossen. Tot.

Die Charak­tere sind durch die Bank als Kollek­tiv­sin­gu­lare gezeichnet, sie reprä­sen­tieren eine ganze Kultur oder ein ganzes Land. Selbst­ver­s­tänd­lich gibt es immer auch einen Vertreter des bösen feind­li­chen Kollek­tivs der Anderen, der ein Über­läu­fer­cha­rakter ist, und deswegen im Gegensatz zu anderen Kolla­bo­ra­teuren vom west­li­chen Kino geliebt wird.

Die koloniale Rahmung der Welt wird durch die Erzählung, die Insze­nie­rung und die Sprache der Kamera privi­le­giert, Archi­tektur und Produc­tion-Design spiegelt Klischees. Die Zuordnung von Rechten, Zielen, mora­li­schen Attri­buten und Fähig­keiten, fügt sie sich in jene (neo-)koloniale diskur­sive Rahmung ein, die den modernen Diskursen über Menschen­rechte, über Entwick­lung und Moder­ni­sie­rung zugrunde liegt.
Die Haupt­figur und der Film über­schreiten oder durch­dringen permanent Grenzen.

Mit anderen Worten: Indiana Jones-Filme sind kolo­nia­lis­tisch und (kultur-)impe­ria­lis­tisch. Genau deshalb sind sie erfolg­reich.

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Noch eine Über­ra­schung: Auch in den 1960er Jahren gibt es noch Nazis. Sie arbei­teten sogar für die NASA, die US-Weltraum­behörde. Nein, wir meinen jetzt nicht Wernher von Braun, sondern Jürgen Voller. Mats Mikkelsen spielt den Bösewicht, einen sehens­werten Kino-Nazi­schergen, der tatsäch­lich das Ziel hat, ins Jahr 1939 zurück­zu­reisen, dort einige Tage vor Beginn des Zweiten Welt­kriegs den Führer auszu­schalten, und dann dort die richtigen Entschei­dungen zu treffen.

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Die Etablie­rung einer neuen impe­rialen Ordnung deutsch­na­tio­naler Fantasien.

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Von den ersten Sekunden an ist alles wie immer. Indiana Jones ist um die 40 Jahre alt und jagt verlorene Schätze und Nazi-Schurken. Denn auch Indiana Jones und das Rad des Schick­sals, das fünfte Abenteuer des Action-Archäo­logen, steigt in jener Epoche ein, in der die meisten anderen Indiana Jones-Filme spielen, den 30er und 40er Jahren, in diesem Fall ganz konkret: in den finalen Wochen des Zweiten Welt­kriegs. Nazi­deutsch­land verliert den Krieg, es gibt noch den letzten Versuch einer Wunder­waffe, die das Kriegs­glück wenden könnte. Hierbei handelt es sich um eine antike Lanze, die mit Jesus Blut getränkt wurde, »Longinus Lanze«.
Bald stellt sich heraus, dass besagte Wunder-Lanze eigent­lich ein Ablen­kungs­manöver ist, um über etwas Anderes, Wich­ti­geres hinweg­zu­täu­schen: Nämlich die eine Hälfte einer Zeit­ma­schine namens »Antiky­thera«, die einst von Archi­medes erfunden und gebaut wurde. Eine hoch­kom­plexe mecha­ni­sche Rechen­ma­schine mit diesem Namen gibt es tatsäch­lich – ist bekannter archäo­lo­gi­scher Beweis für die tech­ni­sche Avan­ciert­heit der Antike. Nur die Behaup­tung, es handele sich um eine Zeit­ma­schine, ist natürlich reine Fantasy.

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Eine Zeit­ma­schine ist gewis­ser­maßen auch dieser Film. Er zeigt nämlich Haupt­dar­steller Harrison Ford nicht nur so, wie er heute aussieht, sondern in diesen ersten 20 Minuten des Films auch digital verjüngt wie in seinen besten Jahren. Diese digitale Verjün­gung funk­tio­niert erstaun­lich gut und viel besser, als es noch kürzlich in The Irishman von Martin Scorsese mit Robert de Niro und Al Pacino der Fall war. Das hat auch etwas damit zu tun, dass hier das Publikum in einer einzigen unent­wegten Action­se­quenz mitge­rissen wird, in der das Bild nie zur Ruhe kommt, oder gar stehen bleibt, und die Zuschauer deswegen auch niemals Zeit haben, sich in Ruhe darauf zu konzen­trieren, wie gut das alles tatsäch­lich aussieht.

Es geht in diesem Beginn zunächst vor allem um die Reeta­blie­rung des Titel­helden durch Wieder­erkenn­bar­keit (mit charak­te­ris­ti­scher Peitsche und Filzhut), und um Befrie­di­gung der rück­wärts­ge­wandten Sehn­süchte des Publikums. Schon 1981 wagte Regisseur Steven Spielberg mit Jäger des verlo­renen Schatzes sehr bewusst – und übrigens zurück­ge­hend auf eine Idee, die ihm George Lucas geschenkt hatte – den Rückgriff auf jene B-Movie-Abenteuer, die ihn in seiner Kindheit begeis­tert hatten. Der Film mit seinem scheinbar unzeit­ge­mäßen Helden wurde ein uner­war­teter Welt­erfolg, auch weil er die Nostalgie-Bedürf­nisse einer ganzen Gene­ra­tion befrie­digte.
So folgten drei weitere Kino-Abenteuer, eine Fern­seh­serie und diverse »nicht auto­ri­sierte« Ableger. Auch Haupt­dar­steller Harrison Ford verschmolz zunehmend mit der Rolle des schlag­kräf­tigen Archäo­logen, die ihn erst wirklich zum Action­star machte. 42 Jahre nach dem Auftakt kehren Jones und sein Darsteller nun noch einmal, ein letztes Mal (?), auf die Leinwand zurück. Regie führte James Mangold, denn erstmals in einem Indiana Jones-Film war Steven Spielberg nicht an der Produk­tion beteiligt.

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Wenn der Held Indiana Jones in den ersten Minuten gefangen genommen wird und man ihm einen Sack über den Kopf zieht, ruft Mangold damit im Publikum auch fast auto­ma­tisch das unter­be­wusste Bild-Arsenal des 21. Jahr­hun­derts ab: Wir alle sollen zuerst an die CIA und Abu Ghraib denken, bevor wir begreifen, dass dies alles im Zweiten Weltkrieg spielt und es sich um die Nazis und die SS handelt. Aber auch wenn hier mit aktuellen Motiven gespielt wird, kann es hier aber klarer­weise nicht darum gehen, irgend­etwas histo­risch ernst zu nehmen.

Kurz vor seiner geplanten Hinrich­tung kann Jones sich dann – nicht gerade uner­wartet – befreien. Nach einer rasenden Verfol­gungs­jagd springt er aus einem fahrenden Motorrad auf einen fahrenden Zug, und bringt zwischen­durch noch mehrere Dutzend Nazis zur Strecke. Alles erinnert an Zugsze­na­rien in Klas­si­kern des Western­films wie The Great Train Robbery oder The General, oder auch an Snow­piercer von Bong Joon-hoo, den letzten Film, der das Zugmotiv in ein großes Spektakel verwan­delt hat. (In diesem Zug sieht man dann übrigens auch den deutschen Darsteller Matthias Schweig­höfer. In der einzigen, sehr sehr kurzen Szene, in der Schweig­höfer auftritt, hat er genau zwei Worte zu sagen, nämlich »Sieg Heil!«. Histo­risch nicht sehr authen­tisch, außer für Holly­woods Nazi-Vorstel­lungen.)

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Nach diesem furiosen Start folgt dann ein Zeit­sprung in die Wochen der Mond­lan­dung, den Juli 1969. Indiana Jones sieht jetzt so aus, wie Harrison Ford eben heute aussieht: Ein älterer Herr, dessen Filmfigur gerade als Professor in Ruhestand getreten ist, und von seiner Paten­tochter Helena, der Nichte eines Freundes aufge­sucht wird. Sie erinnert ihn an die vermisste zweite Hälfte der »Antiky­thera« und bittet um seine Hilfe bei der Suche. Um diese Suche dreht sich nun der Rest der Handlung.

Denn auch die Nazis sind dem wert­vollen Objekt ein Vier­tel­jahr­hun­dert nach Kriegs­ende wieder auf den Fersen. Der gefähr­lichste Anta­go­nist ist ein Zivilist, dem Indiana Jones schon in der Expo­si­tion begegnete: Der Wissen­schaftler Jürgen Voller, der als solcher Wissen­schaftler schon dadurch noch für den aller­letzten Zuschauer markiert ist, dass er bei jeder Gele­gen­heit eine Brille auf der Nase hat. Er wird vom Dänen Mads Mikkelsen (Hannibal) gespielt. Den ganzen Film über wendet Voller selber recht wenig Gewalt an – dafür aber hat er einen ganzen Schlä­ger­trupp bei sich, der für ihn die »Drecks­ar­beit« erledigt. Diese Gruppe sieht aus wie ein Kurio­si­tä­ten­ka­bi­nett der Nazi-Schergen des Kinos: Es gibt den Groben, der für einen normalen Menschen viel zu groß und viel zu breit ist, eine Art »Beisser« in blond, es gibt einen perversen Sadisten, es gibt den Mitläufer.
Und dann gibt es noch – Über­ra­schung – die schwarze Frau: Ausge­rechnet eine linke »Black Panther«-Akti­vistin mit cooler Sonnen­brille und Afro-Look hat sich auch den Faschisten angedient – was die poli­ti­sche Agenda des Films als neokon­ser­vativ entlarvt.
Mit Hilfe der Maschine will Voller die Zeit zurück­drehen: »Ihr Ameri­kaner habt den Krieg nicht gewonnen« schnaubt er Jones an, »Hitler hat ihn verloren. Er hat Fehler gemacht. Mit dem Ding werde ich sie alle korri­gieren...«

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Es folgt nun ein recht übliches Action-Statio­nen­drama: Schätze werden gestohlen und zurück­ge­stohlen, immer ergeben sich Gele­gen­heiten, um den Helden in gefähr­liche Situa­tionen zu verwi­ckeln.
Die Suche nach der verlo­renen Zeit­ma­schine führt zunächst nach Marokko, von dort ins Mittel­meer. Dazwi­schen gibt es so spek­ta­kuläre wie verrückte Verfol­gungs­jagden: zuerst in New York, dann durch die Kasbah von Tanger, dann unter Wasser, dann geht es in Syrakus ähnlich munter weiter. Insofern erinnert alles tatsäch­lich an einen James Bond-Film, in dem es ja auch letztlich darum geht, in möglichst pitto­resken, möglichst exoti­schen Schau­plätzen den immer­glei­chen Helden das Immer­gleiche tun zu lassen.

Der einzige etwas schwache Moment des Films ist der, wo dieser sich offenbar zu einer anderen, unge­wohnten Form von Ernst­haf­tig­keit verpflichtet fühlt. Als Indiana Jones gefragt wird, wohin er mit einer Zeit­ma­schine am liebsten reisen möchte, antwortet er nicht etwa mit irgend­einer groß­ar­tigen histo­ri­schen Epoche, über die er mehr erfahren möchte, sondern damit, dass er in den Moment zurück­reisen würde, in dem sein Sohn sich frei­willig für den Vietnam-Krieg gemeldet hat, und kurz darauf im Krieg getötet wurde. Was dann auch seine private Ehe zerstört hat...
All dies wirkt ein bisschen wie eine mora­li­sche Pflich­tü­bung, als müsste man diese Figur doch noch mit Ernst und Psycho­logie grun­dieren. Es ist der schwächste Moment in diesem Film; man hat den Eindruck, als müsste hier dieser Figur eine Dimension des Ernstes und der Glaub­wür­dig­keit, ein Element der psycho­lo­gi­schen Trif­tig­keit ange­schminkt werden. Dies ist aber völlig über­flüssig, denn man geht ja nicht wegen der psycho­lo­gi­schen Glaub­wür­dig­keit oder aufgrund irgend­wel­cher Senti­men­ta­li­täten in Indiana-Jones-Filme.

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Eine weitere Schraube in der Spirale der Verrückt­heit ist dann die letzte große Action­se­quenz: die versam­melte Nazi-Schar und auch Indiana Jones und seine Beglei­tung reisen in der Zeit­ma­schine, die schließ­lich funk­tio­niert, ins Jahr 1939. Sie haben aller­dings einen Rechen­fehler gemacht: Weil man in der Antike noch nichts von der Erdplat­ten­ver­schie­bung wusste, gerät der ganze Mecha­nismus komplett aus den Fugen, und die Schar landet im Jahr 214 vor Christus, zur Zeit, als die Römer gerade das damals noch grie­chi­sche Syrakus auf Sizilien eroberten. Dies hat trotzdem eine tiefere Notwen­dig­keit, denn es handelt sich gerade um den Moment, an dem Archi­medes auf Syrakus weilte und an dieser Zeit­ma­schine gear­beitet hat.

In diesen faszi­nie­rend-verrückten, gerade dadurch so magischen wie unge­se­henen Bildern – ein deutscher Heinkel-Bomber über römischem Kriegs­gerät, der mit Kata­pulten und Pfeil und Bogen bekämpft wird; ein Archäo­loge aus dem Jahr 1969 im Gespräch mit Archi­medes – wird das Erfolgs­ge­heimnis der Indiana Jones-Reihe so deutlich wie selten: Diese Filme sind Vexier­bilder, die den Zuschauern einer­seits filmische Themen­parks und Traum­welten präsen­tieren, wie sie sonst nur in Compu­ter­spielen und viel­leicht geschichts­tou­ris­ti­schen Erleb­nis­reisen konsu­mierbar sind. Sie entspre­chen damit genau der digitalen »Disney­fi­zie­rung« von Historie in den modernen Massen­me­dien und der welt­weiten Popu­la­rität von archäo­lo­gi­schen Themen in konsu­mier­barer Form.

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Zugleich versetzen sie das Publikum in eine Ära, die idea­ler­weise durch authen­ti­sche Orte und authen­ti­sche Menschen gekenn­zeichnet ist. Sie vertei­digen die Textur der physi­schen, vordi­gi­talen, »analogen« Welt, indem sie durch beschwer­liche Weltreisen, Kommu­ni­ka­tion von Angesicht zu Angesicht und »unbe­zahl­bare« Relikte den Wunsch nach den »authen­ti­scheren« Welten befrie­digen. Eine nost­al­gi­sche Vorliebe für eine hedo­nis­ti­schere, zugleich idea­lis­ti­schere, weniger mate­ria­lis­tisch ausge­rich­tete Welt steht im Mittel­punkt der Indiana-Jones-Filmreihe und treibt die Hand­lungen der Filme an. Die geschicht­liche Vergan­gen­heit ist der Flucht­punkt aus der globa­li­sierten, digi­ta­li­sierten Zukunft – und so ist es keines­wegs Zufall, dass die Film­hand­lung just in jenem Monat ange­sie­delt ist, in dem der (geschichts-)opti­mis­ti­sche Zukunfts­glaube mit der Mond­lan­dung seinen Höhepunkt erreichte und von den »Grenzen des Wachstums« noch nicht die Rede war.

Indem sie demge­genüber klas­si­sche Vorstel­lungen von Authen­ti­zität und Unmit­tel­bar­keit vertei­digt, steht die Indiana Jones-Reihe reprä­sen­tativ für eines der über alle histo­ri­schen Brüche bestän­digsten Elemente erfolg­rei­cher Kinofilme der letzten 50-60 Jahre: Das Thema der Authen­ti­zität – ob nun in Form einer Feier authen­ti­scher Menschen oder Dinge oder einer direkten Kritik an den entfrem­deten Verhält­nissen der Moderne. Authen­ti­zität ist eine der wich­tigsten Perspek­tiven, unter denen wir die heutige Medi­en­ge­sell­schaft betrachten.

Die Indiana Jones-Filme haben eine spezi­fi­sche Haltung zu diesem Thema: Die Vorstel­lung, dass authen­ti­sches Leben und Streben nicht in der Zukunft zu finden sind, sondern in der Vergan­gen­heit. Zugleich steht die Figur unter ihrer heute kolo­nia­lis­tisch anmu­tenden Ober­flächen gerade nicht für Suche nach »Beute­kunst« und mate­ria­lis­ti­sche Ausbeu­tung fremder Kulturen, sondern für die Vorstel­lung, dass es erstre­bens­werter ist, sich der »achtsamen« Rekon­struk­tion der Vergan­gen­heit und dem Vers­tändnis nicht-west­li­cher Hoch­kul­turen zu widmen.

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James Mangolds Film inter­pre­tiert die zeitlosen Funda­mente, auf die Spielberg und Lucas ihre Helden­figur gestellt und zum modernen Mythos geformt haben, überaus zeitgemäß, und vertei­digt dabei den – unzeit­ge­mäßen – hedo­nis­ti­schen Kern von Indiana Jones: Ein Kino, das nie belehren und nie »alles richtig machen« will, das mutig und nie beflissen ist, das den Jahr­markt­cha­rakter des Mediums gegen seine post­mo­dernen Verächter vertei­digt und dabei seinem Idea­lismus treu bleibt, nie neokon­ser­va­tiven oder tradi­tio­na­lis­ti­schen Versu­chungen nachgibt.
Neben der Action ist dies auch Klamauk und Slapstick, und eine Vorstel­lung von Kino, in der man keine unan­ge­mes­sene Mühe darauf verlegt, die Handlung möglichst glaub­würdig erscheinen zu lassen. Statt­dessen ein nost­al­gie­satter großer Kino­kin­der­ge­burtstag für alle.