USA 2023 · 148 min. · FSK: ab 12 Regie: James Mangold Drehbuch: Jez Butterworth, John-Henry Butterworth, James Mangold, David Koepp Kamera: Phedon Papamichael Darsteller: Harrison Ford, Phoebe Waller-Bridge, Mads Mikkelsen, Antonio Banderas, John Rhys-Davies u.a. |
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Zwischen Vergänglichkeit und Ewigkeit | ||
(Foto: Disney) |
»Take care of all your memories. For you cannot relive them.«
– Bob Dylan, Open the door, Homer»The magical mystery tour is coming to take you away
Coming to take you away
The magical mystery tour is dying to take you away
Dying to take you away, take you today«
– The Beatles, Magical Mystery Tour
Vielleicht sollte das vorangestellt sein: begleitet einen ein Autor, ein Regisseur oder ein Künstler oder einfach nur ein fortlaufendes Werk fast ein ganzes Leben, hat man im Grunde keine Wahl. Man muss ihn, sie oder es lieben oder hassen, bleiben oder gehen. Wohl deshalb liest sich der Kritikerspiegel zum wohl letzten Teil des Indiana-Jones-Franchise so divers wie bei nur wenigen Filmen. Die einen schreiben von einem würdigen Abschluss, andere munkeln von einem Abschuss.
Wie so oft, muss man wohl die Filmografie eines jeden dieser Kritiker kennen, die Filme, die sie gesehen haben, unter denen sie gelitten, die sie verändert haben, um ihr Urteil zu verstehen. Und an Manès Sperber denken, und an das Vorwort seines bahnbrechenden Werks Wie eine Träne im Ozean: »Um einen Lebenden zu verstehen, muss man wissen, wer seine Toten sind. Und man muss wissen, wie seine Hoffnungen endeten – ob sie sanft verblichen oder ob sie getötet wurden. Genauer als die Züge des Antlitzes muss man die Narben des Verzichts kennen.«
Die Toten und die Narben waren für mich der Neue Deutsche Film der 1970er und frühen 1980er, mit dem ich sozialisiert wurde, der mir irgendwann so vertraut war wie meine eigene Sehnsucht oder besser noch, dessen Verzweiflung, Leid und Reflexion sich vollständig auf mich übertrug und sich wie mein eigenes Leben anfühlte. Das änderte sich schlagartig mit dem ersten Indiana Jones, den ich erst Jahre später nach seinem Erscheinen sah, der aber ein fast schon therapeutisches Erdbeben in mir auslöste. Es war die Eintrittskarte für ein neues Empfinden und Verstehen; die Erlaubnis, auch Spaß und rauschartige, völlig nebulöse Empfindungen im Kino ausleben zu können und zu erkennen, dass nichts ewig währt und dass jeder Mensch so wie das Kino mehr als nur eine Seele in sich trägt.
Deshalb ist nach den vielen Jahren, die seitdem vergangen sind, der fünfte Indiana Jones wie die Rückkehr zu einem alten Ich, und es ist ein wenig so, wie sich auf Dr. Emmett »Doc« Browns DeLorean zu verlassen, um damit Zurück in die Zukunft zu rasen. Denn das umschreibt Indiana Jones und das Rad des Schicksals vielleicht am besten. Eine Zeitreise.
Dafür ist es dann wohl auch gut gewesen, dass Steven Spielberg wegen inhaltlicher Differenzen mit Disney nicht hinter der Kamera stand und George Lucas nicht für das Drehbuch verantwortlich zeichnete, beide aber als ausführende Produzenten mit dabei sind. Und ein junges Drehbuchteam die Vergangenheit so wüst wie akribisch beharkt hat und James Mangold Regie geführt hat, ein Regisseur, der exzellente Genre-Arbeiten (Ford v Ferrari, Logan – The Wolverine, The Wolverine, 3:10 to Yuma, Walk the Line) hingelegt hat, diese aber erstaunlicherweise nie mit einer eigenen Handschrift versehen hat.
Deshalb sieht sich dann vor allem die lange Intro-Sequenz so an, als ob nicht mehr als 40 sondern eher vier Jahre seit dem Jäger des verlorenen Schatzes vergangen sind. Es ist das Jahr 1944 und Indy sieht sich seinen Lieblingsfeinden ausgesetzt, waschechten Nazis, mit denen seine Persönlichkeit stets am meisten wuchs, denn das, was wir am meisten hassen, stärkt und verändert uns auch am meisten. Unterstrichen wird dieser Moment mit dem von Disney entwickelten FRAN (face re-aging network), das einen 35-jährigen Harrison Ford so zeigt, wie jeder ihn, der mit Ford groß geworden ist, auch erinnert. Das ist tatsächlich der wahr gewordene Hippie-Traum von Dylans Forever Young. Doch wie bei allen Wünschen und ihrer Erfüllung ist es natürlich immer ein Zerrbild, ist der Wunsch zwar Wirklichkeit geworden, aber eine Wirklichkeit, die dann doch auch so etwas wie ein ironischer Kommentar auf den Wunsch selbst ist und den Zeitgeist sowieso.
Fühlt sich dieses Intro in seiner perfekten, konservenschillernden Eleganz und dem direkten Anschluss an den dritten Indiana Jones, Indiana Jones und der letzte Kreuzzug also fast wie ein unliebsamer Geist an, den wir riefen und nun nicht mehr loswerden, entscheidet sich Mangold für den Rest des Films dann doch für einen wichtigen Bruch.
Wir befinden uns plötzlich im Jahr 1969, hören die Beatles und ihr Mr. Magical Mystery Tour (dessen Lyrics diesen Film übrigens nicht besser charakterisieren könnten) und sehen Harrison Ford aka Indiana Jones als alten Mann, sehen Fords nackten Oberkörper, sehen auf seinem Körper die Narben des Verzichts und in seinem Antlitz die Toten seines Lebens, einen gebrochenen Mann, der nur noch lebt, weil ihn der Tod nicht erlösen kommt. Das ist auch deshalb eine wichtige Szene, weil sie einmal mehr zeigt, dass Ford nicht nur fähig ist, sich selbst zu spielen, sondern auch im Alter Rollen vielschichtig interpretieren kann, sieht man sich etwa seine anderen Altersrollen an, etwas in der wunderbaren Therapeuten-Serie Shrinking oder in Taylor Sheridans Spätwestern-Serie 1923.
Mangold und seinem »Writers Room« ist das natürlich zu wenig, wissen sie doch, dass auch alte Männer ihre Lieblingsfeinde brauchen, um wieder stark zu werden. Und einer davon könnte mit Mads Mikkelsen nicht besser besetzt sein, aber es ist nicht nur Mikkelsen, sondern auch ein toller Thomas Kretschman, der hier sein Bestes gibt, um alte Teufeleien überzeugend zu reinkarnieren. Und Mangold weiß auch, dass Indiana eine Frau an seiner Seite braucht, und am besten eine, die, wie schon im ersten Teil, die Tochter eines Kollegen ist und ihn mit seinen eigenen Stärken (und Schwächen) in den Schatten stellt. Fleabag-Star Phoebe Waller-Bridge ist hier die perfekte Wahl und eine fast schon ideale »Leerstelle«, in die im Laufe des Films immer mehr Anspielungen auf die anderen Filme der Reihe gegossen und zu einer wilden Gegenwart amalgamiert werden. So wie der Junge an ihrer Seite, der ja nicht nur in so vielen Indiana Jones-Filmen, sondern auch anderen Filmen von Spielberg eine fast schon ikonische Bedeutung hat und immer auch ein Alter Ego von Spielberg selbst ist, wie er es in seinem großen Erinnern in den Fabelmans (2022) angedeutet hat.
Zwar wirkt auch dieser Mittelteil – ganz so wie der Anfang – nach den ersten initialen Überraschungsmomenten eher wie selbstbewusstes, hippieskes Epigonentum des eigenen Werks, doch sieht man dabei dann auch, wie viel besser das Original ist, vergleicht man es etwas mit den grotesken Indiana Jones-Varianten der letzten Zeit wie The Lost City oder Jumanji – The Next Level. Gerade im Vergleich zu diesen und den vielen anderen Filmen, die in den letzten vierzig Jahren fast schon ein eigenes Abenteuer-Genre etabliert haben, zeigt sich aber auch, dass die spektakulären Action-Sequenzen es schwer haben, dass alles ein wenig mechanistisch runtergespult wirkt und nur da zu sein scheint, weil es so sein muss, weil es immer so war und das Genre inzwischen die Regeln vorgibt.
Dieser goldene Käfig wird dann zwar wie üblich durch selbstironische Dialoge und Gesten aufgebrochen und bildet auch der große Umzug anlässlich der erfolgreichen Mondlandung ein selten gesehenes Zeitkolorit, aber so richtig rauschartige Ekstase wie zu den Anfangszeiten, als Spielberg und Lukas damit New Hollywood den finalen Dolchstoß verpassten, mag sich nicht einstellen.
Das passiert dann aber immerhin am Ende, als Indiana nicht nur gezwungen wird, sich seiner eigenen Vergänglichkeit zu stellen, sondern nach dem wichtigen Cameo-Auftritt von John Rhys-Davies als Salah nun auch Karen Allen als Marion Ravenwood ihren Auftritt hat. Und wie dieser Moment inszeniert wird, mit einer wunderschönen Anspielung auf die ersten Zärtlichkeiten zwischen den beiden im ersten Teil und vor allem mit einem Dialog, der klarstellt, dass wir nicht mit Freunden auf einer Old Ager Party sind, auf der nur die Songs der eigenen Jugend gespielt werden, sondern dass wir endlich in der Gegenwart angekommen sind. Natürlich nicht im Jahr 1969, sondern im Jahr 2023. Also die Zukunft der Gegenwart genauso wie die der Vergangenheit. Was kann man mehr wollen? Denn es ist ja die Ewigkeit, nach der wir uns alle immer und immer wieder sehnen, die Unsterblichkeit, die wir hier über eine aufreibende und aufregende Magical Mystery Tour geschenkt bekommen haben. Und die mit allem versöhnt, selbst mit dem Tod.
Wenn sich die Fans doch wenigstens einigen könnten! Aber den einen ist der neue Indiana Jones-Film zu schnell geschnitten und sie schreiben über »Hollywoods ADHS Probleme«. Den anderen ist er einfach zu lahm. Die einen vermissen die B-Movie-Ästhetik der ersten Filme der Reihe, die anderen jammern darüber, dass die Computer-Effekte nicht perfekt sind. Nostalgie wollen sie, aber wenn der Green-Screen dann aussieht wie von damals, dann wird am Aussehen
herumgemeckert. Manchen Fans war der letzte, vierte Indiana Jones-Film zu viel Action, jetzt ist es den Fans zu wenig Action. Man kann es den Leuten nicht recht machen.
Hauptsache man hat etwas zu schimpfen und das Kino geht endgültig unter. Früher war alles besser, außer Marvel.
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Niemand, der die Indiana-Jones-Filmreihe mag, sollte sich von solchen Nachrichten irritieren lassen. Es geht in diesen Filmen um billigen Spaß, um einen Kinokirmesbesuch, und als solcher funktioniert auch der neue, fünfte Film der Reihe gut und bietet kurzweiligen Spaß.
James Mangold interpretiert die zeitlosen Fundamente dieses modernen Kinomythos überaus zeitgemäß, und
verteidigt dabei den – unzeitgemäßen – hedonistischen Kern von Indiana Jones: Dies ist Kino, das nie belehren und nie »alles richtig machen« will, das mutig und nie beflissen ist, das den Jahrmarktcharakter des Mediums gegen seine postmodernen Verächter verteidigt und dabei seinem Idealismus treu bleibt, nie neokonservativen oder traditionalistischen
Versuchungen nachgibt.
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Bei einem Archäologen, der die ganze Welt zu seinem Spielplatz seiner Abenteuer macht und Schätze aus fremden Ländern und fernen Kulturen raubt, liegt es nahe, irgendetwas Postkoloniales zu formulieren und politisch korrekte Sätze über Kolonialismus und Imperialismus zu schreiben.
Das kann ich auch: Die Hauptfigur betreibt meistens das, was man als kulturelle Ausplünderung einer anderen Kultur bezeichnen kann, ohne jetzt zu nahe zu treten. Wir treffen den abenteuerlichen Archäologen nämlich im Dschungel von Lateinamerika, wo er irgendetwas für ein Museum nach Hause bringen möchte, und es mit verschlagenen Latinos zu tun hat, mit primitiven Ureinwohnern und ähnlichen Projektionen des weißen heteronormativen Blicks.
Genau deswegen gehen viele Menschen nämlich ins Kino: Nicht-westliche Menschen – früher Indianer, heute Nazis – bedrohen hier weiße Identifikationsfiguren beider Geschlechter. Die jüdisch-christliche Kultur und der jüdisch-christliche Monotheismus liefern die Antworten auf alle Fragen. Alle anderen Kulturen sind dagegen irgendwie aus der Geschichte herausgefallen und abgeschlossen. Tot.
Die Charaktere sind durch die Bank als Kollektivsingulare gezeichnet, sie repräsentieren eine ganze Kultur oder ein ganzes Land. Selbstverständlich gibt es immer auch einen Vertreter des bösen feindlichen Kollektivs der Anderen, der ein Überläufercharakter ist, und deswegen im Gegensatz zu anderen Kollaborateuren vom westlichen Kino geliebt wird.
Die koloniale Rahmung der Welt wird durch die Erzählung, die Inszenierung und die Sprache der Kamera privilegiert, Architektur und Production-Design spiegelt Klischees. Die Zuordnung von Rechten, Zielen, moralischen Attributen und Fähigkeiten, fügt sie sich in jene (neo-)koloniale diskursive Rahmung ein, die den modernen Diskursen über Menschenrechte, über Entwicklung und Modernisierung zugrunde liegt.
Die Hauptfigur und der Film überschreiten oder durchdringen
permanent Grenzen.
Mit anderen Worten: Indiana Jones-Filme sind kolonialistisch und (kultur-)imperialistisch. Genau deshalb sind sie erfolgreich.
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Noch eine Überraschung: Auch in den 1960er Jahren gibt es noch Nazis. Sie arbeiteten sogar für die NASA, die US-Weltraumbehörde. Nein, wir meinen jetzt nicht Wernher von Braun, sondern Jürgen Voller. Mats Mikkelsen spielt den Bösewicht, einen sehenswerten Kino-Nazischergen, der tatsächlich das Ziel hat, ins Jahr 1939 zurückzureisen, dort einige Tage vor Beginn des Zweiten Weltkriegs den Führer auszuschalten, und dann dort die richtigen Entscheidungen zu treffen.
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Die Etablierung einer neuen imperialen Ordnung deutschnationaler Fantasien.
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Von den ersten Sekunden an ist alles wie immer. Indiana Jones ist um die 40 Jahre alt und jagt verlorene Schätze und Nazi-Schurken. Denn auch Indiana Jones und das Rad des Schicksals, das fünfte Abenteuer des Action-Archäologen, steigt in jener Epoche ein, in der die meisten anderen Indiana Jones-Filme spielen, den 30er und 40er Jahren, in diesem Fall ganz
konkret: in den finalen Wochen des Zweiten Weltkriegs. Nazideutschland verliert den Krieg, es gibt noch den letzten Versuch einer Wunderwaffe, die das Kriegsglück wenden könnte. Hierbei handelt es sich um eine antike Lanze, die mit Jesus Blut getränkt wurde, »Longinus Lanze«.
Bald stellt sich heraus, dass besagte Wunder-Lanze eigentlich ein Ablenkungsmanöver ist, um über etwas Anderes, Wichtigeres hinwegzutäuschen: Nämlich die eine Hälfte einer Zeitmaschine namens
»Antikythera«, die einst von Archimedes erfunden und gebaut wurde. Eine hochkomplexe mechanische Rechenmaschine mit diesem Namen gibt es tatsächlich – ist bekannter archäologischer Beweis für die technische Avanciertheit der Antike. Nur die Behauptung, es handele sich um eine Zeitmaschine, ist natürlich reine Fantasy.
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Eine Zeitmaschine ist gewissermaßen auch dieser Film. Er zeigt nämlich Hauptdarsteller Harrison Ford nicht nur so, wie er heute aussieht, sondern in diesen ersten 20 Minuten des Films auch digital verjüngt wie in seinen besten Jahren. Diese digitale Verjüngung funktioniert erstaunlich gut und viel besser, als es noch kürzlich in The Irishman von Martin Scorsese mit Robert de Niro und Al Pacino der Fall war. Das hat auch etwas damit zu tun, dass hier das Publikum in einer einzigen unentwegten Actionsequenz mitgerissen wird, in der das Bild nie zur Ruhe kommt, oder gar stehen bleibt, und die Zuschauer deswegen auch niemals Zeit haben, sich in Ruhe darauf zu konzentrieren, wie gut das alles tatsächlich aussieht.
Es geht in diesem Beginn zunächst vor allem um die Reetablierung des Titelhelden durch Wiedererkennbarkeit (mit charakteristischer Peitsche und Filzhut), und um Befriedigung der rückwärtsgewandten Sehnsüchte des Publikums. Schon 1981 wagte Regisseur Steven Spielberg mit Jäger des verlorenen Schatzes sehr bewusst – und übrigens zurückgehend auf eine Idee, die ihm George
Lucas geschenkt hatte – den Rückgriff auf jene B-Movie-Abenteuer, die ihn in seiner Kindheit begeistert hatten. Der Film mit seinem scheinbar unzeitgemäßen Helden wurde ein unerwarteter Welterfolg, auch weil er die Nostalgie-Bedürfnisse einer ganzen Generation befriedigte.
So folgten drei weitere Kino-Abenteuer, eine Fernsehserie und diverse »nicht autorisierte« Ableger. Auch Hauptdarsteller Harrison Ford verschmolz zunehmend mit der Rolle des schlagkräftigen
Archäologen, die ihn erst wirklich zum Actionstar machte. 42 Jahre nach dem Auftakt kehren Jones und sein Darsteller nun noch einmal, ein letztes Mal (?), auf die Leinwand zurück. Regie führte James Mangold, denn erstmals in einem Indiana Jones-Film war Steven Spielberg nicht an der Produktion beteiligt.
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Wenn der Held Indiana Jones in den ersten Minuten gefangen genommen wird und man ihm einen Sack über den Kopf zieht, ruft Mangold damit im Publikum auch fast automatisch das unterbewusste Bild-Arsenal des 21. Jahrhunderts ab: Wir alle sollen zuerst an die CIA und Abu Ghraib denken, bevor wir begreifen, dass dies alles im Zweiten Weltkrieg spielt und es sich um die Nazis und die SS handelt. Aber auch wenn hier mit aktuellen Motiven gespielt wird, kann es hier aber klarerweise nicht darum gehen, irgendetwas historisch ernst zu nehmen.
Kurz vor seiner geplanten Hinrichtung kann Jones sich dann – nicht gerade unerwartet – befreien. Nach einer rasenden Verfolgungsjagd springt er aus einem fahrenden Motorrad auf einen fahrenden Zug, und bringt zwischendurch noch mehrere Dutzend Nazis zur Strecke. Alles erinnert an Zugszenarien in Klassikern des Westernfilms wie The Great Train Robbery oder The General, oder auch an Snowpiercer von Bong Joon-hoo, den letzten Film, der das Zugmotiv in ein großes Spektakel verwandelt hat. (In diesem Zug sieht man dann übrigens auch den deutschen Darsteller Matthias Schweighöfer. In der einzigen, sehr sehr kurzen Szene, in der Schweighöfer auftritt, hat er genau zwei Worte zu sagen, nämlich »Sieg Heil!«. Historisch nicht sehr authentisch, außer für Hollywoods Nazi-Vorstellungen.)
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Nach diesem furiosen Start folgt dann ein Zeitsprung in die Wochen der Mondlandung, den Juli 1969. Indiana Jones sieht jetzt so aus, wie Harrison Ford eben heute aussieht: Ein älterer Herr, dessen Filmfigur gerade als Professor in Ruhestand getreten ist, und von seiner Patentochter Helena, der Nichte eines Freundes aufgesucht wird. Sie erinnert ihn an die vermisste zweite Hälfte der »Antikythera« und bittet um seine Hilfe bei der Suche. Um diese Suche dreht sich nun der Rest der Handlung.
Denn auch die Nazis sind dem wertvollen Objekt ein Vierteljahrhundert nach Kriegsende wieder auf den Fersen. Der gefährlichste Antagonist ist ein Zivilist, dem Indiana Jones schon in der Exposition begegnete: Der Wissenschaftler Jürgen Voller, der als solcher Wissenschaftler schon dadurch noch für den allerletzten Zuschauer markiert ist, dass er bei jeder Gelegenheit eine Brille auf der Nase hat. Er wird vom Dänen Mads Mikkelsen (Hannibal) gespielt. Den ganzen Film über wendet Voller selber recht wenig Gewalt an – dafür aber hat er einen ganzen Schlägertrupp bei sich, der für ihn die »Drecksarbeit« erledigt. Diese Gruppe sieht aus wie ein Kuriositätenkabinett der Nazi-Schergen des Kinos: Es gibt den Groben, der für einen normalen Menschen viel zu groß und viel zu breit ist, eine Art »Beisser« in blond, es gibt einen
perversen Sadisten, es gibt den Mitläufer.
Und dann gibt es noch – Überraschung – die schwarze Frau: Ausgerechnet eine linke »Black Panther«-Aktivistin mit cooler Sonnenbrille und Afro-Look hat sich auch den Faschisten angedient – was die politische Agenda des Films als neokonservativ entlarvt.
Mit Hilfe der Maschine will Voller die Zeit zurückdrehen: »Ihr Amerikaner habt den Krieg nicht gewonnen« schnaubt er Jones an, »Hitler hat ihn verloren. Er hat Fehler
gemacht. Mit dem Ding werde ich sie alle korrigieren...«
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Es folgt nun ein recht übliches Action-Stationendrama: Schätze werden gestohlen und zurückgestohlen, immer ergeben sich Gelegenheiten, um den Helden in gefährliche Situationen zu verwickeln.
Die Suche nach der verlorenen Zeitmaschine führt zunächst nach Marokko, von dort ins Mittelmeer. Dazwischen gibt es so spektakuläre wie verrückte Verfolgungsjagden: zuerst in New York, dann durch die Kasbah von Tanger, dann unter Wasser, dann geht es in Syrakus ähnlich munter weiter.
Insofern erinnert alles tatsächlich an einen James Bond-Film, in dem es ja auch letztlich darum geht, in möglichst pittoresken, möglichst exotischen Schauplätzen den immergleichen Helden das Immergleiche tun zu lassen.
Der einzige etwas schwache Moment des Films ist der, wo dieser sich offenbar zu einer anderen, ungewohnten Form von Ernsthaftigkeit verpflichtet fühlt. Als Indiana Jones gefragt wird, wohin er mit einer Zeitmaschine am liebsten reisen möchte, antwortet er nicht etwa mit irgendeiner großartigen historischen Epoche, über die er mehr erfahren möchte, sondern damit, dass er in den Moment zurückreisen würde, in dem sein Sohn sich freiwillig für den Vietnam-Krieg gemeldet hat, und
kurz darauf im Krieg getötet wurde. Was dann auch seine private Ehe zerstört hat...
All dies wirkt ein bisschen wie eine moralische Pflichtübung, als müsste man diese Figur doch noch mit Ernst und Psychologie grundieren. Es ist der schwächste Moment in diesem Film; man hat den Eindruck, als müsste hier dieser Figur eine Dimension des Ernstes und der Glaubwürdigkeit, ein Element der psychologischen Triftigkeit angeschminkt werden. Dies ist aber völlig überflüssig, denn man
geht ja nicht wegen der psychologischen Glaubwürdigkeit oder aufgrund irgendwelcher Sentimentalitäten in Indiana-Jones-Filme.
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Eine weitere Schraube in der Spirale der Verrücktheit ist dann die letzte große Actionsequenz: die versammelte Nazi-Schar und auch Indiana Jones und seine Begleitung reisen in der Zeitmaschine, die schließlich funktioniert, ins Jahr 1939. Sie haben allerdings einen Rechenfehler gemacht: Weil man in der Antike noch nichts von der Erdplattenverschiebung wusste, gerät der ganze Mechanismus komplett aus den Fugen, und die Schar landet im Jahr 214 vor Christus, zur Zeit, als die Römer gerade das damals noch griechische Syrakus auf Sizilien eroberten. Dies hat trotzdem eine tiefere Notwendigkeit, denn es handelt sich gerade um den Moment, an dem Archimedes auf Syrakus weilte und an dieser Zeitmaschine gearbeitet hat.
In diesen faszinierend-verrückten, gerade dadurch so magischen wie ungesehenen Bildern – ein deutscher Heinkel-Bomber über römischem Kriegsgerät, der mit Katapulten und Pfeil und Bogen bekämpft wird; ein Archäologe aus dem Jahr 1969 im Gespräch mit Archimedes – wird das Erfolgsgeheimnis der Indiana Jones-Reihe so deutlich wie selten: Diese Filme sind Vexierbilder, die den Zuschauern einerseits filmische Themenparks und Traumwelten präsentieren, wie sie sonst nur in Computerspielen und vielleicht geschichtstouristischen Erlebnisreisen konsumierbar sind. Sie entsprechen damit genau der digitalen »Disneyfizierung« von Historie in den modernen Massenmedien und der weltweiten Popularität von archäologischen Themen in konsumierbarer Form.
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Zugleich versetzen sie das Publikum in eine Ära, die idealerweise durch authentische Orte und authentische Menschen gekennzeichnet ist. Sie verteidigen die Textur der physischen, vordigitalen, »analogen« Welt, indem sie durch beschwerliche Weltreisen, Kommunikation von Angesicht zu Angesicht und »unbezahlbare« Relikte den Wunsch nach den »authentischeren« Welten befriedigen. Eine nostalgische Vorliebe für eine hedonistischere, zugleich idealistischere, weniger materialistisch ausgerichtete Welt steht im Mittelpunkt der Indiana-Jones-Filmreihe und treibt die Handlungen der Filme an. Die geschichtliche Vergangenheit ist der Fluchtpunkt aus der globalisierten, digitalisierten Zukunft – und so ist es keineswegs Zufall, dass die Filmhandlung just in jenem Monat angesiedelt ist, in dem der (geschichts-)optimistische Zukunftsglaube mit der Mondlandung seinen Höhepunkt erreichte und von den »Grenzen des Wachstums« noch nicht die Rede war.
Indem sie demgegenüber klassische Vorstellungen von Authentizität und Unmittelbarkeit verteidigt, steht die Indiana Jones-Reihe repräsentativ für eines der über alle historischen Brüche beständigsten Elemente erfolgreicher Kinofilme der letzten 50-60 Jahre: Das Thema der Authentizität – ob nun in Form einer Feier authentischer Menschen oder Dinge oder einer direkten Kritik an den entfremdeten Verhältnissen der Moderne. Authentizität ist eine der wichtigsten Perspektiven, unter denen wir die heutige Mediengesellschaft betrachten.
Die Indiana Jones-Filme haben eine spezifische Haltung zu diesem Thema: Die Vorstellung, dass authentisches Leben und Streben nicht in der Zukunft zu finden sind, sondern in der Vergangenheit. Zugleich steht die Figur unter ihrer heute kolonialistisch anmutenden Oberflächen gerade nicht für Suche nach »Beutekunst« und materialistische Ausbeutung fremder Kulturen, sondern für die Vorstellung, dass es erstrebenswerter ist, sich der »achtsamen« Rekonstruktion der Vergangenheit und dem Verständnis nicht-westlicher Hochkulturen zu widmen.
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James Mangolds Film interpretiert die zeitlosen Fundamente, auf die Spielberg und Lucas ihre Heldenfigur gestellt und zum modernen Mythos geformt haben, überaus zeitgemäß, und verteidigt dabei den – unzeitgemäßen – hedonistischen Kern von Indiana Jones: Ein Kino, das nie belehren und nie »alles richtig machen« will, das mutig und nie beflissen ist, das den
Jahrmarktcharakter des Mediums gegen seine postmodernen Verächter verteidigt und dabei seinem Idealismus treu bleibt, nie neokonservativen oder traditionalistischen Versuchungen nachgibt.
Neben der Action ist dies auch Klamauk und Slapstick, und eine Vorstellung von Kino, in der man keine unangemessene Mühe darauf verlegt, die Handlung möglichst glaubwürdig erscheinen zu lassen. Stattdessen ein nostalgiesatter großer Kinokindergeburtstag für alle.