USA 2005 · 96 min. · FSK: ab 12 Regie: Gus Van Sant Drehbuch: Gus Van Sant Kamera: Harris Savides Darsteller: Michael Pitt, Lukas Haas, Asia Argento, Scott Green, Nicole Vicius, Ricky Jay u.a. |
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Szenen der Verstörung |
Momentaufnahmen und ein meditativer Erzählstil sind das Markenzeichen der letzten Filme des Amerikaners Gus Van Sant. Seine Filme Gerry (2002), der nie in deutsche Kinos kam, Elephant (2003), mit dem er von Patrice Chereaus Jury in Cannes die Goldene Palme und weitere Hauptpreise erhielt, und nun Last Days zeichnen Skizzen zu einer Geometrie des Schicksals.
Sehr deutlich und bewußt setzt der Regisseur dabei auf Anti-Psychologisierung. Er glaubt nicht daran, dass sich alle Handlungen erklären, aus Gründen oder Vorgeschichten ableiten lassen. Genau darum schildern seine Filme Zustände. Van Sant stellt sich und uns die Frage, wie sich Atmosphären, in denen der Tod schon präsent ist, wie sich Atmosphären überhaupt erzählen lassen.
Wenn einen der Titel noch nicht auf die Spur gebracht hat, darf man es in diesem Fall verraten: Am Ende von Last Days ist die Hauptfigur, der Rockstar Blake (Michael Pitt) tot. Lose basiert dieser Blake auf Kurt Cobain, dem Star der Grunge-Band »Nirwana«, der sich 1994 mit einer Schrotflinte in den Kopf schoß. Aber es geht in diesem Film nicht um die Wahrheit des Grunge-Idols – wer die wissen will kann sich an die Polizeiberichte halten, oder an die
Verschwörungstheorien der Fans. Last Days schildert seine letzten Tage, und wenn man das weiß, wird man den Film mit anderen Augen sehen, und vielleicht besser verstehen. Denn leicht verständlich ist er nicht immer, und die Geduld und Offenheit des Zuschauers, sich auf diese Erfahrung einzulassen, wird manchmal strapaziert. Das liegt nicht an den mitunter sehr langen Einstellungen, am langsamen Erzähltempo. In Elephant hat Van Sant Ähnliches gemacht – trotzdem war sein Film recht kurzweilig.
Das ist hier nicht der Fall. Man beobachtet Blake, wie er durch die Wälder von Oregon stapft, ständig vor sich hin murmelt, am Lagerfeuer macht, in einem kalten Fluss badet, wie er Musik macht und Freunde trifft, vor allem aber, wie er nichtstuend herumhängt, döst, telefoniert. Ein Mensch wird da gezeigt, der seiner
Umgebung und sich selbst zunehmend entgleitet. Das ist natürlich eine Phantasie – keiner war dabei. Und es spricht für Van Sant, dass er uns diese Phantasie nicht als Wahrheit verkauft. Last Days ist vor allem ein Film über Jugendkultur und Tod, über die Wahrheit im Inneren von Rock'n'Roll-Klischees.
Was diesen Film aber vor allem über den Durchschnitt heraushebt, und davon lenkt die Geschichte eher ab, ist sein Stil. Es sind überaus sorgfältig komponierte, sehr genaue Bilder, denen etwas Träumerisches und zugleich Neugieriges anhaftet, und die von fern an Modephotographien erinnern. Sie scheinen zufällig, aber gerade der Zufall ist aus ihnen völlig gebannt. Vor und zurück wandert der Erzählfluss in der Zeitkontinuität, die Räume selbst sind das Entscheidende, die Leere und Einsamkeit, die ihre Bilder ausstrahlen. Das ist wunderbar anzusehen, und voller Wahrhaftigkeit, die wichtiger ist, als jede Abbildwahrheit. Dies ein Film, der die Realität durch ihre Subjektivierung aus den Angeln hebt.
Einer irrt durchs Gehölz, man weiß nicht recht, was er sucht. Er wirkt abgerissen, derangiert, murmelt unverständliches Zeug vor sich hin. Wenn wir in diesen Film, Last Days von Gus Van Sant, gehen, dann wissen wir, daß das in gewisser Weise Kurt Cobain ist, ein Schatten von ihm jedenfalls. Die von Michael Pitt gespielte Figur im Film ist ein Rockmusiker und heißt Blake, wie William Blake, der englische Dichter der Romantik, von dem ein Namensvetter bereits die Jenseitsreise in Dead Man von Jim Jarmusch begleitete. Aber all dies erscheint angesichts der Naturbilder, in die einen der hier durchs Gebüsch Stolpernde entführt, ohne weitere Bedeutung. Das Elementare, das sich im Brausen und Rauschen des Wassers, im nassen Grün der Pflanzen, im Blitzen und Flimmern des Lichts offenbart, entzieht diese versprengt wirkende Gestalt den Fragen nach biographischen Hintergründen und konkreten Zugehörigkeiten. Gus Van Sant erhebt dieses Abtun des Anekdotischen in Last Days zum Programm, er hat die letzten Tage Kurt Cobains vor dessen Selbstmord zwar zur Grundlage seines Films genommen, verweigert sich aber beharrlich einer biographisch angelegten Behandlung des Endes eines spektakulären und äußerst wirkungsreichen Musikerlebens. Was man gezeigt bekommt, sind Szenen der Verstörung, ohne Kommentare, ohne Erklärungen: Blake, der nach seinen Drogen sucht, der sich seltsame Mahlzeiten zubereitet, der autistisch vor sich hinmusiziert, der mit seinen ihrer eigenen Wege gehenden Bandmitgliedern das Leben in einem düsteren Haus teilt, den es immer wieder hinaus aus dem Haus in die Landschaft treibt. Blake wirkt unansprechbar, keiner nachvollziehbaren Komunikation mehr zugänglich, einmal besucht er einen Independent-Club, wo er ein wirres Gespräch mit einem abgefahrenen Fan führt, einmal empfängt er zu Hause den Besuch eines Anzeigenacquisiteurs für ein Telefonbuch, ein ander Mal versucht seine Managerin vergeblich an ihn heranzukommen.
Blake ist einfach nicht mehr richtig da, der Film kreist ihn von außen ein, er folgt dabei keiner linearen Einsinnigkeit. Gus Van Sant läßt hier wieder wie bereits in Elephant den Gang der Erzählung sich an bestimmten Punkten überschneiden, er bildet Zeitschleifen, die eine zyklische Struktur andeuten. Die normale Zeit ist wie aufgehoben, denn in Last Days geht es überhaupt um die letzten Dinge. Blakes Verzweiflung als suchender Musiker, als rastloser Künstler, seine Verzweiflung als verlorener Mensch, diese Verzweiflung kratzt die letzten Reste Transzendenz zusammen, deren sie habhaft werden kann und die noch in der Kunst und der Haltung, der man ihr entgegenbringt, überdauern. Wenn seine Mitbewohner und Bandmitglieder immer wieder »Venus in Furs« von Velvet Underground auflegen, dann tun sie das fast ritualhaft, zeremoniell. Das Mitsingen des Textes hat etwas Gebethaftes, die Zeile »down on your bended knee« mit der Unterwerfungsgeste bekommt einen Beigeschmack religiöser Inbrunst. Und Blake schaut sich im Fernsehen ein triviales Musikvideo von Boys 2 Men an, der Song heißt »Bended to knee«, er handelt von einer zu Ende gegangenen Beziehung, in dem Text bettelt der Verlassene darum, wieder geliebt zu werden: »I’m down on bended knee«. Blake, in Frauenkleidern, versucht auf seinen Stöckelschuhen zu dieser Textzeile auf groteske Weise in die Knie zu gehen, er wirkt hölzern, verkrampft, er bleibt mitten in der Bewegung stecken, verharrt in der unbequemen Haltung recht lange: Er versucht in dieser fast quälend anzusehenden Szene vergeblich einen Kniefall, eine religiös konnotierte Geste, die ihm nicht gelingen will. Und das Tragen der Frauenkleider, ist es nicht das Probieren einer anderen Hülle, das erst mit dem Abstreifen der leiblichen Hülle gelöst wird? Nicht umsonst wählt Gus Van Sant bei der Darstellung des Selbstmordes am Ende dieses ätherische Bild eines Entschwindens der Seele aus dem Materiellen, Stofflichen.
Dieser Film schließt nach Gerry und Elephant eine Trilogie Gus Van Sants ab, eine Trilogie, die vom Tod handelt. In Last Days geht es dabei mehr noch als in den beiden voraufgehenden Filmen um die letzten Dinge, nicht nur bezüglich des Todes, sondern auch bezüglich der Kunst. In seiner Herangehensweise erinnert der Film dabei an eine der berühmtesten Künstlernovellen aus dem 19. Jahrhundert, an Büchners »Lenz«. Das Zerrissene, Verstörte, das Rastlos-Suchende, mit dem der Rockmusiker Blake in den ersten Einstellungen herumwandert, könnte auch Büchners durch das Gebirg gehenden Lenz illustrieren: »Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manchmal unangenehm, daß er nicht auf dem Kopf gehn konnte.«
Der Zufall will es, daß eine aktuelle Lenz-Verfilmung von dem Schweizer Thomas Imbach gerade im Kino läuft. Dort ist es Milan Peschel, der der Gestalt des Lenz eine flackernde, irrlichternde Präsenz verleiht: Er jagt in den ersten Szenen mit einer Perücke durch die Berge, die ihn merkwürdigerweise dem Cobain/Blake von Michael Pitt ähneln läßt. In einer späteren Szene sehen wir ihn gar die Cobain-Tagebücher lesen...