Frankreich 2019 · 92 min. · FSK: ab 16 Regie: Rebecca Zlotowski Drehbuch: Rebecca Zlotowski, Zahia Dehar, Teddy Lussi-Modeste Kamera: Georges Lechaptois Darsteller: Mina Farid, Zahia Dehar, Benoît Magimel, Nuno Lopes, Clotilde Courau u.a. |
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Herkunft und Zukunft leichtfüßig ignorieren |
»Wenn Geld das Band ist, das mich ans menschliche Leben bindet, die Gesellschaft an mich bindet, ist Geld dann nicht das Band aller Bande? Kann es nicht alle Bande lösen und binden? Ist es daher nicht das universelle Mittel der Trennung?« – Karl Marx, Frühe Schriften
Entre deux scène @juliantorresphoto #unefillefacile #aneasygirl #backstage – Zahia Dehar @https://www.instagram.com/p/B01dJWpg6au/
Das Licht Südfrankreichs, das Licht von Cannes im Sommer, ein Sommerfilm, ohne Zweifel. Aber es ist nicht das Cannes der Filmfestspiele, es ist das »Backstage«-Cannes. Eine einfache Wohnung ohne Glamour, mit einfachen Menschen. Eine Mutter und ihre 16-jährige Tochter Naïma (Mina Farid) wohnen hier und ihre 22-jährige Cousine Sofia ist auf Besuch. Und schon ist der Sommerfilm auch ein vertraut wirkender Coming-of-Age-Film, denn Sofia, die von der französisch-algerischen Influencerin, Model und Lingerie-Designerin Zahia Dehar verkörpert wird, die 2009 durch den Escort-Skandal um die französische Fußballnationalmannschaft bekannt wurde, nimmt Naïma in diesem letzten Sommer vor ihrer Ausbildung mit auf eine Reise, verführt sie, ihr dabei zuzusehen, wie sie Spaß hat, wie sie auf einer mondänen Yacht eine Liebschaft beginnt und eine Weile Teil der Reichen ist, weil sie das zum Einsatz bringt, was offensichtlich ihr wertvollstes Gut ist, ihren Körper.
Rebecca Zlotowski, die bereits mit ihren Vorgängerfilmen Belle épine (2010) und Grand Central (2013) subtil Erwartungshaltungen unterlief, formt auch aus diesem Plot, der so vertraut wirkt, weil er im Kern schon so oft erzählt wurde, etwas völlig Neues. Das beginnt schon damit, dass Zlotowski von einem Cannes erzählt, das sonst kaum einen interessiert, von Innenräumen, die austauschbar scheinen, und von Menschen, die bestenfalls als Kellner jene bedienen, die mit ihren Yachten in Cannes anlanden oder zu Besuch bei den jährlichen Filmfestspielen sind. Fast schon wie ein ironischer Kommentar zum Subtext des Films wirkt es daher, dass Zlotowskis Ein leichtes Mädchen dieses Jahr dann auch nach Cannes eingeladen wurde, allerdings nicht in den »regulären« Wettbewerb, sondern in die Sektion »Directors Fortnight« (Quinzaine des réalisateurs).
Diese »leichtfüßige«, über die Narration hinausragende, mit der Realität anbandelnde Doppelbödigkeit verkörpert auch der Film an sich. Denn die Besetzung von Sofia mit Zahia Denar scheint fast wie das Prequel zu Denars wirklichem Leben, eine Art Manifestation des »Influencer«-Wesens, das sich weder um Herkunft noch Zukunft schert, sondern die Lust an der Selbstermächtigauslebt und selbstbewusst den Spaß sucht, den sie will, und dafür das einsetzt, was sie für notwendig erachtet. Dementsprechend bricht Zlotowski auch mit gängigen Konventionen. Ihre Sofia ist genauso wenig Opfer wie es ihre junge Cousine werden wird – was in ähnlichen Konstellationen ja schon seit dem Marquis de Sade stets der Fall war –, sondern sie überrascht an einer Stelle sogar die reiche Kunstsammlerin damit, dass sie nicht nur ihren Körper hat, sondern auch ihren Verstand.
Fast schon provokativ gelingt es Zlotowski nicht nur dadurch, sondern auch mit ihren Sofias Körper zelebrierenden Kamerafahrten zu verdeutlichen, dass silikonisierte Brüste und aufgespritzte Lippen kaum vulgärer sind als ein mit Yachten und Kunstobjekten zur Schau gestellter Reichtum.
Doch bei aller moderner Radikalität und spielerisch feministischer Hinterfragung gängiger – bildungsbürgerlicher – Perspektiven bleibt Zlotwoski dann doch auch alten, französischen Idealen treu. Denn trotz ihrer fast schon trotzig anmutenden Überschreitungen festgesteckter Grenzen bleibt am Ende ein melancholischer Beigeschmack, wird deutlich, dass das Überschreiten der Grenzen zwar möglich ist, die Grenzen, die der Besitz von Geld etabliert, aber dennoch bestehen bleiben, ein Fokus, der auch während des Films immer wieder dezent angedeutet wird, etwa als Naïmas künftiger Arbeitgeber erschrocken und angewidert zugleich feststellt, dass Naïma sich – zumindest für diesen Abend – auf der »anderen« Seite befindet.
So sehr und pointiert sich Zlotowski der Themen »Klasse« und verblassender »Genderstereotypen« annimmt, so sehr irritiert ihre Verweigerung, das in Frankreich so virulente Thema »Rasse« deutlicher zu thematisieren. Denn sowohl Naïma und ihr Freundeskreis als auch Sofia haben offensichtlich nordafrikanische Wurzeln, doch mehr als diese bloße Feststellung und die sich daraus ein wenig stereotyp ergebenden soziographischen »Tatbestände« ist Zlotowski nicht bereit zu formulieren.
Das macht Ein leichtes Mädchen allerdings keinesfalls zu einem schlechteren Film, denn wie Zlotowski hier mit der Leichtigkeit eines Sommers und dem Versprechen von Zukunft in unserer völlig »neuen« Welt jongliert, ist nicht nur atemberaubend leicht, sondern auch beglückend intelligent.
Sie wissen nicht, was sie tun, aber sie wissen, was sie wert sind. Wer sie sind, davon werden sie selbst ein bisschen mehr erfahren in diesem Film. Es geht um Werte, sagt Phillippe, die von Benoit Magimel gespielte Männerfigur, am Ende des Films. Naima wisse, was sie wert ist – sagt ihr der um vieles ältere Phillippe, und das schätze er an ihr.
Es ist ein Sommer, der letzte Sommer der Jugend, von dem Une fille facile in sehr großer Leichtigkeit und mit flirrendem Humor erzählt. Es geht um den Abschied von dieser Kindheit, von der Unschuld, aber auch um das Hier und Jetzt, um den Sommer an sich, darum, was das ist: Leichtigkeit; und ob das so einfach ist, sie sich zu bewahren in dem Leben, das wir führen.
Die 16-jährige Naima (Mina Farid) ist noch unschuldig, erst recht im Vergleich zu Sofia, ihrer entfernten Cousine. Erst im Juni haben sie sich wiedergetroffen, jetzt verbringen beide zusammen in Cannes die Sommerferien. Sofia ist der Wahnsinn: energiegeladen und hemmungslos, mit 19 schon ein paar Mal schönheitsoperiert und scheinbar ganz aufs Äußerliche fixiert und vollkommen materialistisch.
Sofia (Zahia Dehar) bringt Naima auf Ideen, auf einige sehr gute und auf viel
Quatsch. Sie bringt ihr bei, wie man sich Katzenaugen à la Sophia Loren anschminken kann, und wie man bei einem gesetzten Essen mit lauter Älteren über die Romane von Marguerite Duras redet, ohne auch nur einen einzigen von ihnen gelesen zu haben. Sie bringt ihr bei, selbstbewusst zu sein, und sich zu nehmen, was vor einem liegt. Wie es die Männer tun, auch in diesem Film.
Der Film zeigt die Welt der Männer und die Welt der Reichen, und er zeigt, wie man Dinge richtig macht: Essen, Reden, Flirten, Bootsfahren, Kunst kaufen, Geld ausgeben. Das Boot heißt nicht zufällig »Winning Streak«. Die Winner-Typen, das sind die Männer. Sie haben Geld und sind alt, die Frauen sind jung und haben Schönheit. Win win. Dieser Film ist ein feministischer Film, also einer, der das nicht alles schlimm findet, der überhaupt nicht jammert, sondern besser den Hedonismus der Frauen verteidigt, die Tatsache, dass sie sich nehmen, was sie wollen, und nicht passiv bleiben.
Aber es ist auch ein Film, der genau hinsieht: Der das Verhältnis der Geschlechter, ihre Rollen und die dazugehörigen Klischees zeigt, Klischees, die auch Geborgenheit und Chancen bieten, aber auch zum Gefängnis werden können. Über all das vergisst Une fille facile aber nie, dass das Geld und die Macht, die es gibt, sozial die noch wichtigere Kategorie ist. Als junge Frauen können sich Naima und Sofia viel Freiheit nehmen. Aber Geld, und die Freiheit, die es
gibt, haben sie einfach nicht, und die gibt es auch nicht so leicht. Schließlich bleibt auch immer präsent, dass die beiden aus franco-arabischen Familien kommen. Den Eltern geht es nicht schlecht, aber sie arbeiten als Bedienstete für die reichen Touristen.
Eine Nebenfigur sticht noch besonders heraus: Die von Clotilde Courou gespielte Freundin und Kundin der beiden Männer. Sie ist reich, klug und eine Frau. Und im Konfliktfall schlägt sie sich auf die Seite der reichen Männer, nicht
auf die der Frauen. An der Szene mit ihr macht die Regisseurin alles deutlich: Die Macht des Geldes und der Bruch zwischen den Frauen-Generationen, alt und jung, bildungsbürgerlich und naiv. Unter dem Firnis des Egalitären tut sich die Klassengesellschaft auf.
Die Französin Rebecca Zlotowski ist und bleibt damit eine der interessantesten Regisseurinnen, wenn nicht die interessanteste ihrer Generation. Eine ganz eigene Kino-Stimme, eine Frau, die immer persönliche Filme macht. Ihre Filme sind ungefügt, haben immer etwas Eigenes, sie sind nicht akademisch, wie manche Werke des französischen Autorenkinos. Zlotowski erinnert am ehesten an Olivier Assayas (Carlos): Einer, der auch nie ganz reinpasst, nie ganz einen festen Platz findet in den Kategorien des Setzkastens, den es auch im französischen Kino gibt. Ihre Frauenfiguren – in ihrem Debüt Belle Epine (2010), in Grand Central (2013) und in Planetarium (2016), Filmen die in Deutschland vor allem auf Festivals liefen und die alle Aufmerksamkeit verdienen – sind immer spröde und oft traurige Charaktere, wild und ungefügt, es sind Mädchen, die ihren Platz noch nicht gefunden haben, die suchen; Outsiderinnen, Lonerinnen, Einzelgängerinnen.