The Look of Silence

DK/Indonesien/N/FL/GB 2014 · 103 min. · FSK: ab 12
Regie: Joshua Oppenheimer
Drehbuch:
Kamera: Lars Skree
Schnitt: Nils Pagh Andersen
Ein einzigartiges Diptychon menschlicher Abgründe

»Zum Glück habe ich ihr Blut getrunken«

Schon Joshua Oppen­hei­mers Vorgän­ger­film The Act of Killing (2013) war eine kaum zu ertra­gende Wucht – ein Film, der für das Verstehen von mensch­li­cher Gewalt und der Dynamik von geno­zi­dalen Prozessen uner­läss­lich ist und in keinem Schul­cur­ri­culum mehr fehlen sollte.

Oppen­heimer porträ­tierte in seiner Doku­men­ta­tion einige Täter des Massen­mordes an etwa 500.000 tatsäch­li­chen und vermeint­li­chen Mitglie­dern der kommu­nis­ti­schen Partei in Indo­ne­sien Mitte der 1960er Jahre. Da die Täter bis heute als Helden gelten, die das heutige, moderne Indo­ne­sien erst ermög­licht hätten, traf Oppen­heimer auf bereit­wil­lige Inter­view­partner, die in psycho­dra­ma­ti­schen Einlagen gar soweit gingen, die eigent­li­chen Morde nach­zu­spielen. Dabei gelang es Oppen­heimer nicht nur, den Tätern erstmals so etwas wie einen empa­thi­schen Schub bezüglich ihrer Opfer zu vermit­teln, sondern er machte vor allem die perfide, psycho­lo­gi­sche Dynamik eines von höchster Stelle orches­trierten Massen­mords trans­pa­rent, der nicht nur in seiner Inten­sität scho­ckierte, sondern auch durch die Rollen­mo­delle der Täter, die sich in ihrer Tötungs­cho­reo­grafie auch an ameri­ka­ni­schen Action-Filmen ausrich­teten.

Oppen­heimer gelang mit The Act of Killing aber nicht nur ein furcht­ein­flös­sender Brücken­schlag zu vergleich­baren Ereig­nissen der europäi­schen Geschichte und globalen Gegenwart, er verän­derte vor allem nach­haltig die Rezeption der Indo­ne­sier gegenüber ihrer eigenen Geschichte. Nach ersten Scree­nings und der Bericht­erstat­tung in lokalen Medien wurde erstmals das Dogma der eigenen Ideologie in Frage gestellt, das sich bis in den Alltag mani­fes­tierte: denn an Schulen wurde bis dahin der Massen­mord ebenso gerecht­fer­tigt wie im tages­po­li­ti­schen Geschehen. Über­le­bende und Kinder der Ereig­nisse von 1965 waren in ihren Pässen als »Angehö­rige von Kommu­nisten« stig­ma­ti­siert und lebten in unver­än­derten Verhält­nissen, d.h. Tür an Tür mit den Mördern ihrer eigenen Angehö­rigen.

In einem zweiten Film gibt Oppen­heimer nun den Opfern den Raum, den er den Tätern in The Act of Killing bereits geboten hat und schafft damit ein tatsäch­lich einzig­ar­tiges Diptychon mensch­li­cher Abgründe, ein Meis­ter­werk von erschüt­ternder Eindring­lich­keit, das man jedem dring­lichst anraten möchte zu sehen, ohne es je selbst ein zweites Mal wieder­sehen zu wollen.

Wie schon in The Act of Killing beschreitet Oppen­heimer auch in The Look of Silence neuartige Wege der Doku­men­ta­tion, in diesem Fall jedoch nicht wegen der unkon­ven­tio­nellen Fokus­sie­rung auf die Täter, sondern um dem unwäg­baren Minenfeld von Klischees zu entgehen, das sich durch die lange filmische Geschichte von »Opfer-Doku­men­ta­tionen« bereits etabliert hat. Immer wieder gibt Oppen­heiner deshalb in seiner Porträ­tie­rung einer »Opfer«-Familie dem zwingend notwen­digen Schweigen den Raum, den es braucht, um die Abgründe des Leidens zu verstehen, immer wieder aber werden auch dialo­gi­sche Prozesse unter­schied­lichster Fasson einge­bettet. Dieses fast an eine psycho­lo­gi­sche Versuch­sand­ord­nung erin­ne­rende Wech­sel­spiel funk­tio­niert hervor­ran­gend, ist aber am eindring­lichsten, wenn der nach den Massen­morden geborene Bruder eines Opfers, Adi, vom Schwei­ge­feld seiner Familie in das Recht­fer­ti­gungs­feld der Täter defiliert und beginnt, Fragen zu stellen. Wie schon in The Act of Killing bereuen die Täter und ihrer Nach­kommen weiterhin nichts, sondern erläutern vielmehr die Gefahren des eigenen Handelns, die große mora­li­sche Gefahr, die psycho­lo­gi­schen Untiefen, die jeder auf seine Weise versucht hat zu meistern. Die einen durch eine Schuld­ver­schie­bung auf die Ameri­kaner, die anderen geben zu, den selbst insze­nierten Horror­film nur durch scha­ma­ni­sche Hand­lungen überlebt zu haben, wie etwa das Trinken des Bluts der Opfer, durch das sie sich unan­fechtbar gemacht hätten.

Auch in The Look of Silence bindet Oppen­heimer geschickt mediale Brüche ein, werden sowohl Adi als auch einige der Täter dabei gezeigt, wie sie sich Passagen aus The Act of Killing ansehen und mit dieser Konfron­ta­tion umgehen, mehr noch, als sie von diesem »abstrakten« Diskurs fast über­gangslos in einen »realen« Diskurs überführt werden. Diese – thema­tisch – unan­ge­kün­digten Treffen zwischen Tätern und Opfern sind von einer subtilen, grausamen Zartheit, die sicher­lich auch dem emotio­nalen Set des indo­ne­si­schen Kultur­raums geschuldet ist. Doch auch diese »Abfe­de­rung« der Inten­sität durch das Fremde reicht noch allemal aus, um zu erschüt­tern und weckt eine Unzahl von Gedan­ken­spielen, von denen sich das für unseren Kultur­raum viel­leicht typischte am Unheim­lichsten gebiert: Wäre, wenn die Nazis damals gewonnen hätten, ein vergleich­bares Szenario denkbar? Gleich­zeitig hinter­fragen Oppen­hei­mers Filme auch unser poli­ti­sches Gegen­warts­di­lemma. Denn auch die naiv-poli­ti­sche Inbrunst, mit der der Isla­mi­sche Staat Anhänger und poten­ti­elle Täter akqui­riert und sie morden lässt, ist nur eine weitere Spielart dessen, was damals und bis heute in Indo­ne­sien passiert ist.

Oppen­hei­mers The Look of Silence hat inzwi­schen so ziemlich alles an Preisen gewonnen, was gewonnen werden kann. Doch weit schwerer als die Preise dürfte wiegen, was der Film inzwi­schen für Indo­ne­sien bedeutet. Am 10. Dezember 2014, am inter­na­tio­nalen Tag der Menschen­rechte, lief der Film in ganz Indo­ne­sien, Zehn­tau­sende besuchten landes­weit die öffent­li­chen Scree­nings. Wann immer Adi dort auftauchte, bekam er für seinen Mut stehende Ovationen. Bei einer Umfrage zur Person des Jahres der Zeitung Jakarta Globe, landete die Filmcrew von The Look of Silence gleich hinter dem neuen Präsi­denten und dem Gouver­neur von Jakarta, der als Leitfigur für Indo­ne­siens Weg in die Demo­kratie gilt, auf dem dritten Platz.

Doch anders als noch bei den vergleichs­weise stillen Scree­nings von The Act of Killing gab es erstmals auch Gegen­re­ak­tionen: Polizei und para­mi­litä­ri­sche Schlä­ger­truppen drohten den Veran­stal­tern und forderten die Absage der Vorfüh­rungen, vor allem mit einem heraus­ra­genden »Totschlag­ar­gu­ment«: wie könne man nur einem Menschen glauben, dessen Bruder Kommunist gewesen sei? An etlichen Orten funk­tio­nierte die Einschüch­te­rungs­kam­pagne, gleich­zeitig regte sich aber auch zivil­ge­sell­schaft­li­cher Wider­stand. Zeitungen und Profes­soren kriti­sierten die Gewalt­an­dro­hungen und verlei­teten schließ­lich den Innen­mi­nister dazu, von nun an die Film­vor­füh­rungen von The Look of Silence offiziell zu schützen. Seitdem finden die Vorfüh­rungen unbe­hel­ligt statt. Die Tatsache jedoch, dass niemand in Adis Familie jemals Mitglied der kommu­nis­ti­schen Partei gewesen ist, dürfte die Hardliner weiterhin unberührt lassen.