Frankreich/B 2010 · 100 min. · FSK: ab 12 Regie: Anne Fontaine Drehbuch: Nicolas Mercier, Anne Fontaine Kamera: Jean-Marc Fabre Darsteller: Isabelle Huppert, Benoît Poelvoorde, André Dussollier, Virginie Efira, Corentin Devroey u.a. |
||
Die arme Isabelle hat Angst vor Poelvoorde |
Eines der beliebtesten Motive des Films ist die Läuterung. Die Menschen lieben es zu sehen, wie aus einem Scheusal, einem Einsiedler, einem Misanthropen, einem wortfaulen Eigenbrötler oder einem Zyniker wieder ein fröhlicher, sozialverträglicher Menschenfreund wird. Zur Dramaturgie dieser Läuterung zählt es in der Regel, dass der schlechte Mensch mit einer »naiven«, »reinen«, »unbedarften« Kreatur konfrontiert wird. Also etwa einem Kind, einem Tier, dem lustigen Mitglied einer Randgruppe (z.B. Homosexuelle, Behinderte, Menschen mit Migrationshintergrund) oder einem einfach unkonventionellen, »schrägen« Typen. Etwa 98% dieser Filme mag ich nicht (nachzulesen ist diese Abneigung z.B. in meinem artechock-Artikel Katharsis, Läuterung, Anpassung von 2002).
Eine Spielart des Läuterungsfilmes wird vor allem in Frankreich und dort vorrangig in Komödien gepflegt. Hier werden vorzugsweise intellektuelle, wohlhabende, erfolgreiche, künstlerisch interessierte Menschen auf den Weg des schönen und wahren Lebens zurückgebracht. Da bricht mit aller Wucht ein unkonventioneller Mensch in ihr Leben (alternativ werden sie in eine untypische Umgebung geworfen) und deckt durch sein unbedarftes Verhalten auf, dass das ganze Getue um die
Kunst und Kultur (vor allem wenn es sich um gehobene und moderne Formen davon handelt) total inhaltsleer und wichtigtuerisch ist, dass die Konventionen der feinen Gesellschaft lächerlich sind, dass Drei-Sterne-Lokale ein einziger Affenzirkus sind (ganz wichtig, sich dabei über das Schlürfen und Riechen beim Wein lächerlich zu machen!), dass die Reichen und Klugen so in ihrem Korsett aus Arbeit, Gesellschaft, Konvention und Vergeistigung gefangen sind, dass sie das gute, einfache,
wahre Leben, die unkomplizierten Genüsse total verlernt haben und eigentlich arme Schweine sind.
Ein wichtiger Aspekt davon ist natürlich der Sex. Denn natürlich ist das Liebesleben der sogenannten feinen Gesellschaft total verkorkst und wenn diesbezüglich noch was geht, ist es nur jämmerlich oder Routine. Doch auch hier zeigt der reine Tor neue Wege auf. Die Männer werden ermutigt, sich ihren »unkonventionellen«, in der Regel nicht standesgemäßen sexuellen Vorlieben
hinzugeben, die Frauen finden (wortwörtlich) ihre Erfüllung bei einem »Wilden« oder dem besagten Naivling, der nicht viel im Kopf oder auf dem Konto hat, der es aber versteht, Frauen das zu geben, was sie offensichtlich brauchen, um alle Verkrampfungen und Verklemmungen körperlicher und seelischer Natur sofort zu lösen.
Über diese Inszenierung der hyperprimitiven Macho-Weisheit, dass sich manch schwierige weibliche Charaktereigenschaft und Gefühlsproblematik dadurch beheben lässt, dass es ihr mal »richtig besorgt wird«, ärgere ich mich jedes mal wieder (zuletzt etwa bei Barfuß auf Nacktschnecken, wo Diane Kruger derart »befreit« wird) und frage mich, wo die Feministinnen sind, wenn man sie mal braucht. Der Klassiker dieses Genres ist Boudu: aus dem Wasser gerettet (1932) von Jean Renoir, dessen inhaltsgleicher Remake Zoff in Beverly Hills ein großer Erfolg war.
Unter diesen Vorzeichen wollte ich mir Mein liebster Alptraum schon gar nicht anschauen. Isabelle Huppert und Andre Dussollier geben hier das Galeristin-Verleger-Paar in der Pariser 200-qm-Wohnung, die sich gegenseitig bekriegen und schon seit Jahren keinen Sex mehr haben. In diese Konstellation bricht Benoît Poelvoorde als lauter, primitiver, asozialer Handwerker und Mitbewohner ein, was ziemlich nach dem oben aufgeführten, verhassten Schema klingt. Erschwerend kommt hinzu, dass wieder einmal zu befürchten war, dass der früher einmal so wunderbare Poelvoorde ein weiteres Mal unter Wert verheizt wird (man siehe hierzu Herr Haberlander schweift ab – Heute: Benoît Poelvoorde).
Aus unerfindlichen Gründen (und entgegen schlechter Kritiken) habe ich den Film dann doch angeschaut und war positiv überrascht. Natürlich kommt alles wie es kommen muss. Die vergletscherten Bourgeois wissen am Ende des Films wieder wie man lebt, die unausstehliche Eiskönigin Huppert ist nach einer Nacht Suff und Sex mit dem Proleten wieder emotional richtig eingestellt und selbst der all das auslösenden Widerling hat es zurück auf die richtige Bahn gebracht.
Gefallen hat mir der Film trotzdem – aus drei Gründen:
Erstens ist Benoît Poelvoorde in diesem Film endlich wieder das Arschloch zwischen Jämmerlich-, Großmäulig-, Widerwärtig- und Liebenswürdigkeit, für das man ihn in seinen früheren Filmen so schätzen konnte. Er allein ist den Besuch des Films wert.
Zweitens vermeidet der Film trotz klassischem Menschenverbesserungsschema viele dort übliche Standards (wie aktuell etwa in Ziemlich beste Freunde), so dass es bis zum Schluß tatsächlich spannend bleibt, ob der Film nicht doch ganz unerwartet (also ohne allgemeine Gutmenschelei) ausgeht.
Und drittens ist dem Film in mehr als einem Punkt anzusehen, dass er eine französisch-belgische Koproduktion ist. Belgische Filme sind nun einmal immer einen Tick schmerzhafter, desillusionierter und tragikomischer als
ihre französischen Pendants, was dieser ansonsten urfranzösischen Geschichte sehr gut tut. Man könnte fast sagen, dass das belgische Kino, dieser alte Schweinigel, mit dem verkopften und freudlosen französischen Kino in die Kiste gestiegen ist, um ihm zu zeigen, dass das Leben auch auf einer sehr schlichten, eher derben Ebene Spaß machen kann. – Das Ergebnis dieser Läuterungsgeschichte finde ich ausnahmsweise ganz ansprechend.