Herr Haberlander schweift ab – Heute: Benoît Poelvoorde |
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Der momentane belgische Shootingstar in seinen besseren Momenten. Hier als Rekordjäger |
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Gleich doppelt trifft mich aktuell eine unschöne Tradition der letzten Jahre. Da läuft ein Film mit Benoît Poelvoorde im Kino, jedoch spricht mich der Film als Ganzes dermaßen wenig an, dass ich ihn mir nicht anschaue. Das gilt momentan für Nichts zu verzollen (innerlich abgelehnt als klamottenhafter clash-of-culture Schwank) im gleichen Maß wie für Die anonymen Romantiker (abgelehnt als arg harmlose, bemüht skurrile Romantikkomödie). Das Wissen darum, dass Poelvoorde in beiden Filmen geradezu »klassische« Figuren (einerseits einen reaktionären Choleriker, andererseits einen emotionell hochgradig dysfunktionalen Neurotiker) seines Repertoires darstellt, wiegt leider nicht den insgesamt mauen Eindruck, den ich bisher von den Filmen gewonnen habe, auf.
Da habe ich dann doch lieber in meine Filmsammlung gegriffen und zwei seiner Klassiker angeschaut. Zum einen natürlich den Klassiker schlechthin, Mann beißt Hund und zum anderen den leider wenig(er) bekannten aber nicht minder großartigen Die Rekordjäger.
Mann beisst Hund nach langen Jahren einmal wiederzusehen war eine erstaunliche Erfahrung. Als er 1993 ins Kino kam, herrschte ja eine allgegenwärtige Serial Killer-Mode (Das Schweigen der Lämmer, American Psycho, Hard Boiled Literatur von Andrew Vachss oder James Ellroy, etc.), die mich als postpubertären Kultur- und Medienjunkie naturgemäß wahnsinnig begeisterte. Mann beisst Hund schien eine interessante Variante dieses Motivs zu sein, hier nicht als (typisch amerikanisch) düster pittoreskes Schlachtszenario, sondern als freche, schwarz-weiße Pseudodokumentation mit krassem Humor. Natürlich war schon damals klar, dass einem hier das Lachen auch mal im Halse stecken bleiben sollte, aber insgesamt habe ich den Film doch eher unter einem makabren Fantasy-Filmfest-Humor eingereiht und mich entsprechend »amüsiert«. Fast zwanzig Jahre später erstaunt mich der Film dadurch, wie explizit und heftig er ist (die Kultur wird eben nicht immer nur brutaler, extremer, obszöner). Auch ist er im Vergleich zu vielem Serial Killer-Quatsch der 1990er Jahre, der heute eher lächerlich wirkt, bedeutend besser gealtert und ist deshalb sowohl ästhetisch wie inhaltlich unvermindert gültig und wirksam. Die wahre Bösartigkeit, Abgründigkeit und Tristesse dieser Satire, die näher an Jonathan Swifts berühmten »bescheidenem Vorschlag im Sinne von Nationalökonomen« als an zynischen Slasher-Kalauern dran ist, wurde mir erst jetzt im vollen Umfang ebenso bewusst, wie die typisch belgische Note, die gerade für solche Stimmungen steht. Wirklich verstanden habe ich wohl auch erst jetzt die Leistung von Benoît Poelvoorde, der gerade in den Zwischentönen, in den unscheinbaren emotionellen Wechseln (vom Großmaul zum Jammerlappen zum Sadisten zum jovialen Kumpel, usw.) sein wahres Talent zeigt. Anzumerken gilt es, dass Poelvoorde bei Mann beisst Hund auch an Produktion, Drehbuch und Regie beteiligt war, seine beiden damaligen Regiekollegen laut imdb keinen einzigen Film mehr drehten, während sich Poelvoorde fortan vor allem auf die Schauspielerei verlegte.
In dieser Funktion brillierte er dann 1999 in Die Rekordjäger (Originaltitel Les convoyeurs attendent) unter scheinbar ähnlichen Vorzeichen wie in Mann beisst Hund; wieder schwarz-weiß, wieder Belgien von seiner abstoßendsten Seite, wieder eine Figur zwischen Größenwahn und Jämmerlichkeit, wieder eine bittere »Komödie«. Doch ein bisschen
anders ist es schon. Die schwarz-weißen Bilder sind diesmal nicht von einer wackeligen Handkamera und bewusst grober Qualität, sondern wunderbar ruhige Stillleben in satten Graustufen. Der Film ist zwar stellenweise wieder brutal, widerwärtig, schwer zu ertragen, ihn durchzieht aber auch ein Hauch von (fast schon finnischer) Melancholie und sogar ein klein wenig (aber wirklich nur ein klein wenig) Hoffnung. Der Humor eignet sich auch hier nicht zum munteren Schenkelklopfen, jedoch
ist er hier lakonisch (bis zum Anschlag) und nicht sarkastisch. Und schließlich spielt Benoît Poelvoorde zwar auch hier ein riesiges Arschloch, einen Menschen dem man nie begegnen möchte, nur ist dieses Arschloch ein ganz anderes als das in Mann beisst Hund.
Roger, der rasende Pressefotograph, ist ein widerlicher Versager, einer der Menschen ausbeutet und benutzt, der selber nichts zustande bringt und andere (vorzugsweise seine Kinder) vorschiebt wenn es
unangenehm wird, einer der den Frust über sein Versagen an seiner Familie auslässt, einer der auf den Gefühlen anderer beliebig herum trampelt. Und dann ist er doch wieder eine tragische Figur, einer in grenzenloser Sorge um seine Familie, einer der seine Schwächen nur zu gut erkennt, einer der verzweifelt gegen die Widrigkeiten seines Lebens ankämpft. All das virtuos verkörpert durch den wunderbaren Benoît Poelvoorde.
Es sind solche großartigen und ergreifenden Darstellungen, die mich auch davon abhalten, Filme wie Nichts zu verzollen anzuschauen. Eventuell bzw. vermutlich sehen zu müssen, wie sich jemand wie Poelvoorde mit mehr oder minder Erfolg durch einen solchen Film müht, würde mir jedes mögliche Vergnügen vergällen.