22.05.2018

Herr Haber­lander schweift ab – Heute: Die Last der Schutz­ge­setze

Datenschutz-Grundverordnung
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Sicherheit hat ihren Preis: Wir werden gerade auf EU-Geheiß von Mails zugespamt, die der neuen Datenschutzverordnung folgen. Das müssen alle tun. Wir alle haben jetzt auch blinkende Rauchmelder, und die Bayern ein neues Polizeiaufgabengesetz. Herr Haberlander schrieb bereits 2014 vom Fluch der angeblich drohenden Gefahr auf seinem Blog traurigschönewelt – Das Leben ist komplex

Von Michael Haberlander

Hin und wieder wird öffent­lich die Frage gestellt, ob es hier und heute noch Tabus gibt. Diese (rheto­ri­sche) Frage wird eigent­lich nur gestellt, um sie mit ja zu beant­worten und davon ausgehend über eines der bestehenden Tabus zu reden, wobei man fest­stellen kann, dass über einige Tabus erstaun­lich viel geredet wird, was mich immer zu der Über­le­gung bringt, ob ein Tabu nicht in dem Moment, in dem man darüber spricht, aufhört eines zu sein (das gilt zuge­ge­be­ner­maßen nur für sprach­liche Tabus. Eine Tabu-Handlung verliert ihren Charakter noch lange nicht, nur weil man darüber redet).

So besteht auch hier die Möglich­keit, dass das Thema, das ich im Folgenden behandle, jetzt noch ein Tabu ist, aber am Ende des Textes (durch den Text) entta­bui­siert ist. Dass das fragliche Thema ein Tabu ist, erkennt man daran, dass nach meiner Kenntnis keiner darüber spricht, es mit Scham bei den Betrof­fenen verbunden ist, es gegen gesell­schaft­liche Konven­tionen verstößt und es das Bild von der Eindeu­tig­keit und Rich­tig­keit unseres täglichen Lebens in Frage stellt. Das Tabu, das in diesem Fall keiner ausspricht, sind die negativen Seiten von Verord­nungen, Gesetzen und Regeln, die verschie­dene Perso­nen­gruppen (oder gleich alle) vor bestimmten Nach­teilen und Schäden schützen sollen und die ich verein­facht als Schutz­ge­setze bezeichne.

Zu schützen gibt es viele; Arbeit­nehmer und Arbeiter, Mieter, Geld­an­leger, Konsu­menten und Verbrau­cher, mögliche Brand- und Unfall­opfer, Inter­net­nutzer, die Inhaber von perso­nen­be­zo­genen Daten, Gesunde, Kranke, Rand­gruppen jeder Art (darf man heute eigent­lich noch Rand­gruppe sagen? Ist das nicht zu negativ belegt? Sollte man hier nicht einen politisch korrek­teren Begriff wie Personen mit beson­deren Persön­lich­keits­merk­malen verwenden?). Zu schützen gilt es diese Personen vor Benach­tei­li­gung, Schä­di­gung, Betrug, Täuschung und Verlusten.

Schutz­ge­setze sind in der Politik beliebt. Denn im Gegensatz zu anderen Gesetzen, die alle Bürger irgendwie behel­ligen und einschränken, scheinen Schutz­ge­setze tatsäch­lich nur gegen die bösen Buben gerichtet. Erlässt die Politik ein Schutz­ge­setz, kann sie zeigen, dass sie aktiv zum Wohl der Bürger beiträgt, einen konkreten Missstand ausräumt und nicht nur in einem poli­ti­schen Elfen­bein­turm unver­s­tänd­lich abstrakte Entschei­dungen trifft (ein weiterer, unaus­ge­spro­chener poli­ti­scher Vorteil der Schutz­ge­setze ist, dass sie äußerst diskrete Konjunk­tur­pro­gramme – oft auf Kosten der Bürger – sind, da z.B. die Einfüh­rung einer Legio­nellen-Prüfung ein Heer von Dienst­leis­tern und Hand­wer­kern in Gang setzt). Das gefällt dem Bürger, weil sein unge­wisses Leben dadurch etwas sicherer wird und endlich einmal etwas gegen die Bösen, Mächtigen, Ausbeuter und Betrüger gemacht wird, denn nur die scheinen hier negativ betroffen.

Klar ist, dass diese Schutz­ge­setze (unter­schied­lich) viel Gutes, Wichtiges und Hilf­rei­ches leisten, das will ich so wenig in Abrede stellen, wie die hilf­reiche, heilende Wirkung von Medi­ka­menten. Klar ist aber auch, dass kaum ein Medi­ka­ment ohne Neben­wir­kungen auskommt, manchmal die Neben­wir­kungen sogar schlimmer sind als das eigent­liche Leiden und man auf manche Medi­ka­mente (bei einer vernünf­tigen Lebens­weise) gut verzichten könnte. All das gilt für Schutz­ge­setze auch.

Schutz­ge­setze betreffen eben nicht nur die Bösen, sondern immer auch viele Redliche und da sind es oft die Kleinen, die darunter leiden. Während große Firmen und Insti­tu­tionen die Mittel und Möglich­keiten haben, die immer noch extre­meren Schutz­auf­lagen (die die wirklich Bösen weiterhin umgehen) zu erfüllen, scheitern viele kleine (grund­ehr­liche) Geschäfte, Lokale, Produ­zenten, Arbeit­geber und Vermieter daran.

Ebenfalls die »Kleinen« trifft es bei den Jobs, die als Folge der Schutz­ge­setze heute nicht mehr korrekt zu erledigen sind. Große Firmen und Insti­tu­tionen können einzelne Mitar­beiter für bestimmte Schutz­ge­biete abstellen, was auch dringend erfor­der­lich ist, da viele dieser Themen eine solche Komple­xität und Tücke erreicht haben, dass ihre Bear­bei­tung und Beachtung ein Voll­zeitjob ist. Dummer­weise gelten die Schutz­ge­setze, für die Siemens, BMW oder das Finanz­mi­nis­te­rium eigene Mitar­beiter (oder gar Abtei­lungen) haben, auch für den Zehn-Mann-Betrieb und die Mini-Behörden, in denen admi­nis­tra­tive Einzel­kämpfer von der Last der Schutz­ge­setze erdrückt werden und selbst bei bestem Willen ihre Aufgaben nicht mehr korrekt erfüllen können. Dieses quälende Gefühl, seine Arbeit selbst nach bestem Wissen und Gewissen nicht mehr richtig machen zu können, also nahezu zwangs­läufig gegen irgend­welche Schutz­ge­setze zu verstoßen (was natur­gemäß immer geahndet werden kann), ist in meinen Augen regel­mäßig die Ursache für Störungen wie Burn-out. In der Bericht­erstat­tung über solche Themen wird diese Unmög­lich­keit einer korrekten (und damit befrie­di­genden) Arbeit dagegen nie erwähnt, womit wir wieder beim Tabu sind.

Doch nicht nur einzelne »kleine« Berufs­gruppen erleben und erleiden die Neben­wir­kungen der Schutz­ge­setze, auch alle anderen, so auch die, die geschützt werden sollen. Das ist immer dann der Fall, wenn vor eigent­lich einfachen Abläufen absurd kompli­zierte »Verfahren« zu erledigen sind, wenn also alles minutiös doku­men­tiert und proto­kol­liert wird, Erklä­rungen abzugeben und Zustim­mungen zu erklären sind und das, obwohl man das, was man hier (per Mausklick oder Unter­schrift) bestätigt, in der Regel nicht einmal im Ansatz versteht (wer liest die 20seitigen Wider­spruchs- und Daten­schutz­er­klä­rungen, wer durch­schaut die vor Fach­jargon star­renden Bera­tungs­pro­to­kolle der Banken und Versi­che­rungen?).

Früher setzte man voraus, dass der Mensch für seine Hand­lungen verant­wort­lich ist und er die (mögli­cher­weise auch negativen) Konse­quenzen daraus trägt. Dann schob man mit Hilfe der Schutz­ge­setze die Verant­wor­tung an andere Stellen, die dafür Sorge tragen mussten, dass dem handelnden Menschen nichts Schlechtes wider­fährt. Die anderen Stellen schieben die Verant­wor­tung nun wieder zurück, indem sie den handelnden Menschen explizit erklären lassen: »Ja, ich will das tun! Ja, ich weiß, was ich tue! Ja, ich trage die Verant­wor­tung für meine Handlung!« Dass man mögli­cher­weise (verwirrt durch das undurch­schau­bare Prozedere) nicht wirklich weiß, was man hier eigent­lich veran­lasst, und dass diese Erklä­rungen nur bedingt frei­willig sind, weil man eine bestimmte Leistung oder ein bestimmtes Produkt einfach nicht bekommt, solange man die entspre­chende Erklärung nicht abgegeben hat, krönt das Ganze.

Und so durch­zuckt es mich auch jedes Mal schmerz­haft, wenn in den Medien ein neuer Skandal ausge­breitet wird, denn der nun einset­zende Mecha­nismus besitzt eine tragische Zwangs­läu­fig­keit. Denn natürlich wird nach Schul­digen für den Skandal gesucht, natürlich wird man welche finden, natürlich wird man der (angeblich zu laxen) Politik eine Teil­schuld zuschieben, natürlich wird die Politik zur allge­meinen Beru­hi­gung und Genug­tuung mit einem Schutz­ge­setz reagieren, natürlich wird dieses Schutz­ge­setz dafür sorgen, dass unser Leben noch kompli­zierter und kontrol­lierter wird.

Die Abwägung zwischen Nutzen und Neben­wir­kung, die jeder Patient bei Medi­ka­menten ganz selbst­ver­s­tänd­lich vornimmt, ist beim Erlass von Schutz­ge­setzen voll­kommen undenkbar. Der Politiker, der sich mitten in einem Skandal hinstellt und vorrechnet, dass die negativen Auswir­kungen eines Schutz­ge­setzes vermut­lich größer sind als seine positiven, kann umgehend seinen Hut nehmen und den Beruf wechseln. Und genau deshalb bleibt die Last der Schutz­ge­setze auch weiterhin ein Tabu.

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Zum Abschluss noch ein Filmtipp von Herrn Haber­lander:
Democracy – Im Rausch der Daten (2015) von David Bernet gibt den Blick frei auf die EU-Gesetz­ge­bungs­pro­zesse. Wie es sich für einen Big-Data-Kritiker gehört, hat er den Film für alle auf Vimeo zugäng­lich gemacht. Spread the news!