Klangkino: Der Urwald-Sound von Apichatpong Weerasethakul |
||
METAPHORS / Selected Soundworks from the Cinema of Apichatpong Weerasethakul |
Von Pico Be
Den Anfang von »artechock expanded« macht Pico Be mit einem Klangkino-Abend – präsentiert wird aus der Reihe »Selected Soundworks from Cinema« des belgischen Plattenlabels Sub Rosa das Album METAPHORS mit dem Dschungel-Sound des thailändischen Regisseurs Apichatpong Weerasethakul
METAPHORS // 12.2.2018 // Favorit-Bar // 20-22 Uhr // Damenstiftstr. 12 // 80331 München
Schweigt der Projektor, leuchtet der Tonarm – der Klang der Filme von Apichatpong
Weerasethakul
There’s more to the picturethan meets the eye.
(Neil Young)
Zuerst ist da Gezwitscher und Gezirpe. Lang, kurz kurz kurz, lang. Zilp zilp. Morgengrüße im Morsealphabet der Vögel. Hörst du derlei Geräusche, noch ehe sie sichtbar manifest werden – Geräusche ohne Bild – so musst du wo ganz nah dran sein, ja eigentlich schon drin, drin in der Urwaldnacht von Apichatpong Weerasethakul. In der alles nur ein Traumbild ist. Oder gab es ihn wirklich ... den Büffel? Wie er dich ansah, aber du von ihm nur die Silhouette sahst, Schattentheater vor der Waldlichtung. Und vielleicht tat der Büffel auch nur so, als würde er die Kamera sehen, als wollte ihn der Qualm vom Lagerfeuer interessieren. Nein, der Büffel röhrt und büchst aus – ein Tier mit Charakter! Im Wald aber verbleibt das unheimliche Wesen mit den roten Leuchtaugen.
»Dawn of Boonmee« heißt der Track, der so vieles im Vagen lässt, zur frühen Geisterstunde. Track? Haben wir gerade einen Track gehört? Aber ja doch, oder vielmehr: Eine erblindete Filmszene, übrig bleibt die Tonspur, rematerialisiert im Format Schallplatte. Ohne Bild übernimmt eine Parallelspur die Erzählung, und es kann passieren, dass es schnell um eine andere Geschichte geht. Die Spur ist nur eine von vierzehn Klanggeistern, die Weerasethakuls Tonmeister Akritchalerm Kalayanamitr und Koichi Shimizu zu einem Album versammelt haben. Lang, kurz, lang lang, kurz kurz, undsoweiter, haben die Tonmeister gewissermaßen einen neuen Film angeordnet, einen Film mit dem Titel Metaphors. Es ist aber weniger die Anordnung der Szenen, denn der Szenen Unsichtbarkeit, die diesen Film beim Hören des Albums entstehen lässt. Szenen aus vier Langfilmen, drei Installationen (eine davon, »Fever Romm«, war im Dezember, als das Album auf die Welt kam, in der Volksbühne zu erleben), der Studie »Mekong Hotel«, und einem Kurzfilm.
Die Wiedergeburt als Tonträger bringt zwangsläufig alles Durcheinander. Begleitete »Dawn Of Boonme« noch die eingangs beschriebene Opening–Scene von Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives (2010), so bekommt dieser auf den Metaphors erst Trackposition Nummer Drei zugewiesen. Zuvor verzaubert thailändischer Dream-Pop die Szenerie einer luftigen Spritztour: Der junge Soldat Keng und der Country–Boy Tong sind so glücklich ineinander verliebt! »Straight« ist eines von zwei Stücken, die nicht aus sich selbst/aus der Filmarbeit heraus entstanden, sondern als fertige Musikstücke in die Filme eingeschmuggelt wurden, als reingerutsche Popmusik in Gestalt einer Tonträgerkonserve. Im Film abgespielt, zieht diese eine weitere sublime Geisterspur.
Und schon sind wir der perfiden Illusion vom Einklang aus Bild und Ton der Soundworks auf den Leim gegangen! Die Tiergeräusche, sie setzen sich zusammen aus unterschiedlichen Aufnahmen, von denen die Wenigsten auf der Bildspur »sichtbar« sind. Mal ist es Grillengezirpe, das zu einer Sequenz hinzu addiert wurde, mal lassen sich Remix–Arbeit und die Raumsituation eines Tonstudios vor dem geistigen Auge ausmalen – ist die visuelle Ebene erst einmal weg, offenbahrt sie sich in vielfacher Erweiterung. Das Schnauben des Büffels wurde ganz woanders mitgeschnitten, als die Sequenz im Film uns glauben macht. An einem anderen Tag, an einem anderen Ort, einen anderen Büffel mikrofoniert, ein Büffel im Zoo – auch das Unkontrollierbare, Aleatorische im Klang hier ist manipuliert. Am Tollsten, der Track aus Syndromes and a Century (2006), dem ein Schiffshorn als Grundlage dient, aufgenommen aus einem leerstehenden Gebäude in Bangkok heraus. Ohne Hafenblick, war das Schiffshorn dort laut genug zu hören. Der Track trägt den Titel »Memory of the Future«.
Vielleicht betreiben die Tonspuren in solchen Momenten einfach Höhlenmalerei: Wie, wenn das Gestein das Gehölz des Urwalds draußen vor der Höhle beschreibt, derweil sich das Gehölz wandelt zu Gestein, das einst Gehölz gewesen. Das Tonstudio ist die Höhle, in der eine Explosion der Meta–Ebenen passiert. Dazwischen geistern die Lebewesen. Und alles gerät zu Musik.
Eine warme Unausweichlichkeit gibt als Stimmung den Ton an, eine Stimmung, die schon in den Titeln der Filme steckt: Tropical Malady (2004). Intimacy And Turbulence, wie Syndromes and a Century ursprünglich hätte heißen sollen. Uncle Boonme... Lauter Idyllen, die umkippen müssen. Überall entspannte Vertrautheit, die sich in der jeweils zweiten Hälfte in das Fremde, Unbekannte, wandelt. Das aber entgegen aller Hollywood-Konvention gar nicht unentspannt wird, sondern ... einfach weitergeht und bleibt, angenehm bleibt, während das Subjekt verschwindet. Uncle Boonmee sieht seinen Tod kommen im Wissen, dass sein Nierenschaden von dem schlechten Karma herrührt, das ihm von früher anlastet, da er als junger Mann so viele Kommunisten tötete. Oder alles ist von Anfang an schon völlig jenseitig, gleichzeitig aber beschrieben als Pracht, als Friedhof der Herrlichkeit: In Cemetery of Splendour (2015) liegen die Soldaten den ganzen Film über im Tiefschlaf, auf der Parallelspur der Traumebene. Es mag Leute geben, die das langweilig finden. Aber ich möchte glauben, dass es der überwiegenden Mehrheit der Betrachter so ergeht wie mir: Einmal im Leinwand–Urwald abgetaucht, will ich da gar nicht mehr raus, auch wenn ich mich nicht mehr auskenne. Und nicht anders ist es nun mit diesen METAPHORS. Langeweile ist da gar kein Kriterium, oder zumindest keines, das sich diesem Album entgegenstellt.
METAPHORS ist also ein sehr angenehmes Album. Und dennoch eine reichhaltige Herausforderung: Die Filmgeister, sind die nun da drin, und wenn ja, was mache ich mit ihnen, im Unsichtbaren? Wie das Unsichtbare hörend herausholen? Es ist im Grunde ein Prozess, der an den Charakter des Hörerlebnisses der ebenfalls von »Sub Rosa« publizierten »Lost Shadows: In Defence of the Soul« (2015) heranreicht; Aufnahmen, die David Toop 1978 in Venezuela machte, den Ritualen von Yanomami–Schamanen beiwohnend. Man muss sich beim Hören all das ausmalen, die Raumsituation, in welcher das Ritual stattfindet, die Bedeutung der zu vernehmenden Laute, Beschwörungsformeln, nonverbale Emanationen ... vor allem aber muss man sich das innere Auge der Schamanen vorstellen – sehen, was diese sich vorgestellt und in ihren Visionen gesehen haben mochten.
METAPHORS ist Kunst, die nicht einfach konsumiert werden will, vielmehr den Geist und die Sinne anspricht, den Körper beruhigt. Es sind Soundworks, die nicht konsumiert werden können, da sie bereits konsumiert worden sind. Sind also die METAPHORS ein Abfallprodukt, gar Müll? Not exactly. Zumindest ich würde die Asche meines Onkels oder anderer Ahnen nicht gerade als Müll bezeichnen. Und natürlich handelt es sich, wie das bei Tonträgern so üblich ist, um ein Produkt für den privaten Gebrauch. Ein movie hingegen blüht auf, da er vom Projektor auf eine Masse losgelassen, und imselben Moment in der sichtenden Masse versenkt wird. Wenn der Projektor aber schweigt, dann heißt es für die METAPHORS erst: Film ab!
»Metaphors – Selected Soundworks from the Cinema of Apichatpong Weerasethakul«
(Sub Rosa 2017 / 71:22 min.)