Deutschland 2004 · 86 min. · FSK: ab 0 Regie: Stanislaw Mucha Drehbuch: Stanislaw Mucha Kamera: Susanne Schüle |
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Die Mitte unter Gartenzwergen |
Wie jede Kunstform, umgibt auch den Film das Geheimnis, was aus einem Film ein echtes Kunstwerk macht. Kein Regisseur (oder Produzent) hatte bisher eine unfehlbare Antwort auf die Frage nach dem »je ne sais quoi« und dass selbst perfektes Kopieren nicht zwangsläufig echte Kunst hervorbringt, zeigt zum Beispiel der (zumindest sehr lehrreiche) Versuch einer 1 zu 1 Nachinszenierung von Psycho durch Gus van Sant im Jahre 1998.
Fast noch rätselhafter ist es, die Voraussetzungen für das Gelingen eines Dokumentarfilmes festzumachen. Als Grundsatz des Dokumentarfilmes gilt immer noch, dass der Filmemacher nicht in das beobachtete Geschehen eingreift (auch wenn diese eherne Regel von heutigen Dokumentarfilmern immer öfter durchbrochen wird und man zudem frei nach Werner Heisenberg feststellen muss, dass auch im Dokumentarfilme wohl jede Beobachtung das beobachtete Objekt irgendwie
verändert), er somit keinen Einfluß auf die »Handlung« hat und auch seine »Darsteller, Ausstattung und Schauplätze« muss er als gegeben hinnehmen. Echte künstlerische Freiheit bleibt ihm vor allem bei der Kameraarbeit, dem Schnitt und dem Einsatz der Musik. Wie aber entsteht dann aus Zuschauen und Beobachten Kunst?
Einen interessanten Beitrag zu dieser Frage liefert der neue Film von Stansilaw Mucha, bei dem alles passt und doch etwas fehlt.
Mucha, dem vor drei Jahren mit Absolut Warhola eine wahre Dokumentarfilmperle gelang, begibt sich nun in Die Mitte auf die Suche nach der Mitte Europas.
Beginnend im Hessischen, macht er sich Richtung Osten auf, um ein gutes Dutzend Städte und Dörfer zu besuchen, die für sich diese Auszeichnung in irgendeiner Weise in Anspruch nehmen. Die Reise führt Mucha bis in die
Ukraine.
Es wird ziemlich schnell klar, dass es Mucha nicht wirklich darum geht, die tatsächliche Mitte Europas zu finden. Es werden keine Experten befragt, die Bezeichnung einer Stadt als Mitte Europas gründet oft genug auf Hörensagen und Legenden und Mucha definiert noch nicht einmal genau welches Europa hier ver- bzw. durchmessen wird (ein geographisches, wirtschaftliches, politisches? zu welcher Zeit?), auch wenn er dem Film einen Kurztripp an die vier geographischen Eckpunkte Europas voranstellt (wobei auch diese entsprechend zu hinterfragen sind). Von den unterschiedlichen technischen Möglichkeiten der Bestimmung eines geographischen Mittelpunkts ganz zu schweigen.
Muchas Ansatz ist somit nicht wissenschaftlicher sondern soziologischer Art und sein Augenmerk gilt vor allem den Menschen, die in diesen weit verstreuten Orten, die diese scheinbar willkürliche Gemeinsamkeit vereint, leben.
Nach einem etwas holprigen Start in Deutschland und Österreich taucht Mucha mit jedem weiteren Kilometer Richtung Osten mehr in sein Element ein und bald stellt sich eine ähnliche Stimmung wie in Absolut Warhola ein.
Unwirkliche Orte, eingefangen in melancholisch schönen Bildern, mit der passend schrägen (Blas)Musik im Hintergrund. Darin skurrile Gestalten in mal alltäglichen, mal
surrealen Situationen, die von ihren Problem und vom Leben in der Mitte Europas berichten.
Sehr unterhaltsam ist diese Reise in den immer noch so unbekannten Osten mit seinen Bewohnern, die so ganz und gar nicht unserem Bild eines »Zentraleuropäers« entsprechen wollen und viele Szenen erweisen sich als amüsant bissige Realsatire.
Doch neben und hinter all dem schrägen Humor gibt es auch intelligente Reflexionen über die Frage, wo man als Mensch in der Welt (bzw. in Europa) steht. Ein buntes Völkergemisch stöbert Mucha auf, zeigt Menschen, die mit zwei Zeitzonen
kämpfen, die in zerfallenen und neuauferstanden Ländern leben, die vertrieben wurde, geflüchtet, ausgewandert oder auf der Reise sind, die in der Mitte Europas leben und doch über das eigene Dorf nie hinaus gekommen sind.
Ein schöner Film ist Die Mitte. Ein geistreicher Film. Ein unterhaltsamer Film.
Und doch fehlt ihm eben dieses gewisse Etwas, das Absolut Warhola so hervorhob.
Stellt man die beiden Filme direkt gegenüber, fällt es schwer, große Unterschiede zu finden.
Details kann man aufführen, etwa die beschränkte Zahl von Personen, auf die sich Absolut Warhola konzentrierte, so dass man einzelne Figuren genauer kennenlernen konnte. Im Gegensatz hierzu Die Mitte, in dem der Regisseur von Ort zu Ort hetzt und den Fokus auf bestimmte Personen sehr unterschiedlich, beinahe willkürlich verteilt.
Im Grunde aber bleibt es rätselhaft, was die beiden Filme unterscheidet und zurück bleibt einmal mehr die Frage nach dem »ich weiß
nicht was?«
Eine der besten Szenen von Die Mitte und zugleich Zusammenfassung des gesamten Films (und möglicherweise auch Hinweis auf seine schwer zu fassende Schwäche) ist sein Schluß.
Da trifft das Filmteam in Polen auf zwei junge Urlauber aus der Schweiz, die, mit GPS ausgerüstet, die Position des örtlichen Mittelpunktgedenksteines überprüfen. Da die Koordinaten des Steines nicht mit der Angabe des Pärchens übereinstimmen (Gott weiß, woher sie die
Koordinaten für die »richtige« Mitte her haben), macht man sich gefolgt vom Kamerateam im umliegende Wald auf die Suche nach der richtigen Stelle.
Ein diffuses Hin und Her, Vor und Zurück beginnt, bald hat man sich aus den Augen verloren und schließlich kommt es zum scheinbar Unvermeidlichen: Auf der Suche nach der Mitte hat man sich verirrt.