Südkorea 2009 · 129 min. · FSK: ab 12 Regie: Bong Joon-ho Drehbuch: Park Eun-kyo, Bong Joon-ho Kamera: Hong Kyung-pyo Darsteller: Kim Hye-ja, Won Bin, Gu Jin, Yoon Jae-Moon, Jun Mi-sun u.a. |
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Die koreanische Inge Meysel in einem Horrorfilm |
Ob dies nur den Entdeckungen und Vorlieben, der mit dem Kino bekanntlich so verwandten Psychoanalyse geschuldet ist? Jedenfalls erscheinen Mütter im Kino als ein fast noch komplexeres Sujet, als im Leben. Zahllose Varianten des Mutter-Kind-, insbesondere aber – wohl weil es weitaus mehr männliche Regisseure gibt – des Mutter-Sohn-Verhältnisses kennt die Leinwandgeschichte, und die unglücklichen oder problematischen von ihnen sind völlig unabhängig von kulturellen Vorprägungen weitaus in der Mehrzahl. Auch Mother gehört in diese Kategorie, und mag dieser Film auch nichts völlig Neues erzählen, so kennt man doch nicht so viele, die ähnlich abgründig sind. Mother ist Psycho-Studie wie Horrorfilm, ist ein zartes Werk über Mutterliebe und ein erschütterndes Drama über die Kraft der Emotionen.
Der koreanische Film eröffnet mit seiner Titelfigur und einem friedlichen Bild: Wie im Trance bewegt sich die ältere Frau über ein Feld. Ihre Haare sind in Unordnung, wie wirr, aber ihr Gesichtsausdruck scheint seltsam glücklich. Sie summt vor sich hin, scheint fast zu tanzen, und überhaupt ganz im Einklang zu sein mit der Welt. Wir ahnen schnell, dass es sich bei der Frau um die Titelfigur von Bong Joon-hos neuem Film handelt. Etwa eine Viertelstunde vor Schluß des Films wird die Szene wiederholt und fortgeführt werden, wird sich die Kreisbewegung des Films vollenden. Dann wissen wir Zuschauern längst, wie trügerisch der erste Eindruck war, und die Mutter hat sich von einer etwas schrulligen, aber auch rührenden Dame, die einen irgendwann während der ersten Filmhälfte dann an eine koreanische Ausgabe von Miss Marple erinnert hat, in ein befremdendes, obsessives Gefühlsmonster verwandelt. Was sie tut, mag man zwar immer noch nachvollziehen können, aber man versteht auch, dass ihr Handeln vom Wahnsinn nicht mehr weit entfernt ist.
Verunsicherung des Betrachters und eine grundsätzliche, beobachtende Distanz prägen den Film. Gepaart ist diese Grundhaltung mit einem großartigen Sinn fürs Visuelle, der enorme Wirkung entfaltet: Der großartigen Kamera von Hong Kyung-pyo gelingt es, auch flüchtigen Eindrücken psychologische Tiefe zu geben. Dazu kommt die erzählerische Eleganz des Regisseurs, der früh eine Atmosphäre aus Schrecken, Bedrohung und übler Vorahnung aufbaut, in der man alles für möglich hält. Man stelle sich vor, jemand würde die Neugier und handwerkliche Genauigkeit eines Henri-Georges Clouzot, die Eleganz von Alain Corneau sowie die abgründige Phantasie, die Suspense-Tricks und den Hohn eines Alfred Hitchcock ins Korea der Gegenwart versetzen – dann bekommt man eine Vorstellung von diesem Film.
Mother beginnt als Idylle, in die sich allerdings von Anfang an ein Misston eingeschlichen hat. Die ältere Dame, deren Namen wir übrigens, bestimmt mit Absicht, nie erfahren, steht inmitten grüner Pflanzen, ihr Blick ruht auf dem Filius. Er drückt uneingeschränkte Liebe aus. Diese Mutter ist glücklich. Sie wird es nicht lange bleiben. Denn schnell folgt zunächst Ernüchterung. Denn kurz darauf bekommt ihr Sohn Ärger, weil er eine Gruppe von Golfspielern, offenkundig reiche und mächtige Leute, beschimpft hatte. Der kurze Vorgang ist nur eine unscheinbare Vorwegnahme all dessen, was bald darauf folgen wird.
In den ersten Minuten lernen die Zuschauer aber zunächst die häuslichen Verhältnisse kennen: Die verwitwete Mutter lebt noch mit ihrem Sohn Do-joon zusammen. Der ist schon 27, ist nicht gerade geistig behindert, aber doch offenkundig außerordentlich beschränkt, und ein Objekt zahlreicher Hänseleien. Die verwitwete Dame betreibt einen kleinen Kräuterladen. Darunter verkauft sie auch Verbotenes, bietet Akupunktur und andere noch unorthodoxere Praktiken an, und mischt seltsame Tinkturen – und manchmal gibt ihr all das fast etwas Hexenartiges. Der Regisseur spielt ganz offen mit solchen Assoziationen, und baut auch sonst von Anfang an allerlei Doppelbödiges in dieses Mutter-Sohn-Szenario ein: Einerseits kümmert sich die Alte rührend um ihr großes Kind, macht sich sichtlich Sorgen, die einerseits etwas übertrieben scheinen, in der Praxis dann aber doch wieder allzu berechtigt. Zugleich ist das Verhältnis von Beginn des Films an auch durch befremdende Intimität geprägt: Mutter und Sohn teilen sogar dasselbe Bett! Für diese Mutter ist der Sohn ihr ein und alles. Sie wird ihren Sohn schützen, vor jeder Gefahr, und um jeden Preis.
Das kann sie schnell unter Beweis stellen, denn es folgt ein schreckliches Ereignis, dass Do-joon in höchste Gefahr bringt: Eines Abends begegnet Do-joon einer Schülerin, folgt ihr ein wenig, bevor sich ihre Wege trennen. Am nächsten Tag wird das Mädchen ermordet aufgefunden, einige Indizien weisen auf Do-joon, der dem Verdacht und dem Druck der Polizei hilflos begegnet, und sogar voreilig ein Geständnis unterschreibt – der Fall scheint für alle Welt gelöst. Daraufhin nimmt die
Mutter, als einzige überzeugt von der Unschuld des Sohnes, auf eigene Faust Ermittlungen auf. So weit, so simpel.
Doch erwartungsgemäß erweisen sich die Dinge als erheblich komplizierter, schnell fördern die Ermittlungen der Mutter, die zahllose Zeugen befragt, die Polizei kritisiert, und sogar mit er Familie des Opfers Kontakt sucht, allerlei Verdrängtes und Verborgenes zutage und sind geeignet, den Frieden in der kleinen ländlichen Gemeinde empfindlich zu stören: So stellt sich
heraus, dass das ermordete Mädchen Mitglied eines Teenager-Prostitutionsringes war, und ihre Kunden zu erpressen versucht hat. Wie schon in seinem Polizeifilm Memories of Murder (2004) nutzt Bong Joon-ho auch diesmal den Ausnahmezustand eines Kriminalfalls, um einige unbequemen Wahrheiten der koreanischen Gesellschaft freizulegen.
Der erst 30-jährige Regisseur Bong Joon-ho (Barking Dogs) gehört schon lange, gemeinsam mit den nicht weniger unabhängigen, stilistisch aber ganz verschiedenen Regisseuren Park Chan-wook (Oldboy) und Hong Sang-soo (Woman is the Future of Man), zu den besten und vielfach ausgezeichneten Filmkünstlern seines Landes. Mit seinem letzten Film The Host, einem Monster-Thriller über eine Riesenechse, die Koreas Hauptstadt Seoul heimsucht, bewies er überdies, dass er sich auf große Kassenerfolge versteht, wobei auch dieser Film die Qualitäten eines Blockbusters mit Subtilität und untergründigen Sozialkritik seiner vorherigen Filme verband. All diese Vorzüge kann man auch in Mother feststellen, zugleich beweist dieser Film einmal mehr die Virtuosität eines Filmemachers, der sich ganz offenkundig auf diversen Feldern wohlfühlt.
Im Zentrum des Films steht die Übermutter. Ihre Liebe ist so obsessiv, wie (selbst-)zerstörerisch. Mit dieser Figur schreibt sich Bong auch in das sehr umfangreiche Kapitel der Mutterdarstellungen im Kino ein. Gespielt wird die Mutter übrigens von dem koreanischen Fernsehstar Kim Hye-ja, die in ihrer Heimat gerade durch ihre Bildschirm-Mutterrollen zu einer koreanischen Inge Meysel wurde. In solchen Besetzungs-Entscheidungen liegt natürlich auch eine beträchtliche Portion Ironie. Überhaupt lässt sich der vorherrschende Grundton des Films am ehesten als Sarkasmus charakterisieren. Er gilt zum einen dem Zuschauer, dessen scheinbare Sicherheiten hier ein ums andere Mal zerstört werden. So durchläuft das Bild der Mutter hier denkbar verschiedene Stadien, ohne dass dabei – und dies macht den Film so gut! – die psychologische Triftigkeit oder die Glaubwürdigkeit der Hauptfigur erschüttert werden: Diese Mutter ist eine Miss Marple wie eine Lady Macbeth, und auf ihre Art auch eine Medea. Und s durchläuft auch Bongs Film alle Stadien zwischen heiterer Komödie und archaischer Tragödie. Der Sarkasmus gilt nicht minder der koreanischen Gesellschaft, deren schmutzigen Seiten dieser Film, wie frühere des Regisseurs, den Spiegel vorhält.
Der wird allerdings immer abgefedert durch die Liebe des Regisseurs für seine Figuren. Hier erhält jeder und jede ihr Recht, niemand wird preisgegeben. Preisgegeben wird am ehesten der Zuschauer, indem dessen vermeintliche Sicherheiten und Einverständnisse mit ihm hier ein ums andere Mal zerstört werden. So durchläuft das Portrait der Mutter auf seiner schiefen Bahn in den Abgrund denkbar verschiedene Stadien, ohne dass dabei die psychologische Triftigkeit oder die Glaubwürdigkeit der Hauptfigur ernsthaft erschüttert würde – und dies macht den Film so gut! Was in Heiterkeit und Einverständnis mit der Welt beginnt, mündet in eine Tragödie.
So ist Mother ein weiteres Indiz für den Reichtum des koreanischen Kinos, den westliche Zuschauer erst in den letzten Jahren zu schätzen gelernt haben. Gemeinsam mit den nicht weniger unabhängigen, stilistisch aber ganz verschiedenen Regisseuren Park Chan-wook und Hong Sang-soo gilt Bong Joon-ho heute einer seiner führenden Vertreter. Mother macht deutlich, warum das ganz zu recht der Fall ist.