Großbritannien 2004 · 86 min. · FSK: ab 12 Regie: Pawel Pawlikowski Drehbuch: Pawel Pawlikowski, Helen Cross Kamera: Ryszard Lenczewski Schnitt: David Charap Darsteller: Nathalie Press, Emily Blunt, Paddy Considine, Dean Andrews u.a. |
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Die Schöne und das Biest |
Pubertätsgeschichten im Kino sind eine sehr ambivalente Sache. Denn einerseits müssen diese in vielerlei Hinsicht aufregenden Jahre oft für dümmlich schlüpfrige Klamotten, pathetische Geschichten über das Erwachsenwerden, belanglose Filmchen über belanglose Problemchen oder zähe Konfliktdramen herhalten.
Andererseits ist die Pubertät ein körperlicher, emotionaler und sozialer Ausnahmezustand, in dem so ziemlich alles möglich ist, was unzählige Möglichkeiten für spannende und überraschende Kinoerlebnisse bietet (einige gute Beispiele hierfür aus den letzten Jahren: L’esquive, Elephant, Die Träumer, Lilja-4-Ever, Y tu mama tambien).
Auch der englische My Summer Of Love macht sich auf sehr sehenswerte Weise die Unberechenbarkeit des adoleszenten Lebens und Liebens zu Nutzen, um eine erzählerisch interessante und formal beeindruckende Geschichte zu erzählen.
Mona ist 16 Jahre alt, ihren Vater hat sie nie kennen gelernt, die Mutter ist kürzlich an Krebs gestorben, ihr ehemals gewalttätiger Bruder Phil hat sich zum dauerbetenden Super-Christen gewandelt, aus Geldmangel kann sie sich nicht einmal einen Motor für ihr Moped kaufen und ihre (rein sexuelle) Beziehung zu einem verheirateten Mann wird von diesem nach einem weiteren Quickie im Auto unschön beendet.
Die gleichaltrige Tamsin ist zwar reich, aber im goldenen Käfig ihrer düsteren
Gedanken gefangen. Ihr Vater hat eine Affäre mit seiner Sekretärin, ihre Mutter ist eine mehr oder minder verrückte Schauspielerin, ihre Schwester ist an Magersucht gestorben und von der Schule ist sie geflogen, weil sie auf andere »einen schlechten Einfluss« ausübte.
Diese beiden outcasts freunden sich schnell an, verlieben sich schließlich ineinander und erleben – von den Erwachsenen allein gelassen – einige rauschhaft wilde Tage. Sie nehmen Rache an Monas ehemaligem Liebhaber, beobachten und erwehren sich der Missionierungsversuche durch Phil, hängen rum, trinken, rauchen, schwören sich ewige Liebe und führen pathetisch wichtige Gespräche, wie es nur sich selbst überschätzende Jugendliche so perfekt beherrschen.
Die Sache
geht natürlich nicht gut und so stehen am Ende Gewalt, Verrat, Enttäuschung und vielleicht ein Schimmer von Hoffnung.
Im ersten Moment klingt das alles sehr nach britischem Sozialkino, Coming-of age- und Coming out-Filmen, was es aufgrund seiner Handlung bis zu einem gewissen Grad natürlich auch ist. Trotzdem kann man My Summer Of Love keinem dieser Genres eindeutig zuordnen, da der Regisseur Pawel Pawlikowski seinen Film dafür viel zu abstrakt, artifiziell und entrückt inszeniert. Dies ist dann auch die herausstechendste Qualität des Films.
Am Anfang des Films liegt Mona im langen Gras, Tamsin bleibt hoch zu Ross neben ihr stehen, die Kamera zeigt einzelne Augen in Großaufnahme (auch das des Pferdes) und man befürchtet schon, es hier mit einem symbolverliebten FilmKÜNSTLER zu tun zu haben. Doch bald schon merkt man, dass hier die ungewohnte und exzellente Bildgestaltung kein angestrengter Selbstzweck ist, sondern dazu führt, dass die Handlung in jedem Moment absolut glaubhaft und realistisch bleibt, während zugleich
der gesamte Film doch etwas geheimnisvoll Surreales hat.
So gelingt es z.B. dem Kameramann Ryszard Lenczewski, das triste Arbeiterstädtchen, in dem der Film spielt, in eine pittoreske und fremdartige Parallelwelt zu verwandeln.
Die gesamte (zeitlich schwer zuordenbare) Ästhetik des Films jagt einen dabei von einem Déjà vu zum nächsten, ohne sich aber zu eindeutigen Vorbildern zu konkretisieren. Mal fühlt man sich an die Nouvelle Vague erinnert, mal an Lynch, mal an von Trier. Manche Einstellungen denkt man aus experimentellen Filmen zu kennen, vieles kommt einen aus Dokumentarfilmen bekannt vor und entfernt grüßt auch noch das Dogma-Manifest.
Noch am augenfälligsten erscheint die Referenz auf das amerikanisch Independent-Kino der späten 60er und frühen 70er Jahre, irgendwo zwischen Easy Rider und Woodstock. Auch angesichts der Hauptdarstellerin Nathalie Press an die junge Sissy Spacek in Terrence Malicks Badlands zu denken ist nicht abwegig und der Weg vom kollektiven »summer of love« zum privaten My Summer Of Love ist nicht weit.
So sehenswert diese außergewöhnlich starke und originäre Inszenierung ist, so problematisch ist sie doch für die Darsteller in diesem 2,5-Personenstück.
Sowohl Nathalie Press als semi-naive Mona, als auch Paddy Considine als predigender Phil und die von der britischen Presse hoch gelobte Emily Blunt als verschlagenes Millionärstöchterlein zwischen verführendem Übermensch und verführerischem Gefühlskrüppel bieten wirklich sehenswerte Leistungen, die jedoch durch
die abstrakte Qualität des Films ein wenig ins Leere laufen.
Aber gerade dadurch entsteht wieder eine ganz eigene »Zwischenstimmung«, die in der heutigen Kinowelt, in der das aufdringlich Eindeutige vorherrscht, nicht hoch genug zu schätzen ist.
Wem es also um die Befindlichkeit von Pubertierenden geht (oder wer sich gar Trost und Rat für diese schwierige Zeit erhofft), der wird mit My Summer Of Love nur bedingt zufrieden sein. Wer aber ein ungewohntes und faszinierendes Kinoerlebnis sucht, der ist hier genau richtig.