USA/GB 2007 · 122 min. · FSK: ab 16 Regie: Ethan Coen, Joel Coen Drehbuch: Joel Coen, Ethan Coen Kamera: Roger Deakins Darsteller: Tommy Lee Jones, Javier Bardem, Josh Brolin, Woody Harrelson, Kelly MacDonald u.a. |
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Lakonisches Panorama der Sinnlosigkeit |
»Who are these people?« fragt einmal Sheriff Ed Tom Bell, die von Tommy Lee Jones gespielte Erzähler-Hauptfigur dieses Films. Fassungslosigkeit liegt in seiner Stimme, die Unfähigkeit, die Menschen zu begreifen, mit denen er es hier zu tun hat. Es ist eine universale Erfahrung. Und sie steht im Zentrum dieses Films. Es ist unser eigenes Unvermögen, manche Menschen, manche Gedanken, manche Handlungen zu verstehen. Sie entziehen sich aller Vernunft. No Country For Old Men ist ein Film über diese Erfahrung, und damit über die Absurdität der Welt und des Lebens. Humorvoll, tragisch, glänzend inszeniert ist dies einer der besten Filme der Coen-Brüder, und defintiv ihr bester seit Fargo. Völlig zu recht hat er bei den Oscarverleihungen triumphiert – das must see des Jahres.
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Western-Bilder am Anfang: Weite, einsame Panoramen, Wüste, Berge, gelb, gelb ist alles hier, darüber eine Erzählerstimme. Ruhig, warm, vertraut. Es ist die Stimme von Tommy Lee Jones, der hier einen der allerbesten Auftritte seiner Karriere zeigt. Jones spielt Ed Tom Bell, den Sheriff der Gegend, er berichtet von früheren Zeiten, von der Ausweglosigkeit der Gewalt:
»I always liked to hear about the oldtimers. Never missed a chance to do so. You can’t help but compare
yourself gainst the oldtimers. Can’t help but wonder how they would've operated these times. There was this boy I sent to the gas chamber at Huntsville here a while back. My arrest and my testimony. He killed a fourteen-year-old girl. Papers said it was a crime of passion but he told me there wasn’t any passion to it. Told me that he'd been planning to kill somebody for about as long as he could remember. Said that if they turned him out he'd do it again. Said he knew he was
going to hell. Be there in about fifteen minutes. I don’t know what to make of that. I surely don’t. The crime you see now, it’s hard to even take its measure. It’s not that I’m afraid of it. I always knew you had to be willing to die to even do this job – not to be glorious. But I don’t want to push my chips forward and go out and meet something I don’t understand. To go into something you don’t understand you would have to be crazy or
become part of it.«
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Und er erzählt von einem Monster von Mensch Gleich sieht man, wie dieser zunächst namenlose Killer mit der Pilzkopffrisur – später erfahren wir: er heißt Anton Chigurh – sein erstes Opfer umbringt. Seine Waffe ist auch neu unter den tausenden Mördern der Kinogeschichte: Es ist eine Apparatur, mit der normalerweise Rinder durch Hochdruck-Pressluft getötet werden. Aber das Prinzip funktioniert auch beim Menschen.
Nochmal Szenenwechsel: Inmitten der gelben Wüste ein Jäger beim Spurenlesen. Er entdeckt die Überreste eines Massakers unter Latino-Drogendealern. Fast alle sind tot, einer von ihnen lebt noch. »Wasser«, sagt er, und er hat Angst vor den Wölfen. »Hay no lobos«, bekommt er zu hören, mehr nicht. »You start to watch your back«, erzählt der Erzähler aus dem Off, und von jetzt an spätestens haben wir das Prinzip dieses Films verstanden, und achten selbst besser darauf, was gerade hinter unserem Rücken passiert: Töten und getötet werden, Leichen pflastern den Weg von Anton Chigurh und damit auch dieses Films. Viel Geld ist im Spiel, und weil ein Geldkoffer verschwunden ist, jagt nun Chigurh, der ein eiskalter Rationalist ist und ein pathologischer Soziopath zugleich, Llewelyn Moss (Josh Brolin), den Spurensucher vom Anfang. Lange denkt man, dieser ist der Narr, der Glück hat, und gar nicht weiß, was ihm droht. Aber es geht immer so weiter »You can’t stop, what’s coming.«
»They died of natural causes. Natural to the matter of work they are in.«
Dieser Film ist eine Sensation. No Country For Old Men ist nicht nur das interessanteste Comeback des Jahres, und der beste Film der Coen-Brüder seit Fargo, in mancher Hinsicht ihr bester Film überhaupt, es ist eines der Kino-Meisterwerke unseres Jahrzehnts, ein ungemein tiefsinniger Film, der grundsätzliche existentielle Fragen mit filmischer Meisterschaft verknüpft. Warum?
Schwer, den richtigen Anfang zu finden. Der Film ist witzig. Er ist traurig. Er ist bitter und klug in seinem Fatalismus. Er ist absurd und existentiell in seiner Lakonie. Man weiß nicht, ob man lachen sollte, man muss aber lachen. Etwa über Sätze wie die des Off-Erzählers Tommy Lee Jones über tote Drogendealer: »They died of natural causes. Natural to the matter of work they are in.« Das macht schon klar: Man muss diesen Film im Original sehen. Noch mehr als sonst bedeutet deutsche Synchronisation hier noch nicht einmal den halben Genuss.
In den letzten zehn Jahren drehten die Coens nur Komödien, die überdies zunehmend seichter wurden, und selbst in ihrem großartigen Welterfolg Fargo dominierte ironische Distanz über eine oberflächlich brutale, aber doch in erster Line witzig und gag-orientiert erzählte Geschichte. Nun aber zeigen die Brüder ihr wohl düsterstes Werk seit ihrem Debüt mit Blood Simple vor immerhin 23 Jahren – und es ist endlich wieder ein vorbehaltlos guter Coen-Film, die Rückkehr zu alter Stärke, und die Rückkehr zu ihren Quellen, dem Film Noir der 40er, 50er Jahre. Zurückzuführen ist das wohl nicht zuletzt auf den Autor der Buchvorlage, Cormac McCarthy (Blood Meridian, All die schönen Pferde), den ausgemachtesten Apokalyptiker der US-Literatur und einen der besten Schriftsteller der Welt.
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No Country For Old Men ist hochkarätig besetzt – unter anderem mit Tommy Lee Jones und Javier Bardem –, glänzend designed und gefilmt – die Kamera führte Roger Deakins – spielt in Texas im Jahr 1980, und erzählt im Prinzip von den Folgen eines missglückten Drogendeals, einem Serienkiller in Kalifornien und der Apokalypse im Grenzland zwischen den USA und Mexiko. Aus dem Off des Erzählers erfahren wir von Morden, Gewalt, Sheriffs. Die Welt ist ein böser Ort, in der ein Mensch gewordener Todesengel (Bardem) Schicksal spielt. Er ist wie ein Geist, wer sich gegen ihn auflehnt, wird sterben. Der Grundton des Films ist Melancholie und Fatalismus.
Offen bleibt, die moralische Frage, wie man mit so einem wie Chigurh am besten verfahren soll? Zähmen kann man ihn nicht. Aus einem Gefängnis wird er ausbrechen. Ihn erschlagen wie ein tollwütiges Tier? das ist die moralische Frage die der Film aufwirft.
Ein präzise und ohne Manierismen oder Effekthascherei inszeniertes, lakonisches, stoisches Panorama der Sinnlosigkeit, in dem man sich auf nichts verlassen kann, außer dass nicht viele Charaktere das Filmende erleben werden. Mord und Totschlag in der Prärie, menschliche Destruktivität in einem Ausmaß, das man im Rückblick zunächst einmal darüber staunt, wie lange es dauerte, bis man im Publikum merkt, dass man jetzt besser nicht mehr lachen sollte. Alles in allem ein ausgezeichneter Film, dem man allenfalls einen latenten Zynismus vorwerfen könnte – aber Zyniker sind bekanntlich unter der coolen Maske Hochsensible.
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No Country For Old Men erzählt wehmütig, aber ohne Nostalgie vom Wandel der Zeiten. Im Zentrum steht ein altwerdender Mann, ein Sherif, der durch den gnadenlosen, unmenschlichen Mördern mit einer neuen Art von Bedrohung konfrontiert wird. Man kann den Film so verstehen, dass dieser Sheriff Bell einfach älter wird, und der Film zeigt, wie es einem ergeht, wenn man älter wird, wie sich die Weltsicht wandelt, und wie die Angst, die Einsicht in die Gefährlichkeit der Welt zunimmt. Besser und wohl klüger wäre es, diesen Film auch zu lesen als Analyse eines grundsätzlichen Wandels, als Beschreibung einer Welt die sich verändert hat und als Aufeinandertreffen von Alt und Neu, von Vergangenheit und Zukunft.
Der Film entwickelt eine fatalistische und darum auch pessimistische Geschichtsphilophie. Er entfaltet ein Panorama der gegenwärtigen USA zwischen Bodenschätzen, Religion, Politik und Gewalt, und reicht dabei doch weit über diese Themen hinaus, wird zu einer Beschwörung von Zeit und Raum, moralischen Unsicherheiten und unmoralischen Entscheidungen, der menschlichen Natur und des Schicksals. Vergleichbar ist er darin allenfalls mit Paul Thomas Andersons There Will Be Blood, dessen persönliche Regieleistung alles in allem noch größer einzuschätzen ist, als die der Coens (weswegen der Regie-Oscar an die Falschen ging). Doch im Unterschied zu Andersons tief in der US-Kinogeschichte verankerten, und immer auf sie bezogenen, humorlosem Citizen Kane-Nachklatsch bieten die Coens in No Country For Old Men ein einzigartige Kinovision, die so noch nie gesehen wurde. No Country For Old Men führt das Kino weiter.
Dem Kino nutzt es, wenn es in Grenzbereiche der Seele und der Moral vordringt, Exzesse auslotet, Ungesehenes zur Erscheinung bringt. Das beste Beispiel ist dieser Film.
»Cant help but compare yourself against the old times. You have to say, Okay, I'll be part of this world.' 'But even if todays outlaws are more.'«
Sheriff Ed Tom Bell (Tommy Lee Jones)