No Other Land

Palästina/Norwegen 2024 · 96 min. · FSK: ab 16
Regie: Yuval Abraham, Basel Adra, Hamdan Ballal, Rachel Szor
Drehbuch: , , ,
Kamera: Rachel Szor
Schnitt: Yuval Abraham, Basel Adra, Hamdan Ballal, Rachel Szor
No Other Land
So etwas wie Hoffnung...
(Foto: IMMERGUTEFILME c/o Lichtblick Cinema GmbH)

Eine Hand sucht die andere

Die auf der Berlinale mit dem Panorama-Dokumentarfilmpreis ausgezeichnete israelisch-palästinensische Koproduktion über das Elend im Westjordanland ist ein aktivistischer und einseitiger Film, aber dennoch informativ und in seinem Anliegen wichtig

Man kann sich der paläs­ti­nen­si­schen Tragik auf die unter­schied­lichste Weise nähern. Mit einem Gedicht wie dem der jungen liba­ne­si­schen Lyrikerin Bana Baydoun oder mit einer Sammlung von Lebens­li­nien, wie dem gerade erschie­nenen Daybreak in Gaza: Stories of Pales­ti­nian Lives and Culture von Mahmoud Muna and Matthew Teller. Oder mit einem doku­men­ta­ri­schen Film­format wie No Other Land, der in der Sektion Panorama der Berlinale nicht nur den Doku­men­tar­film­preis gewonnen, sondern auch einen Streit über den in Deutsch­land viralen Anti­se­mi­tismus in der Kultur­branche ausgelöst hatte.

Wie Mahmoud Munas and Matthew Tellers Buch­pro­jekt eines Paläs­ti­nen­sers und eines Englän­ders mit jüdischem Hinter­grund ist auch No Other Land ein in diesen Zeiten eher unge­wöhn­li­ches Gemein­schafts­pro­jekt. Im Mittel­punkt der Handlung steht der paläs­ti­nen­si­sche Aktivist Basel Adra aus Masafer Yatta, einer Ansamm­lung von Dörfern südlich von Hebron im West­jor­dan­land. Die Häuser der Paläs­ti­nenser sollen einem israe­li­schen Trup­pen­ü­bungs­platz weichen. Mit Bull­do­zern reißt die israe­li­sche Armee deshalb erratisch ein Gebäude nach dem anderen ab. Zusammen mit dem israe­li­schen Jour­na­listen Yuval Abraham und seiner Kollegin Rachel Szor, sowie dem paläs­ti­nen­si­schen Foto­grafen Hamdan Ballal filmt Basel Adra die Zers­törungen und den Protest der Dorf­be­wohner. Auch die Gewalt­taten der israe­li­schen Armee und extre­mis­ti­scher israe­li­scher Siedler werden thema­ti­siert; eine mögliche Kontex­tua­li­sie­rung der im Film gezeigten Gewalt­taten mit dem Massaker am 7. Oktober findet nicht statt.

Der Film gibt jedoch nicht nur die über mehrere Jahren aufge­zeich­neten Schleifen der Zers­törung wieder, die sich fast schon monoton-sche­ma­tisch und kaum unter­scheidbar wieder­holen, nur dass einmal ein Hühner­stall und ein anderes Mal es eine Schule ist, die zerstört werden. Sondern er erzählt neben dieser »Spaltung« auch von einer »Annähe­rung«, der des israe­li­schen Jour­na­listen Yuval Abraham und des paläs­ti­nen­si­schen Akti­visten Basel Adra, die während des Films mehr und mehr zu einem Team verschmelzen und dabei ihren Alltag reflek­tieren und das Schicksal, das dem einen die Freiheit des Reisens in andere israe­li­sche Gebiete erlaubt, dem anderen jedoch nicht. Die Erwähnung der unter­schied­li­chen Nummern­schilder mit ihren unter­schied­li­chen Rechten erinnert an einige der Gesetz­ge­bungen der südafri­ka­ni­schen Apartheid; Apart­heids-Politik nach südafri­ka­ni­schem Muster ist es dennoch nicht, dafür reicht ein ober­fläch­li­cher Blick auf die Wikipedia-Seite über Apartheid.

Doch das ist im Grunde auch nicht wichtig, geht es hier nicht um ein »Label«, sondern um das einfache Anliegen von einem Unrecht zu erzählen. Ein wenig so wie der maure­ta­ni­sche Filme­ma­cher Med Hondo, der mit seinem fran­zö­si­schen Kame­ra­mann und einem minimalen Budget und einer kleinen Crew 1976 die Erfah­rungen eines afri­ka­ni­schen Einwan­de­rers thema­ti­sierte. Sein Film Soleil O war eine ähnliche, in Locarno preis­ge­krönte, akti­vis­ti­sche Attacke auf die rassis­ti­schen Praktiken eines Neoko­lo­nia­lismus wie es Basel Adras aus Masafer Yattas Film über die Politik des Staates Israel im West­jor­dan­land ist. So wie Hondos Film ein system­kri­ti­scher Film ist (und Teil der Welle des soge­nannten Dritten Kinos war), ist auch No Other Land vor allem ein system­kri­ti­scher und streng akti­vis­ti­scher Film, aller­dings kein anti­se­mi­ti­scher Film. Er kriti­siert die Politik Israels, träumt aber in seinem Herzen von einer Versöh­nung wie sie Basel Adra und Yuval Abraham exem­pla­risch vorleben.

Wie schwer die Abgren­zungen und Ausle­gungen jedoch sind, zeigt etwas die Diskus­sion in Israel nach der Preis­ver­lei­hung auf der Berlinale. Nachdem im öffent­lich-recht­li­chen israe­li­schen Fernsehen Abrahams Rede­bei­trag als anti­se­mi­tisch einge­stuft wurde, bezeich­nete die links­li­be­rale israe­li­sche Zeitung Haaretz die Reaktion des Fern­seh­sen­ders als Entspre­chung der gegen­wär­tigen Lage in Israel, einer Atmo­sphäre des Verschwei­gens, der Selbst­zensur und der Verfol­gung jeder Person, die Kritik am israe­li­schen Regime äußere.

Dem Film tut diese Diskus­sion nicht gut. Sie verstärkt die Disso­nanzen und eine überlaute Diskus­sion und macht den Film größer als er ist, statt ihn als Dokument zu sehen, der gerade die Disso­nanzen über­winden will. Man sollte den Weg, den der Film dafür geht, dennoch kriti­sieren, denn wie fast bei jedem akti­vis­ti­schen Doku­men­tar­film, haben wir es mit keinem »guten« Doku­men­tar­film zu tun, gibt es Längen und zu viele Leer­stellen und fehlen vor allem die Stimmen der anderen Seite, fehlen die Grauzonen, wären auch hier moderate Stimmen der anderen Seite ein Gewinn gewesen, wäre es etwa ein großer Mehr­ge­winn gewesen, neben dem paläs­ti­nen­si­schen Alltag dieser bäuer­li­chen Gemeinden auch etwas vom Sied­ler­alltag zu sehen und viel­leicht ja sogar eine der moderaten Stimmen aus diesem Lager zu hören, die es ja durchaus geben soll, wie Lior Roz nach Vorab-Scree­nings einer der Staffeln von Fauda in einigen Sied­ler­ge­bieten zu berichten wusste. Statt­dessen gibt es über die Perso­nalie der beiden zentralen Charakter, der Regis­seure und Prot­ago­nisten Yuval Abraham und Basel Adra so etwas wie Hoffnung, die ange­sichts der zerfah­renen Lage auf allen Ebenen fast schon ein Wunder ist und nicht unter­schätzt werden sollte.

Kasperl, Seppl und das Krokodil

Langweiliges Propagandakino: Yuval Abraham und Basel Adra erzählen mit den Mitteln des Vorschultheaters

»Die Preise der Berlinale waren keine für einen heraus­ra­genden Doku­men­tar­film; sie zeich­neten eine poli­ti­sche Tendenz aus.«
- Sabine Horst, epd-Film

Auch ein Film kann ein Gewaltakt sein. Und auch Juden können zu anti­se­mi­ti­schen Tätern werden. Für beides bietet der neue Film No Other Land, der bei der Berlinale mit zwei Preisen ausge­zeichnet wurde und bedau­er­li­cher­weise viel Aufmerk­sam­keit bekam, reichlich Anschau­ungs­ma­te­rial.

+ + +

Es geht nicht um »die Ohnmacht eines Volkes«, zumal eines Volkes, von dem man gar nicht weiß, ob es eines ist. Und es geht auch nicht darum, ob die israe­li­sche Regierung oder der sich »Wider­stand« nennende arabische Terro­rismus mehr gegen das Völker­recht verstößt als die andere Seite.
Es geht darum, ob dieser Film ein guter Film ist.

Alles das sind aber leider Bemer­kungen, die man in Film­kri­tiken dieser Tage lesen kann. Einer der wenigen ange­mes­senen Texte, die zu diesem Film erschienen sind, stammt von Sabine Horst auf epd Film. Sie macht darin deutlich, dass dies in aller­erster Linie ein stink­lang­wei­liger überaus redun­danter Film ist, der von seinem filmi­schen Quali­täten her die zwei Preise, die er bei der Berlinale bekam, keines­falls verdient hat.

Ein bewusst unscharfer, ungenauer, diffuse anti­is­rae­li­sche und anti­jü­di­sche Ressen­ti­ments aufko­chender, speku­la­tiver Film.

+ + +

Gezeigt werden zwei Freunde, die Filme­ma­cher über vier Jahre auf der Westbank. Gezeigt werden sorg­fältig für den inten­dierten Zweck arran­gierte und ausge­wählte Episoden aus dem Alltags­leben der Araber auf der Westbank. Es geht um die Gegend um Masafer Yatta, eine Ansamm­lung arabi­scher Dörfer auf der Westbank. Als die Gegend zum mili­täri­schen Übungs­ge­biet der Israelis wurde, mussten die Bewohner 2022 die Gegend verlassen.

Ansonsten passiert nicht viel, außer dem Immer­glei­chen. Kino als Übung im Aushalten. Kontext, auch der rein filmische ist den Machern ein Fremdwort.

Ursachen und Zusam­men­hänge inter­es­sieren die Filme­ma­cher hier aber gar nicht, so wenig, wie Geschichte und histo­ri­sche Zusam­men­hänge. Denn sie wissen schon alles und sie kennen die Schul­digen. Die Bösen sind die Israelis, die immer nur Böses tun, drang­sa­lieren, massa­krieren, Häuser räumen, vertreiben. Die Guten sind die Araber, denn sie führen immer nur das Beste im Schilde und sie leiden unter den Bösen. Es ist die Struktur des Vorschul-Kinder­thea­ters: Der gute Kasperl, sein Freund Seppl und das Krokodil.

Die Perspek­tive ist zugleich jenseits des Kinder­thea­ters eher pubertär: wütend und wuter­füllt. Für einen Spielfilm ist das mindes­tens inter­es­sant, für einen an Wahrheit und Fakten zumindest vage orien­tierten Film sind das schlechte Voraus­set­zungen.

+ + +

Ein akti­vis­ti­scher Film in propa­gan­dis­ti­scher Absicht. Es gibt keinerlei Grund, mit No Other Land zu sympa­thi­sieren.

Nochmal Sabine Horst in epd, denn besser kann man es nicht sagen: »Am Ende muss man die Unschärfe der Insze­nie­rung wohl stra­te­gisch nennen. Sie macht No Other Land nicht hilfreich in der berech­tigten und schmerz­haften Debatte um die Sied­lungs­po­litik, die in der israe­li­schen Gesell­schaft selbst ja mit größter Vehemenz geführt wird: Den mono­li­thi­schen Block aus Armee, Staat und Siedlern, den der Film vorstellt, gibt es nicht. Und ange­sichts der Tatsache, dass die Filme­ma­cher auch schon mal ins Geschehen eingreifen, indem sie Konfron­ta­tionen mit den Truppen forcieren, stellt sich die Frage, ob No Other Land die Bilder nicht erst produ­ziert, die seiner Kampagne dienen.«

Und ergänzend Sonja Zekri in der SZ: »Man muss keine Sympa­thien für die Israel-Verklärung auf konser­va­tiver Seite haben, für die kaum verhüllte Sehnsucht nach einer Entlas­tung von der deutschen Geschichte an der Seite eines israe­li­schen Staates, dessen dunkle Seiten viele zusehends ange­strengt übersehen. Aber der Narzissmus der angeb­li­chen Paläs­ti­nenser-Freunde ist auch nicht leichter erträg­lich.«

Es wäre besser, wenn es diesen Film nicht gäbe oder wenn er zumindest in Deutsch­land nicht heraus­ge­bracht werden würde.
Denn er bedient Vorur­teile, verfälscht Fakten und ist kriegs­trei­be­risch. Er will nicht ausge­wogen oder gerecht sein, sondern einseitig und ungerecht.

Ein Machwerk.

+ + +

Liebe Leser,

nur um Miss­ver­s­tänd­nissen vorzu­beugen. Zu dem nach­fol­genden Text bin ich nicht gedrängt oder gebeten worden, und es gab – von ein paar so erwart­baren wie niveau­losen Pöbel­leien auf Social Media abgesehen – keine an mich gesen­deten kriti­schen Stimmen unter der Leser­schaft. Dafür einiges Lob und Zustim­mung. Es gilt also nun für das Folgende der Satz von meinem Partei­freund Boris Pistorius: »Das ist meine souveräne, meine persön­liche und ganz eigene Entschei­dung.«

+ + +

Die Einstel­lung ist die Einstel­lung. Vor zwei Wochen habe ich an dieser Stelle den Film No Other Land im oben stehenden Text bespro­chen. Axel Timo Purr und ich haben einen Pro und Contra formu­liert (siehe oben), ohne es so zu nennen: Freund­schaft­lich im Geist, aber mit voll­kommen unter­schied­li­cher Sicht­weise auf den Film. So kann sich jeder Leser seine eigene Meinung bilden.

Trotzdem war ich mit meinem Text im Nach­hinein unzu­frieden. Er ist polemisch und einseitig, so wie der Film, den er bespricht. Das ist eine ange­mes­sene und zulässige Form der Film­kritik, denn gerade klare Urteile und Polemiken entspre­chen dem Ethos der klas­si­schen Kritik, wie sie Denis Diderot und für den deutschen Sprach­raum Alfred Kerr und Karl Kraus begründet haben. Darum geht es also nicht.

Aber auch Polemik und Einsei­tig­keit sind besser, wenn sie gut begründet werden. Das war mein Text nicht, ich begründe mein Urteil dort nicht so gut und genau, wie oft. Es war schlicht und einfach nicht die Zeit, auf dem Film­fes­tival, auf dem ich damals war, in Ruhe einen Text zu schreiben, ich wurde dauernd gestört und war unter Zeitdruck.

Und gerade, weil ich zwar an allem, was ich vor zwei Wochen geschrieben habe, festhalte und weil dieser Film politisch, wie man so sagt »umstritten« ist, ist es hier aber besonders wichtig seine Argumente auch zu begründen. Darum habe ich mich entschlossen, ausnahms­weise hier einen zweiten Text über den Film nach­zu­lie­fern gewis­ser­maßen in Ergänzung zu allem was sich oben befindet.

Die nach­fol­gende dichte Beschrei­bung ändert also nichts an meinen Aussagen. Aber sie begründet mein Urteil besser als zuvor.

»Arabisch zu lernen, verän­derte meine poli­ti­sche Sicht­weise.«
Die dichte Beschrei­bung eines Propa­gan­da­films und ein Film als Waffe

Von Rüdiger Suchsland

Die Einstel­lung ist die Einstel­lung. Das aller­erste, was man in diesem Film sieht, ist Basel im Auto und eine Fahrt durch die Nacht. Der erste Satz, der gesagt wird: »Guys, the Army is surroun­ding the village« – »Leute, die Armee umzingelt das Dorf«.
Von Anfang an sind wir hier in der Situation der Wagenburg. Der einen Seite und der anderen. Wir haben die Guten auf deren Seite die Kamera steht und mit ihr der Film. Und gegenüber, nur aus der Distanz gefilmt, die Bösen, die sie drang­sa­lieren.

+ + +

Basel ist der Held dieser Geschichte. Er, ein Araber von der Westbank, ist einer der beiden Filme­ma­cher, zusammen mit dem Israeli Yuval Abraham. Sie unter­halten sich und Filmen sich dabei wie sie sich unter­halten.

Aus dem Off hören wir dann: »Basel komm schnell nach Hause«. So schnell geht es nicht, denn da ist noch der Mili­tär­posten der israe­li­schen Armee.

+ + +

Besat­zungen haben sehr verschie­dene Gründe. Diese Gründe und der Kontext der Besatzung sind wichtig. Sie werden in diesem Film nicht geliefert. Diese Entschei­dung auf Kontext zu verzichten, ist nicht nur eine künst­le­ri­sche.

Nicht jede Besatzung ist gleich und nicht jede Besatzung ist gleich schlimm.

Man muss sich klar machen, dass hier ein arabi­scher Aktivist israe­li­sche Soldaten filmt. Er tut das ohne erkenn­bare Einschrän­kungen. Wenn wir uns umgekehrt vorstellen, israe­li­sche oder jüdische Akti­visten (oder arabische Frie­dens­ak­ti­visten) würden in Gaza oder im Libanon filmen, was Hamas und Hisbollah dort so anrichten, dann ist allein diese Vorstel­lung derart absurd, dass einem sofort wieder klar wird, dass hier krasse Unter­schiede zwischen den beiden Seiten exis­tieren. Über die poli­ti­sche Einsei­tig­keit dieses Films kann man insofern nur den Kopf schütteln.

Denn der Film verkehrt die tatsäch­li­chen Verhält­nisse ins Gegenteil, auch wenn der Ausschnitt den er zeigt, als solcher den Tatsachen entspre­chen mag.

+ + +

»Ich bin fünf Jahre alt, meine erste Erin­ne­rung: ein Licht weckte mich nachts, das war die erste Verhaf­tung meines Vaters.« ...
»Ich bin sieben Jahre alt: der erste Protest, an den ich mich erinnere.«
»Das ist mein Land.«

Gemeint ist die Siedlung Masafer Yatta in der Basel und seine Familie leben. Sie soll geräumt werden, der Kampf um die Siedlung ist der Rahmen des Films.

»Das ist mein Großvater, das ist mein Vater, das ist die Zeit, als ich zu verstehen begann, dass meine Eltern Akti­visten sind.«

Der Film zeigt immerhin, dass die israe­li­sche Armee auf Arabisch mit den Arabern kommu­ni­ziert, dass sie eine Hotline-Tele­fon­nummer hat, die 24 Stunden am Tag auch an Feier­tagen erreichbar ist.

Es wird gezeigt wie akti­vis­ti­sches Filme­ma­chen geht: »Sommer 2019« Bagger und Bulldozer kommen im Dort an, aus guten Gründen geschützt von der israe­li­schen Armee. Die Menschen des Dorfes stehen draußen herum, die Frauen sind alle verschleiert, auch die jungen Mädchen schon.

+ + +

Ja es stimmt: Bulldozer reißen Häuser ein. So wie einen anderen Fällen Granaten beider Seiten Häuser auf beiden Seiten. Aber es wird nicht gesagt, warum das hier geschieht.
Nur ange­deutet bleibt die Vorge­schichte eines perma­nenten Aufstands während der letzten 20 Jahre.

Da sind die Israelis, die wir nie – nicht ein einziges Mal – als Menschen sehen, sondern immer nur als Funk­ti­ons­er­füller, als Bull­do­zer­fahrer, vor allem als Soldaten mit kugel­si­cherer Weste, mit Helm, mit Maschi­nen­pis­tole in der Hand, während wir die Araber sehen, wenn sie weinen, wenn sie klagen, wir sehen Kindern auch kleine Kinder, wir sehen Frauen, wir sehen Alte. Wir sehen keine Männer, die Steine werfen wir sehen auch keine Männer, die Schul­busse mit israe­li­schen Kindern in die Luft sprengen.

+ + +

Ein inter­es­santes Detail etwa nach zehn Minuten: Auf Arabisch fragt ein Araber den israe­li­schen Co-Regisseur: »Bist du Araber?« Die Unter­titel über­setzen diese Frage aber anders. Sie über­setzen »Bist du Paläs­ti­nenser?« Hier geht bereits die Verfäl­schung der Fakten los. Wahr­schein­lich eine unab­sicht­liche, naive, wohl­mei­nende, nichts­des­to­trotz eine Verfäl­schung. Denn bei uns in Deutsch­land und den anderen europäi­schen Ländern wird immer so getan, als seien die Paläs­ti­nenser etwas anderes als Araber und als würden sie sich selbst vor allem als Paläs­ti­nenser beschreiben.
Das ist nicht der Fall. Sie beschreiben sich so vor allem für auslän­di­sche Medien und im rahmen der Akti­vi­täten soge­nannter »Paläs­ti­nen­ser­or­ga­ni­sa­tionen«.

+ + +

Dann sehen wir einen Israeli, der gefragt wird: »You are a 'Human Rights Israeli'?« Und die ihn fragen, lachen ein bisschen darüber.
»Was denkst du über das, was dein Land uns antut?« Antwort: »Ich denke, es ist ein Verbre­chen.« – »Wie konnte euer 'Gerichtshof' (und das Wort ist in Anfüh­rungs­striche gesetzt) entscheiden, dass unser Land das Land der Armee wird?«
Jedermann ist hier will­kommen

+ + +

Das Leben wird gezeigt es wird immer in immer gleichen Varianten gezeigt die Kinder gehen ins Bett am nächsten Morgen kräht der Hahn. Nette Kinder spielen.

Israe­li­sche Amts­träger übergeben die »demo­li­tion order« mit der begründet wird, warum das Land vom Staat beschlag­nahmt wird und zum Trai­nings­gelände für die Armee erklärt. Die Araber rufen ihn entgegen: »ihr seid Diebe.« Gut dass es uns jemand sagt, sonst wären wir womöglich zu einem anderen Urteil gekommen.

Yuval spricht arabisch und sagt: »Arabisch zu lernen verän­derte meine poli­ti­sche Sicht­weise.«

Wir sehen niedliche Kinder ein Mädchen etwa fünf Jahre alt mit goldigem blonden Haaren auf der Schaukel.

+ + +

»Sie nehmen alles« – solche Sätze fallen hier dauernd. Ein Mann, Harun wird von israe­li­schen Soldaten schwer verwundet, als er den Räumungen gewaltsam Wider­stand geleistet hat.

+ + +

Ich finde den Film zunehmend rassis­tisch, weil er die Israelis konstant entmensch­licht. Es ist immer von »ihnen« die Rede, von »sie« und »die«. Die Araber haben Namen, Israelis nicht. Sie sind die Feinde. Die Indianer in diesem arabi­schen Frontier-Western.

Wir hören wie israe­li­sche Soldaten als »Animal«, als Tier beschimpft werden.

Die Filme­ma­cher machen selber ausdrück­lich klar, dass es Ihnen um Akti­vismus geht, nicht um die Sache, nicht um die Häuser und die Menschen dort, sondern darum, Israel vor der Weltöf­fent­lich­keit vorzu­führen.

+ + +

Drei Proteste pro Woche. Sie zeigen sich selbst, wie sie in den Medien der ganzen Welt auftreten. Es ist keines­wegs so, dass diese Akti­visten hier nicht sichtbar wären oder etwas sichtbar machen würden, was in irgend­einer Form unter­drückt ist. Im Gegenteil zeigen diese Ausschnitte, dass sie zum Main­stream des Akti­vismus gehören.

Es wird gesagt die Armee, also die israe­li­sche, sei »rachsüchtig« und sie sprechen von »emotio­naler Folter«. Derartige Äuße­rungen bleiben hier voll­kommen unkom­men­tiert und ohne Kontext zu liefern, denn sie spiegeln ja genau die Ansichten der Filme­ma­cher eins zu eins wieder. Sie werden auch nicht irgend­wann einmal in Frage gestellt, denn die Filme­ma­cher sind nicht besonders selbst­kri­tisch.

+ + +

Nach 96 Minuten ist der Film vorbei. Ein Schriftzug kommt: »Wir beendeten diesen Film im Oktober 2023.«
Dann kommt aus dem Radio die Nachricht: »Netanjahu – nicht etwa Israel – habe ›Rache verspro­chen für den Angriff, den die Hamas gegen Israel ausge­führt hat und eine unver­gleich­liche Zahl von Israelis getötet hat‹.«

+ + +

Die Einstel­lung ist die Einstel­lung. Politisch Filme zu machen ist etwas anderes, als poli­ti­sche Filme zu machen.

Im Umfeld der Debatte in Europa ist dieser Film eine Waffe. Dieses Umfeld hat Sonja Zekri in der SZ neulich so beschrieben: »Nach ein paar aufge­kratzten 'Viva, viva, Palästina'-Rufen ging es vor allem um: sie selbst. Eine Zuschauerin gestand, sie schäme sich, dass mit ihren Steu­er­gel­dern Waffen für Israel gekauft werden, eine zweite warb für ihre Petition, eine dritte empfahl, umgehend Briefe an die Redaktion von Berlin.de zu schicken und verlas eine lange und kompli­zierte Mail-Adresse. Und immer wieder richteten sie die bange Frage an die beiden Filme­ma­cher: 'Was sollen wir tun?' Am Ende erschien es, als müssten Adra und Abraham das deutsche Publikum trösten, als seien die Deutschen dieje­nigen, die durch eine schwere Prüfung gingen.«

Die voran­ge­gan­gene dichte Beschrei­bung von No Other Land begründet das Urteil im oberen Text besser als zuvor.