Deutschland/Ö/CH 2008 · 126 min. · FSK: ab 12 Regie: Philipp Stölzl Drehbuch: Christoph Silber, Rupert Henning, Philipp Stölzl, Johannes Naber Kamera: Kolja Brandt Darsteller: Benno Fürmann, Johanna Wokalek, Florian Lukas, Simon Schwarz, Georg Friedrich u.a. |
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Drama in der Wand |
»Mei, damals wars halt so, dass meistens am Sonntag irgendeiner abgestürzt ist. Am Montag war die Bergung, am Donnerstag das Begräbnis. Und nach dem Begräbnis haben wir fürs nächste Wochenende eine zünftige Tour ausgemacht.«
Anderl Heckmair, 1938 Erstbesteiger der Eigernordwand
»Das letzte Problem der Alpen muss fallen.« – So verkünden die Schlagzeilen zu Beginn. Ihre Sprache ist militaristisch: Vom »Angriff auf die Eiger Nordwand« ist die Rede, von der »Schlacht um den Berg«, und am Ende dann vom »Opferkampf bis zum Letzten«. Nazi-Sprache und Nazi-Ideale, Propaganda pur, kein Wunder, denn der Film spielt 1936, genau in der Zeit, als Hitlers Macht vielleicht am unangefochtendsten war in Deutschland, noch vor Kriegsbeginn und millionenfachem Judenmord.
Nordwand, eine BR-Koproduktion, erzählt aus dem heroischen Zeitalter des Bergsteigens: Mit vergleichsweise primitivsten Mitteln krakselte man seinerzeit die Berge hoch, kein Vergleich zur technisch hochwertigen Ausrüstung der Gegenwart. Viele Gipfel waren noch unerobert, bis zur Besteigung des Mount Everest dauerte es noch fast 20 Jahre, und man versteht gut, was den Opern- und Film-Regisseur (Baby) und Werbefilm-Profi Philip Stölzl an Mut und Technik der frühen Bergsteiger faszinierte.
Eine »wahre Geschichte« wird erzählt, so behauptet auch dieser Film – es ist dies also mal wieder ein deutsches Kinostück, das sich der Vergangenheit und den historischen Tatsachen bedient, und doch alles andere sein will, als nüchterne Dokumentation.
Überhaupt will Stölzl sehr viel: Anknüpfen an den „Bergfilm“, jener von Arnold Fanck in den 20er Jahren begründeten Kinotradition, der deutschen Variante des »Western«, des Kinos über den Gegensatz zwischen Mensch und Natur, die „Frontier“ der Zivilisation, die immer weiter in die unbesiedelte, wilde Natur ausgedehnt wird, und den Kampf der Menschen an dieser „Frontier“.
Dieser „Bergfilm“ leidet jedenfalls unter einer doppelten Belastung: Zum einen handelt es sich um einen Filmtypus, der, vorsichtig formuliert, ideologisch belastet ist, in Stölzls eigenen Worten »ein kontaminiertes Genre«. Stölzl: »Für mich führt ein visueller roter Faden von Fancks Bergfilmen zu Riefenstahls Triumph des Willens« (für weniger Informierte: ihrem Propagandafilm über den Reichsparteitag der NSDAP).
Man muss hier auch in aller Vorsicht erwähnen – schon allein, weil man schon oft genug von Dritten darauf angesprochen wurde – dass Stölzl eine gewisse, auch auf den zweiten Blick bemerkenswerte Faszination für die faschistische Ästhetik hat. Das zeigt sich zum Beispiel in seinen Musikvideos, etwa Du hast von der ebenfalls einschlägigen Band Rammstein und vor allem in Stripped, gleichfalls für Rammstein, in dem er Material aus dem Olympia-Film von Leni Riefenstahl verwendete.
Im Interview mit der Welt weist Stölzl die Assoziationskette: »Rammstein – Riefenstahl – Bergfilm – Nordwand« von sich, und meint: »Solch eine Begriffswolke lässt außer Acht, wie zufällig eine berufliche Karriere oft verläuft und wie manche Stoffe zum Kinofilm werden und andere nicht, obwohl du Jahre an ihnen arbeitest. So sehr ich Riefenstahl als Filmemacherin schätze, so problematisch finde ich, wie sehr sie sich von Hitler vereinnahmen ließ. Dass sich nun ein Bogen schlägt von meiner Rammstein-Collage von vor zehn Jahren zu meinem zweiten Kinofilm, ist ein verrückter Zufall.« Wirklich? Gibt es derartige Zufälle? Glauben wir nicht, mag aber sein. Aber dieser Zufall ist, das zeigt Nordwand zumindest bezeichnend.
Bezeichnend für die Qualität von Nordwand ist aber auch, dass Stölzl zwar in jedem Interview betont, er wolle »von der gewaltigen heroischen Stilisierung des alten Bergfilms wie bei Luis Trenker und Arnold Fanck« wegkommen, es gehe ihm »um das Scheitern eines falschen Heldenideals«. Aber gerade wohlmeinenden Rezensenten kommt immer genau das in den Sinn, was Stölzl vermeiden möchte. Zum Beispiel Carlos Gerstenhauer (BR kinokino): »Mit Nordwand hat Philipp Stölzl einen grossen Abenteuerfilm, aber auch einen Metabergfilm geschaffen. Sein Nordwand orientiert sich in seiner Authentizität und Unmittelbarkeit am klassischen deutschen Bergfilm der 20er und 30er Jahre – an Meisterwerken wie 'Weisse Hölle Piz Palü' von Dr. Arnold Fanck oder Das blaue Licht von Leni Riefenstahl.« Oder Hans Messias vom Filmdienst: »[Stölzl] präsentiert einen lupenreinen Bergfilm in der Tradition von Arnold Fanck, Leni Riefenstahl und Luis Trenker.«
Die Belastung des „Bergfilms“ und seiner jetzt von Spiegel und Stölzl verkündeten Renaissance liegt darin, dass er – auch hier dem Western ähnlich – einfach nicht mehr modern ist. Denn Bilder, die vielleicht in den 20ern jene Menschen ergötzt und beeindruckt haben, die noch nie einen Berg auch nur aus der Ferne in natura gesehen haben, kann man heute nicht einfach wiederholen, wo täglich im Fernsehen auf Phoenix und im BR-Nachtprogramm Postkartenpanoramen irgendeines Gebirges gezeigt werden.
Zu alldem kommt dann die erwähnte Faszination. Sie führt zu einem gewissen Authentizitätsfetischismus, der den Film eher belastet. »Bei der Besteigung ist jeder Haken, jeder Karabiner, jedes Seil, jeder Nagelschuh absolut originalgetreu.« (Stölzl) Gegen Orientierung an der Realität ist zunächst einmal nichts zu sagen, nur ist dies wieder einmal ein Fall, wo wie bei Der Baader Meinhof Komplex vermutlich alles richtig ist im Sinne von »richtig recherchiert«, und trotzdem nichts stimmt.
Das gilt besonders fürs Politische und Kulturhistorische. »Die Zeitgeschichte war für mich der Grund, den Film zu machen. Ein reines Bergsteigerabenteuer hätte mich nicht interessiert. Das muss für mich aufgeladen sein mit höherer Bedeutung.« Schön wärs. Stölzl sagt zwar, dass er »diese Ideologisierung des Alpinismus zum Thema machen« wollte, aber es gelingt ihm nicht.
Dabei wäre das interessant: Alpinismus in den ersten Jahrzehnten nach 1900 war trotzige Selbstvergewisserung des Individuums im Zeitalter von Hochindustrialisierung und Massengesellschaft, und schon lange vor den Nazis ein Medium extremen Denkens. Gegen das touristische Erschließen der Alpen zum Erholungsraum des aufsteigenden Bürgertums, beharrten die frühen Bergsteiger auf der persönlichen Begegnung mit und Überwindung der Gefahr im Zeitalter der Extreme. In seinem Aufsatz Todeszonen: Über Denkräume des Extremen im frühen Alpinismus (Zeitschrift für Ideengeschichte II/3, 2008) zeigt Michael Ott jetzt die Geschichte des Bergsports als Geschichte der Flucht vor dem Normalen, dem Gewöhnlichen und den Vielen. Die Idee des Alpinismus wurde bald, unter anderem durch den Bergfilm, von rechten Ideologien vereinnahmt: Es war die „Nation“ die kollektiv die zum „Schicksalsberg“ stilisierten Gipfel stürmte.
Und selbst heute geschieht, zugeschnitten auf die Ideologien und Moden unserer Gegenwart nichts wirklich anderes: Gipfel und Kletterer sind Metaphern. Schicksal und Sinnsuche sind individualisiert. Bergsteiger sind wie andere Extremsportler Exponenten der Weltrisikogesellschaft. Auf dem Berg entkommen sie in die Masseneinsamkeit von Touren in Schulklassenstärke – einmal trafen sich 88 Kletterer auf dem wenige Quadratmeter großen Gipfel des Mount Everest – suchen den Kick in der Todeszone, und halten der rundum versicherten Wohlstandsgesellschaft den abenteuerlichen Spiegel vor. Und wenn ein Reinhold Messner ohne Sauerstoffgerät auf 8000der steigt und sich dort oben noch um die Mülltrennung kümmert, dann spiegelt dies auch nur die Mode des Ökologischen. Und wenn Manager sich von Sherpas an einer Nylonnabelschnur aufs Dach der Welt ziehen lassen, verklären sie das eben nicht mehr zur „Schlacht um den Berg“ sondern zur „Herausforderung“ – das Ideal, jeden Widerstand zu überwinden und das „Prinzip Steigerung“ des immer höher, immer schneller, immer weiter, immer risikoreicher, immer extremer dominiert auch hier. Statt Hakenkreuzflagge flattert das Sponsorenlogo auf dem Gipfel.
Zugleich möchte der Regisseur dann aber doch auch einen Unterhaltungsfilm drehen, und zwar so richtig, mit allem: Frau zwischen zwei Männern, Klimperklitschmusik, Drama und Melo, Spannung und Gemüt, und darum hat er dann zwei so richtig vollrundumsympathische Sympathieträgerhauptfiguren. Sie heißen Toni Kurz (Benno Fürmann) und Andi Hinterstoisser (Florian Lukas), und sie wollen die unglaubliche schwierige „Mordwand“ als erste besteigen. Um auch wirklich keinen Zweifel entstehen zu lassen, dass diese Burschen ihr Herz auf dem richtigen, also nicht rechten Fleck haben, dass sie keine Nazischweine sind, zeigt er überdeutlich, wie sie auf »Sieg Heil!« mit »Servus!« antworten, und gleich in ihrem ersten Auftritt Latrinen putzen müssen – sie haben halt mehr das Klettern im Kopf, als die Disziplin, wie sie bei den Wehrmachts-Gebirgsjägern in Mittenwald so üblich war.
Und dann ist da eine schöne Frau namens Luise (Johanna Wokalek), einst Tonis Jugendliebe, jetzt in Berlin Nachwuchsjournalistin bei dem intelligenten Propagandisten Arau (Ulrich Tukur in seiner Schablonenrolle als opportunistischer Journalist unter den Nazis ist immer noch besser als der Rest, und es ist ein Genuß ihm zuzuschauen), der eine große Story will. Für Luise wiederum ist ihre persönliche Nähe die berufliche Chance. Und dann noch zwei Konkurrenten um den Gipfel, gleichfalls im Dienst des Propagandaapparats.
Korruption und Herausforderung also allerorten, nur im Zentrum der große Berg und die kleinen, charakterlich reinen Menschen Toni und Andi. Es folgt natürlich der Kampf zwischen Mensch und Natur, und den gewinnt im deutschen Kino eigentlich immer die Natur.
Das Ergebnis ist leider enttäuschend und ärgerlich. Was ein bisschen politisch tut und sich dann nicht traut, ist im Großen und Ganzen unpolitisches Bombastkino. Seine »wahre Geschichte«, den tödlich missglückten Versuch der Erstbesteigung, der dann von der Nazi-Propaganda zum Opferdrama stilisiert wurde, trägt der Film wie eine Monstranz vor sich her. Doch jede Gelegenheit, aus den Mythen des Bergfilms, etwas zu machen, das über verschämte Wiederholung des Alten hinausgeht,
wird verschenkt. Es ist die Grundschwäche dieses Films, dass er – wenn es schon ein Bergsteigerdrama sein muss – sich nicht zu großen weiten Naturdrama entscheidet, nicht den Mut hat, wirklich Bergfilm zu sein, sondern stattdessen immer im kleinem engen Melodram verharrt. Nordwand bleibt geistig immer unten – im Tal der Daily Soap, und spult dort nur bekannte Muster des sogenannten deutschen Eventkinos der letzten Jahre herunter, füllt sie mit
neuen Versatzstücken.
Leider sieht man alles, was man schon in anderen Fällen nicht sehen will – und was der Rezensent offen gesagt eigentlich sowohl Regisseur Stölzl als auch seinem Produzenten Boris Schönfelder absolut sicher zugetraut hat, dass sie es unterlassen und besser machen würden:
Antiquierteste holzschnittartige Männerbilder aus einer anderen Zeit, denen ihr Leben wurscht ist, und für die die Lebensgefahr nur Anlaß ist, um einen besonders dummen Spruch auf ihren Lippen zu tragen – wie an der Theke. So eine Szene erzählt uns: Sie nehmen den Berg nicht ernst, genausowenig wie der Film. Aber wenn der Film den Berg nicht ernst nimmt, wie sollen es dann auch die Figuren tun? Wie die Zuschauer? Völlig unkritisch käut man zudem die Nazi-Ideale von Kraft, Freude und deutschen Heldenmut, von Opferbereitschaft und Durchsetzungswillen gegen alle Vernunft wider, und der Berg erscheint als Metapher für den Endsieg – das Scheitern von Toni und Andi als Sport-Stalingrad.
Blut, Schweiß und Tränen, urdeutsche Härte am Berg und heroisches Sterben, Bodenständigkeit und Blasmusi verbinden sich zu einer 21.Jahrhundert-Variante des Heimatfilms, zu einer postmodernen Variante von „Blut und Boden“-Kino. Kaum überraschend ist da die Inszenierung unsicher und oft geschmacklos: Immer klatscht und brezelt Stölzl schlechte Musik über seine Bilder, suppt alles mit (behauptetem) Pathos voll, überall schwurbelt die Kamera übers Gebirg, oder sie glotzt zentimeternah den Akteuren ins Gesicht. Und oft wackelt die Pappe der Studiokulissen.
Offenkundig wurde zudem ausgerechnet am Sprachcoach gespart: Hauptdarsteller Benno Führmann spricht ein derart peinliches Pseudobayrisch (Schande über den koproduzierenden BR), dass es in dieser aufwändigen, am eigenen Ernst erstickenden Opferstory um Helden, die sinnlos sterben und um eine Niederlage gegen übermächtige Naturgewalten immerhin mal für ein paar befreiende Lacher gut ist.
Stölzl stellt eine legitime Frage zum Bergfilm. Geht es? Die Antwort, die der Film gibt, lautet aber: Es geht einfach nicht. Die Erzähl-Muster passen nicht, die Gefühle passen nicht, alles bleibt behauptet. Selbst das könnte noch funktionieren, so wie auch das Musikantenstadl unauthentisch ist, und ein bestimmtes Publikum doch unterhält, doch sein Publikum findet. Dafür aber, um die Massen zu becircen, ist Nordwand schlicht und einfach zu depressiv: Die Helden
sterben, am Ende steht eine Niederlage, die nur die Nazi-Propaganda noch in einen Sieg umzumünzen versucht,… oder tut es doch auch der Film? Der klammert sich nur mit einem letzten Sicherungshaken noch an Luise. Sie sagt am Schluß, als alles vorbei ist: »Ich geh nicht zurück.« In die Großstadt, wo das Übel herkommt. Stattdessen landet sie dann in New York. Hört schwarze Musik, raucht und zumindest wenn sie eine Zigarette hält, sieht Wokalek auch aus, wie eine deutsche Cate
Blanchett.
Wokalek ist ja inzwischen zur Allzweckwaffe des deutschen Kinos mutiert, man wundert sich, dass sie nicht auch in Anonyma wenigstens in einer Ecke auftaucht. Aber hier kann auch sie, im Gegensatz zu Der Baader Meinhof Komplex nichts retten.
Ansonsten: Warum macht man heute noch so einen Film? Was ist denn die Moral des Ganzen? Die Medien? Ja, das muss es wohl sein. Hier kann der Mensch des frühen 21. Jahrhunderts andocken. Irgendwie sind die Medien eigentlich an allem schuld. Und die Großstadt. Die Großstadt, ja. »Ach wärt ihr nur in Berchtesgaden geblieben!«, auf dem Land, hätte man die Jungs doch in Ruhe gelassen, denkt der Zuschauer des Öfteren. Vielleicht hätt’s, wenn der Mensch nicht immer so hoch hinaus wollte, dann auch keine Nazis gegeben.
Immerhin für Luise ist »Der lange Weg nach Westen« (Heinrich August Winkler) am Ende vorbei. Das deutsche Kino hat ihn offensichtlich immer noch vor sich.
Michael Ott: »Todeszonen: Über Denkräume des Extremen im frühen Alpinismus«, in: Zeitschrift für Ideengeschichte II/3, 2008.