Deutschland 2012 · 85 min. · FSK: ab 12 Regie: Jan Ole Gerster Drehbuch: Jan Ole Gerster Kamera: Philipp Kirsamer Darsteller: Tom Schilling, Marc Hosemann, Friederike Kempter, Justus von Dohnányi, Michael Gwisdek u.a. |
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Spielt in Berlin |
Er will einen Kaffee trinken. Niko Fischer will einfach einen Moment relaxed Ruhe tanken. Doch das funktioniert nicht. Denn an diesem einzigen Tag hat sich für ihn alles verändert. Bisher war er ein Herumhänger, einer, der von außen wie ein Sohn aus zu gutem Hause wirkte: Verwöhnt, von sich selbst gelangweilt. Niko ist ein wortkarger und passiver, im besten Sinn eigensinniger Typ, und von Tom Schilling mit viel Einfühlungsvermögen und Intensität gespielt. Seit zwei Jahren schon hat er sein Jura-Studium einfach sein lassen, lebt aber weiter in den Tag hinein sein typisches Studentenleben auf Kosten des Papas, der von alldem nichts ahnt und Niko tausend Euro pro Monat überweist. Eines Tages erfährt der Vater aber vom Studienabbruch und dreht Niko den Geldhahn zu. Am selben Tag verliert Niko den Führerschein wegen »emotionaler Unausgeglichenheit«. Dann trifft er auch seine ehemalige Mitschülerin Julika (Friederike Kempter), und verliebt sich ein wenig. Aber – und dieses Problem quält Niko nicht minder – in Berlin gibt es offenbar gerade einfach keinen Kaffee...
Berlin ist Schwarzweiß; Berlin ist melancholisch; Berlin lebt in den Tag hinein... – all das ist natürlich nicht der Fall. Jedenfalls nicht mehr, als anderenorts der Republik. Aber so stellt man sich im Rest der Republik offenbar das Leben in der deutschen Hauptstadt vor. Bereits Ende der 1990er gab es eine Welle von »Berlin-Filmen«, die das hippe, coole großstädtische Lebensgefühl zwischen Love-Parade und Döner, zwischen Lola-rennt und Kanzleramt feierten. Jetzt ist es wieder soweit, das zeigt ein Film wie dieser: Oh Boy, gedreht von Jan Ole Gerster stellt nicht seine Handlung in den Mittelpunkt, sondern die Stadt Berlin. Niko ist ein freundlicher Tagträumer, der durchs Leben stolpert, driftet und seiner Umgebung immer etwas hilflos gegenüber steht. Schilling spielt diese Figur mit sehr viel Humor. Ein junger Mann, der in gewisser Weise ein Anarchist ist, vor allem aber ein Beobachter. Oh Boy ist so episodenhaft, wie Nikos Leben, aber die Passivität der Hauptfigur macht ihn zur Projektionsfläche eines ganzen geistigen Biotops.
Dieser Niko ist ein Held unserer Zeit, gerade in seinen Schwächen, seiner Verwöhntheit, seiner Orientierungslosigkeit. Bevor er etwas Falsches macht, tut er lieber gar nichts – auch hierin entspricht dieser Niko einer Epoche, der Sicherheit über alles geht. Und darüber hinaus findet er noch ein paar Betäubungsmittel, die ihm den Alltag versüßen Stilistisch ist Oh Boy, der auf mehreren Filmfestivals wichtige Preise gewann, ein Film der ungewohnten Berlin-Bilder, der Brandmauern und Bahngleise, des leisen, unscheinbaren Rausches.
Zugleich ist dies ein humorvoller, sondern auch ein sehr poetischer Film – kurzum: Das gelungene Debüt eines Regisseurs, von dem man noch hören wird.