USA 2020 · 114 min. · FSK: ab 12 Regie: Regina King Drehbuch: Kemp Powers Kamera: Tami Reiker Darsteller: Kingsley Ben-Adir, Aldis Hodge, Leslie Odom jr., Eli Goree, Lance Reddick u.a. |
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Doppelbödig, aufregend und fordernd | ||
(Foto: Amazon Studios) |
Wer Pixars an Weihnachten erschienenes Meisterwerk Soul gesehen hat, dürfte bereits eine Ahnung haben, was der Dramatiker und Drehbuchautor Kem Powers zum Thema afro-amerikanischer Selbstermächtigung und Identitätsbildung zu sagen hat. In Soul ist das allerdings kein Themenschwerpunkt, sondern eins von vielen schwindelerregenden Gedankenspielen über das Leben, Sterben und unser aller Identitäten und Sinnsuchen. In Kemps 2013 uraufgeführtem Theaterstück One Night in Miami ist es der Kern des Stückes, so wie auch in dem von Regina King adaptierten Film, zu dem Kemp das Drehbuch geschrieben hat.
Man merkt dem Film das Kammerspiel, das Theaterstück, immer wieder an, in dem vier afro-amerikanische Ikonen der frühen Black-Power-Bewegung aufeinandertreffen. Es ist die Nacht des 25. Februar 1964, nach dem Sieg von Cassius Clay (Eli Goree) gegen Sonny Liston, durch den Clay im Alter von 22 Jahren Weltmeister wurde. So wie in Kemps Stück und Kings Film hat sich damals tatsächlich Clay nach seinem Sieg mit drei Freunden getroffen. Mit dem Bürgerrechtler Malcolm X (Kingsley Ben-Adir), dem Musiker Sam Cooke (Leslie Odom Jr.) und dem Footballspieler und Schauspieler Jim Brown (Aldis Hodge). Aufzeichnungen von diesem Treffen existieren nicht, dafür aber Kemps Mutmaßungen und unser aller Wikipedia-Wissen, dass innerhalb eines Jahres sowohl Malcolm X als auch Sam Cooke gewaltsam zu Tode kamen.
Diese gesprächslastige Konstellation lockert King in ihrer Inszenierung durch Szenen auf, die aus dem Hotelzimmer, in dem sich die vier Freunde treffen, hinausführen. Sie zeigt die vier Afro-Amerikaner in einer düsteren Eingangssequenz in Momenten des Scheiterns, die immer auch Momente eines mehr oder weniger subtilen Rassismus sind. Und sie zeigt sie in Rückblenden an Orten ihrer Erfolge und in Momenten, da die Freundschaft durch ihre so unterschiedlichen Perspektiven und Rivalitäten während ihres Treffens auseinanderzubrechen droht und Cooke und Clay das Zimmer verlassen, um erst nach einer Spritztour wiederzukehren und die Diskussion erneut aufzunehmen.
Im Zentrum dieser Auseinandersetzungen – einer der Höhepunkte findet symbolträchtig in einer großartig gespielten Szene auf dem Dach des Hotels statt – stehen Malcolm X und Sam Cooke. Malcolm wirft Cooke vor, Musik für Weiße zu machen und nicht mehr als ihr Affe zu sein, sich anzubiedern, statt Widerstand zu leisten, und ein Weißer wie Bob Dylan mit seinem »Blowing in the wind« den Widerstandssong geschrieben habe, den eigentlich Cooke hätte schreiben müssen. Cooke kontert mit seinen Leistungen, ein eigenes, afro-amerikanisches Label aufgebaut zu haben, und wirft Malcolm vor, seine Wurzeln verloren zu haben und im Grunde zu niemandem zu gehören.
Wie filigran und klug dieser Diskurs geführt wird, zeigt sich dann noch einmal mehr durch die hinzukommenden Gesprächsanteile von Brown und Clay, in denen sowohl die innerhalb der afro-amerikanischen Community grassierende »Apartheid« zur Sprache kommt als auch die elementare Frage, ob Malcolm Xs Weg, die Befreiung über eine radikal-islamische Bewegung wie die Nation of Islam, nicht eine weitere »Identitätsfalle« ist. So wie die Musik mit ihren »weißen« Erwartungshaltungen nach einer »schwarzen« Musik, ein Thema, das Kemp ja auch in Soul provokativ in den Raum stellt.
Das mag sich alles ein wenig theoretisch und kammerspielartig anhören, ist es aber durch Kings Regie und Kemps Drehbuch überhaupt nicht. Die Dialoge sind spritzig, witzig, böse und verletzend und werden im Hotelzimmer durch Spiegel, in denen sich die Protagonisten verlieren, doppeln oder verzerrt werden, in ihrer Statik gebrochen. Und dann sind da noch Malcolms Leibwächter, Passanten auf der Straße oder die »Menge«, etwa in der fantastischen Szene des Bostoner Konzerts von Cooke, in der Cooke gegen alle Widerstände »seine« Musik macht, um in einer abschließenden Szene im »weißen« Fernsehen dann auch die Musik zu präsentieren, die Malcolm von ihm gefordert hat. Das ist doppelbödig, aufregend, fordernd und unbedingt sehenswert.
Damit ist One Night in Miami ein weiterer wichtiger und großartiger Baustein des in den letzten Jahren verstärkten Bemühens des amerikanischen und britischen Films, sich mit den Wurzeln und der Gegenwärtigkeit von Rassismus und schwarzer Identitätsbildung auseinanderzusetzen. Doch One Night in Miami geht noch weiter, und stellt durch seinen so exponierten zentralen Diskurs die viel grundsätzlichere Frage, die nach der »richtigen« Art des Widerstands, die im Grunde in jeder Gesellschaft, in jeder Kultur immer wieder aufs neue gestellt werden muss. Am Ende kommen King und Kemp zum gleichen Schluss wie Steve McQueen in seiner gerade erschienenen Serien-Anthologie Small Axe, nach der auch die kleinste Axt am Ende den größten Baum fällt.
One Night in Miami ist seit dem 15. Januar 2021 auf Amazon Prime Video abrufbar.