USA 2020 · 101 min. · FSK: ab 12 Regie: Sofia Coppola Drehbuch: Sofia Coppola Kamera: Philippe Le Sourd Darsteller: Bill Murray, Rashida Jones, Marlon Wayans, Jenny Slate, Jessica Henwick u.a. |
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Bill Murray und Rashida Jones: Klare Absagen | ||
(Foto: A24) |
Es ist dieser erste Moment, in dem Billy Murray die Bühne des neuen Films von Sofia Coppola betritt, der erste Moment seit 17 Jahren, seit Lost in Translation, in dem Murray wieder in einem Spielfilm von Coppola auftritt, dieser erste Moment also, für den sich On the Rocks allein schon lohnt.
Bis dahin sind die Grundzüge der Geschichte bereits erzählt worden. Haben wir Laura (Rashida Jones) und Dean (Marlon Wayans) in ein paar Szenen ihrer Ehe dabei zugesehen, wie die Beziehung den Bach runtergeht, mit Kind dann noch einmal mehr und Laura nun berechtigte Zweifel entwickelt, ob Dean ihr wirklich noch treu ist. Und in genau diesem Moment betritt Felix (Bill Murray) die Bühne, der Vater von Laura, ganz weiße, alte Nordstaaten-Oberschicht, kurbelt das Fenster seiner Limousine herunter und tituliert sie mit dem alten Kosenamen aus ihrer Kindheit. Das ist ein großer Moment, nicht nur weil es der erste, wirkliche erzählerische Höhepunkt dieses Films ist, sondern weil Murray, der vor wenigen Wochen seinen 70. Geburtstag gefeiert hat, hier mit wenigen Kunstgriffen sein ganzes Können ausspielt. Er führt mit einem jovialen Lächeln die alte Eltern-Kind-Hierarchie wieder ein und leitet ab diesem Moment das investigative Verfahren gegen Lauras Ehemann, dem er als alter, promiskuitiver »Silberrücken« natürlich alles zutraut, umso mehr noch wahrscheinlich, als Dean Afroamerikaner ist und sich mit allen Mitteln bemüht, mit seinem Startup erfolgreich zu sein, wohl auch, um Lauras Familie endlich zu zeigen, dass er es wert war, sie zu heiraten.
Doch darüber wird in Coppolas Film nicht wirklich gesprochen, es ist nicht einmal klar, ob es überhaupt angedeutet wird. Denn sieht man sich Coppolas Film an, der nur drei Wochen Kinoauskopplung zugebilligt bekommen hat, bevor er auf Apple TV+ zum Stream freigegeben wird, dann ist es so, als spaziere man durch ein Kaufhaus bei bester Easy-Listening-Musik und betrachtet all die Waren, die zum Verkauf stehen, ohne sie aber kaufen zu dürfen.
Das überrascht vor allem deshalb, weil Coppolas letzter Film The Beguiled (2017), in den viele eine fast schon feministische Perspektive interpretierten, die Erwartungshaltungen, die im Laufe des Plots aufgebaut wurden, fast schon konsequent und dazu noch überraschend bediente.
In On the Rocks hingegen scheint sich Coppola Erwartungshaltungen regelrecht zu widersetzen, die Waren »ihres Kaufhauses« stehen explizit nicht zum Verkauf. Das macht ihren Film zu einem seltsamen Grenzgänger, an dessen Ende man sich fragt, ob es das denn jetzt tatsächlich war, ob der Film wirklich schon zu Ende ist. Denn eigentlich wird am ehesten so etwas wie ein Remake von Lost in Translation eingelöst – denn ist nicht auch dort Bill Murray als in die Jahre gekommener Mann mit einer viel jüngeren Frau durch eine Stadt getrieben, um ihr »beratend« zur Seite zu stehen?
Allen anderen Kernthemen ihres Films erteilt Coppola klare Absagen. Wer etwa ein Eifersuchtsdrama wie Claude Chabrols DIE HÖLLE erwartet, sollte sich stattdessen auf eine fast schon meditative Herangehensweise einstellen, die über viel Reden zu relativ wenigen Ergebnissen führt, und eher die therapeutische Wirkung entfaltet, die Woody Allen in seinen Filmen der späteren Schaffensphase mal überzeugend, dann wieder ein wenig lau in Szene gesetzt hat. Überhaupt fühlt sich On the Rocks immer wieder wie Woody Allen an, nicht nur wegen der vielen Kreuzdialoge, sondern auch wegen der Stadt, wegen New York, das hier immer wieder liebevoll eingeblendet wird.
Auch Coppolas Interesse an der im Film ja angedeuteten »Black Lives Matter«- Thematik ist eher randläufig, auch wenn schon relativ schnell deutlich wird, dass Lauras Mann Dean nicht ganz unbeschadet in die weiße Oberschicht aufgestiegen ist und mit Problemen zu kämpfen hat, die wir aus Serien wie THIS IS US oder aktuellen Filmen wie Waves kennengelernt haben. Aber der flanierende Impetus des Films, der ja auch Komödie sein soll, scheint eine Vertiefung nicht zu erlauben.
Am ehesten kann man On the Rocks vielleicht als Aufarbeitung von Coppolas Beziehung zu ihrem übermächtigen Vater Francis Ford deuten, obwohl auch hier die Zügel sofort angezogen werden, nachdem es tatsächlich zu so etwas wie einem Zerwürfnis kommt. Das muss gerade für die großartige Hauptdarstellerin des Films, Rashida Jones, nicht einfach gewesen sein, hat doch Jones das Drehbuch für eine der klügsten Beziehungskomödien der letzten Jahre geschrieben, für Lee Toland Kriegers Celeste & Jesse Forever, in dem genau dort an den Beziehungen weitergearbeitet wird, in denen Coppola die Beziehungsarbeit unterbricht.
Aber vielleicht muss man auch gar nicht deuten, sondern nimmt alles so, wie es ist, und was nach On the Rocks bleibt: dieses seltsam leichte Gefühl, einen schönen Spaziergang unternommen und dabei gänzlich überraschend ein paar nette, neurotische Menschen getroffen zu haben.
»Der Hockney«, »der Twombly« – keine Frage: So redet man unter Kunsthändlern in New York. Man geht zum Lunch ins »Twentyone«, trinkt Bombay-Martini, isst Kaviar, fährt ein altes Alfa-Cabrio in Knallrot.
Felix ist einer, der so lebt. Ein Genießer, ein Lebenskünstler. Er ist nicht nur dem Namen nach ein Glücklicher – auch jetzt mit über 70, als seine wilden Jahre schon etwas vorbei sind, lässt er’s sich in jeder Hinsicht gutgehen.
Noch kennt ihn jeder auch in Paris
und London, er bekommt Einladungen von Kunstsammlern in den 90.Stock irgendwelcher Appartements mit Blick auf den Central Park, wo im Schlafzimmer schon mal ein echter Monet hängt – im Abspann erfährt man, dass das Bild im Film tatsächlich echt ist, und »aus einer privaten Sammlung« stammt. Felix hat einen Fahrer, er hat Freunde mit einem Beach-Ressort in Mexiko und das nötige Kleingeld, um übers Wochenende dort auch hinzufliegen – auch wenn Felix unglücklicher wäre,
als er ist, dann wäre man es schon gern in dieser Form.
Kaum einer könnte diesen Felix besser und mit ähnlich stoischer Nonchalance verkörpern, als der Komiker Bill Murray, der in Lost in Translation wohl die Rolle seines Lebens spielte, und hier nun 17 Jahre nach diesem frühen Klassiker des 21. Jahrhunderts erstmals wieder mit Regisseurin Sofia Coppola zusammenarbeitet.
Das spielt alles wie so viele klassische Hollywood-Filme unter den oberen Zehntausend von New York. In diesem Film haben die Menschen endlich mal wieder keine ernsthaften Sorgen, finanzielle schon gar nicht. Sie leben in schicken Wohnungen und tragen Cartier – On the Rocks ist ein Anti-Problemfilm.
Nicht anders als in einer Komödie von Lubitsch geht es hier genaugenommen um gar nichts, aber auf – auch nicht anders als bei Lubitsch –
sehr souverän unterhaltsame Art und Weise.
Felix’ Tochter Laura (gespielt von Rashida Jones) ist verheiratet. Doch der Mann arbeitet viel, und die zwei Kinder und ihr eigener Hang zu übertriebener Kinderfürsorge sorgen dafür, dass Laura, die eigentlich Bücher schreibt, hier gerade nicht weiterkommt. Dafür hat sie genug Zeit, sich über anderes Gedanken zu machen. Zum Beispiel darüber, ob ihr Gatte womöglich mit seiner attraktiven Bürokollegin ein Verhältnis hat. Scheinbare Indizien gibt es genug, so wie immer, wenn eine Beziehung altert, und beide mehr Zeit mit der Arbeit verbringen, als miteinander.
Der Verdacht ist gar nicht so stark, aber Felix ermuntert Laura, ihrem Gatten nachzuspionieren, vielleicht auch nur, weil ihm das Spiel mit den Möglichkeiten Spaß macht, und er so wieder etwas mehr Zeit mit seiner Tochter verbringt. Dieses schnell absurd werdende Versteckspiel treibt die Handlung voran. Die Hauptsache ist aber das Zusammensein der beiden Hauptfiguren dazwischen: Die Gespräche zwischen Tochter und Vater, die Erinnerungen an kleine Momente, die das Leben nicht
weniger ausmachen, als große Ereignisse und Brüche.
So ist On the Rocks ein weiteres Kapitel jener Philosophie der Beiläufigkeit, an der Coppola in ihrem Werk seit jeher schreibt. Tiefe erscheint hier immer wieder punktuell an der Oberfläche, in Augenblicken der Bewegung. Wie im Leben selbst, das eben anders ist als Proseminare in Gender-Studies und Altersforschung. Wer unbedingt tief graben will, der kommt nur auf Lehm.
Zugleich ist dies diesmal mehr denn je auch ein Film über das Verhältnis zweier Generationen: Über den Kleinmut der Jungen, in den 70er und 80er Jahren Geborenen, denen es materiell an wenig fehlt, um so mehr aber an Utopien, und die, anstatt ihre Problemfreiheit zu genießen, ein schlechtes Gewissen über alle möglichen Banalitäten entwickeln, zugleich einen Perfektionismus, der sie notwendig unglücklich macht.
Und über die Freiheit der Alten, der Post-68er, die in den »trentes
glorieuses«, den glorreichen 30 Jahren nach dem Krieg, aufwuchsen und von Wirtschaftsnot nichts mehr und von Ökoängsten und Utopieverlust noch nichts wussten. Jener Alten, die so herrlich unmoralisch und besserwisserisch und im Innersten anarchistisch sind, und ihrer Kinder, die mit ihrem Moralismus und puritanischer Regelsehnsucht und der Angst vor Fehlern neben ihnen so wahnsinnig alt und spießig aussehen. Die aber auch oft egozentrisch und selbstbesoffen
wirken.
Coppola schildert dies alles wie gewohnt mit viel Sensibilität, gleichzeitig aber unaufdringlich. Keiner hat hier mehr recht als der andere. Und über allem kann an der Liebe zwischen Vater und Tochter kein Zweifel sein.
Es ist eben ein Verhältnis, keine Beziehung – »relation« auf Englisch meint beides. Aber nur im Deutschen sind Beziehungen Arbeit, vielleicht nur weil die Deutschen beim Arbeiten am glücklichsten und sich selbst am nächsten sind, und ihre Sprache das
sonderbare Wort »Beziehungsarbeit« erlaubt.
Mit Coppola hat das nichts zu tun. Wenn ihr Film eine Botschaft hat, dann die all ihrer Filme: Man sollte die Dinge nicht allzu ernst nehmen, schon gar nicht seine Traurigkeit, sondern mehr die schönen Seiten des Lebens genießen, bevor alles schlecht ausgeht.
Als Filmkunstwerk ist On the Rocks kein großer Film, sondern eine kleine Fingerübung. Man sieht On the Rocks tatsächlich an, dass er mit »Apple+« für einen Streaming-Dienst gemacht wurde. Es gibt viel mehr Dialoge als ansonsten in einem Coppola Film, und alles ist auch außerordentlich brav geschnitten. Ein Zwischenwerk, gut bezahlt von Apple, wo man sich mit großen Namen schmücken möchte. Produziert hat ihn Bruder Roman, der Soundtrack stammt einmal mehr von Phoenix, der französischen Popband ihres Ehemanns Thomas Mars.
Natürlich kann man sich fragen, ob diese kleine, feine, irgendwie banale, aber gut beobachtete Geschichte uns auch en passant über das Verhältnis der Regisseurin Sofia Coppola zu ihrem Vater, dem Hippie Francis Ford, erzählt. Aber derlei Privates ist nur etwas für die Klatschspalten und im Grunde völlig unwichtig.
PS: Über Dean (Marlon Wayans), den Ehemann von Laura, erfahren wir so gut wie nichts. Außer in einer einzigen lustigen, fast wortlosen Szene, dass sein Schwiegervater mit ihm offenbar nichts anfangen kann. Soll vorkommen.
Wir sehen allerdings, dass er Schwarzer ist, und insofern nicht reinpasst in den Erwartungshorizont weißer New Yorker Kunsthändler und Schriftstellerfamilien, Ex-Hippie hin oder her. Soll auch vorkommen: »Guess who is coming for dinner?« Und es liegt im Auge
des Betrachters, also an uns und an unseren eigenen Erwartungshaltungen und Vorurteilen bezüglich Hautfarben und der Regisseurin, ob wir es nun für wahnsinnig progressiv und antirassistisch von Sofia Coppola finden, dass die Hautfarbe hier selbstverständlich ist und nie zum Thema gemacht wird, oder rassistisch und erzkonservativ, dass das so ist.
Ich glaube weder, dass der Film zeigt, dass irgendwer Dean gegenüber Vorbehalte hat, noch dass Dean seiner Frau und Familie
irgendetwas beweisen will, was nicht jeder Ehemann seinem Schwiegervater in einer Lubitsch-Komödie beweisen will.
Was unsere Zeiten allerdings von Lubitschs Zeiten leider zu ihrem Nachteil unterscheidet, ist, dass man damals Vorurteile und Hautfarben und Klassendifferenzen ganz offen ausgesprochen und in einen Dialogwitz verwandelt hätte. Über den schämte man sich schon damals fremd, und das war lustig, so wie Laura jetzt ihr geliebter Vater peinlich ist, wenn er mit und über Frauen redet, und wie drei Viertel des männlichen und die Hälfte des weiblichen Publikums wie Coppola dann auf Seiten von Felix stehen.