The Palace

I/CH/PL/F 2023 · 102 min. · FSK: ab 12
Regie: Roman Polanski
Drehbuch: , ,
Kamera: Pawel Edelman
Darsteller: Oliver Masucci, Fanny Ardant, Mickey Rourke, John Cleese, Joaquim de Almeida u.a.
Filmszene »The Palace«
Allzu vorhersehbarer Klamauk...
(Foto: Weltkino)

Kaviar und Hundehäufchen à volonté

Roman Polanskis ätzende Spätlese The Palace

Bei Filmen und Romanen, die in Grand­ho­tels spielen, ist eine Art exis­ten­zi­eller Weich­bet­tung inbe­griffen, ob mit oder ohne Boxspring-Pols­te­rung. Ist das palas­tähn­liche Haus dann noch aufs Schönste einge­schneit, verstärkt sich dieser wohlige Verfrem­dungs­ef­fekt. Das Dasein sei einzig auf Reisen erträg­lich, befand schon der Ufa-Schau­spieler Willy Birgel, der mit seinem gezwir­belten Schnurr­bart unter anderem in dem Spio­na­ge­film Hotel Sacher (1939) mitwirkte. Im künst­li­chen Milieu der gehobenen Hotel­lerie, wo dicke Teppiche jeden Schritt dämpfen, gedeihen Träume, Exzesse, falsche Iden­ti­täten. Das gilt für Filme wie Menschen im Hotel nach dem Roman von Vicky Baum, Abenteuer im Grand-Hotel von Ernst Marischka mit dem unsterb­li­chen Komö­di­anten Hans Moser (dessen Werk leider immer mehr aus dem Fernsehen verschwindet) oder Grand Budapest Hotel von Wes Anderson.

Und so konnte auch Roman Polanski, die neun­zig­jäh­rige polnisch-fran­zö­si­sche Regie­le­gende, dem einla­denden, gefäl­ligen Genre des Grand­hotel-Films offenbar nicht länger wider­stehen. Fast ein halbes Jahr­hun­dert lang habe er das Gstaad Palace besucht, so Polanski. Dort beob­ach­tete er »eine extrem reiche Elite, um die sich das Prole­ta­riat des Hotels versam­melt. Diese beiden Welten der Reichen und Armen sind auf ihre eigene Weise komisch, manchmal grotesk.« Gedreht wurde vor Ort im Gstaad Palace, viele Jahre, nachdem die Geschäfts­füh­rerin und Besit­zerin Andrea Scherz und ihr Gast Roman Polanski bei einem Kaffee diesen »sehr emotio­nalen Traum« hatten. Auch an Silvester 1999 war der Regisseur dort einge­laden und erlebte die »absurde Menagerie in ihrer ganzen Pracht« rund um den »Millenium Bug«, der zur Jahr­tau­send­wende sämtliche Compu­ter­sys­teme lahm­zu­legen drohte. Das ist im Kern die Handlung des Silves­ter­films The Palace, dessen allzu vorher­seh­bare Klamauk-Handlung sich ganz auf die Künste von Kostüm- und Masken­bild verlässt.
Solange die Gäste solvent sind, werden sie von beflis­senen Ange­stellten mit allen Mitteln und diplo­ma­ti­schen Finessen von der Realität abge­schirmt. Hansueli Kopf, der Hotel­di­rektor, ist solch ein Meister seines Fachs. Oliver Masucci, das breit­beinig gran­telnde Enfant Terrible (2020) in Oskar Roehlers Fass­binder-Hommage, flötet nun gleich­blei­bend fröhlich und gelassen das sanfteste Englisch mit Schweizer Akzent. Er ist der ruhende Pol in einem Meer aus Exzen­tri­kern. Bei der Party am letzten Tag des Jahr­tau­sends darf nichts schief­gehen. Bei einer Art Prolog in der Großküche schwört der sympa­thi­sche Hansueli seine Mann­schaft auf »Höflich­keit, Präzision und Perfek­tion« ein, während in der Lobby ein gewal­tiger 2000-Ziffern­block aus Eis platziert wird.
»What seems to be the problem?«, haucht Hansueli dem Queru­lanten Bill Crush entgegen, den Mickey Rourke als abge­half­terten Lebemann mit Blond­perücke verkör­pert. Da zeit­gleich mit ihm eine Gruppe reicher Russen mit kichernden Blondinen auf Highheels und sechs Fendi-Geld­kof­fern anreist (verstaubar nur im Keller­ge­wölbe der Schweizer Zentral­bank), muss sich Crush statt mit einer Suite mit einem schmalen Einzel­zimmer begnügen. Der einzige, den er überhaupt noch beein­dru­cken kann, ist der kleine Bank­an­ge­stellte Caspar Tell, der durch den Millenium Bug den großen Coup wittert; Milan Peschel erweist sich in dieser Rolle erneut als verläss­li­cher, herrlich nervöser Komödiant.

Als im Fernsehen Boris Jelzin lallend seinen Rücktritt als Präsident der russi­schen Föde­ra­tion verkündet, bricht bei seinen Lands­leuten im Schweizer Hotel kurz Alarm­stim­mung aus. Roman Polanski schrieb mit dem inge­niösen Jerzy Skoli­mowski, seinem alten Freund aus Studi­en­tagen an der Film­hoch­schule Lodz, und dessen Frau Ewa Pias­kowska das Drehbuch. Die Russen stellt das Trio dabei derart tumb dar, als gelte es eine Neuauf­lage des polni­schen Über­ra­schungs­sieges gegen die sowje­ti­schen Nachbarn im Jahr 1920 zu feiern. Skoli­mowski, Jahrgang 1938, verfasste bereits das Drehbuch zu Roman Polanskis gesell­schafts­kri­ti­schem Masuren-Film Das Messer im Wasser von 1962. Damals eckten sie bei den Zensoren der sozia­lis­ti­schen Volks­re­pu­blik an, erwarben sich aber inter­na­tio­nalen Ruhm. Bei der Kari­kie­rung des geballten Kapi­ta­lismus von The Palace hingegen agieren die beiden Altmeister des Absurden aller­dings wenig stringent, so als hätten sie inmitten der über­bor­denden Kulissen und Perücken den Überblick – oder die Lust – verloren.

Selbst Fanny Ardant bleibt in der Rolle der Marquise, einer geblümt geklei­deten hyste­ri­schen Hunde­be­sit­zerin, unter ihren Möglich­keiten. Als ihr Pinscher wegen des zuge­schneiten Rasens ein Defä­ka­ti­ons­pro­blem entwi­ckelt und seiner Herrin ins Bett macht, muss der Schön­heits­chirurg Dr. Lima (Joaquim de Almeida) den Hund und dessen Hinter­las­sen­schaften unter­su­chen: Das arme Tier wurde mit »Kaviar à volonté« gefüttert, so die Diagnose. Der Nasen­spe­zia­list Lima wollte mit seiner geistig verwirrten Frau nur eine alpine Auszeit genießen, wird aber sogleich von mehreren gespens­tisch gelif­teten weib­li­chen Best Agern umringt, die weitere Eingriffe fordern. Einer ausge­spro­chen glatten bis drallen Epidermis erfreut sich dagegen Magnolia (Bronwyn James), die junge Ehefrau des texa­ni­schen Milli­ar­därs Arthur Duncan Dallas III. Ihn spielt kein Gerin­gerer als der britische Erzko­miker John Cleese.
Die wahren Helden jenseits aller Extra­va­ganz sind ein abge­klärter polni­scher Klempner (»Ich heiße Karol, wie der Papst«) und der angeb­liche unehe­liche Sohn von Mr. Crush. Er reist mit seiner Frau und Zwil­lings­töch­tern aus der tsche­chi­schen Provinz an. Der Anblick ihrer billigen groß­ge­mus­terten Strick­waren stimmt einfach nur traurig, und so wird die Familie vom Hotel­ma­nage­ment im Kinder­pa­ra­dies zwischen­ge­la­gert. Neben Stanley Kubricks tief­win­ter­li­chem Hotelfilm Shining (Zwil­ling­mäd­chen!) spielt Roman Polanski ebenso auf eigene Meis­ter­werke wie Chinatown (Nasen­ope­ra­tion!) an. Deren Fallhöhe zu The Palace ist leider nicht zu leugnen. Polanskis Abrech­nung mit dem entfes­selten Kapi­ta­lismus à la Suisse wirkt bei aller Schärfe und allem Ideen­reichtum und damit dem Respekt, den dieses Alters­werk abnötigt, am Ende ratlos.