USA/Südkorea 2023 · 106 min. · FSK: ab 0 Regie: Celine Song Drehbuch: Celine Song Kamera: Shabier Kirchner Darsteller: Greta Lee, Teo Yoo, John Magaro, Seung-ah Moon, Seung-min Leem u.a. |
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Auf der Suche nach dem Gestern, Heute und Morgen... | ||
(Foto: STUDIOCANAL) |
»Flow river flow
Let your waters wash down
Take me from this road
To some other town«
– Roger McGuinn, Ballad of Easy Rider
Es ist schon verblüffend, dass Celine Songs Past Lives im Hauptwettbewerb der Berlinale ohne Preis geblieben ist, denn selten war ein Debüt derartig perfekt und und dann auch überraschend komponiert. Doch andrerseits war der diesjährige Wettbewerb ein an sich starker Jahrgang und holt sich Past Lives seit seiner Uraufführung in Sundance einfach andere Preise und stimmt das mit dem Debüt auch nicht wirklich, ist Celine Song, die auch das Drehbuch für ihren Film geschrieben hat, in einem anderen Leben auch Dramaturgin, hat etwa in ihrem 2019 am American Repertory Theater uraufgeführten letzten Stück ENDLINGS drei ältere südkoreanische Taucherinnen ins Zentrum ihrer Handlung gestellt.
Auch in ihrem filmischen Debüt wählt Song die Triade, flicht sie eine Dreiecksbeziehung, die stark biografisch rekurriert. Denn so wie ihre drei Helden hat auch Song einst mit ihrer südkoreanischen Jugendliebe und ihrem amerikanischen Mann in einer Bar gesessen und auch sie ist so wie ihr filmisches Alter Ego Nora (Greta Lee, als Kind Moon Seung-ah) mit Eltern im Alter von 12 Jahren nach Kanada migriert.
In Past Lives sieht Nora Hae Sung (Teo Yoo) erst nach weiteren 12 Jahren wieder und das auch nur online über Facebook und in ein paar Videotelefonaten, gibt es ein physisches Wiedersehen, dann auch mit ihrem Ehemann Arthur (John Magaro), erst nach noch einmal 12 Jahren. Das mag sich ein wenig nach Richard Linklaters BEFORE-Trilogie anhören, ist jedoch nicht nur eine »Monologie«, sondern auch sehr anders, konzentrierter und analytischer, als das, was Linklater in seinem Filmen erzählt, mal abgesehen von den von Linklater provozierten Zeitsprüngen, die er später in Boyhood noch einmal erweitern wird.
Young wirft nicht nur ihre eigene Biografie mit ins erzählerische Spiel, sondern entwirft über exquisite Dialoge, die in ihrer Konzentration an »Theaterdialoge« erinnern, eine Dreiecksbeziehung, die endlich einmal anders erzählt wird, die sich nicht wie kürzlich in Mit Liebe und Entschlossenheit in leidenschaftlicher Nicht-Reflektion auflöst oder wie in Kürze in PASSAGES die Dreiecksbeziehung wirklich versucht zu leben, so wie einst auch Jules und Jim in Truffauts Klassiker.
So und so genau ist es dann auch nicht. Bei Young ist alles besonnen, aber doch zärtlich, suchen die Protagonisten über Worte und Blicke nach emotionaler Wirklichkeit und Wahrheit, wie es im heutigen Kino eher selten zu sehen ist. Das liegt jedoch nicht nur an den Dialogen und einer fast schon hyperrealen Empathie, an einer emotional runtergedimmten Ästhetik, die bisweilen an Korean-Noir-Filme erinnert, sondern auch an dem philosophischen Konzept des koreanischen »In-Yun«, das Young elegant in ihren Film einbettet, das schicksalhaft bestimmt, wie sich zwischenmenschliche Beziehungen durch mehrere Sequenzen der Reinkarnation entwickeln.
Was sich ein wenig esoterisch und verquarkt anhören mag, ist es in Youngs Film jedoch überhaupt nicht, vielmehr wird auch dieses Konzept nur als Angebot in den Raum gestellt, um mit dem Leben so wie mit der Liebe so zu jonglieren, dass es am Ende zu einem befriedigenden Ausgang für alle Beteiligten hinausläuft, auch wenn das erst in einem späteren Leben sein mag. Und auch das ist alles andere als gegeben, denn Youngs Film ist ja auch eine Betrachtung über die Folgen migrantischen Lebens, sehen wir gerade an Nora, wie sich innerhalb von 12 Jahren ihre Identität verändert und nach noch einmal 12 Jahren, wie dann auch sprachlich die Dinge ins Schwanken geraten, ihr Koreanisch eher Baustelle als Sprachlabor ist, wie sich über ihren Beruf als amerikanische Autorin und im Zusammenleben mit ihrem ebenfalls als Schriftsteller arbeitenden Mann mit jüdischen Wurzeln, sie sich eher in einem identitären Zwischenkontinuum befindet, für das die Vergangenheit vielleicht die Wurzel sein mag, mit denen die Früchte an diesem Baum jedoch nichts mehr gemein haben.
Neben Youngs authentisch spielendem Ensemble, das sich während des Films in einen Delirium-artigen Rausch zu spielen scheint, deren Dialoge stromschnellengleich durch so bekanntes wie unbekanntes Terrain rauschen, ohne zu wissen wohin, ist es dann aber auch die überragende Kameraarbeit von Shabier Kirchner, die diesen Film und sein Personal greifbar macht. So wie in seiner faszinierenden Arbeit für Steve McQueens meisterliche Filmreihe SMALL AXE, die ebenfalls von Migration und ganz oft von Liebe handelt und ähnlich komplexe Fäden spinnt, so bewegt sich Kirchner auch hier zwischen zwei Antipoden. Zum einen folgt er den Beteiligten so nah und intim, dass wir glauben, Teil dieses Freundschafts- und Liebesreigens zu sein, dass es nur einen Schritt braucht, um selbst Teil am Geschehen zu nehmen. Doch nur einen Moment, eine Szene später entfernt sich Kirchner mit seiner Kamera, schafft eine Distanz, die es erst ermöglicht, die psycho-philosophische Komponente von Past Lives anzunehmen, sind dann auch die Natur-Shots Einstellungen aus der Distanz, die aber gleichzeitig Angebot sind, auf das Unbekannte, die Schönheit, die in allem Unbekannten liegt – und beileibe nicht nur unheimlich ist – zuzutreten und einzutreten.
Einzutreten und zu erkennen, dass das Leben und die Liebe mehr sind als das, was wir gemeinhin sehen und zu erkennen glauben.
»Historisch gesehen wird der Diskurs der Abwesenheit von der Frau gehalten ... es ist die Frau, die der Abwesenheit Gestalt gibt, ihre Fiktion ausarbeitet, denn sie hat die Zeit dazu; sie webt und singt; die Spinnerinnen, die Webstuhllieder sprechen gleichzeitig die Immobilität und die Abwesenheit aus.«
– Roland Barthes »Fragmente einer Sprache der Liebe«
Ja, ja, Past Lives ist ein guter Film. Es gibt wenig zu kritisieren. Aber es gibt auch nichts drumherum zu reden: Past Lives ist kein großer Film, und ich glaube, ein großer Teil seines jetzigen Erfolgs und des Beifalls, den er allerorten bekommt, liegt vor allem darin, dass es solche Filme heute viel zu wenig gibt. Bis vor 20, 30 Jahren gab es sie oft. Früher gab es einmal pro Woche ein Melodram, das sich unmittelbar mit universalen
menschlichen Fragen, mit dem Sinn des Lebens befasst hat.
Stattdessen macht man heute Filme über Plastikpuppen, die plötzlich lebendig werden, oder man setzt einen Schwarzen, einen Chinesen, einen Rassisten und einen Kontrabass zusammen in ein Auto, lässt das ganze zwei Stunden über die Leinwand fahren,und nennt das Ganze »Migrationsdrama«. Kein Wunder, dass sich die Leute vom Kino verabschieden.
Ja, vielleicht ist dies tatsächlich einer der besten Filme des Jahres. Aber doch nicht, weil er wirklich so gut ist, sondern weil alles andere so viel schlechter ist.
Dies ist ein Formel-Film, dies ist ein typischer amerikanischer weichgespülter Ostküstenfilm, auch wenn die Regisseurin aus Kanada stammt. Darum hatte er seine Premiere in Sundance; da gehört er auch hin. Die Berlinale hat ihn nachgespielt in ihrem Wettbewerb. Es ist ein Film, der unglaublich bourgeois ist,
derart bourgeois, wie dies französische Filme nie im Leben sind, und in Deutschland auch nur ein paar aus den bekannten Berliner Klassismuszimmern.
Macht aber nichts.
Dies alles ist eine Feststellung zur Lage und zur euphorischen Rezeption. Nicht zum Film selbst. Kommen wir also auf den.
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Dies ist kein »Migrationsdrama«. Obwohl es auch von zwei Kulturen handelt, von Grenzüberschreitungen, von Heimatlosigkeit, vom Gefühl, von irgendwo, wo man hingehörte, weggerissen worden zu sein, und sich in einem Ort zu befinden, wo man sich anders fühlt als man möchte. Eben »anders«.
Aber die Hauptfigur der Nora, die sich als Koreanerin in den USA in einer Art »Diaspora« befindet, erwähnt zwar irgendwann, dass sie sich Flüge nach Seoul im Internet anschaut, aber sie erweckt nie den Eindruck, dass sie hin- und hergerissen wäre, oder sich ernsthaft nach einer Rückkehr sehnt.
Eine Romanze in Moll. Zärtlich, zaghaft, ruhig, dabei seltsam cool, schon sentimental, aber nicht übermäßig. Alles ohne Aufdringlichkeit oder Anmaßung, insofern auch sehr anders als die Filme von Noah Baumbach, mit denen ihn manche jetzt vergleichen, der aber immer irgendetwas beweisen will. Dieser Film will nichts beweisen, er will uns was zeigen. Er will uns etwas zeigen, was wir alle kennen – das ist sein Geheimnis. Genau darum funktioniert es, weil wir sofort verstehen, ja viel zu gut verstehen.
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Alles beginnt mit einer hervorragenden Sequenz, in der die drei Hauptfiguren des Films in einer Bar in New York von einem Paar beobachtet werden, das verstehen will, was die Zusammensetzung dieses Trios ist.
Diese Sequenz, ohne die Zuschauer, wird am Ende des Films wiederholt, wenn wir die Charaktere bereits verstehen und sehen, wie absurd die Vermutungen basierend auf den ersten Eindrücken gewesen sind.
Der Film erzählt die Geschichte zweier koreanischer Kinder in den 90ern. Sie sind etwa zwölf. Na Young ist sehr ehrgeizig und gut in der Schule, und Hae Sung, der still und ängstlich in sie verliebt ist. Sie mögen sich sehr, gehen auf die gleiche Schule und sind fast Nachbarn. Jeden Tag teilen sie gemeinsam den Schulweg, bis eines Tages Na’s Eltern beschließen, nach Toronto auszuwandern, was viele nicht verstehen, insbesondere Hae. Na’s Vater ist ein erfolgreicher Filmregisseur und die Mutter eine anerkannte Künstlerin.
In Ellipsen bewegt sich der Film innerhalb eines Zeitraums von 24 Jahren. Zunächst sehen wir Na, die ihren Namen in Nora geändert hat, 12 Jahre später in New York. Sie macht Kurse in fiktionalem Schreiben, will an einem Schriftsteller-Retreat teilnehmen. Auf Facebook findet sie heraus, dass Hae Sung nach ihr gesucht hat. Sie verbinden sich wieder und kommunizieren über Skype. Hae Sung geht nach China, lernt Mandarin, will Jura studieren. Nora bittet ihn, den Austausch für eine Weile zu
unterbrechen, da sie sich aufs Schreiben konzentrieren will. In besagtem Retreat trifft sie einen anderen Schriftsteller: Arthur. Sie verlieben sich, heiraten, leben in New York. Nora wird Theaterregisseurin, während Arthur weiter schreibt. Sie leben im hippen East Village.
12 Jahre später besucht Hae Sung New York. Er ist Anwalt, aber nicht richtig ehrgeizig, und gerade von seiner chinesischen Freundin getrennt. Er glaubt, vielleicht wieder mit Nora zusammenkommen zu können.
Alle drei verbringen Zeit miteinander, es entsteht eine gewisse Spannung und nun dreht sich der Film wieder zur Barszene des Anfangs zurück.
Regisseurin Celine Song hat sich bei ihrem Filmdebüt von ihrem eigenen Leben inspirieren lassen. Sie wurde in Südkorea geboren und wanderte mit ihrer Familie im Alter von zwölf Jahren nach Kanada aus. Ihr Vater ist Filmemacher und ihre Mutter Künstlerin. Sie lebt in New York, wo sie als Dramatikerin mit der Inszenierung ihres Stücks »Endlings« sehr erfolgreich war. Sie hat auch mehrere Stücke von Tschechow inszeniert.
Vielleicht ist ihre Geschichte deshalb so universal wirkungsvoll und banal zugleich. Denn die Grundidee kennt wohl jeder: Was wäre, wenn...?
Ist es normal, diese Fragen auch in Bezug auf die Liebe zu stellen? Oder Verrat gegenüber der Person, mit der man jetzt sein Leben teilt?
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Es ist eine Art Dreiecksbeziehung auf mentaler Ebene. Hae Sung weiß, dass er nie wieder mit Nora zusammen sein wird (zumindest nicht in diesem Leben), und Arthur erfährt, dass es viele Seiten an seiner Geliebten gibt, die er nicht kennt. Nora liebt ihr Leben, aber sie erkennt auch, dass sie anderswo und anders glücklich hätte werden können.
Gleichzeitig fällt es ihr schwer, mit anzusehen, wie Hae Sung nicht so recht ins Leben findet, weder beruflich noch privat. Ist es ihretwegen?
»Wenn du etwas aufgibst, bekommst du etwas zurück«, sagt Noras Mutter in der Einleitung. Vielleicht, weil er seine Jugendliebe nie ganz aufgegeben hat und sich an etwas klammert, das nie existiert hat, steckt er in einer mentalen Sackgasse fest.
Jedes Mal, wenn sich das zentrale Paar trifft, ist klar, dass das Schicksal nicht auf ihrer Seite steht. Sie wollen zusammen sein, aber sie wollen auch andere Dinge tun. Sie wollen Karriere machen, dort leben, wo sie leben... Das Timing, die Träume und die Finanzen... Wir nennen es Leben.
Es gibt keine übermäßig kitschigen Bilder oder Szenen. Die Musik ist meist dezent. Die Menschen verhalten sich angenehm normal, gewöhnlich, selbst die Dialoge sind sehr alltäglich. Es gibt keine leidenschaftlichen Geständnisse wie in einer Daily-Soap, die Figuren haben keine unrealistischen Erwartungen.
Wichtiger als das Gesagte ist das Unausgesprochene, das wofür es vielleicht nicht einmal Worte gibt.
Past Lives möchte keine Antworten geben, stellt aber gerne Fragen.
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Past Lives ist ein lyrischer, subtiler, nicht plotlastig erzählter Film von einiger visueller Schönheit. Sein Setting aber ist, je länger man zusieht, konstruiert. Eine geschmäcklerische Verständigkeit und Abgewogenheit, eben das Bourgeoise des Films legt sich die Patina über alles – ähnlich wie der Film in seinen Ellipsen dahingleitet. Hinter dem Driften steht weder Druck noch Verlorenheit.
»Der Klügere gibt nach« – das ist sowieso eine
stupide Spießerweisheit, die der Dummheit Tür und Tor öffnet. In der Liebe aber ist sie skandalös.
Und der Regisseurin und den vielen Liebhabern dieses Films fehlt offenkundig aller Sinn für das Skandalöse der gelassenen bourgeoisen Verständigkeit dieses Films.
Als im letzten Akt Hae Sung wieder in New York auftaucht, um Nora wiederzusehen, sagt deren Mann Arthur: »Ich habe gerade darüber nachgedacht, was für eine gute Geschichte das ist...« Das dachte vermutlich auch Celine Song.
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»Vernünftiges Gefühl: 'Alles wird sich finden – aber nichts bleibt, wie es ist.' Gefühl des Liebenden: 'Nichts wird sich finden – und trotzdem bleibt es wie es ist.'«
– Roland Barthes »Fragmente einer Sprache der Liebe«