Passion Simple

Frankreich 2020 · 99 min. · FSK: ab 16
Regie: Danielle Arbid
Drehbuchvorlage: Annie Ernaux
Drehbuch:
Kamera: Pascale Granel
Darsteller: Laetitia Dosch, Sergej Polunin, Lou-Teymour Thion, Caroline Ducey, Grégoire Colin u.a.
Filmszene »Passion Simple«
Der französische Liebesfilm ist auch nicht mehr, was er mal war...
(Foto: Wild Bunch)

Schlichte Passionen

Die Sehnsucht nach Exzess: Danielle Arbid hat Annie Ernauxs Novelle »Passion Simple« verfilmt – ein konzentrierter Film ohne Stars und große Namen, aber auch »Fifty Shades of French-Russian-Relationship«

Vor vielen Jahren hat die fran­zö­si­sche Regis­seurin Danielle Arbid einen sehr schönen Film über ihre Kindheit im Libanon gemacht, und darüber, wie ihre Jugend im Bomben­hagel des Bürger­kriegs ausge­rechnet durch die Songs von Boney M. verschönt wurde. Er heißt Dans les champs de bataille (»Auf Schlacht­fel­dern«) und ich habe ihn seitdem nicht vergessen. Inzwi­schen sind 18 Jahre vergangen und es geht um ganz andere Leiden­schaften: Arbids neuer Film Passion Simple ist eine freie Verfil­mung der gleich­na­migen Erzählung der fran­zö­si­schen Best­sel­ler­au­torin Annie Ernaux von 1992. Darin geht es wie immer bei dieser Autorin vor allem um Innen­an­sichten von Weib­lich­keit, um Seelen­qualen einer bürger­li­chen Frau.

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Ziemlich zu Beginn dieses Films geht Helene, die Haupt­figur, mit einer Freundin ins Kino. Sie sehen dort Hiroshima, mon amour von Alain Resnais nach Margue­rite Duras' Drehbuch. Dies ist ein klar gesetztes Zeichen der Regis­seurin, das auf ihre eigene Haltung ebenso verweist wie auf der Kern der Geschichte von »Passion Simple«: Eine selbst­be­wusste, sexuell selbst­be­stimmte Frau liebt einen ganz und gar fremden Mann, und in diese Liebe mischt sich eroti­scher Exotismus, die Anziehung durch eben dieses Fremde, eine unauf­heb­bare Distanz.

Von solchen unauf­heb­baren Distanzen zwischen Ethnien und Kulturen offen zu sprechen, erscheint bereits als nicht ganz risikolos in unseren Zeiten univer­saler Gleich­heit, des scheinbar gren­zen­losen gegen­sei­tigen Inter­esses fürein­ander, einer vermeint­lich schran­ken­losen Toleranz für das »Andere«, andere Haut­farben, diverse Geschlechter und deren Fluidität, andere Kulturen sowieso, ein Wille zur und eine Lust an der Aner­ken­nung, die nur – so will es die reine Lehre der post­mo­dernen Demo­kratie – von ein paar wenigen Bornierten nicht geteilt werden.
Skepsis ist ange­bracht. Viel­leicht ist der Aner­ken­nungs­wille doch geringer, das Empfinden der Distanz doch größer, als man es öffent­lich oder auch nur sich selber gegenüber zugeben will, viel­leicht lassen sich aber gerade aus Distanz und Unver­traut­heit erotische Funken schlagen? Viel­leicht liegt der Reiz der Diver­sität gerade in der Betonung von Diffe­renzen, nicht in ihrer Leugnung oder gar Abschaf­fung? Wie ja auch die Ablehnung des Eigenen, der latente Selbst­hass gerade unter den bürger­li­chen wohl­ha­benden Schichten des Westens unver­hohlen attraktiv wirkt.

Solche Über­le­gungen löst Passion Simple aus, weil er die Diffe­renzen in Herkunft, Kultur und Klasse immer wieder direkt zum Thema macht, vor allem des inneren Monologs der Haupt­figur, aber etwa auch dann, als direkt nach besagtem Kino­be­such Helene und die Freundin im Café über den Film reden und über Männer. Zum Resnais-Film hat Helene vor allem zu sagen, dass sie die Frau­en­figur nicht mochte, weil ihr die zu bürger­lich war und »typisch fran­zö­sisch« sei, aber den Mann, den Japaner mochte sie.

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Ein »Moscou, Mon Amour« ist Passion Simple aber deshalb nicht geworden. Das liegt auch daran, dass die Regis­seurin zwar dieses und viele andere Zeichen setzt, aber nichts mit ihnen anzu­fangen versteht. Es sind einfach zu viele Zitate, Refe­renzen, Anspie­lungen, die in diesem Film durch­ein­an­der­wir­beln. Man darf selbst­ver­ständ­lich schon auf Resnais und Duras und diesen Film anspielen – aber wenn man es tut, dann sollte man es auch weiter­führen, dann muss man es auch richtig tun, und kann es nicht nur als ein Zitat für ein paar Minuten mal in den Film hinein­we­deln, und es dann noch zum Anlass für eine kurze und ein bisschen doofe Dialog­szene in einem Café machen.

Man könnte zwar sogar gele­gent­lich sagen, alles erinnert an Persona, wenn dies nicht filmisch gleich fünf Klassen zu hoch gegriffen wäre. Und dann wieder »Fifty Shades of French-Russian-Rela­ti­onship«. Kolpor­ta­ge­hafte Formu­lie­rungen wie diese: »Er war wie der Takt, der meinem Leben einen Rhythmus gegeben hat. ich bin sogar für ein paar Stunden nach Moskau geflogen, um dieselbe Luft zu atmen.«

Wenn man Passion Simple sehr wohlwill, könnte man ihn viel­leicht als ein Pastiche von Hiroshima, mon amour bezeichnen. Ein miss­glücktes, aber immerhin. Denn auch hier geht es um die Liebe zwischen einer bürger­li­chen Frau – Helene ist Univer­si­täts­do­zentin – und einem Fremden, in diesem Fall einem Russen namens Alexandre, der als Security-Mann bei der Botschaft arbeitet. Helene hat ein Kind und lebt allein. Alexandre ist verhei­ratet und mit Tattoos übersät. Es wird gesagt, dass er jünger sei als sie.
O-Ton aus dem Film: »Wir sind so verschieden. Er trägt immer Desi­gner­an­züge und steht auf große Autos. Er mag Daily-Soaps und Putin.«

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Die Hiroshima, mon amour-Referenz kommt in Annie Ernaux' nur 32 Seiten umfas­sender Erzählung nicht vor. Der Film ist auch sonst gegenüber der Vorlage stark verändert. Hinzu­ge­kommen und offen­kundig aktuell gemeint sind die zahl­rei­chen Refe­renzen auf das Putin-Russland, denn bei Ernaux wird die Figur erheblich vager nur als »Osteu­ro­päer« beschrieben. Selbst die Besetzung der männ­li­chen Haupt­rolle ist eine solche Referenz: Sergei Polunin, Darsteller des Alexandre, ist ein berühmter Tänzer, der an der Pariser Oper jahrelang für mehr als einen Skandal gut war, und zuletzt heraus­ge­flogen ist, weil er sich öffent­lich »russ­land­freund­lich«, gemeint war wohl eher Putin-freund­lich, geäußert habe.
Man kann in alldem also auch einen Kommentar zum gegen­wärtig vorherr­schenden Russen-Bild in Europa sehen. Zu unserer Vorstel­lung vom »Russen« als einem irgendwie primi­ti­veren, körper­li­cheren, sexuell poten­teren Wesen. Unsere Wahn­vor­stel­lung vom »Russen« als »Tier«.

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»Since last September, I have done nothing but wait for a man.« Dies ist der erste Satz. Erzählt wird von einer souver­änen Frau, die sich komplett von einem Mann abhängig macht, mit dem sie eine Sex-Beziehung hat. Mit dem sie nichts sonst verbindet. Die ihr Leben darüber verliert. Erzählt wird von einer Amour Fou, die – weil sie eben »fou«, »verrückt« ist – man nicht erklären kann. Noch nicht mal sich selbst gegenüber. Sondern sie macht einen dümmer, so dumm und abhängig, dass man sich vor sich selbst schämt.

So ganz klar ist dabei trotzdem nicht, was der Film eigent­lich zeigen will: Wie Liebe dumm macht? Worum es »wirklich« geht im Leben? Nicht um Bücher, sondern um schlichte Leiden­schaften.

Oder soll »der weibliche Blick« illus­triert, vorge­führt und demons­triert werden? Manche, auch manche Frauen, werden einen solchen Film jeden­falls als einen typischen Frau­en­film und je nachdem als besonders einfüh­lend oder als gerade abturnend ansehen. Weil er angeblich zeigt, »wie Frauen schauen«, »wie Frauen empfinden.« Wie »es« »wirklich« ist. Wir wollen mal hoffen, dass zumindest das Letzte nicht der Fall ist.

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Inter­es­sant ist das Ende. Denn später, nach vielen Wochen der Abwe­sen­heit, in denen Helene zuerst fast verrückt wurde, nachdem der Mann sie verließ, dann allmäh­lich den Entzug von ihm geschafft hat, trifft sie ihn wieder: Sie sagt »der Mann, den ich wieder sah, war nicht mehr der Mann, den ich vor acht Monaten getroffen hatte. Aber damals hatte er mich an eine Grenze geführt und mir gezeigt, wer ich bin. Durch ihn weiß ich, zu was ich fähig bin. Wo meine Grenzen liegen. Und ich habe Grenzen erreicht. An ihnen gekratzt, sie viel­leicht sogar über­schritten.«

Insgesamt ist dies ein konzen­triertes K(l)ammer­spiel, ein Film ohne Stars und große Namen, der durch großar­tige Auftritte der beiden Haupt­dar­steller besticht: Haupt­dar­stel­lerin Laetitia Dosch ist eine echte Entde­ckung.
Zugleich wirkt alles in manchen Sequenzen auch wie die Karikatur eines fran­zö­si­schen Melos. Unfrei­willig macht Passion Simple uns klar: Der fran­zö­si­sche Liebes­film ist auch nicht mehr, was er mal war.