Pelikanblut – Aus Liebe zu meiner Tochter

Pelikanblut

Deutschland/BG 2019 · 127 min. · FSK: ab 16
Regie: Katrin Gebbe
Drehbuch:
Kamera: Moritz Schultheiß
Darsteller: Nina Hoss, Katerina Lipovska, Adelia-Constance Ocleppo, Murathan Muslu, Sophie Pfenningstorf u.a.
Filmszene »Pelikanblut - Aus Liebe zu meiner Tochter«
Merkwürdiger Mix aus verschiedenen Genres und ästhetischen Zuständen
(Foto: DCM Film)

Deutsche Mutter im Zwielicht

Katrin Gebbes Pelikanblut ist ein sehr guter, spannender Film und formal herausragendes Filmemachen – und zeigt die dunkle verdrängte Seite von Pelik­an­blut – Aus Liebe zu meiner Tochter zeigt dabei die dunkle verdrängte Seite von Nora Fing­scheidts vergleichs­weise system­in­te­griertem, von den Insti­tu­tionen aus denkendem System­sprenger. Hier ist das Kind nicht mehr niedlich und nicht mehr offen­kundig mitleid­erre­gend. Und umgekehrt fristet hier die Mutter auch kein Nischen­da­sein und ist auch nicht als »über­for­dert« oder »sozial depra­viert« erklärbar.
Auch Jan-Ole Gersters Lara und Das Vorspiel von Ina Weisse zeigten in den letzten 12 Monaten Leinwand-Mütter, die nicht mehr dem Klischee der »deutschen Mutter«, auch der des deutschen Kinos, der »guten«, alles verzei­henden, Gebor­gen­heit spen­denden Warm­her­zigen entspre­chen. Kaum Zufall ist es wohl auch, dass drei dieser vier Filme von Frauen stammen. All diese Mütter haben einen eigenen Willen, ein eigenes Leben, das sie nicht für ihre Geschöpfe aufopfern; sie haben Härte, sie können ungerecht sein. Warum auch nicht, denn so ist das Leben: Unperfekt. Und diese Mütter sind auf die eine oder andere Weise Gezeich­nete – Wiebke trägt ihre Narbe sogar mitten im Gesicht. Wir wissen nicht, woher sie stammt, aber wir können sie nicht übersehen, und ahnen zumindest, dass diese Narbe auf den Grund dafür verweist, dass Wiebke in keiner Beziehung lebt, dass sie die offen­sicht­li­chen Avancen eines sympa­thi­schen Bekannten schroff abweist, dass sie keine leib­li­chen Kinder hat.

Zunehmend ist Wiebkes Verhalten ebenfalls immer schwerer zu verstehen: Sie zieht sich auch beruflich zurück, vernach­läs­sigt den Reiterhof. Für Raya lehnt sie jede auch wohl­ge­meinte Hilfe ab und hält sich nicht an die Ratschläge der Ärzte und Wissen­schaftler. Fast möchte man einen Hinweis sehen: Nicht nach­ma­chen! Aber der Film, so scheint es, möchte ihr in ihrem Verhalten recht geben.
Wiebke will perfekt sein. Darin ähnelt sie den klas­si­schen deutschen Lein­wand­müt­tern. Manchmal hat man den Eindruck, es gehe hier mehr darum, dass eine Frau, die gewohnt ist, alles erfolg­reich zu schaffen, sich ihr Scheitern in diesem Fall nicht einge­stehen will. Ihr Verhalten wirkt wie über­pro­tek­tiver Eigensinn. Alles eskaliert. Und dann, als schon alles verloren scheint, ruft Wiebke eine Schamanin zu Hilfe und an Raya wird ein Zauber betrieben, eine Art Exor­zismus – am Ende steckt ein blutiger Pfer­de­kopf auf eine Lanze gespießt, aber Raya scheint kuriert. Und dafür ist dem Film jedes Mittel recht, selbst das Verbrennen der Vernunft im Hexen­sabbat.

So ist Pelik­an­blut ein merk­wür­diger Mix aus verschie­denen Genres und ästhe­ti­schen Zuständen, aber in jedem Fall faszi­nie­rendes Kino von hoher insze­na­to­ri­scher Qualität und eine Achter­bahn­fahrt auf den Nerven der Zuschauer. Dies ist auch unbedingt die Art Kino, die man im Ausland aus Deutsch­land liebt: Voller düsterer Romantik, Phan­tastik, Fantasie und Extre­mismus – deutsche Mutter im deutschen Wald. Und wenn diese Mutter dann noch zu Raya pathe­tisch sagt: »Wir kriegen das hin«, dann muss man nach gerührtem Inne­halten sogar an Mutti Merkel denken: »Wir schaffen das!«

Natürlich fragt man sich da, was für ein Deutsch­land­bild hier getrig­gert wird: Eine moderne Welt, in der das Böse existiert und man an Hexen glauben darf. Ein Deutsch­land, das einen gewissen Fana­tismus der Fehler­lo­sig­keit zeigt, des Recht­ha­bens, der Moral.
Voll­kommen fremd erscheint auch, dass die Regis­seurin offenbar an Wunder glauben will, und dass ihr Film die Esoterik und das Irra­tio­nale auf Kosten der Vernunft feiert – darin ist Pelik­an­blut ein nicht mal entfernter Verwandter von William Friedkins Exorcist. Um so bemer­kens­werter, dass das alles wie bei Friedkin dem Film nicht schadet. Und Katrin Gebbes implizite Frage, ob es das Böse gibt? Und was das Böse ist? Hat natürlich jede Berech­ti­gung.

So ist dies ein sehr guter, span­nender Film: Formal heraus­ra­gendes Filme­ma­chen von einer hoch­in­ter­es­santen Regis­seurin. Über die Story und ihre Konse­quenzen kann man – auch mit Katrin Gebbe – lange streiten und muss das auch – gibt es ein größeres Kompli­ment?