USA 2009 · 140 min. · FSK: ab 12 Regie: Michael Mann Drehbuch: Ronan Bennett, Michael Mann, Ann Biderman Kamera: Dante Spinotti Darsteller: Johnny Depp, Christian Bale, Marion Cotillard, Billy Crudup, Stephen Dorff u.a. |
||
Graublau, fast schwarz: Coole Verbrecher |
Was ist das Ausrauben einer Bank gegen die Gründung einer Bank? Die Rollen beim dialektischen Gegensatzpaar Bankräuber und Bank sind klar verteilt: Hier David, dort Goliath, hier der Einzelne, der Geld braucht, dort der von der Versicherung gedeckte Überfluss. In Zeiten einer nicht zuletzt auch durch miese Bankberatung verschärften Finanzkrise kann die radikalisierte Ich-AG namens Bankräuber mit zusätzlicher Sympathie rechnen. Wie seinerzeit, in den frühen 30ern. Und mit dem Hass des Systems, das er provoziert: »Dead or dead« wolle man ihn, sagt ein Polizist in Michael Manns Film Public Enemies über John Dillinger, unter völligem Verzicht auf jede Dialektik. Und so passiert es dann auch. Wie schon den anarchistischen Bankräuber Bonnot im Paris des Jahres 1912 erschoss man ihn einfach – im Grunde, weil »er den Staat geärgert hatte.«
Scarface, Bonnie and Clyde, Der Pate, Once Upon a Time in America, The Untouchables – was dem alten
Europa seine Königsdramen sind, das sind für Amerika die Gangsterfilme: Das Charisma des »großen Einzelnen« steht hier im Zentrum; die Frage, was eine Führungspersönlichkeit ausmacht; die patriarchalisch geführte Familie, in der alle Angelegenheiten auf Vaterkonflikte und Bruderzwiste zurückführbar sind. Die Frauen bleiben im Hintergrund, sind schönes Beiwerk, heilige Mütter und verführerische Huren. Es geht um Kennerschaft und Männerkraft, um Machogesten und
Machtrituale, um Verrat und Gefolgschaft. Moralische Fragen werden hier verhandelt im amoralischen Gewand.
Denn in jedem Gangster steckt der amerikanische Traum des »Outlaws«, des rauen Westerner-Pionier-Individualisten und schönen Rebellen, der seine Gesetze selber macht. Und die Verbrecher, die in den kurzen zehn Jahren der Prohibitions- und Depressionsära 1927 bis 1937 zu prekären Medienstars und unsterblichen Helden wurden, sind Nachfolger der berühmten
Desperado-Banditen des Western, Brüder im Geiste von Jesse James und Billy the Kid.
Das Kino setzte da bereits in den frühen Dreißigern, als John Dillinger oder Clyde Barrows noch auf der Flucht waren, mit Howard Hawks' Scarface nur das fort, was die Printmedien vormachten: Sie entdeckten in den coolen Gangstern moderne Robin Hoods, und Menschen, die das in die Tat umsetzten, was ihr Publikum insgeheim dachte. Umgekehrt achteten die Gangster sehr genau darauf, wie sie fotografiert und mit welchen Sätzen sie in der Zeitung zitiert wurden. Smart und lässig gaben sie sich, und machten so aus den realen Banküberfällen, Fluchten und Verfolgungsfahrten ein großes Spiel, eine wilde Jagd – bei der die Gangster als cleverer Igel und die Polizei als düpierter Hase dastand, der wieder einmal zu spät gekommen war. Zumindest kurzfristig. Aber auf lange Sicht sind ja bekanntlich wir alle tot. All das passte perfekt zu einer Weltwirtschaftskrise, in der der brave »kleine Mann« sein Erspartes verlor, in der Hunger, Obdachlosigkeit und Arbeitssuche, Elend und Verzweiflung zum Alltag der anständigen Massen wurden, und den Faschismus gebaren, während die Reichen und Mächtigen wieder einmal mit einem blauen Auge davon kamen. John Dillinger oder Clyde Barrows waren da »welche von uns«, und selbst einem Al Capone hielt man zugute, dass er es »denen da oben einmal zeigte«.
Gerade John Dillinger verkörperte die romantische Form des Gangsters, fast eine bewaffnete Verzweiflungsvariante des »american dream«, nach dem jeder es schaffen kann, oder zumindest die Chance, die er nie hatte, bis zuletzt zu nutzen versucht: Er hangelte sich von Bankraub zu Bankraub, was spektakulär war, aber nicht sehr effektiv, verpasste den Absprung im Gegensatz zu manchen Kollegen, die auf solidere und nachhaltigere Geschäfte wie Schutzgelderpressung, Drogenhandel und Glückspiel umsattelten, die alle auch den Vorteil hatten, dass sie weniger offensichtlich kriminell waren, und die Obrigkeit an ihnen unter der Hand mitverdienen konnte. Gegenüber solcher Verbürgerlichung verkörperte der freche Dillinger die antibourgoise, anarchistische Variante des Verbrechertums – und darum war er auch nicht integrierbar. Der Film zeigt das, und fundiert gerade in dieser Nicht-Integrierbarkeit den Gründungsmythos des FBI.
Man kann sich für Michael Mann ja keinen anderen Namen vorstellen. Spätestens seit seinem Meisterwerk Heatist Regisseur Michael Mann im Hollywoodkino der Experte für die Männerwelten. Er ist auch der Mann für die schwarzen Messen des modernen Lebens, für die Mythologie der Vernunft und für die Schönheit des klassischen Handwerks, mag es nun das des Verbrechers sein, oder das der Kameramänner. Alles in seinem Kino ist Choreographie, ist Bewegung, ist Eleganz. Darum ist er in den Banküberfällen und Gefängnisausbrüchen und Verfolgungsjagden, die Public Enemies zeigt, auch so ganz bei sich, wie sonst nie in diesem Film – das heißt er ist es in der ersten, besseren Hälfte des Films weitaus mehr. Später ist dies insgesamt alles ein bisschen zu sehr und zu bedeutungsschwanger eine Todes- und Verfallsgeschichte.
Wenn es nun an Public Enemies etwas ernsthaft auszusetzen gibt, dann nur zwei Dinge: Die digitale Ästhetik des auf High-Definition-Kameras gedrehten Films überzeugt ganz und gar nicht, in ihrer überrealistischen Klarheit, ihrer Flächigkeit, ihren verruckelten Bewegungsbildern, dem harten Licht und den starken Kontrasten. Da kann Michael Mann noch so sehr behaupten, auf 35-mm-Zelluloid »hätte es ausgesehen wie ein typisches 'period movie', ein
Ausstattungsfilm. Das Publikum wird dadurch unweigerlich auf die Position von Betrachtern auf Abstand festgelegt. Video dagegen lässt alles aussehen, als geschähe es gerade. Es ist nicht so, dass 1933 eigentlich 2009 ist, sondern dass wir ins Jahr 1933 zurückgehen. Wir sind in der Gegenwart von 1933, 1934. Wir sind in dieser Zeit lebendig.« So in einem Zeitungsinterview mit Bert Rebhandl.
Kathryn Bigelows neuer Film The Hurt Locker, der auf 35mm gedreht
wurde, zeigt, was es heißt, dass Objekte körperlich erfahrbar werden. Bei Mann sehen die Flugzeuge aus, wie alte Airfix-Modelle, die man an Schnüren vor der Kamera entlang gezogen hat, zu körperlos, aseptisch und ungewichtig werden sie im Computer. Und die große Schießerei im Wald wirkt, wenn man ehrlich ist, wie ein Rohschnitt.
Das andere ist, dass dieser Michael-Mann-Film zu wenig Michael-Mann besitzt: Das gewisse Etwas. Ein neuer Heat, Insider, Ali oder Collateral ist Michael Manns Public Enemies daher leider nicht geworden. Wenn während dieses Films je Zeit wäre, sich zu fragen, warum
Mann noch nie mit Johnny Depp gearbeitet hat, dann kann der einzige Grund nur sein, dass Al Pacino und Robert de Niro einfach noch ein bisschen härter wirken, wo Depp in Dillinger das Dandyhafte, den Popstar herausarbeitet. Das ist manchmal witzig, oft cool und immer ironisch, während Christian Bale als der auf Dillinger angesetzte FBI-Agent, der wahre Bösewicht des Films ist, ein nicht mal ebenbürtiger Provinzler, der nur am Ende die Rasterfahndung und die stärkeren Bataillone auf
seiner Seite hat, ein Dark Knight der Polizei, der eiskalt ist, wo Dillinger immer cool bleibt.
Das muss alles nicht stimmen. Aber Mann interessiert sich nicht für die historische Wirklichkeit, sein Film ist konsequent Arbeit am Mythos. Das zeigt etwa der völlig willkürliche Umgang mit der Chronologie: Mann sampelt die Einzelereignisse der 14 kurzen Monate zwischen Mai 1933 und Juli 1934; das Ergebnis sieht dann aus, wie aus dem Zufallsgenerator, enthüllt aber tatsächlich Manns Interesse an einer Zuspitzung auf den Gruppenleader Dillinger (der tatsächlich
keineswegs als letzter erschossen wurde). Die einzige der großen Szenen des Films, die nicht schnell und hektisch ist, ist mythisch still: Da schleicht sich Dillinger kess ins Hauptquartier der Polizei. Ein Schlüsselmoment, eine jener typischen Michael-Mann-Momente, von denen man hier leider zu wenig sieht. Dillinger betrachtet sich selbst auf den Fahndungsbildern, sieht auch die Fotos aller Freunde und Kollegen, die schon ausgekreuzt sind, gefasst oder, in den meisten Fällen, tot. Da
ist er selbst bereits nicht mehr ganz von dieser Welt, und so wäre es eigentlich nur konsequent gewesen, wenn sein Dillinger am Ende mit dem Leben davonkäme. Die Sympathien des Publikums hat er längst – denn der Kredit der Banken ist längst aufgebraucht, und für die Gegenwart interessiert Mann sich schon. Darum hat er mit dieser Geschichte eines Bankräubers auch ganz en passent einen Held für unsere Zeit geschaffen.
Michael Mann aber, da ist er eben – und das ist als
Kompliment gemeint – wieder Handwerker genug, bleibt trotzdem bei den Fakten. Darum endet die wilde Jagd damit, dass Dillinger abgeknallt wurde, wie ein Hase. Das geschah am 22. Juli 1934, nur zwei Monate, nachdem es Bonnie und Clyde bereits genauso ergangen war. Er wurde von einer Frau verraten, einer Rumänin, wie es das Hollywood-Klischee will, die sich erhoffte, dadurch der Abschiebung zu entgehen – vergebens.
Dillinger wurde übrigens von seinen Jägern erwischt, nachdem er gerade Manhattan Melodrama mit Clark Gable und Myrna Loy angesehen hatte. Er starb also, weil er unbedingt ins Kino gehen wollte.
Literatur: Bryan Burrough: »Public Enemies: America’s Greatest Crime Wave and the Birth of the FBI, 1933-34«