Riefenstahl

Deutschland 2024 · 120 min. · FSK: ab 12
Regie: Andres Veiel
Drehbuch:
Kamera: Toby Cornish
Schnitt: Alfredo Castro Ortigoza, Olaf Voigtländer, Stephan Krumbiegel
Leni
Blick zurück im Zorn...
(Foto: Majestic)

Eine Frau von heute

Andres Veiel gelingt es in seiner Dokumentation über Leni Riefenstahl tatsächlich zu überraschen und dabei virtuos mit Ambivalenzen zu spielen

Man könnte meinen, dass nach Leni Riefen­stahls Tod im Jahr 2003 im Alter von 102 Jahren die kontro­verse Geschichte einer begna­deten Filme­ma­cherin, die ein Leben lang versucht hat, ihre ideo­lo­gi­schen Verstri­ckungen mit dem NS-Regime zu wider­legen und zu rela­ti­vieren, um den Blick für ihr Werk zu berei­nigen, endlich auser­zählt war.

Aber viel­leicht ist es gerade diese Ambi­va­lenz in Werk und Leben, die Riefen­stahls Geist nicht ruhen lässt. Erst im Frühjahr diesen Jahres konnte man bei der Eröffnung der 60. Kunst-Biennale in Venedig erleben, dass Riefen­stahl nicht nur lebte, sondern sogar Teil der Zukunft ist, zumindest in der groß­ar­tigen, im deutschen Pavillon ausge­stellten Video­in­stal­la­tion der in Israel geborenen und seit 15 Jahren in Deutsch­land lebenden Künst­lerin Yael Bartana, die Riefen­stahls Ästhetik aus ihren so berühmten wie kriti­sierten Propa­gan­da­filmen wie Triumph des Willens und Olympia – Fest der Völker & Fest der Schönheit in eine völlig neue mora­li­sche Umgebung überführt.

Doch man muss nicht in die Zukunft blicken, um von Leni Riefen­stahl über­rascht zu werden, es reicht auch die Vergan­gen­heit. Zumindest so, wie Andres Veiel sie aufbe­reitet und deutlich macht, dass erinnert nur dann werden kann, wenn etwas anderes vergessen wird.

Veiel, für den seit seiner ersten langen doku­men­ta­ri­schen Arbeit Winter­nachts­traum nicht nur das Dritte Reich, sondern auch die Möglich­keiten des Erinnerns und Iden­ti­täts­su­chens eines Landes genauso wie seiner Bewohner wichtig waren (Die Über­le­benden, Black Box BRD), bewegt sich in Riefen­stahl also auf vertrautem und dennoch neuem Terrain. Denn anders als bisherige biogra­fi­sche Versuche stand Veiel als Erstem Riefen­stahls 700 Kartons umfas­sender Nachlass zur Verfügung, den ihr Ehe- und Kame­ra­mann Horst Kettner in ihrer gemein­samen Villa, dem »Haus unter den Eichen« am Starn­berger See aufbe­wahrt hatte und das nach dessen Tod 2016 an Riefen­stahls frühere Sekre­tärin und Allein­erbin Gisela Jahn ging, die es 2018 an die Stiftung Preußi­scher Kultur­be­sitz in Berlin übergab und über dessen Größe sich allein schon ableiten lässt, wie wichtig es Riefen­stahl war, die Kontrolle nicht nur über ihr persön­li­ches Erinnern zu wahren, sondern auch die Kontrolle darüber, wie sie von der Außenwelt erinnert werden sollte.

Das ist an sich ein schon fast banaler Wunsch, den sicher­lich jeder nach­voll­ziehen kann, der sich schon einmal »falsch verstanden« fühlte, doch bei Riefen­stahl ist es eine völlig andere Dimension, denn anders als von vielen wahr­ge­nommen, hatte Leni Riefen­stahl nicht nur ein erzäh­lens­wertes und damit zu kontrol­lie­rendes Leben, sondern gleich mehrere.

Veiel erzählt diese Leben nicht chro­no­lo­gisch, sondern situativ. Von Riefen­stahls Vater und seinen Erzie­hungs­me­thoden wird z.B. erst dann erzählt, als Riefen­stahl schon in Pöcking am Starn­berger See wohnt und sich an ihrer Auto­bio­grafie abar­beitet, in die dann die wirklich demü­ti­genden Momente, wie der erste gnaden­lose Schwimm­un­ter­richt durch ihren Vater – den es übrigens so auch für Karl Ove Knausgård durch dessen Vater gab –, nicht Einzug finden. Veiel bewegt sich wie schon erwähnt situativ, aus zeit­his­to­ri­schen Momenten heraus und er hat dabei nicht nur Riefen­stahls filmi­sches Werk zu Hand, das er genauso souverän und intel­li­gent anordnet, wie Film­auf­nahmen, Kartei­karten und Fotos aus dieser und anderen Zeiten, etwa völlig verblüf­fende Aufnahmen aus Talkshows und Fern­seh­in­ter­views, in denen Riefen­stahl seit den 1970ern auftrat, um sich einer­seits für ihre »braune« Vergan­gen­heit zu recht­fer­tigen, aber auch klas­si­sche Werbung für sich zu machen, die nicht weit von dem ist, was wir heute als Influencer-Verhalten bezeichnen würden. Dazu gehört dann auch, die Vergan­gen­heit souverän umzu­schreiben, sei es, weil sie tatsäch­lich von Riefen­stahl unbewusst umge­schrieben wurde, ein durchaus bekannter psycho­lo­gi­scher Prozess, oder aus simpler Strategie heraus, sich ein neues Image zu verleihen.

Die Stärke an Veiels Film ist, dass er diese Ambi­va­lenzen, die Möglich­keiten von Wahrheit zulässt. Er zeigt zum einen eine moderne Frau, die sich immer wieder selbst­er­mäch­tigt, eman­zi­piert und neu erfindet und dafür über faktische Leichen geht. Sei es bezüglich ihres abge­bro­chenen Drehs über den Polen­feldzug oder den angeblich auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch lebenden Roma- und Sinta-Statisten ihres in den 1940ern gedrehten, aber erst 1954 veröf­fent­lichten Films Tiefland. Veiel stellt hier stets so subtil wie nüchtern die Fakten gegen Riefen­stahls Aussagen.

Doch er zeigt auch die begabte, wage­mu­tige Schau­spie­lerin in jungen Jahren und die noch viel begabtere Regis­seurin und Schnitt­meis­terin, deren Filme heute noch beein­dru­cken, weil sie ihrer Zeit weit voraus waren. Und Veiel deutet ebenfalls an, dass sich diese Künst­lerin gar nicht so sehr von heutigen Filme­ma­chern unter­scheidet. Denn Riefen­stahl wusste sehr wohl, wie sie das Geld für ihre Kunst erhalten konnte, dass erst ein Propa­gan­da­film wie Triumph des Willens die finan­zi­ellen Tore für das noch viel größere und wich­ti­gere Olympia-Projekt öffnen würde, des damals teuersten Doku­men­tar­films aller Zeiten. Dieses Talent, sich vermeint­lich moralisch posi­tio­niert zu finan­zieren, wirkt in den 1930ern schon über­ra­schend modern, in späteren Zeiten, als sie sich – ange­wi­dert von der bundes­re­pu­bli­ka­ni­schen Wirk­lich­keit – zu Reisen in den Sudan aufmachte, wirkt es erschüt­ternd gegen­wärtig. Denn wie Riefen­stahl hier Persil- oder Onko- oder Sport-Schuster-Bande­rolen in ihre Foto­gra­fien und Filme inte­griert, um ihre mehr­mo­na­tigen Sudan-Expe­di­tionen überhaupt finan­zieren zu können, wirkt viel­leicht im ersten Moment komisch, aber nur, weil es uns an das erinnert, was wir für unsere Gegenwart als Standard längst verin­ner­licht haben.

Und gerade die Sudan-Passagen geben viel­leicht am besten die Moderne preis, die Riefen­stahl verkör­pert, eine, die so wenig fassbar und ambi­va­lent ist wie unsere. Denn zum einen foto­gra­fiert sie die Nuba so, wie sie die Deutschen in ihren Propa­gan­da­filmen foto­gra­fiert hat, und sagt auch in einem Interview, dass sie hässliche und kranke Menschen nie filmen würde, weil es allein schöne Menschen seien, die sie inter­es­sieren. Gleich­zeitig entreißt sie die Nuba dem kolo­nialen Blick, der in den 1960ern noch der Stan­dard­blick war, und zeigt indigene Afrikaner, die stolz auf ihre indigene Kultur sind, und eine Foto­grafin und Künst­lerin, die sie dafür bewundert und Monate mit ihnen in einer bizarren Variante der teil­neh­menden Feld­for­schung lebt.

Das erklärt dann nicht nur, dass Künstler wie Andy Warhol Riefen­stahl in Veiels Film zu hofieren scheinen, sondern auch ein im Alter wach­sendes Selbst­be­wusst­sein, das vor allem in den Aufzeich­nungen ihrer Tele­fon­ge­spräche deutlich wird. Sei es in einem Gespräch mit Albert Speer, den sie dafür zurecht­weist, dass er sich in den Verhand­lungen für seine Tantiemen bei Inter­views zu nach­lässig zeigt, oder soge­nannten Fans, die sie genauso zurück­weist wie Menschen, die ihr mora­li­sches Vergehen vorwerfen.

Fast zu kurz kommt bei all der Kunst die Liebe. Doch auch hier über­rascht Veiel mit dem Material, das er präsen­tiert (und natürlich wie immer auch durch das, was er ausspart, was er weglässt). Denn er erzählt nicht nur von Ehen und Lieben, von den Möglich­keiten einer Liebe zu Hitler und Goebbels, sondern nimmt sich auch Zeit für ihren 40 Jahre jüngeren Ehe- und Kame­ra­mann Horst Kettner, mit dem Riefen­stahl seit den frühen 1960er Jahren bis zu ihrem Tod zusam­men­blieb und mit dem sie sich ein weiteres Mal völlig neu erfand, etwa einen Tauch­schein machte, um mit Horst Filme über die gefähr­dete Tiefsee zu drehen und sich umwelt­ak­ti­vis­tisch zu enga­gieren. Und auch, um mit seiner Hilfe in ihren letzten Jahren noch einmal die verlorene Jugend zu re-enacten – etwa um an den Ort ihres liebsten eigenen Films, Das blaue Licht (1931), zurück­zu­kehren, und auch, um bis zum Ende das zu kontrol­lieren, was sie für sich und in den Augen anderer war, eine selbst­be­stimmte, schöne Frau, was vor allem in einer groß­ar­tigen letzten Szene deutlich wird, als sie von Heinrich Breloer gefilmt wird und nicht weiß, dass die Kamera schon läuft und sich nicht nur schminken lässt und um eine andere Kame­ra­po­si­tion bittet, sondern sich auch über das Licht von oben, die Sonne, beschwert.

Keine Fragen an Riefenstahl

Biedere Nacherzählung und eine Mogelpackung: Andres Veiels »Riefenstahl« zeigt die Grenzen der Methode des Regisseurs – es gibt zu viele Antworten und Selbstgerechtigkeit, aber keinen Moment der Überraschung, des Innehaltens, der Demut vor dem Sujet

»Vieles brach zusammen, nur Leni Riefen­stahl nicht.«
– Margarete Mitscher­lich

»Ein Teil von Leni Riefen­stahl mag Pop-kompa­tibel sein, doch ist sie selbst die größte Verhin­derin des Aner­ken­nungs­dis­kurses, nachdem sie sich verzwei­felt sehnt.«
– Elisabeth Bronfen

»Ihre Karriere: eine in paradoxer Weise konse­quente Folge von bravourösem Auftakt, umju­belter Fort­set­zung und erzwun­genem Ende ... was zählt und immer noch und immer mehr zählt, ist Erfolg und vor allem öffent­li­cher Erfolg: Ob bei Tanz­auf­tritten, in der Gruppe oder einzeln. Schwin­del­frei­heit im Hoch­ge­birge. Tief­see­tau­chen mit 91. Die Absur­dität wird nicht wahr­ge­nommen, wenn sie gelingt. Das wird ja auch politisch immer zu spät wahr­ge­nommen.«
– Ilse Aichinger

Jemand, der nichts von Leni Riefen­stahl weiß, der kann aus diesem Film viel lernen. Jemand, der einiges weiß oder sogar vieles, der wird enttäuscht sein. Vor allem aber zeigt der Film, bietet der Film nicht das, was er unbedingt bieten müsste, um dem Werk und der Wirkung der Leni Riefen­stahl gerecht zu werden.

Die weitaus verläss­li­chere und span­nen­dere Quelle für das Werk und die Person von Leni Riefen­stahl bleibt damit Ray Müllers 31 Jahre alter Film Leni Riefen­stahl: Die Macht der Bilder, den man in zwei Teilen auch auf You Tube sehen kann. Eine wirklich tiefer gehende, formale und theo­re­ti­sche Film-Ausein­an­der­set­zung mit faschis­ti­scher Ästhetik steht aber nach wie vor aus.

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Ein Doku­men­tar­film, vor allem aus altem Material montiert über die geniale Monta­gekünst­lerin und Film­re­gis­seurin Leni Riefen­stahl (1902-2003).

Leni Riefen­stahl ist eine hoch­kom­pli­zierte Figur. Es ist sehr schwierig, dieser Figur habhaft zu werden. Riefen­stahl, die Regis­seurin und Schöp­ferin dessen, was heute als »Nazi-Ästhetik« in unseren Köpfen herum­wa­bert, hat versucht, ihr Bild und ihr Nachleben zu formen, und die Fragen zu diktieren, unter denen es debat­tiert wird. Jeder Film über Riefen­stahl wird sich mit diesem Versuch ausein­an­der­setzen müssen.

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Das Poli­ti­sche ist bei Riefen­stahl nicht das Problem. Denn politisch liegen die Dinge klar: Leni Riefen­stahl war selbst­ver­s­tänd­lich eine faschis­ti­sche Regis­seurin, sie hat sich in den Dienst der Politik des Natio­nal­so­zia­lismus gestellt, sie hat diese Stellung geleugnet, und sie war bis an ihr Leben­s­ende eine erzkon­ser­va­tive harte Rechte.
Das muss man gar nicht leugnen, das muss man noch nicht mal disku­tieren – egal was Leni Riefen­stahl selbst hierzu sagt.
Sie sagt zwar über sich sebst, Politik habe sie nicht inter­es­siert. Sie sagt auch in diesem Film, sie hätte auch einen Auftrag von Stalin ange­nommen oder von Roosevelt, wenn sie ihn denn bekommen hätte.

De facto hat sie aber solche Aufträge überhaupt nicht bekommen. Sie hat Aufträge von Adolf Hitler bekommen. Und Aufträge von Josef Goebbels und der Partei. Und sie hat diese Aufträge ange­nommen.
Sie hat insofern selbst­ver­s­tänd­lich faschis­ti­sche Auftrags­kunst für die Natio­nal­so­zia­listen gemacht, auch wenn sie das viel­leicht auch für andere genauso gemacht hätte – aber allein schon in dieser Gleich­set­zung Hitlers mit Stalin und erst recht mit Roosevelt wird die Infamie dieser Argu­men­ta­tion und dieser Person und ihrer Rhetorik deutlich.

Ich glaube, dass Politik im engeren Sinn auch nicht weiter wichtig ist und hier in diesem Film erst recht nicht weiter wichtig ist, weil wir politisch gar nichts Neues zu erfahren haben. Das Neue wäre es, wenn wir Beweise und Belege dafür hätten, dass diese Frau andere poli­ti­sche Einstel­lungen gehabt hat. Das hat sie aber nicht.

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Ich glaube das hier auch.
Bei der Beur­tei­lung von Leni Riefen­stahl ist auch Moral ebenfalls nicht besonders wichtig. Zum einen, weil es tatsäch­lich immer proble­ma­tisch (weil heillos inter­pre­tativ) ist, wenn man an Künstler und ihr Werk mora­li­sche Maßstäbe anlegt. Und weil diese letztlich auch nichts über ein künst­le­ri­sches Werk aussagen können.
Aber natürlich tut man das. So wie man auch poli­ti­sche Maßstäbe anlegt. Aller­dings ist bei Leni Riefen­stahl ziemlich klar, was am Ende dabei heraus­kommt. Denn selbst­ver­s­tänd­lich ist Leni Riefen­stahl eine totale Oppor­tu­nisten und Karrie­ristin – das sagt sie, nicht mit diesen Worten aber mit anderen Worten, wie auch in anderen Filmen und bei anderen Gele­gen­heiten, auch in diesem Film relativ offen. Sie wollte Karriere machen.

Ist das besonders schlimm? Doch wohl eher nicht.

In dem anderen, berühm­teren und wesent­lich besseren deutschen Film über Riefen­stahl, im oben erwähnten »Leni Riefen­stahl: Die Macht der Bilder« von Ray Müller, fragt sie rheto­risch: ja hätte sie denn in den Wider­stand gehen sollen? Das haben nur die wenigsten gemacht. Und dies stimmt ja ohne Frage.
Riefen­stahl sagt damit natürlich indirekt, dass sie das auch gar nicht wollte. Sie hat wie die aller­meisten sich arran­giert. Um ihrer Karriere willen und um der Möglich­keit willen, Filme zu machen. Diese Fest­stel­lung ist genau das, was moralisch zu Leni Riefen­stahl zu sagen ist.
Es gibt keine großen Geheim­nisse – in dieser Hinsicht stimmt noch einmal der Satz des Kriti­ker­kol­legen Georg Seeßlen, der in einem Artikel zum hundertsten Geburtstag Riefen­stahls formu­liert hat: »Das Geheimnis von Leni Riefen­stahl ist, dass sie keines hat.« Mit diesem Satz kommt man auch der Erfahrung Riefen­stahl näher. Natürlich ist sie trotzdem eine Heraus­for­de­rung.

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Marcus Stig­legger, ein Film­wis­sen­schaftler, hat, wenn ich mich richtig erinnere, formu­liert, dass Leni Riefen­stahl »ein deutscher Mythos« sei. Das glaube ich nicht. Das Inter­es­sante ist, dass Leni Riefen­stahl ohne Frage an einer Art Mytho­logie des Deutschen oder deutschen Mytho­logie mitge­wirkt hat, dass sie Bilder entworfen hat, die man für typisch deutsch hält, dass ihre Filme Eingang gefunden haben in das ästhe­ti­sche Selbst­bild der Deutschen, das auch mytho­lo­gisch grundiert ist. Und mytho­lo­gisch heißt, dass sie mit irra­tio­nalen Mitteln und Metaphern arbeitet – das hat Riefen­stahl gemacht.

Leni Riefen­stahl hat die Sugges­tiv­kraft und die Verfüh­rungs­kraft des Kinos sehr genau und sehr kalku­liert einge­setzt. In diesem Sinn ist ihr Kino, hat sie, ist sie eine der deutschen Mythen­schmieden.
Ich denke also, dass da, wo Riefen­stahls Werk aktuell bleibt und wo es Probleme aufwirft, die wir zu lösen haben und alle, die sich mit ihr beschäf­tigen, immer wieder zu lösen haben, dass dies die ästhe­ti­sche Ebene ist. Es ist die Ebene der Form, des Stils.

Es geht vor allem um die Frage: Gibt es überhaupt so etwas wie einen faschis­ti­schen Stil?
Wenn ja: Worin besteht er genau und worin besteht er nicht?

Ohne Frage hat Riefen­stahl ja auch Stil­mittel benutzt, die nicht genuin faschis­tisch sind; Stil­mittel, die sie insbe­son­dere in ihrer großen Kunst der Montage von den sowje­ti­schen Filme­ma­chern gelernt hatte. Andere Stil­mittel, etwa bei der Licht­set­zung und bei der Vorliebe für bestimmte Körper­bilder, sind Stil­mittel, die sie aus der Neuen Sach­lich­keit, dem Konstruk­ti­vismus und aus den Berg-Filmen von Arnold Fanck entlehnt hatte. Es ist alles also weitaus weniger eindeutig, als man es gerne hätte.

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Und dann ist es natürlich die Frage, inwieweit dieser Stil per se – also auf ästhe­ti­scher Ebene – unmo­ra­lisch und verdam­mens­wert ist? Also: Was ist die Natur dieses faschis­ti­schen Stils? Daraus ergibt sich natürlich auch notwendig die Frage: Darf man, soll man diese Stil­mittel verwenden?

Ich will es noch einmal anders formu­lieren: Was sagt es, dass George Lucas am Ende seines ersten Star Wars-Films 1977 Leni Riefen­stahls Film Triumph des Willens zitiert?

Bedeutet es, dass diese Mittel eben nicht genuin faschis­tisch sind, sondern gewis­ser­maßen sachlich neutral und instru­men­tell einsetzbar? Oder bedeutet es, dass es sich auch bei »Star Wars« um einen auf gewisse Weise faschis­ti­schen Film handelt?
Die Frage ist nicht leicht und schnell zu beant­worten.

Welches Stil­mittel kann man klar dem Faschismus zuordnen? Das sind die inter­es­santen Fragen, nicht, ob sie politisch an alles glaubte, nicht wie oft sie Goebbels getroffen hat, und ob ihre Angaben aus der Zeit nach dem Krieg gelogen sind oder nicht.

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Leider werden solche Fragen in Andres Veiels Film eigent­lich an keiner Stelle gestellt. Sie sind nicht das Thema des Films.

Auch nicht die Frage, ob und wie sie eigent­lich für die Bilder in Triumph des Willens allein verant­wort­lich war, ob sie Kontrolle oder zumindest Mitsprache bei der Partei­tags­regie hatte wie später bei den Olympia-Filmen?

Es ist eigent­lich unfassbar, dass solche Fragen hier nicht gestellt werden!

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Auch das darf natürlich so sein – kein Regisseur ist dazu verpflichtet, das zu machen, was ich aus irgend­einem Grund inter­es­sant finde.
Die Frage ist darum viel mehr, was Andres Veiel denn macht? Er erzählt relativ chro­no­lo­gisch, und ich glaube auch, ein bisschen bieder mit ohne Frage ganz guten Bild­ma­te­ria­lien das Leben von Leni Riefen­stahl nach. Er erzählt es in Kapiteln geordnet. Es geht dann nicht sehr um ihr Werk, sondern vor allem um ihre Ausein­an­der­set­zung mit dem, was sie vor 1945 gemacht hat, in der Zeit nach ’45. Es gibt viele Ausschnitte aus diversen Inter­views, die sie nach ’45 gegeben hat.

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Es gibt keine Ausschnitte aus Gesprächen mit Experten oder mit Menschen, die das alles stell­ver­tre­tend für die Zuschauer und auch die Macher und in Ausein­an­der­set­zung mit ihnen ein bisschen über­bli­cken, einordnen und verglei­chen können – wie beispiels­weise die oben zitierten Margarete Mitscher­lich oder Ilse Aichinger.
Es gibt auch keine neu entdeckten Inter­views mit Leni Riefen­stahl. Und die Inter­views, die im Film zitiert werden, die kennt man eigent­lich fast alle, wenn man sich auch nur ein bisschen auf Youtube umge­schaut hat. Sie sind für andere Doku­men­tar­filme entstanden. Ausgie­bigst bedient sich Veiel in Ray Müllers Film.
Veiel wieder­holt oft, was Müller gemacht hat. Da er aber Riefen­stahl nicht als direkte Mitar­bei­terin und Mitspie­lerin hatte, kann er sich nur aus Riefen­stahl-Ausschnitten aus zweiter Hand bedienen, er kann nicht mit ihr inter­agieren. Und es ist in diesem Zusam­men­hang schon bemer­kens­wert, wie viele Ausschnitte gerade aus Müllers Film hier Verwen­dung finden. Gefühlt bestimmt eine Vier­tel­stunde stammt aus Müllers Film bezie­hungs­weise aus den Dreh­ar­beiten zu diesem Film. Das ist auch gut und korrekt gekenn­zeichnet, insofern kann man es auch als Laie leicht ausein­an­der­halten und zuordnen.

Da hätte ich mir schon gewünscht und auch von jemandem, der so kompetent ist wie Andres Veiel, erwartet, dass ein bisschen mehr erzählt wird und dass er ein bisschen mehr Neues gefunden hat.

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Ich bin mir schon darüber im Klaren, dass ich in diesem Fall nicht der Durch­schnitts-Zuschauer bin, dass ich in diesem Fall über das Thema und das Objekt des Doku­men­tar­films einfach viel mehr weiß als viele und dass ich deswegen viel­leicht von manchen Dingen weniger über­rascht bin, als auch kompe­tente und gebildete Zuschauer. Man könnte argu­men­tieren, der Film sei nicht für mich gemacht. Trotzdem muss ich hier erzählen, welchen Film ich gesehen habe.

Die Frage ist überdies trotzdem, ob man nicht besser ein paar Experten genommen und gefragt hätte, auch wenn dies kein Film für Experten sein soll. Diese Experten gibt es ja auch in Deutsch­land, zum Beispiel Biogra­phen von Riefen­stahl wie Rainer Rother, die bestimmte Sachen hervor­ra­gend einge­ordnet oder entfaltet hätten. Leni Riefen­stahl selber kommt dagegen ausgiebig und unglaub­lich oft zu Wort in diesem Film. Muss das so sein? Ich glaube nicht, denn das, was sie zu sagen hat, ist nicht sehr substan­ziell. Es sind die bekannten Ausreden, das ganze dumme Geschwätz, das wir aus anderen Filmen mit und über Leni Riefen­stahl zur Genüge kennen.

Trotzdem Riefen­stahl in dem Film von Müller mitge­ar­beitet hat, ist dieser Film an einigen Stellen kriti­scher und er stellt die viel inter­es­san­teren Fragen als Veiels Film.

Zum Beispiel die, ob Riefen­stahl nicht trotz ihrer unbe­strit­tenen Schuld nach 1945 auch zu einem Sünden­bock gemacht wurde.
Sie konnte nach 1945 keinen einzigen Film drehen, »Jud Süß«-Macher Veit Harlan dagegen 12!

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Was wir sehen, ist kaum etwas Neues – und überhaupt nichts Über­ra­schendes. Wirklich neues Material ist die nicht sehr bekannte Talkshow von 1976, aus der wir einige Ausschnitte sehen, und es sind die Tele­fo­nate, Kasset­ten­ton­bänder von Tele­fo­naten, die Riefen­stahl, die offenbar auch Züge eines heftigen Kontroll­freaks hatte, seit den 70er Jahren mitge­schnitten hatte, ohne Wissen der Gesprächs­partner. Wir haben einen Moment in diesem Film, wo ein Riefen­stahl-Sympa­thi­sant mit ihr spricht, und sie sagt ihm, sie schneide das Gespräch mit, daraufhin legt er sofort auf. Diese Bänder sind tatsäch­lich tolle Quellen. Sie bleiben aber die einzigen in diesem Film, und so inter­es­sant sind sie dann auch nicht, weil wir hier einfach »Volkes Stimme« hören aus dem Deutsch­land der 70er Jahre, mit erwart­barer Rechts­las­tig­keit, viel Lobhu­delei, wo Fans ihr sagen, dass sie die verfolgte Unschuld vom Land sei, dass der Wind sich aber drehen werde... In mancher Hinsicht redet sie da etwas offener und weniger geschützt. Aber etwas Neues über Riefen­stahl erfahren wir nicht.

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Wir haben einen Film, der auf Erklärungen und Einord­nungen verzichtet. Das ist die Methode von Andres Veiel.

Im Ergebnis aber haben wir einen Film, der zu viel offen­lässt.
Diese Methode hat aber Nachteile für unbe­darfte und unin­for­mierte Zuschauer, und solche gibt es heute ziemlich viele. Man vertraut darauf, dass die Leute sich selber ihr Urteil bilden können. Ich bin überzeugt, dass das nicht genug ist, um mit den Selbst­er­klärungen und Selbst­be­schrei­bungen der Leni Riefen­stahl umgehen zu können.

Insofern ist dieser Film eine Enttäu­schung. Es bleibt eine beflis­sene Fleiß­ar­beit, die dem Thema nicht gerecht wird und die Aktua­lität des Faschismus in unserer Zeit verfehlt.

In Venedig gab es eine ganze Reihe verär­gerte Reak­tionen und es war keines­wegs das Unisono-Gejubel, das die Pres­se­agentur jetzt für einen Film über Propa­ganda besonders unan­ge­messen sugge­riert. »Mir ist körper­lich übel geworden, ich wollte rausgehen« sagte eine Produ­zentin.

Unter anderem wurde verärgert vermerkt, dass dieser Frau eine Bühne geboten wird. Das ist für mich nicht das primäre Problem dieses Films. Für mich ist eher die Frage, wozu ihr denn eine Bühne geboten wird? Und das ist eine grund­sätz­liche Frage an diesen Film von Andres Veiel: Warum es ihn denn überhaupt gibt? Wozu er da ist? Denn er hat aus meiner Sicht nichts Neues zu sagen.

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An keiner Stelle wird erklärt, wie sie Triumph des Willens eigent­lich gedreht hat. An keiner Stelle wird gesagt, dass sie »Olympia« nach dem Krieg umge­schrieben hat und wie sie mit dem Film »Olympia« in den USA nach dem Krieg wieder Karriere gemacht hat. Sie sitzt in einem Interview in New York. Aber warum sie überhaupt dort sitzt, erfahren wir nicht.

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Das böse Wort von der »Reichs­glet­scher­spalte« – Carl Zuckmayr, der sie »eine schwer hyste­ri­sche Person« und »maßlos ehrgeizig« nannte, zitiert es – enthält eine große Wahrheit: Die Eises­kälte, die mit der Hitze ihrer Leiden­schaft für den Führer einher­ging.

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Fällt das Wort »Auschwitz«? Ich hoffe es für den Film. Ganz sicher bin ich mir nicht. Aber es geht zu wenig (!!!) um den Umgang mit der Shoa, um den Umgang mit der Ermordung der europäi­schen Juden durch Deutsch­land und die Deutschen während des »Dritten Reichs«. Es geht nur um diese eine nicht sehr reprä­sen­ta­tive Frau, kaum um die Verleug­nung der allge­meinen deutschen Schuld, das Abstreiten und Rela­ti­vieren der Schuld und um die Konse­quenzen, die aus der Schuld erwachsen und gezogen werden von den Betei­ligten.

Was kümmert sie uns?

Wenn die Person Riefen­stahl etwas mehr zugegeben hätte, was wäre dann besser?