Deutschland 2024 · 120 min. · FSK: ab 12 Regie: Andres Veiel Drehbuch: Andres Veiel Kamera: Toby Cornish Schnitt: Alfredo Castro Ortigoza, Olaf Voigtländer, Stephan Krumbiegel |
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Blick zurück im Zorn... | ||
(Foto: Majestic) |
Man könnte meinen, dass nach Leni Riefenstahls Tod im Jahr 2003 im Alter von 102 Jahren die kontroverse Geschichte einer begnadeten Filmemacherin, die ein Leben lang versucht hat, ihre ideologischen Verstrickungen mit dem NS-Regime zu widerlegen und zu relativieren, um den Blick für ihr Werk zu bereinigen, endlich auserzählt war.
Aber vielleicht ist es gerade diese Ambivalenz in Werk und Leben, die Riefenstahls Geist nicht ruhen lässt. Erst im Frühjahr diesen Jahres konnte man bei der Eröffnung der 60. Kunst-Biennale in Venedig erleben, dass Riefenstahl nicht nur lebte, sondern sogar Teil der Zukunft ist, zumindest in der großartigen, im deutschen Pavillon ausgestellten Videoinstallation der in Israel geborenen und seit 15 Jahren in Deutschland lebenden Künstlerin Yael Bartana, die Riefenstahls Ästhetik aus ihren so berühmten wie kritisierten Propagandafilmen wie Triumph des Willens und Olympia – Fest der Völker & Fest der Schönheit in eine völlig neue moralische Umgebung überführt.
Doch man muss nicht in die Zukunft blicken, um von Leni Riefenstahl überrascht zu werden, es reicht auch die Vergangenheit. Zumindest so, wie Andres Veiel sie aufbereitet und deutlich macht, dass erinnert nur dann werden kann, wenn etwas anderes vergessen wird.
Veiel, für den seit seiner ersten langen dokumentarischen Arbeit Winternachtstraum nicht nur das Dritte Reich, sondern auch die Möglichkeiten des Erinnerns und Identitätssuchens eines Landes genauso wie seiner Bewohner wichtig waren (Die Überlebenden, Black Box BRD), bewegt sich in Riefenstahl also auf vertrautem und dennoch neuem Terrain. Denn anders als bisherige biografische Versuche stand Veiel als Erstem Riefenstahls 700 Kartons umfassender Nachlass zur Verfügung, den ihr Ehe- und Kameramann Horst Kettner in ihrer gemeinsamen Villa, dem »Haus unter den Eichen« am Starnberger See aufbewahrt hatte und das nach dessen Tod 2016 an Riefenstahls frühere Sekretärin und Alleinerbin Gisela Jahn ging, die es 2018 an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin übergab und über dessen Größe sich allein schon ableiten lässt, wie wichtig es Riefenstahl war, die Kontrolle nicht nur über ihr persönliches Erinnern zu wahren, sondern auch die Kontrolle darüber, wie sie von der Außenwelt erinnert werden sollte.
Das ist an sich ein schon fast banaler Wunsch, den sicherlich jeder nachvollziehen kann, der sich schon einmal »falsch verstanden« fühlte, doch bei Riefenstahl ist es eine völlig andere Dimension, denn anders als von vielen wahrgenommen, hatte Leni Riefenstahl nicht nur ein erzählenswertes und damit zu kontrollierendes Leben, sondern gleich mehrere.
Veiel erzählt diese Leben nicht chronologisch, sondern situativ. Von Riefenstahls Vater und seinen Erziehungsmethoden wird z.B. erst dann erzählt, als Riefenstahl schon in Pöcking am Starnberger See wohnt und sich an ihrer Autobiografie abarbeitet, in die dann die wirklich demütigenden Momente, wie der erste gnadenlose Schwimmunterricht durch ihren Vater – den es übrigens so auch für Karl Ove Knausgård durch dessen Vater gab –, nicht Einzug finden. Veiel bewegt sich wie schon erwähnt situativ, aus zeithistorischen Momenten heraus und er hat dabei nicht nur Riefenstahls filmisches Werk zu Hand, das er genauso souverän und intelligent anordnet, wie Filmaufnahmen, Karteikarten und Fotos aus dieser und anderen Zeiten, etwa völlig verblüffende Aufnahmen aus Talkshows und Fernsehinterviews, in denen Riefenstahl seit den 1970ern auftrat, um sich einerseits für ihre »braune« Vergangenheit zu rechtfertigen, aber auch klassische Werbung für sich zu machen, die nicht weit von dem ist, was wir heute als Influencer-Verhalten bezeichnen würden. Dazu gehört dann auch, die Vergangenheit souverän umzuschreiben, sei es, weil sie tatsächlich von Riefenstahl unbewusst umgeschrieben wurde, ein durchaus bekannter psychologischer Prozess, oder aus simpler Strategie heraus, sich ein neues Image zu verleihen.
Die Stärke an Veiels Film ist, dass er diese Ambivalenzen, die Möglichkeiten von Wahrheit zulässt. Er zeigt zum einen eine moderne Frau, die sich immer wieder selbstermächtigt, emanzipiert und neu erfindet und dafür über faktische Leichen geht. Sei es bezüglich ihres abgebrochenen Drehs über den Polenfeldzug oder den angeblich auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch lebenden Roma- und Sinta-Statisten ihres in den 1940ern gedrehten, aber erst 1954 veröffentlichten Films Tiefland. Veiel stellt hier stets so subtil wie nüchtern die Fakten gegen Riefenstahls Aussagen.
Doch er zeigt auch die begabte, wagemutige Schauspielerin in jungen Jahren und die noch viel begabtere Regisseurin und Schnittmeisterin, deren Filme heute noch beeindrucken, weil sie ihrer Zeit weit voraus waren. Und Veiel deutet ebenfalls an, dass sich diese Künstlerin gar nicht so sehr von heutigen Filmemachern unterscheidet. Denn Riefenstahl wusste sehr wohl, wie sie das Geld für ihre Kunst erhalten konnte, dass erst ein Propagandafilm wie Triumph des Willens die finanziellen Tore für das noch viel größere und wichtigere Olympia-Projekt öffnen würde, des damals teuersten Dokumentarfilms aller Zeiten. Dieses Talent, sich vermeintlich moralisch positioniert zu finanzieren, wirkt in den 1930ern schon überraschend modern, in späteren Zeiten, als sie sich – angewidert von der bundesrepublikanischen Wirklichkeit – zu Reisen in den Sudan aufmachte, wirkt es erschütternd gegenwärtig. Denn wie Riefenstahl hier Persil- oder Onko- oder Sport-Schuster-Banderolen in ihre Fotografien und Filme integriert, um ihre mehrmonatigen Sudan-Expeditionen überhaupt finanzieren zu können, wirkt vielleicht im ersten Moment komisch, aber nur, weil es uns an das erinnert, was wir für unsere Gegenwart als Standard längst verinnerlicht haben.
Und gerade die Sudan-Passagen geben vielleicht am besten die Moderne preis, die Riefenstahl verkörpert, eine, die so wenig fassbar und ambivalent ist wie unsere. Denn zum einen fotografiert sie die Nuba so, wie sie die Deutschen in ihren Propagandafilmen fotografiert hat, und sagt auch in einem Interview, dass sie hässliche und kranke Menschen nie filmen würde, weil es allein schöne Menschen seien, die sie interessieren. Gleichzeitig entreißt sie die Nuba dem kolonialen Blick, der in den 1960ern noch der Standardblick war, und zeigt indigene Afrikaner, die stolz auf ihre indigene Kultur sind, und eine Fotografin und Künstlerin, die sie dafür bewundert und Monate mit ihnen in einer bizarren Variante der teilnehmenden Feldforschung lebt.
Das erklärt dann nicht nur, dass Künstler wie Andy Warhol Riefenstahl in Veiels Film zu hofieren scheinen, sondern auch ein im Alter wachsendes Selbstbewusstsein, das vor allem in den Aufzeichnungen ihrer Telefongespräche deutlich wird. Sei es in einem Gespräch mit Albert Speer, den sie dafür zurechtweist, dass er sich in den Verhandlungen für seine Tantiemen bei Interviews zu nachlässig zeigt, oder sogenannten Fans, die sie genauso zurückweist wie Menschen, die ihr moralisches Vergehen vorwerfen.
Fast zu kurz kommt bei all der Kunst die Liebe. Doch auch hier überrascht Veiel mit dem Material, das er präsentiert (und natürlich wie immer auch durch das, was er ausspart, was er weglässt). Denn er erzählt nicht nur von Ehen und Lieben, von den Möglichkeiten einer Liebe zu Hitler und Goebbels, sondern nimmt sich auch Zeit für ihren 40 Jahre jüngeren Ehe- und Kameramann Horst Kettner, mit dem Riefenstahl seit den frühen 1960er Jahren bis zu ihrem Tod zusammenblieb und mit dem sie sich ein weiteres Mal völlig neu erfand, etwa einen Tauchschein machte, um mit Horst Filme über die gefährdete Tiefsee zu drehen und sich umweltaktivistisch zu engagieren. Und auch, um mit seiner Hilfe in ihren letzten Jahren noch einmal die verlorene Jugend zu re-enacten – etwa um an den Ort ihres liebsten eigenen Films, Das blaue Licht (1931), zurückzukehren, und auch, um bis zum Ende das zu kontrollieren, was sie für sich und in den Augen anderer war, eine selbstbestimmte, schöne Frau, was vor allem in einer großartigen letzten Szene deutlich wird, als sie von Heinrich Breloer gefilmt wird und nicht weiß, dass die Kamera schon läuft und sich nicht nur schminken lässt und um eine andere Kameraposition bittet, sondern sich auch über das Licht von oben, die Sonne, beschwert.
»Vieles brach zusammen, nur Leni Riefenstahl nicht.«
– Margarete Mitscherlich»Ein Teil von Leni Riefenstahl mag Pop-kompatibel sein, doch ist sie selbst die größte Verhinderin des Anerkennungsdiskurses, nachdem sie sich verzweifelt sehnt.«
– Elisabeth Bronfen»Ihre Karriere: eine in paradoxer Weise konsequente Folge von bravourösem Auftakt, umjubelter Fortsetzung und erzwungenem Ende ... was zählt und immer noch und immer mehr zählt, ist Erfolg und vor allem öffentlicher Erfolg: Ob bei Tanzauftritten, in der Gruppe oder einzeln. Schwindelfreiheit im Hochgebirge. Tiefseetauchen mit 91. Die Absurdität wird nicht wahrgenommen, wenn sie gelingt. Das wird ja auch politisch immer zu spät wahrgenommen.«
– Ilse Aichinger
Jemand, der nichts von Leni Riefenstahl weiß, der kann aus diesem Film viel lernen. Jemand, der einiges weiß oder sogar vieles, der wird enttäuscht sein. Vor allem aber zeigt der Film, bietet der Film nicht das, was er unbedingt bieten müsste, um dem Werk und der Wirkung der Leni Riefenstahl gerecht zu werden.
Die weitaus verlässlichere und spannendere Quelle für das Werk und die Person von Leni Riefenstahl bleibt damit Ray Müllers 31 Jahre alter Film Leni Riefenstahl: Die Macht der Bilder, den man in zwei Teilen auch auf You Tube sehen kann. Eine wirklich tiefer gehende, formale und theoretische Film-Auseinandersetzung mit faschistischer Ästhetik steht aber nach wie vor aus.
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Ein Dokumentarfilm, vor allem aus altem Material montiert über die geniale Montagekünstlerin und Filmregisseurin Leni Riefenstahl (1902-2003).
Leni Riefenstahl ist eine hochkomplizierte Figur. Es ist sehr schwierig, dieser Figur habhaft zu werden. Riefenstahl, die Regisseurin und Schöpferin dessen, was heute als »Nazi-Ästhetik« in unseren Köpfen herumwabert, hat versucht, ihr Bild und ihr Nachleben zu formen, und die Fragen zu diktieren, unter denen es debattiert wird. Jeder Film über Riefenstahl wird sich mit diesem Versuch auseinandersetzen müssen.
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Das Politische ist bei Riefenstahl nicht das Problem. Denn politisch liegen die Dinge klar: Leni Riefenstahl war selbstverständlich eine faschistische Regisseurin, sie hat sich in den Dienst der Politik des Nationalsozialismus gestellt, sie hat diese Stellung geleugnet, und sie war bis an ihr Lebensende eine erzkonservative harte Rechte.
Das muss man gar nicht leugnen, das muss man noch nicht mal diskutieren – egal was Leni Riefenstahl selbst hierzu
sagt.
Sie sagt zwar über sich sebst, Politik habe sie nicht interessiert. Sie sagt auch in diesem Film, sie hätte auch einen Auftrag von Stalin angenommen oder von Roosevelt, wenn sie ihn denn bekommen hätte.
De facto hat sie aber solche Aufträge überhaupt nicht bekommen. Sie hat Aufträge von Adolf Hitler bekommen. Und Aufträge von Josef Goebbels und der Partei. Und sie hat diese Aufträge angenommen.
Sie hat insofern selbstverständlich faschistische Auftragskunst für die Nationalsozialisten gemacht, auch wenn sie das vielleicht auch für andere genauso gemacht hätte – aber allein schon in dieser Gleichsetzung Hitlers mit Stalin und erst recht mit Roosevelt wird die Infamie
dieser Argumentation und dieser Person und ihrer Rhetorik deutlich.
Ich glaube, dass Politik im engeren Sinn auch nicht weiter wichtig ist und hier in diesem Film erst recht nicht weiter wichtig ist, weil wir politisch gar nichts Neues zu erfahren haben. Das Neue wäre es, wenn wir Beweise und Belege dafür hätten, dass diese Frau andere politische Einstellungen gehabt hat. Das hat sie aber nicht.
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Ich glaube das hier auch.
Bei der Beurteilung von Leni Riefenstahl ist auch Moral ebenfalls nicht besonders wichtig. Zum einen, weil es tatsächlich immer problematisch (weil heillos interpretativ) ist, wenn man an Künstler und ihr Werk moralische Maßstäbe anlegt. Und weil diese letztlich auch nichts über ein künstlerisches Werk aussagen können.
Aber natürlich tut man das. So wie man auch politische Maßstäbe anlegt. Allerdings ist bei Leni Riefenstahl ziemlich klar, was
am Ende dabei herauskommt. Denn selbstverständlich ist Leni Riefenstahl eine totale Opportunisten und Karrieristin – das sagt sie, nicht mit diesen Worten aber mit anderen Worten, wie auch in anderen Filmen und bei anderen Gelegenheiten, auch in diesem Film relativ offen. Sie wollte Karriere machen.
Ist das besonders schlimm? Doch wohl eher nicht.
In dem anderen, berühmteren und wesentlich besseren deutschen Film über Riefenstahl, im oben erwähnten »Leni Riefenstahl: Die Macht der Bilder« von Ray Müller, fragt sie rhetorisch: ja hätte sie denn in den Widerstand gehen sollen? Das haben nur die wenigsten gemacht. Und dies stimmt ja ohne Frage.
Riefenstahl sagt damit natürlich indirekt, dass sie das auch gar nicht wollte. Sie hat wie die allermeisten sich arrangiert. Um ihrer Karriere willen und um der Möglichkeit willen,
Filme zu machen. Diese Feststellung ist genau das, was moralisch zu Leni Riefenstahl zu sagen ist.
Es gibt keine großen Geheimnisse – in dieser Hinsicht stimmt noch einmal der Satz des Kritikerkollegen Georg Seeßlen, der in einem Artikel zum hundertsten Geburtstag Riefenstahls formuliert hat: »Das Geheimnis von Leni Riefenstahl ist, dass sie keines hat.« Mit diesem Satz kommt man auch der Erfahrung Riefenstahl näher. Natürlich ist sie trotzdem eine Herausforderung.
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Marcus Stiglegger, ein Filmwissenschaftler, hat, wenn ich mich richtig erinnere, formuliert, dass Leni Riefenstahl »ein deutscher Mythos« sei. Das glaube ich nicht. Das Interessante ist, dass Leni Riefenstahl ohne Frage an einer Art Mythologie des Deutschen oder deutschen Mythologie mitgewirkt hat, dass sie Bilder entworfen hat, die man für typisch deutsch hält, dass ihre Filme Eingang gefunden haben in das ästhetische Selbstbild der Deutschen, das auch mythologisch grundiert ist. Und mythologisch heißt, dass sie mit irrationalen Mitteln und Metaphern arbeitet – das hat Riefenstahl gemacht.
Leni Riefenstahl hat die Suggestivkraft und die Verführungskraft des Kinos sehr genau und sehr kalkuliert eingesetzt. In diesem Sinn ist ihr Kino, hat sie, ist sie eine der deutschen Mythenschmieden.
Ich denke also, dass da, wo Riefenstahls Werk aktuell bleibt und wo es Probleme aufwirft, die wir zu lösen haben und alle, die sich mit ihr beschäftigen, immer wieder zu lösen haben, dass dies die ästhetische Ebene ist. Es ist die Ebene der Form, des Stils.
Es geht vor allem um die Frage: Gibt es überhaupt so etwas wie einen faschistischen Stil?
Wenn ja: Worin besteht er genau und worin besteht er nicht?
Ohne Frage hat Riefenstahl ja auch Stilmittel benutzt, die nicht genuin faschistisch sind; Stilmittel, die sie insbesondere in ihrer großen Kunst der Montage von den sowjetischen Filmemachern gelernt hatte. Andere Stilmittel, etwa bei der Lichtsetzung und bei der Vorliebe für bestimmte Körperbilder, sind Stilmittel, die sie aus der Neuen Sachlichkeit, dem Konstruktivismus und aus den Berg-Filmen von Arnold Fanck entlehnt hatte. Es ist alles also weitaus weniger eindeutig, als man es gerne hätte.
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Und dann ist es natürlich die Frage, inwieweit dieser Stil per se – also auf ästhetischer Ebene – unmoralisch und verdammenswert ist? Also: Was ist die Natur dieses faschistischen Stils? Daraus ergibt sich natürlich auch notwendig die Frage: Darf man, soll man diese Stilmittel verwenden?
Ich will es noch einmal anders formulieren: Was sagt es, dass George Lucas am Ende seines ersten Star Wars-Films 1977 Leni Riefenstahls Film Triumph des Willens zitiert?
Bedeutet es, dass diese Mittel eben nicht genuin faschistisch sind, sondern gewissermaßen sachlich neutral und instrumentell einsetzbar? Oder bedeutet es, dass es sich auch bei »Star Wars« um einen auf gewisse Weise faschistischen Film handelt?
Die Frage ist nicht leicht und schnell zu beantworten.
Welches Stilmittel kann man klar dem Faschismus zuordnen? Das sind die interessanten Fragen, nicht, ob sie politisch an alles glaubte, nicht wie oft sie Goebbels getroffen hat, und ob ihre Angaben aus der Zeit nach dem Krieg gelogen sind oder nicht.
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Leider werden solche Fragen in Andres Veiels Film eigentlich an keiner Stelle gestellt. Sie sind nicht das Thema des Films.
Auch nicht die Frage, ob und wie sie eigentlich für die Bilder in Triumph des Willens allein verantwortlich war, ob sie Kontrolle oder zumindest Mitsprache bei der Parteitagsregie hatte wie später bei den Olympia-Filmen?
Es ist eigentlich unfassbar, dass solche Fragen hier nicht gestellt werden!
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Auch das darf natürlich so sein – kein Regisseur ist dazu verpflichtet, das zu machen, was ich aus irgendeinem Grund interessant finde.
Die Frage ist darum viel mehr, was Andres Veiel denn macht? Er erzählt relativ chronologisch, und ich glaube auch, ein bisschen bieder mit ohne Frage ganz guten Bildmaterialien das Leben von Leni Riefenstahl nach. Er erzählt es in Kapiteln geordnet. Es geht dann nicht sehr um ihr Werk, sondern vor allem um ihre Auseinandersetzung mit
dem, was sie vor 1945 gemacht hat, in der Zeit nach ’45. Es gibt viele Ausschnitte aus diversen Interviews, die sie nach ’45 gegeben hat.
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Es gibt keine Ausschnitte aus Gesprächen mit Experten oder mit Menschen, die das alles stellvertretend für die Zuschauer und auch die Macher und in Auseinandersetzung mit ihnen ein bisschen überblicken, einordnen und vergleichen können – wie beispielsweise die oben zitierten Margarete Mitscherlich oder Ilse Aichinger.
Es gibt auch keine neu entdeckten Interviews mit Leni Riefenstahl. Und die Interviews, die im Film zitiert werden, die kennt man eigentlich fast alle,
wenn man sich auch nur ein bisschen auf Youtube umgeschaut hat. Sie sind für andere Dokumentarfilme entstanden. Ausgiebigst bedient sich Veiel in Ray Müllers Film.
Veiel wiederholt oft, was Müller gemacht hat. Da er aber Riefenstahl nicht als direkte Mitarbeiterin und Mitspielerin hatte, kann er sich nur aus Riefenstahl-Ausschnitten aus zweiter Hand bedienen, er kann nicht mit ihr interagieren. Und es ist in diesem Zusammenhang schon bemerkenswert, wie viele Ausschnitte
gerade aus Müllers Film hier Verwendung finden. Gefühlt bestimmt eine Viertelstunde stammt aus Müllers Film beziehungsweise aus den Dreharbeiten zu diesem Film. Das ist auch gut und korrekt gekennzeichnet, insofern kann man es auch als Laie leicht auseinanderhalten und zuordnen.
Da hätte ich mir schon gewünscht und auch von jemandem, der so kompetent ist wie Andres Veiel, erwartet, dass ein bisschen mehr erzählt wird und dass er ein bisschen mehr Neues gefunden hat.
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Ich bin mir schon darüber im Klaren, dass ich in diesem Fall nicht der Durchschnitts-Zuschauer bin, dass ich in diesem Fall über das Thema und das Objekt des Dokumentarfilms einfach viel mehr weiß als viele und dass ich deswegen vielleicht von manchen Dingen weniger überrascht bin, als auch kompetente und gebildete Zuschauer. Man könnte argumentieren, der Film sei nicht für mich gemacht. Trotzdem muss ich hier erzählen, welchen Film ich gesehen habe.
Die Frage ist überdies trotzdem, ob man nicht besser ein paar Experten genommen und gefragt hätte, auch wenn dies kein Film für Experten sein soll. Diese Experten gibt es ja auch in Deutschland, zum Beispiel Biographen von Riefenstahl wie Rainer Rother, die bestimmte Sachen hervorragend eingeordnet oder entfaltet hätten. Leni Riefenstahl selber kommt dagegen ausgiebig und unglaublich oft zu Wort in diesem Film. Muss das so sein? Ich glaube nicht, denn das, was sie zu sagen hat, ist nicht sehr substanziell. Es sind die bekannten Ausreden, das ganze dumme Geschwätz, das wir aus anderen Filmen mit und über Leni Riefenstahl zur Genüge kennen.
Trotzdem Riefenstahl in dem Film von Müller mitgearbeitet hat, ist dieser Film an einigen Stellen kritischer und er stellt die viel interessanteren Fragen als Veiels Film.
Zum Beispiel die, ob Riefenstahl nicht trotz ihrer unbestrittenen Schuld nach 1945 auch zu einem Sündenbock gemacht wurde.
Sie konnte nach 1945 keinen einzigen Film drehen, »Jud Süß«-Macher Veit Harlan dagegen 12!
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Was wir sehen, ist kaum etwas Neues – und überhaupt nichts Überraschendes. Wirklich neues Material ist die nicht sehr bekannte Talkshow von 1976, aus der wir einige Ausschnitte sehen, und es sind die Telefonate, Kassettentonbänder von Telefonaten, die Riefenstahl, die offenbar auch Züge eines heftigen Kontrollfreaks hatte, seit den 70er Jahren mitgeschnitten hatte, ohne Wissen der Gesprächspartner. Wir haben einen Moment in diesem Film, wo ein Riefenstahl-Sympathisant mit ihr spricht, und sie sagt ihm, sie schneide das Gespräch mit, daraufhin legt er sofort auf. Diese Bänder sind tatsächlich tolle Quellen. Sie bleiben aber die einzigen in diesem Film, und so interessant sind sie dann auch nicht, weil wir hier einfach »Volkes Stimme« hören aus dem Deutschland der 70er Jahre, mit erwartbarer Rechtslastigkeit, viel Lobhudelei, wo Fans ihr sagen, dass sie die verfolgte Unschuld vom Land sei, dass der Wind sich aber drehen werde... In mancher Hinsicht redet sie da etwas offener und weniger geschützt. Aber etwas Neues über Riefenstahl erfahren wir nicht.
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Wir haben einen Film, der auf Erklärungen und Einordnungen verzichtet. Das ist die Methode von Andres Veiel.
Im Ergebnis aber haben wir einen Film, der zu viel offenlässt.
Diese Methode hat aber Nachteile für unbedarfte und uninformierte Zuschauer, und solche gibt es heute ziemlich viele. Man vertraut darauf, dass die Leute sich selber ihr Urteil bilden können. Ich bin überzeugt, dass das nicht genug ist, um mit den Selbsterklärungen und Selbstbeschreibungen der Leni Riefenstahl umgehen zu können.
Insofern ist dieser Film eine Enttäuschung. Es bleibt eine beflissene Fleißarbeit, die dem Thema nicht gerecht wird und die Aktualität des Faschismus in unserer Zeit verfehlt.
In Venedig gab es eine ganze Reihe verärgerte Reaktionen und es war keineswegs das Unisono-Gejubel, das die Presseagentur jetzt für einen Film über Propaganda besonders unangemessen suggeriert. »Mir ist körperlich übel geworden, ich wollte rausgehen« sagte eine Produzentin.
Unter anderem wurde verärgert vermerkt, dass dieser Frau eine Bühne geboten wird. Das ist für mich nicht das primäre Problem dieses Films. Für mich ist eher die Frage, wozu ihr denn eine Bühne geboten wird? Und das ist eine grundsätzliche Frage an diesen Film von Andres Veiel: Warum es ihn denn überhaupt gibt? Wozu er da ist? Denn er hat aus meiner Sicht nichts Neues zu sagen.
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An keiner Stelle wird erklärt, wie sie Triumph des Willens eigentlich gedreht hat. An keiner Stelle wird gesagt, dass sie »Olympia« nach dem Krieg umgeschrieben hat und wie sie mit dem Film »Olympia« in den USA nach dem Krieg wieder Karriere gemacht hat. Sie sitzt in einem Interview in New York. Aber warum sie überhaupt dort sitzt, erfahren wir nicht.
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Das böse Wort von der »Reichsgletscherspalte« – Carl Zuckmayr, der sie »eine schwer hysterische Person« und »maßlos ehrgeizig« nannte, zitiert es – enthält eine große Wahrheit: Die Eiseskälte, die mit der Hitze ihrer Leidenschaft für den Führer einherging.
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Fällt das Wort »Auschwitz«? Ich hoffe es für den Film. Ganz sicher bin ich mir nicht. Aber es geht zu wenig (!!!) um den Umgang mit der Shoa, um den Umgang mit der Ermordung der europäischen Juden durch Deutschland und die Deutschen während des »Dritten Reichs«. Es geht nur um diese eine nicht sehr repräsentative Frau, kaum um die Verleugnung der allgemeinen deutschen Schuld, das Abstreiten und Relativieren der Schuld und um die Konsequenzen, die aus der Schuld erwachsen und gezogen werden von den Beteiligten.
Was kümmert sie uns?
Wenn die Person Riefenstahl etwas mehr zugegeben hätte, was wäre dann besser?