USA 2002 · 86 min. · FSK: ab 6 Regie: Anthony Russo, Joe Russo Drehbuch: Anthony Russo, Joe Russo Kamera: Charles Minsky Darsteller: William H. Macy, Isaiah Washington, Sam Rockwell, Michael Jeter u.a. |
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Großmäuler und Kleinkriminelle |
Vor kurzem wurde an dieser Stelle Aki Kaurismäkis Der Mann ohne Vergangenheit gehuldigt. Ein Meisterwerk über den unteren Ende der finnischen Gesellschaft, voll mit skurrilen Typen, unwirklichen Szenerien, bizarren Orten, aberwitzigen Dialogen, bitterer Ironie, komischer Melancholie und endlos könnte man so weiter aufzählen, was einem an diesen Film so gefällt, ohne damit dem Geheimnis, worin die Genialität Kaurismäkis und seines Film liegt, auch nur nahe zu kommen.
Nun sind es die Brüder Anthony und Joseph Russo, die in Welcome to Collinwood (der bei uns mit dem Titel Safecrackers oder Diebe haben’s schwer geschlagen ist) von einer Gruppe dilettantischer Halbkrimineller in Collinwood, dem »Beirut von Cleveland«, und ihrem kläglichen Versuch, ein großes Ding zu drehen, erzählen. Und wieder könnte man aufzählen, wie beeindruckend die Schauspieler und ihre Charaktere sind, wie stimmig die Musik, wie malerisch die Kameraführung, wie geistreich das Drehbuch, wie perfekt die Ausstattung, wie funkelnd die Dialoge, wie hintergründig der Humor ist und trotzdem bzw. gerade deshalb versteht man nicht, weshalb dieser eigentlich »fehlerfrei« Film nur ein nettes, unterhaltsames, schlußendlich aber harmloses Feel Good-Movie und kein Geniestreich ist.
Mittelpunkt des Films ist ein sagenumwobener »Bellini«, was in Collinwooder Gangsterkreisen für einen einfachen aber äußerst ertragreichen Coup steht. Cosimo (Luis Guzman) hat im Gefängnis von einem solchen Bellini erfahren, doch um den in Freiheit durchzuführen, braucht er einen »Mullinski«, also einen Mann, der gegen Bezahlung sein Verbrechen auf sich nimmt und an seiner Stelle eingesperrt wird. Die Suche seiner Freundin nach einem solchen Strohmann entpuppt sich als schwieriger als angenommen, allerdings wird im Gegenzug die Gruppe der am Bellini interessierten (davon einer unfähiger als der andere), schnell größer. Als der Mullinski (der glücklose Boxer Pero, gespielt von Sam Rockwell) mit dem Plan für den Bellini wider Erwarten frei kommt, Cosimo aber immer noch im Knast sitzt, entschließt sich diese Chaostruppe, den Einbruch selber durchzuführen.
Auf dem steinigen Weg dahin führt die Liebe zu mancher Verwirrung, gilt es mit einem lästigen Polizisten fertig zu werden, braucht man Rat von einem obskuren Spezialisten (George Clooney als Panzerknacker im Rollstuhl), leiht man sich Geld von geschäftstüchtigen Nonnen und zu allem Überfluß sorgt auch Cosimo noch einmal für Aufregung.
Der Einbruch verläuft entsprechend katastrophal, doch am Ende geht zumindest der dringendste Wunsch eines Verbrechers in Erfüllung und allen
bleibt die kostbar(st)e Erkenntnis, neue Freunde gefunden zu haben.
Die Handlung (die Vorlage dazu stammt von italienischen Film I soliti ignoti von 1958) ist somit schlicht, läßt aber alle gestalterischen Möglichkeiten offen, was die Russo-Brüdern nutzen, um ein regelrechtes Feuerwerk an Ideen und Kreativität abzubrennen und mit erstaunlichem technischen Können umzusetzen.
Das Ergebnis ist ein sympathischer Film, in dem die Schauspielleistungen (von William H. Macy als alleinerziehendem Vater bis Isaiah
Washington als schwarzer Dandy im Elendsviertel) durchgehend sehenswert sind, die musikalische Untermalung perfekt passt, jede Aufnahme genau durchdacht, voller Details und überaus pittoresk ist, die Dialoge intelligent sind, die Stimmung vielschichtig und die Botschaft ehrlich und zuversichtlich ist.
Entsprechend angenehme 90 Minuten kann mit Welcome to Collinwood verbringen, einige Male auch laut lachen, sich über die sonderbaren Typen amüsieren, sich an den wunderbaren Bildern weiden und mit einem positiv beschwingten Gefühl den Kinosaal verlassen. Wer eine solche kurzzeitige und -weilige Ablenkung von einem Kinobesuch erwartet, wird mit diesem Film auf hohem Niveau zufriedengestellt.
Wer aber von einem Film erwartet, dass er ihm noch Tage, Wochen
oder Monate (manchmal sogar ein ganzes Leben lang) durch den Kopf geht und immer wieder Anlass zum Erinnern und Denken bietet, der wird hier – wohl auch wegen der scheinbar perfekten Voraussetzungen – eher enttäuscht sein.
Manche Film sind gut gemeint, manche sind gut gemacht und manche sind einfach nur gut. Für die erste Kategorie ist Welcome to Collinwood zu geistreich und schön, für die dritte fehlt ihm leider das gewisse Extra, so bleibt ihm »nur« die zweite.
Es ist nun einmal ein typisches Merkmal von Film (und Kunst im allgemeinen), dass sich Klasse (oder gar Genialität) nicht so einfach nach einem Schema oder Plan erschaffen läßt und selbst namhafte und unzweifelhaft
gute Regisseure besitzen kein Patenrezept dafür, weshalb z.B. auch Jean-Pierre Jeunets Die Stadt der verlorenen Kinder, Alan Parkers The Road To Wellville oder Woody Allens Celebrity alles richtig machen aber doch irgendetwas (Entscheidendes) vermissen lassen.
Was dieses schwer zu fassende Etwas ist, erahnt man noch am ehesten bei der Betrachtung von Filmen die »Es« haben.
Palookaville mit Vincent Gallo wäre in diesem Zusammenhang etwa zu nennen. Ebenfalls ein Film über einige unfähige Amateurgangster in einer tristen Gegend (hier New Jersey), jedoch unprätentiöser als Welcome to Collinwood und eindeutig nachhaltiger. Die
schrägen Gangsterfilme der Coen-Brüder wie Blood Simple oder Fargo haben »Es« ebenso und natürlich auch der eingangs erwähnte Mann ohne Vergangenheit besitzt diese besondere Qualität, die so schwer zu beschreiben ist und
die ein Mann wie Aki Kaurismäki, trotz Alkoholproblem und dem Schwur nie wieder einen Film zu drehen, scheinbar mühelos auf die Leinwand zaubert.
Vielleicht ergänzen ja die Gangster in Collinwood irgendwann ihren Slang-Sprachschatz und träumen neben dem Bellini fortan auch von einer eleganten, kleinen Betrügerei, dem Russo oder von dem einen, großen, magischen Coup, der sie unsterblich machen wird, dem Kaurismäki.