BRD/Jugoslawien 1962 · 111 min. · FSK: ab 6 Regie: Harald Reinl Drehbuchvorlage: Karl May Drehbuch: Harald G. Petersson Kamera: Ernst W. Kalinke Darsteller: Lex Barker, Pierre Brice, Götz George, Karin Dor, Herbert Lom u.a. |
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Eine Welt für sich – ein deutsches Sehnsuchtsland, ein Traumreich |
»Immer fällt mir, wenn ich an den Indianer denke, der Türke ein.«
- Karl May, »Winnetou I«
Die Old-Shatterhand-Melodie – mit ihr ging es fast immer los. Für eine ganze Generation, für die zwischen 1945 und 1960 Geborenen, war diese von Martin Boettcher komponierte Melodie, ihr Kitsch und ihre Sentimentalität, ein mehrfaches Versprechen.
Es war das Versprechen eines großen Abenteuers, das eine Ahnung gab von weiter Ferne und ungesehenen Ländern und das großes Gefühle versprach, und doch gleichzeitig Geborgenheit, gab in einer jungen Bundesrepublik, die
immer noch unsicher schwankte zwischen Wiederaufbaueuphorie und der Sehnsucht, das Vergangene zu vergessen. Im Kino träumte man sich weg, und zu den Western der Amerikaner, ihren harten, fast zu harten Film Noirs und den Sandalenfilmen traten um 1960 die Karl-May-Filme, nach den Heimatfilmen der 50er Jahre und den Edgar-Wallace-Krimis etwas später waren sie das originäre deutsche Kino-Genre – das übrigens die beiden deutschen Staaten gerade in den Jahren nach dem Mauerfall im
Unterbewusstsein vereinte. Denn auch der Osten kopierte die bald entstehende Karl-May-Welle und hatte seine Winnetou-Filme.
Hier aber geht es um das Original: »Nun sehen wir sie endlich von Angesicht zu Angesicht: Die schon fast legendären Blutsbrüder Old Schatterhand und Winnetou. Den weißen Mann, der über das große Wasser kam um im Wilden Westen eine neue Heimat zu finden, und Heldentaten zu verrichten, die ihm unsterblichen Ruhm einbringen sollten. Und den letzten Häuptling der Apatchen, der bedingungslos sein Leben einsetzt, wenn es gilt dem Recht zum Siege zu verhelfen. Den aber bereits die Tragik seiner sich im Todeskampf noch einmal aufbäumenden Rasse überschattet. ... Mit ihnen erleben wir das große Abenteuer um den Besitz märchenhafter Reichtümer.«
So klang das 1962. Der Schatz im Silbersee, der 1962 in die Kinos kam, war der allererste dieser Karl-May-Filme – und der erfolgreichste. Der Film wurde in sechzig Länder verkauft.
Mit diesem Film begann, noch vor den italienischen Spaghetti-Western, die bundesdeutsche Eroberung des Wilden Westens.
Dieser Westen war vor allem ein Phantasiegebäude – man dekorierte die Träume der Literatur um, und ließ sie so wiederaufleben – mit Farben wie im Lucky-Luke-Comic.
Die Filmemacher nahmen sich aus den seit Generationen beliebten Geschichten alles, was sie für die stimmungsvolle Gestaltung der Abenteuer von Winnetou und Old Shatterhand brauchen konnten; und überließen die philologischen Diskussionen, was nun eigentlich Original Karl May, was jugendgemäße Bearbeitung oder Verstümmelung war, den Fachleuten. Dafür zog ein Hauch von großer Welt ins oft provinziell anmutende deutsche Kino ein.
Aus Hollywood holte man mit dem blonden Lex Barker, Ex-Tarzan und Ex-Gatte von Lana Turner einen richtigen Star, der wie viele Kollegen in Europa – übrigens auch in Fellinis La Dolce Vita –, seine Karriere ausklingen ließ, wie auch Stewart Granger. Und mit dem Franzosen Pierre Brice als Winnetou hatte man einen Hauch von französischer Neuer Welle – und schuf einen der größten Stars der Nachkriegszeit. Noch mit über 70 spielte Brice unverdrossen auf Freiluftbühnen das Immergleiche.
Auch sonst ist »Der Schatz im Silbersee« eine bemerkenswerte Kombination aus Schauspielkunst: Mit Marianne Hoppe schloß man gleichzeitig an alten Staatstheaterglanz und an das offiziell verpönte, insgeheim aber hochbeliebte Ufa-Kino der Nazis an, mit dem 25-jährigen Götz George hatte man nicht nur einen großen Namen, sondern sah eine körperlich attraktive durchgestählte junge Hoffnung des deutschen Films.
Und den üblen Schurken Cornel Brinkley spielte der britische Hollywoodstar Herbert Lom – ihm gehört das abgründigtste Bild des Films: Als er am Ende tot im Moor versinkt, ist am Schluß nur noch seine Hand zu sehen, die im Todeskampf einen goldenen Kelch umfasst – der Schatz im Silbersee ist auch ein versunkener Nibelungenschatz.
Regie führte der ehemalige Assistent von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl: Harald Reinl, der auch seine damalige Ehefrau Karin Dor im Film einsetzte und nur vier Jahre später, 1966 tatsächlich die Nibelungen-Sage als Zweiteiler verfilmte.
Damit machten die Bleichgesichter aus Germany genau das, was kurz darauf auch die Italiener taten: Sie nutzten die Krise Hollywoods, um US-Genres selber zu verfilmen – nur halt deutsch-spießig und nicht italiensch-abgründig. Aber Reinl war eben so wenig ein Sergio Leone oder Serigo Corbucci, wie es hierzulande einen Visconti oder einen Pasolini gab.
Alfred Vohrer oder Georg Marischka verfilmten weitere Titel – aber auch einer wie Robert Siodmak, 1933 Emigrant nach Hollywood, dort Regisseur von zentralen Film Noirs und guten Western, verfilmte Der Schatz der Azteken – kein Karl-May-Roman, sondern ein Verschnitt seiner Motive.
Die deutschen Western kamen zu einer Zeit, da in Hollywood die Ordnung des Studiokinos zusammenbrach und die Genres durchlässig wurden. Wie die internationalen Märkte in einer Zeit, in der das europäische Koproduktionskino noch großes Selbstbewusstsein hatte und es ausspielte.
Mit dem Der Schatz im Silbersee startete eine der erfolgreichsten Kino-Serien der Nachkriegszeit – alles, was aus dem einen Roman nicht sofort Verwendung fand, konnte bei einem der folgenden Filme genutzt werden, so bildeten die Karl-May-Filme eine Welt für sich – ein deutsches Sehnsuchtsland, ein Traumreich wo das Prinzip Hoffnung, die Träume von weiter Welt und die Schatten einer sehr, sehr deutschen Vergangenheit zusammenfielen.
Die Wirkung dieser Filme ist ungebrochen – davon zeugt nicht erst die jetzige Wiederaufführung des Films, sondern auch noch die Parodie von Bully Herbig.