USA 2015 · 122 min. · FSK: ab 16 Regie: Denis Villeneuve Drehbuch: Taylor Sheridan Kamera: Roger Deakins Darsteller: Emily Blunt, Benicio Del Toro, Josh Brolin, Victor Garber, Jon Bernthal u.a. |
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Blutig ist der »War on Drugs« |
Dass der Kampf gegen den Drogenhandel einem dreckig-brutalen Krieg gleicht, dürfte keine allzu neue Erkenntnis sein. Zahlreiche Filme haben sich diesem Thema bereits gewidmet und ein erschütterndes Panorama entworfen. Insofern bietet der in Cannes uraufgeführte Thriller Sicario – ein spanischer Begriff für »Auftragskiller« – sicherlich nur wenig Überraschungspotenzial. Die düstere Bestandsaufnahme setzt sich fort. Und auch die konsequente Handlungseskalation ist größtenteils abzusehen. Nichtsdestotrotz schüttelt die zweite Hollywood-Arbeit des Frankokanadiers Denis Villeneuve (Prisoners) ihr Publikum kräftig durch, weil sie grandios inszeniert und bebildert ist.
Eine Kostprobe seiner Fähigkeiten gibt der Regisseur schon in der packenden Anfangssequenz, die unsere Hauptfigur vorstellt. Gemeinsam mit ihren Kollegen einer Elitetruppe für Entführungsfälle stürmt die FBI-Agentin Kate Macer (Emily Blunt) ein Haus am Stadtrand von Phoenix. Zu bedrohlich-treibenden Klängen (Musik: Jóhann Jóhannsson) bewegen sich die Polizisten durch das Gebäude. Vorsichtig und angespannt, da hinter jeder Ecke das Grauen lauern könnte. Als Betrachter hat man das Gefühl, selbst an der Operation teilzunehmen, und ist ebenso geschockt wie die Beamten, dass sich die Behausung als Entsorgungsstätte für Dutzende Leichen eines mexikanischen Drogenkartells entpuppt. Schon hier, beim Anblick der blutverschmierten, mit Plastiktüten erstickten Opfer, lässt Villeneuve keinen Zweifel daran, dass wir eine grausame Welt betreten. Menschenleben zählen nichts. Und selbst die perfekt ausgebildeten Agenten sind mit ihren Nerven am Ende.
Spannend ist Sicario auch deshalb, weil er mit Kate eine weibliche Perspektive ins Genre einbringt. Glaubt die junge, unprätentiöse Frau anfangs, mit ihrer Einheit etwas verändern zu können, lockt nach der schrecklichen Phoenix-Erfahrung ein Angebot, das ein wirkungsvolleres Vorgehen verspricht. Der machohafte Geheimdienstler Matt Graver (Josh Brolin) will Kate in seine Drogen-Spezialeinheit aufnehmen, zu deren Mitgliedern auch der Söldner Alejandro (gewohnt charismatisch: Benicio Del Toro) gehört. Anfängliche Zweifel wischt die idealistische Polizistin beiseite und findet sich schon bald auf einer fragwürdigen Unternehmung in der berüchtigten mexikanischen Grenzstadt Ciudad Juárez wieder.
Eine Passage, die zu den absoluten Höhepunkten des abgründigen Drogenthrillers zählt. Dynamik und Ungewissheit ergeben an dieser Stelle einen atemberaubenden Sog. Und erneut hat es den Anschein, als sitze man direkt neben den Beamten, die in einer Wagenkolonne durch Juárez brettern, um einen wichtigen Kartell-Handlanger zu entführen. Abermals kündet die nervenaufreibende Musikuntermalung kommendes Unheil an. Enge, schwer überschaubare Straßen verhindern einen freien Blick. Und Unebenheiten im Asphalt wirken wie Donnerschläge, auf die ein feindlicher Angriff folgen könnte. Kontrastiert werden diese Bilder mit Überwachungsaufnahmen aus der Vogelperspektive, die nicht von ungefähr an amerikanische Kriegsoperationen in anderen Weltregionen erinnern. Juárez ist eine feindliche Kampfzone, der man mit militärischen Mitteln zu Leibe rücken muss.
Grenzen spielen in dieser Auseinandersetzung schon längst keine Rolle mehr, wie der Zuschauer und Kate schmerzlich erfahren müssen. Im Namen der Sicherheit werden auf US-Seite Gesetze gebrochen, eigene Agenten ausgenutzt und zweifelhafte Soldaten ins Feld geschickt. Harte Jungs, die in Afghanistan stationiert waren oder aber direkt aus dem Knast zur Spezialeinheit stoßen, was die Protagonistin sichtlich irritiert. Überhaupt wirkt Kate fehl am Platz in dem testosterongeschwängerten Umfeld, in dem man sich bereitwillig den brutalen Methoden der Drogenkartelle anpasst. Dass die junge Frau die meiste Zeit erstaunlich passiv bleibt, lässt sich einerseits kritisch sehen – vor allem im Hinblick auf das noch immer vorherrschende weibliche Randdasein im Thriller- und Actionkino. Andererseits hebelt Sicario mit dieser Entscheidung konventionelle Erzählregeln aus, nach denen sich die Hauptfigur eines Hollywoodfilms aktiv für ihr Ziel einsetzen und ihrem Schicksal die Stirn bieten muss. Hier ist ein Aufbäumen sinnlos, da die Denkweisen und Vereitelungsstrategien komplett vergiftet sind, wie der undurchschaubare Alejandro betont, als er Kate gegen Ende einschärft: »Du wirst hier nicht überleben. Du bist kein Wolf. Dieses Land wird jetzt von Wölfen beherrscht.«
Auch wenn das Drehbuch – verfasst von Schauspieler Taylor Sheridan (Sons of Anarchy) – nicht sonderlich kunstvoll komponiert ist, erweist sich ein kleiner, vom Hauptgeschehen zunächst losgelöster Nebenstrang als Verneigung vor den eigentlichen Leidtragenden des Drogenkriegs. Im Mittelpunkt steht ein mexikanischer Polizist, der das Leben seiner Familie durch Kurieraufträge aufbessern will. Bezeichnenderweise gehören die letzten Augenblicke des Films seinem Sohn, der auf einem staubigen Platz Fußball spielt, während in einiger Entfernung Schüsse durch die Luft peitschen. Ein ergreifender Moment, der deutlich unterstreicht, dass sich die Gewaltspirale weiterdreht und auch die kommenden Generationen wohl nicht verschont bleiben.
Sehenswert machen Villeneuves aktuelle Regiearbeit nicht nur der kritische Blick auf das Handeln der US-Behörden und die dicht inszenierten Spannungsszenen. Beeindruckend ist auch die Kameraarbeit von Roger Deakins, der die zerklüftete Wüstenregion in poetische Bilder kleidet und mit einer Nachtsichtperspektive im letzten Drittel einen visuellen Glanzpunkt setzt. Inhaltlich mag Sicario das Rad nicht neu erfinden, als berauschendes Filmerlebnis taugt der Drogenthriller aber allemal.
»Just dont keep me in the dark.« – »Afraid of the dark?«
Dialog zwischen Emily Blunt und Benicio del Toro, aus: »Sicario«
Es beginnt mit einem Polizeieinsatz: Ein FBI-Kommando stürmt ein Haus, einen Unterschlupf des Kartells. Das ganze Gebäude ist voller Leichen. In den Wänden finden sie über 35 Tote. Zugleich tappen sie in eine eingebaute Falle, und mehrere Beamte sterben oder werden schwer verletzt. Dies ist der Auftakt. Die von Emily Blunt gespielte Hauptfigur ist eine junge Polizistin. Sie wird von einer Spezialeinheit angeheuert, die, das ist schnell klar, den schmutzigen Krieg der Kartelle
zurück nach Mexiko trägt, mit halblegalen, oft einfach kriminellen Methoden und einfach Mord. »We are making enough noise, that Ruiz is called back to Mexico by his boss. Then we know, where is boss is.« so erklärt das einmal ein Beamter. »In the meantime, first sponge everything up. Learn, that’s why you are here!«
Zero Dark Thirty bildet ein fernes Referenz-Echo für diesen
Film. Aber die Heldin hat schnell Zweifel, beharrt auf den Regeln. Doch leider ist die Hauptfigur hier zu oft einfach nur eine Empörte. Schade.
Besser wäre es gewesen, den Konflikt stärker als moralischen herauszuarbeiten: Kann man Feuer nur mit Feuer bekämpfen?
ls sie einmal einwendet: »I am not a soldier. This is not what I do.« bekommt sie einfach zur Antwort: »This is the future.« Könnte ja etwas dran sein.
Die beste Szene ist dann die einer Fahrt mit fünf Polizei-Autos nach Mexiko, wo ein gefangener Gangster den Amerikanern übergeben und außer Landes geschafft wird. Mal aus dem Flugzeug gefilmt, dann aus den Autos heraus, vorbei an gehängten Leichen, eskortiert von mexikanischer Polizei. Zurück am Grenzübergang werden sie von der Mafia abgefangen – das ist glänzend vorbereitet, ein Spiel der Blicke und Beobachtungen mit ständig wachsender Spannung. Dann ein schneller Schusswechsel. Und vorbei.
Sicario stammt vom Franco-Kanadier Denis Villeneuve. Villeneuve hat tolle Autorenfilme gemacht, wie »Les Incendies«, jetzt strebt er nach anderem, und wird uns weiter beschäftigen: gerade dreht er Blade Runner. Sein jetzt neuer Film ist auf den ersten Blick vor allem ein im Prinzip konventioneller, wenig überraschender, aber auf hohem Niveau solider, und mit einigen außerordentlichen Szenen aufwartender Thriller über amerikanische Polizisten, die es mit der mexikanischen Drogenmafia zu tun haben. Der Vorspann erklärt, dass Sicario ursprünglich jene Krieger der Zeloten meinte, die die römische Besatzungsmacht bekämpften. Und dass das Wort sich heute auf die Auftragskiller der mexikanischen Drogenmafia bezieht. Aber wer eigentlich hier in diesem Film genau der im Titel gemeinte »Sicario« ist, das bleibt vorläufig offen.
Dies ist ein hauptsächlich in Amerika spielender Polizeithriller, der stark davon geprägt ist, dass hier ein Kanadier auf Amerika und die amerikanischen Verhältnisse blickt. Alles spielt in jenem Terrain zwischen Südkalifornien, Texas, El Paso, Tijuana und Ciudad Juarez, jener blutigen Zwischenzone am mexikanisch-amerikanischen Grenzstreifen, der von Menschenhandel und Drogengeschäften geprägt ist, und im Hollywood-Kino bereits ein eigenes Genre begründet hat: Das der
»Border«-Filme. Villeneuve zitiert diese kenntnisreich, angefangen mit Touch of Evil von Orson Welles, dessen hundertster Geburtstag bei diesem Festival auch gefeiert wird, über The Wild Bunch, bis hin zu Lone Star, Traffic oder Perdita Durango. Villeneuve fehlen die Schuldgefühle gegenüber Mexiko, die im amerikanischen Kino oft spürbar sind.
Es ist ein oft düsterer Film, der von oben herab auf die Wüste blickt, als handle es
sich um eine Mondlandschaft, der Horror-Musik darunter legt. Ein Film, der sich auch Zeit nimmt, um seine Story zu erzählen, der insgesamt cool gemacht ist und sich aufs Visuelle konzentriert.
Schnell wird sichtbar, dass Villeneuve anders inszeniert, als in Hollywood üblich: Statt mit Schnittorgien Unübersichtlichkeit zu schaffen, zieht seine ruhige, beobachtende Kamera (Roger Deakins) die Zuschauer ins Geschehen hinein, und schafft ein Gefühl für die Lage seiner Figuren. Als
eine Sitzung hoher Beamter gezeigt wird, gibt es keine Close-Ups, keine Schnitte.
Dies ist auch deshalb ein hervorragender Film, weil er zeigt, wie viele amerikanische Behörden drauf sind... Und dass ihr Verhalten von ganz oben unterstützt wird, von Politikern, »von denen, die ins Amt gewählt werden, nicht ernannt«. Diese Kritik an der Demokratie und ihren Lebenslügen, noch mehr ihrer Doppelmoral, ist nicht neu, aber notwendig.
Als Benicio Del Toro, der einen mexikanischen Polizisten spielt, der mit den USA zusammenarbeitet, in einen Keller kommt, wo
er einen Verdächtigen foltern wird, pfeift er kaum merklich »Hail to the chief«, jenes Lied, das immer gespielt wird, wenn der US-Präsident einen Ort betritt. Muss es noch deutlicher sein? »Now You'll learn what’s hell in Yankee-Land.«
Und so geht es auch um eine Demokratie die ihre selbstgesetzten Grenzen immer erweitert, und die Wähler betrügt. Denn der einzige Grund, warum Kate ünerhaupt für diese Spezialeinheit verpflichtet wurde ist der, dass es sich um die CIA handelt.
Die CIA darf im Inland nicht operieren, ohne dass das FBI beteiligt ist. Sie ist eine Strohfrau.
Das Ende ist weder ein gutes, noch ein schlechtes. Kate wird zur Falschaussage gezwungen, mit als Selbstmord getarntem Mord bedroht, wenn sie nicht die Verbrechen ihrer Kollegen deckt. Aber es hat die Richtigen getroffen.
Und Benicio del Toro, der die komplette Familie des Drogenbosses mit diesem erschossen hat, empfiehlt Kate: »You should leave to a small city where law is still .... You will not survive here. We are in the lands of the wolves.«
PS:
Es ist schon öfters bemerkt worden, dass man den Wölfen vermutlich Unrecht antut, wenn man sie mit Gewalt und Unsolidarität, mit blutiger Beutegier assoziiert. Aber das wird den Wölfen nichts nutzen.