USA 2013 · 106 min. · FSK: ab 12 Regie: Steven Soderbergh Drehbuch: Scott Z. Burns Kamera: Peter Andrews Darsteller: Jude Law, Rooney Mara, Catherine Zeta-Jones, Channing Tatum, Vinessa Shaw u.a. |
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Selbstbewusst, originell, frei & verblüffend |
Eine lange, sehr ruhige Kamerafahrt, in der der Fokus sich sehr allmählich auf ein einzelnes Fenster eines mehrstöckigen Gebäudes verengt, erinnert in ihrem Stil zu Beginn an die Paranoiathriller der 70er und 80er Jahre, auch ein wenig an Panic Room von David Fincher und auch ein wenig an Hitchcock. Aber das Stadtviertel, das zu sehen ist, irgendeine New Yorker Suburb-Kreuzung im
Sonnenuntergang, wirkt seltsam normal und unglamourös für einen Hollywood-Film, und die Musik ist viel spärlicher eingesetzt, als man es aus dem Kino Amerikas gewohnt ist. Ein Anfang ohne Show-Off, so rein funktional, wie es schon Alfred Hitchcock meist nicht mehr gemacht hat.
So hat Side Effects von dieser allerersten Einstellung an eher die Anmutung eines Independent-Films, der sich am klassischen Kino-Handwerk orientiert, nicht am aufgeblasenen
Blockbuster-Film der letzten Dekade.
Die Handlung kreist um Emily (Rooney Mara), eine junge Frau, die zunächst selbstbewusst wirkt, sich aber rasch als ein ziemliches Nervenbündel entpuppt. Ihr Mann, ein Börsenmakler, saß wegen Insidergeschäften ein paar Jahre im Knast. Jetzt kommt er frei und Emily nicht mit der neuen Situation zurecht: Sie hat, das kommt allmählich heraus, bereits eine Vergangenheit aus wechselnden Therapeutenbesuchen und wiederholtem Medikamentenmissbrauch hinter sich; und nun kommen
ihre Depressionen zurück.
Nächtliche Schlafwandeleien, viel zu viele Pillen in immer neuen Rezepturen und Kombinationen, ein gut aussehender Nervendoktor und ein Selbstmordversuch im Auto sind die Zwischenstationen auf einem Weg, der nach einer guten halben Filmstunde damit endet, dass Emily ihren sich gerade im Wall-Street-Milieu resozialisierenden Göttergatten im Medikamentenrausch mit dem Küchenmesser niedermetzelt und sich dann erstmal schlafen legt. Am
nächsten Morgen ruft sie dann schockiert die Polizei und kann sich ansonsten an nichts erinnern. Die Ermittler haben ihre Zweifel.
Doch jetzt kommt ihr Psychiater Jonathan Banks ins Spiel. Der versucht zu beweisen, dass sie nicht wusste, was sie tat. Die Behörden suchen sich nun einen neuen Sündenbock und wollen ihm beweisen, dass zumindest er als der Behandelnde das hätte wissen müssen und konzentrieren sich auf ärztliches Fehlverhalten. Ein Nebenwirkung ganz eigener Art.
Soweit die Ausgangsposition von Steven Soderbergh angeblich letztem Film – es könnte schlechter aussehen, wenn es mit dem Kino zu Ende geht. Doch nach 26 Filmen in den vergangenen 24 Jahren insistiert dieser wohl variantenreichste unter Amerikas Autorenfilmern, Side Effects werde sein letztes Kinowerk sein auf absehbare Zeit. Vielleicht nicht das Ende, aber »eine Pause«, nicht von der Regie überhaupt, aber vom Kino.
Diese angekündigte Abschiedsvorstellung ist ein Thriller geworden, der auch darin ans klassische Studiokino erinnert, dass er klar und effektiv inszeniert ist, alles Überflüssige und Ornamentale abgestreift hat. Nachdem der Film wie eine Slasher-Version von Desperate Housewives begann, bietet der Mittelteil das sarkastische Portrait einer medikamentensüchtigen amerikanischen Mittelstandsgesellschaft, in der in erster Linie frustrierte Ehefrauen, depressive Geliebte und burnoutgeplagte Karriereweiber und vor allem die explosiven Kombinationen dieser Typen – man trifft auch eine, auf die alle drei Beschreibungen gleichzeitig zutreffen – mit ganzen Paletten von Pillen inklusive der jeweiligen Wirkungsverstärker, Verträglichkeitshelfer und Antidota jonglieren, und Ärzte ein Vielfaches ihrer Honorare als Interessenvertreter bestimmter Pharmafirmen verdienen. Medikamentengebrauch ist, so suggeriert zumindest der Film mit bissigem Unterton, längst zum Standardverhalten der Moderne geworden: »Sie verändern einen nicht. Sie machen es nur leichter, man selbst zu sein.« heißt es einmal über die beliebtesten Mittel. Drogen und ihre Funktion im spätkapitalistischen Kontext aus Leistungsstress, Effizienzdenken und Selbstoptimierung interessieren Soderbergh schon lang. Mit Traffic, einem Verschnitt aus Mafia-Thriller und Familienmelo, hat er einen seiner besten und erfolgreichsten Filme über das Thema gemacht und 2001 den Regie-Oscar gewonnen – Soderberghs Form von Gesellschaftskritik an dem »Krieg gegen die Traurigkeit«, der derzeit in den USA geführt werde. Trotzdem ist auch diese Pharmathematik nur ein Seitenstrang in Side Effects, gewissermaßen selbst eine Nebenwirkung des Films, auch wenn dieser jetzt als »Psychopharmaka-Thriller« beworben wird.
Im letzten Filmdrittel rückt dann der von Jude Law gespielte Psychiater Jonathan Banks ganz in den Vordergrund. Während er noch nicht versteht, was geschieht, wird er zum Spielball fremder Kräfte, entgleitet ihm allmählich sein Leben – ein kafkaeskes Netz, das er zerreißen muss, um sich auch innerlich zu befreien. So wird diese Story um ihre zwei Figuren zu einem Psycho-Thriller, der gar nicht mehr vage an Hitchcock erinnert, ein Drama um Schuld und um deren Übertragung von einer Figur auf eine andere. Und um Manipulation. Der klügste (und verräterischste) Satz des Films lautet: »Girls learn to fake things at an early age. The same time boys learn to lie.«
Man kann in Side Effects also eine Blaupause erkennen für eine Moderne, die sich aus Voyeurismus und Lüge, aus Schaulust und Wahrheitsscheu zusammensetzt. Wie schon in seinen amoralischen Ocean’s-Filmen, wie in dem Wunschmaschinen-Melo Solaris (2002), in dem einfach zu entspannten neoliberalen The Informant oder auch seinem romantischsten Film Out of Sight (1998), verdampft das moraltrunkene Wahrheitspathos, das Sex, Lies And Videotape, Erin Brockovich und selbst Traffic dominiert. Einmal mehr gelingt es Soderbergh, viele Dinge anders zu machen als seine Kollegen und durch seinen selbstbewussten, originellen und sehr freien Umgang mit Erzähl- und Genreregeln sein Publikum zu verblüffen.