USA 2005 · 128 min. · FSK: ab 12 Regie: Stephen Gaghan Drehbuch: Stephen Gaghan Kamera: Robert Elswit Darsteller: George Clooney, Matt Damon, Jeffrey Wright, Amanda Peet, Chris Cooper u.a. |
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George Clooney als unbequemer CIA-Agent |
Geschäfte, Geheimdienste, Gewalt und Globalisierung – wer wissen möchte, was Terrorismus mit Außenhandel zu tun hat, sollte diesen Film sehen. Wer immer noch glaubt, unseren Politikern und Wirtschaftsbossen ginge es um nichts anderes, als um Menschenrechte und Wohlstand für alle, sollte ihn ebenfalls sehen. Und auch wer einfach einen perfekt gemachten, hochgradig spannenden Politthriller sehen möchte, der ins Herz unserer Gegenwart trifft, darf sich Stephen Gaghans Syriana nicht entgehen lassen.
Ein Mann im Business-Anzug steht in der Wüste. Vor ihm steht der mutmaßliche Thronfolger eines arabischen Staates, des Prototyps einer arabischen Monarchie, der sich bei der Falkenjagd vergnügt, wie sein Vorfahren schon vor knapp 1000 Jahren, zu Zeiten Saladins. Der Mann im Anzug zeichnet Linien in den Sand. Vielleicht ist dies die Schlüsselszene von Syriana.
Die Linien im Sand zeigen das »eurasische Dreieck«: Hier müsste die neue Pipeline langgehen, dann könnt Ihr Euren Profit verdoppeln. Hier – eine andere Linie wird in den Sand gemalt – nutzt es den Amerikanern, dort – der Finger zeigt auf die Seite – ist es gefährlich. Diese Szene bringt auch den Zuschauer in die Position, aus der Politik und Wirtschaft gemeinhin gemacht wird: Es ist der Blick von oben. Noch einmal, später, werden wir all im Kino diesen Blick einnehmen: Es ist der Moment, an dem die CIA einen Mord ausführen wird, der Blick von einer Satellitenkamera auf das Ziel einer tödlichen Rakete, auf eine Autokolonne, die durch die Wüste fährt. Er gleicht fast dem Blick, den wir alle seit einigen Monaten täglich mit Google Earth einnehmen; dem Blick Gottes auf die Welt, vielleicht bevor er die Sintflut schickte. Die Kamera, irgendwo im CIA-Hauptquartier in Langley, Virginia, kann heranzoomen, bis sie sogar die Schafe erkennt und die Beduinen, die sie hüten. »Target destroyed« heißt es irgendwann. Danach kommt dann der Blick von unten.
Schon vor der Szene in der Wüste haben wir den Blick von oben, den Blick, der mit einem Linealstrich neue Pipelinerouten zeichnet und über das Schicksal von Regionen und Nationen entscheidet, ein wenig einüben können: Im Konferenzsaal einer großen Ölfirma, die im Film CONNEX heißt. Dort hängt eine riesige Karte. Auf ihr befinden sich Rechtecke, größer und kleiner, einige sind rot, andere orange, andere wiederum gelb oder grün. Diese Rechtecke teilen die Welt der Ölbarone auf in wichtig und nichtig, in Interessenssphären und »Elefantenfelder«, sie teilen die Menschheit in jene, die umgarnt und bezahlt oder wenigstens bestochen und ausgebeutet werden, in jene, denen man Waffen liefert und die man in blutigen Bürgerkriegen gegeneinander hetzt, und schließlich in jene, die man einfach links liegenlässt. Syriana ist ein Thriller über diesen geopolitischen Blick, über eine Sicht der Dinge, die die Welt kartographiert und Fragen mit Linien beantwortet, die auf die Karten gezeichnet werden. Er handelt von Beziehungen, von dem Netzwerk von Linien, die sich zwischen Orten ziehen lassen, und darum ist sein Schauplatz die ganze Welt: Teheran; Georgetown; Genf; Langley; Marbella; Texas; Rockville, Maryland; Beirut; Kasachstan, Cap d’Antibes.
»Gut: Sie wollen eine Idee? Hier ist eine Idee.« Wenige Minuten später ist der junge Mann, der Bryan Woodman heißt, zum Wirtschaftsberater des arabischen Prinzen geworden. »Wozu einen Wirtschaftsberater? Außer ihrem Öl verkaufen Sie Datteln bei denen Sie 5 Cent draufzahlen.« Jener Prince Nasir Al-Subaai ist ein aufgeklärter Despot. Er will Demokratie und Frauenwahlrecht einführen, und argumentiert eigentlich so perfekt neoliberal, wie sich die Herren von der Weltbank das nur wünschen können: »Ich tue alles, was zur Effizienz beiträgt und den Gewinn maximiert.« Aber er ist nicht USA-hörig, und fragt nach, wo andere schweigen: »What are they thinking, these American lawyers?« – »What are they thinking? They're thinking that it’s running out. It’s running out... and ninety percent of what’s left is in the Middle East. This is a fight to the death.«
Der schöne, wenn auch etwas plakative Dialog illustriert, worum es im Kern geht in diesem Film. Es geht darum, wieder Westen die arabischen Länder ausbeutet, wie er immerzu etwas anderes tut, als er vorgibt zu tun: »You want to know what the business world thinks of you? We think a hundred years ago you were living out here in tents in the desert chopping each others heads off, and that’s exactly where you're gonna be in another hundred.« erklärt Woodman dem Prinzen, »Versailles – Suez – 1973 – 1.Golfkrieg – 2.Golfkriegund sollten Sie eines Tages endlich aufwachen, haben die Sie längst ausbluten lassen.«
Regisseur Stephen Gaghan, dessen erst zweiter Film Syriana ist, wurde als Drehbuchautor von Steven Soderberghs Traffic berühmt. Soderbergh fungiert diesmal als Produzent, ebenso wie George Clooney, der auch eine der Hauptrollen spielt. Immer mehr wird das Produzenten- und Regie-Team Clooney/Soderbergh zu einer »Marke«, zu einem Garanten für hohes Kinoniveau und zugleich zu einer der wenigen unabhängigen Stimmen im US-Kino, das stilistisch und auch politisch zuletzt oft gleichgeschaltet wirkte. Kritik am Bestehenden ist im Amerika des George W. Bush noch weniger willkommen, als irgendwo sonst.
Syriana, geschrieben nach Vorlagen des Ex-CIA-Mannes Robert Baer – See No Evil: The True Story of a Ground Soldier in the CIA’s War on Terrorism und Sleeping with the Devil: How Washington Sold Our Soul for Saudi Crude – ist voller unaufdringlicher, aber unverhohlener Kritik, doch vor allem ist dies ein Film, der gut beobachtet, und der bei aller Klarheit die Dinge nicht einfacher macht, als sie sind. Ähnlich wie Traffic werden – basierend auf den Memoiren eines CIA-Agenten – mehrere Handlungsfäden zu einem feinen, wohlausgewogenen erzählerischen Teppich verknüpft: Clooney spielt Bob Barnes, einen CIA-Agenten, der aufgrund seiner unabhängigen Urteile unbequem wird, und auf eine besonders gefährliche Mission geschickt wird. »Niemand will etwas von einer verschwundenen Rakete hören. Landen Sie einen Volltreffer, Dan. Dann bekommen Sie jeden Posten, den sie wollen.« Matt Damon spielt Bryan Woodman, jenen jungen brillanten Öl-Händler, zuständig für Damon: »Research and Development«, der durch einen tragischen Unfall aus seinem Karrieretrott aufwacht, die Verhältnisse mit anderen Augen sieht und zum Wirtschaftsberater der Araber mutiert. Jeffrey Wright ist Bennett Holiday, ein Wirtschaftsanwalt, der eine umstrittene Fusion der Firma CONNEX mit einer anderen gegenüber den Nachfragen der Regierung »festklopfen« soll. Schließlich wird das, was entsteht, größeren Umsatz machen als Dänemark oder Kasachstan. »Find the problem, fix the problem.« lautet sein Auftrag, und weil er ein schwarzer Anwalt ist, wissen wir, dass dieser Mr. Fix-it in einem Hollywoodfilm die Rolle des Vorkämpfers für Gerechtigkeit zu spielen hat. Oder? Dann gibt es Prinz Nasir (Alexander Siddig), den erwähnten Thronfolger, der den Amerikanern gefährlich wird: »Wir verdanken den Amerikanern sehr viel, aber diese Schuld ist beglichen.« Mazhar Munir schließlich ist ein pakistanischer Ölarbeiter, der sich von der Propaganda islamistischer Prediger verführen lässt. Sie argumentieren mit der Kluft zwischen menschlicher Natur und Moderne, mit der Sünde der Trennung von Religion und Staat. Die Qual, in der modernen Welt leben zu müssen, werde die liberale Gesellschaft nie beseitigen, heißt es, »die Qual des modernen Lebens lindern weder Deregulierung noch Steuersenkung.« Als ob es darum ginge.
Alle diese Schicksale – und mehr als einer von ihnen wird den Film nicht überleben – sind auf komplexe, aber immer nachvollziehbare Weise miteinander verbunden. Die eigentliche Hauptfigur des Films ist keiner dieser Charaktere, auch nicht die Strippenzieher und Schreibtischtäter im Hintergrund – Christopher Plummer als Verführer des zweitgeborenen Sohnes, Chris Cooper, als texanischen Unternehmer »alten«, sprich rechtskonservativen Schlages, der am liebsten jagt und grillt, der die schöne Dialogzeile hat »In einem Meter Tiefe findet man drei Leichen. Gräbt man fünf Meter, findet man schon 40«, und von »Glück und harter Arbeit« spricht. Der zu Bennett Holiday irgendwann sagt: »Call me Jimmy.«; die grauen Herren vom C.L.I., dem reaktionären »Commitee for the Liberation of Iran« – die eigentliche Hauptfigur ist diese Verbindung selbst. Das System selbst steht im Zentrum des Films.
Der Film zeigt alles, aber sein diabolischer Clou ist, dass er, weil er es keinem, auch nicht den westeuropäischen Linken mit dem besonders guten Gewissen – »Kein Blut für Öl!«, oder? – zu leicht machen will, weniger eindeutig ist, als er scheint. Eine schöne lange Dialogpassage mag das illustrieren:
»Corruption? Corruption ain’t nothing more than government intrusion into market efficiencies in the form of regulation. That’s Milton Friedman. He
got a goddamn Nobel Prize. We have laws against it precisely so we can get away with it. Corruption is our protection. Corruption is what keeps us safe and warm. Corruption is why you and I are prancing around here instead of fighting each other for scraps of meat out in the streets. Corruption is why we win.«
Sagen uns diese zynisch-wahren Sätze – und das ist nur eine der vielen Passagen des Films – nun nur, dass wir gegen Korruption sein sollen? Die »Bösen« in
diesem Spiel sind jedenfalls keineswegs alle unsympathisch – wenn es sich nicht gerade um den CIA-Mann handelt, der abends seine Tochter im Schultheater bewundert und morgens ein paar Araber ermorden lässt. Oder um den Folterknecht der das liberale Dilemma auf den Punkt bringt: »Wenn man keinen Glauben hat, dem man abschwören kann, was dann? Dann sitzt man in der Scheiße.«
Syriana ist ein faszinierender, bitterer, immer fesselnder, nichts schönfärbender Thriller über die Welt der Gegenwart, über Verschwörungen, über die Ausbeutung des Nahen Ostens durch den Westen. In sehr schneller, fragmentarischer Erzählweise brillant inszeniert, in blaugrauen Farben, elegischem Sound und wunderbaren Bildern – die Kamera führte Robert Elswit (Magnolia, Good Night, and Good Luck), der Schnitt stammt von Ang Lees Stamm-Cutter Tim Squyres – dringt der Film ins Milieu jener Anzugträger ein, die unsere Welt beherrschen, in die Gesten und das Gerede, in die offene Sprache der Macht. Sein illusionsloser Ton erinnert an The Quiet American oder The Three Days of the Condor, und seine Helden sind fast durchweg Personen, die von ihrem jeweiligen Milieu, ihrer Community nicht gut behandelt und in irgendeiner Form verraten werden. Hobbes hat recht: Ein Kampf aller gegen aller, in dem es Wölfe und Schafe gibt, und Wölfe im Schafspelz. Solange die Welt so ist, wie sie ist, wird sie so bleiben. Und am Ende findet man fast, dass die Terroristen ein wenig recht haben. Die Dummen und die Bösen siegen.