Deutschland 2014 · 105 min. · FSK: ab 16 Regie: Oskar Roehler Drehbuch: Oskar Roehler Kamera: Carl-Friedrich Koschnick Darsteller: Tom Schilling, Wilson Gonzalez Ochsenknecht, Emilia Schüle, Frederick Lau, Hannelore Hoger u.a. |
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Der Punk in der Peep-Show |
Der Weltschmerz war eine heilige Sache. Nachts wurde er herausgebrüllt von Sängern, die wie wilde Tiere aussahen und sich auch so benahmen. (…) Es war die nackte Angst, die Paranoia, der Terror, der von den Bühnen herabgeschleudert wurde. Es war der ästhetische Widerstand einer kleinen, selbsternannten Elite gegen das Mittelmaß Westdeutschlands. – Oskar Roehler, »Herkunft«
Oskar Roehler, Regisseur und Autor, stammt aus einer bewegten und allein schon deshalb aufsehenerregenden Schriftstellerehe, weil sie sich nach anfänglichen Erfolgen in der Gruppe 47 bald öffentlichkeitswirksam zerfleischte, in Ehrgeiz, Eifersucht und Missgunst. Seine Mutter, der Roehler mit seinem Film Die Unberührbare (2000) eine auch zärtliche Hommage schuf, war Gisela Elsner, eine exaltierte Person mit schwarzer Perücke, die der männerdominierten BRD-Schriftstellergruppe zusetzte. Sein Vater war Klaus Roehler, ein talentierter, aber als Lektor für Günter Grass auch verhinderter Schriftsteller. Angeblich war er Kassenwart der RAF und wie Baader Frauenheld. Gisela und Klaus lieferten sich eine Ehe, die keine Gnade kannte, mit einem nach Oskar Mazerath benannten Kind, das trotz des Namens und der Vernachlässigung durch seine Eltern groß wurde. Das alles hat Oskar Roehler in seinem autobiographischen Schlüsselroman »Herkunft« niedergeschrieben und in Quellen des Lebens (2012) verfilmt.
Im Roman wie im Film hat Oskar Roehler seinen Eltern ein erschreckendes Denkmal gesetzt, schildert dabei sein eigenes Heranwachsen als eine Art trotziger Schelmenroman, in der sich sein Alter ego Robert von einem Schlamassel in den nächsten rettet und dabei Zeitzeuge einer Bundesrepublik wird, in der alles irgendwie am Ende ist. Hier geht es um Sex, Drogen und den großen Rock’n’Roll Swindle.
Dieser Zeit, dem Coming-of-Age in einer Bundesrepublik ohne Zukunft, hat Roehler nun seinen neuen Film gewidmet: Tod den Hippies – Es lebe der Punk! – und parallel zum Film auch einen neuen Roman geschrieben: »Mein Leben als Affenarsch«, der die Berliner Jahre unterm Vergrößerungsglas betrachtet. Offen bleibt dabei natürlich, wie viel Fiktion Roehler mit seinen Erinnerungen gemischt hat. Aber das genau macht den Reiz des Romans aus. Im Film mit dem dämlichen Titel, so würde es auch in seinem Roman formuliert sein, geht Roehler offensiver vor und wirft sich hinein in die Groteske.
Geschildert wird die Flucht aus dem Internat von Robert (Tom Schilling) in das Westberlin zu Beginn der 80er Jahre – der Protagonist trägt denselben Namen wie im Roman »Herkunft«. Hier wischt Robert in einer Peep-Show das Sperma von den Guckfenstern, begegnet Blixa Bargeld und Nick Cave, die vollgedröhnt in die Bar kommen um zu entspannen, bevor es wieder zurück geht in ihren legendär gewordenen Club »Risiko« in der Yorckstraße. Hier werden spontane Punk-Konzerte abgehalten und randvoll mit Wodka gefüllte Willi-Becher geleert, bis alle in die Blumenbeete kotzen.
Roehlers Film ist ein Zerrbild dieser Zeit, das sieht man nicht nur an den kostümierten Stilisierungen seiner Figuren und in filmischen Gimmicks, wie den Berliner Außenraum konsequent in Schwarzweiß zu zeigen. Der Film ist gewollte Provokation, mit einem Titel, der dem Establishment des bürgerlichen Feuilletons stilgerecht den Stinkefinger zeigt. Er hätte den Film auch anders nennen können: Das ideelle Vermögen der RAF. Oder auch: Wer sich erinnert, hat nichts erlebt, wie ein Spontispruch aus der zugedröhnten Zeit lautete.
Aufgrund dieser gewollten Anti-Haltung stimmt hier auch absichtlich keine Tonlage. Anders als bei Olivier Assayas' 68er-Erinnerungsfilm Die wilde Zeit geht es ihm nicht um das Wiederfinden einer verlorenen, sich in der Erinnerung verklärenden Zeit. Die Zeit, die er in Tod den Hippies zeichnet, ist hässlich, abstoßend, ein Zombie, dem Reich der Toten entsteigend. Einmal lässt er Blixa Bargeld als Barmann des »Risiko« sagen: Ich töte alle Zeit!, woraufhin er die Uhr, die ohnehin nur noch einen Sekundenzeiger hatte, am Tresen zerschlägt. »No Future« wurde an die Wand des heruntergekommenen Hinterzimmers gesprüht, das Robert als Schlafplatz dient. Roehler lässt die Unzeit der Endzeitstimmung noch einmal aufflackern, damit sie uns ihre verzerrte Fratze zeigen kann.
Ausgerechnet die Figuren der Eltern, deutlich angelehnt an den biographischen Eltern Roehlers, werden dann zu erholsamen, kaum überzeichnet wirkenden Inseln des Films. Zwar schaut man nicht gerne dabei zu, wie die bereits tablettensüchtige und alkoholkranke Mutter mit Wodkaflasche und schwarzer Perücke durchs Leben taumelt, aber dass es Hannelore Hoger ist, die die Mutter gibt, erleichtert die Sache ungemein. Ebenso überzeugend kommt Samuel Finzi als versoffener Vater rüber, wenn er seinem Sohn über die Missionarsstellung doziert und mit seiner Kassenwartfunktion bei der RAF prahlt. Beide erscheinen lebendiger als die karikierten Untoten aus dem Puff- und Schwulenmilieu des Mauer-Berlins mit den Sprüchen, die sie aufsagen.
Dabei ist auch gerade der andere Cast durchaus bemerkenswert: zuallererst mit Oh Boy-Tom Schilling als Robert, Irokesen-bewehrt, der auch hier wieder in existentialistischer Manier das Leben ringsum infrage stellt, mit Wilson Gonzalez Ochsenknecht als Peep-Show-Animator Schwarz und mit Frederick Lau als erst verpickelter, dann in der Berliner Lederszene heimisch gewordener schwuler Nazi Gries, eine durch und durch provokante Figur. Roehler fährt hier nicht nur fett auf, er trägt auch dick auf, überzeichnet die Charaktere, lässt die Figuren Karikatur werden. Alles hier ist hässlich und trostlos, gewollt schlecht, so, wenn mancher Dialog, dem der Saft ausgegangen ist, wie ein zombiehafter Abklatsch dessen wirkt, was er womöglich einmal war, als er tatsächlich gesagt wurde. Wir sollen die Figuren nicht mögen.
So verweigert sich Roehlers Film immerzu: weder gibt er sich einer beschönigenden Erinnerung an eine wilde Zeit hin, noch überzeichnet er derart, um daraus neues ästhetisches Potential zu schöpfen oder eine Schöhnheit des Trostlosen und Hässlichen zu finden wie zuletzt Asia Argento mit Missverstanden oder auch David Wnendt mit Feuchtgebiete. Roehlers Film ist insofern Punk und antibürgerlich, als er sich keinesfalls anbiedert, um zu gefallen. Das gelingt ihm, und deshalb ist er durchaus gelungen abstoßend.
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Ich frage Blixa, der ebenfalls vor sich hin zu starren scheint, es ist nicht ganz klar, wegen der Spiegelglassonnenbrille, ob ich einen Wodka haben könnte. Er dreht den Kopf in meine Richtung und fixiert mich: So viel ist jetzt klar. Ein langer, beunruhigender Moment. Habe ich ihn aus seinen Gedanken gerissen? War er gerade dabei, etwas Geniales auszubrüten, und ich habe ihn dabei gestört? Will Blixa sich auf mich stürzen und aus dem Lokal treten, so wie er angeblich Fotografen von der Bühne zu treten pflegt? Ich wiederhole stotternd meine Bitte. Er nimmt ein großes Bierglas 05, stellt es auf den Tresen und schenkt bis zum Rand voll. Ich bedanke mich unterwürfig. Blixa zerschlägt die leere Flasche hinter dem Tresen und legt ein Tape ein. »Big Jesus Trash Can!!«, brüllt Nick Cave aus den Boxen. Das Lokal wird mit monströsem Lärm geflutet. Die Gäste bleiben stoisch. Keine Reaktion. – Oskar Roehler, »Mein Leben als Affenarsch«