Deutschland 2021 · 97 min. · FSK: ab 12 Regie: Florian Dietrich Drehbuch: Arne Dechow, Florian Dietrich Kamera: Max Preiss Darsteller: Farba Dieng, Julius Nitschkoff, Valerie Koch, Michael Maertens, Seyneb Saleh u.a. |
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Eindeutig mehr als Klischeefiguren | ||
(Foto: Camino) |
»Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.«
(Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet, § 53 Ausweisung)»I have ten commandments. The first nine are, thou shalt not bore.«
- Billy Wilder
Ein Privatfeuerwerk als Willkommensgeste: Als Babtou (Farba Dieng) aus dem Gefängnistor kommt, empfängt ihn sein bester Freund Dennis (Julius Nitschkoff) mit einer Silvesterrakete. Leider saust diese horizontal und gefährlich zischend an Babtou und dem Vollzugsbeamten vorbei, statt in den Himmel aufzusteigen. Verdichtet zeigt diese Anfangsszene schon das Dilemma der beiden Protagonisten: Den guten Willen und das, was trotzdem alles schieflaufen kann.
Babtou, ein junger Kleinkrimineller aus dem Frankfurter Kiez, halst sich, frisch aus dem Gefängnis entlassen, noch am gleichen Tag wieder Ärger mit der Polizei auf. Obwohl er in Deutschland aufgewachsen ist, hat er keinen Pass und soll nun in den Senegal abgeschoben werden. Nach einem juristischen Beratungsgespräch wird Babtou klar, dass seine einzige Chance die Heirat mit einer deutschen Staatsangehörigen ist. Somit klappert er in seiner Verzweiflung seine Verflossenen ab und gibt jeweils den unsterblich Verliebten. Leider hat er offensichtlich beziehungstechnisch nur verbrannte Erde hinterlassen, so dass er schließlich – als letzten Ausweg – seinen Buddy Dennis um einen Gefallen bitten muss: die Heirat als schwules Paar. Damit tauchen die beiden, um die Behörden zu täuschen, eingeladen und geführt durch ihre Nachbarin Yara, in eine ihnen völlig fremde Welt ein, die sie verändern wird.
Toubab ist der Abschlussfilm von Florian Dietrich an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Eine pädagogisch motivierte Schonhaltung ist bei der Bewertung des Films zum Glück nicht nötig, weil er sich absolut auf Augenhöhe mit den aktuellen deutschen Komödien bewegt. Vielleicht wirkt der letztlich gesellschaftskritische Buddy-Movie eher noch eine Spur frischer und witziger. Auf jeden Fall stimmt das Timing, Kameraführung und Musik sind aus einem Guss. Aber das Beste ist das Darstellerensemble rund um den charismatischen Farba Dieng, der den Film in seiner ersten großen Kinorolle durch seine ausdrucksstarke Mimik und natürliche Ausstrahlung mühelos emotional zusammenhält. Dazu hat Dietrich mit Nina Haun eine gute Mischung aus erfahrenen und eher unbekannten Theater- und Filmschauspielern gecastet. Herrlich verschroben agieren Michael Maertens und Valerie Koch als zunächst spießig-abgebrühte Beamte der Ausländerbehörde, die nach anfänglich professionellem Misstrauen immer mehr Sympathie für das vermeintlich schwule Paar aufbringen und sich für es einsetzen. Seyneb Saleh gibt der Entwicklung der Nachbarin Yara von der Babtou ablehnenden, schlagkräftigen Kampfsportlerin zur großherzigen Freundin viele Facetten, Zwischentöne und Strahlkraft, Julius Nitschkoff, bekannt aus dem Dresen-Film Als wir träumten, überzeugt als gutmütiger und bedingungslos loyaler Freund, der bereit ist durch Dick und Dünn zu gehen. Auch Paul Wollin ist als Cengo eine zwischen bedrohlichem Bandenchef-Gehabe und plötzlich überraschender Sanftheit oszillierende spannende Figur.
Der Film hat einen ernsten politischen Hintergrund: Eine Abschiebung kann in Deutschland auch Menschen betreffen, die hier geboren und aufgewachsen sind und die so gut wie nichts mehr mit ihrem sogenannten Heimatland verbindet. Trotzdem hat sich Regisseur Florian Dietrich für eine Komödie entschieden, anstatt eine Doku für den Hessischen Rundfunk zu drehen. Statt Statistiken gibt es eine persönliche Geschichte. Statt Anklage Unterhaltung. Statt Politik Privates. So verhilft er dem aktuellen Thema zu einer hoffentlich großen Reichweite. Der Zuschauer kann damit nach der Vorstellung machen, was er will. Lachend ein Bier trinken und zur Tagesordnung übergehen oder googlen, ob die Rechtslage tatsächlich so unbarmherzig Personen ihrer Heimat verweisen kann, die das Pech hatten, ohne deutschen Pass geboren zu werden, nur weil das vermeintlich »öffentliche Interesse« gegen sie stimmt. Ein Leben unter Generalverdacht, eine Gesellschaftsteilhabe unter Vorbehalt ist das.
Dietrich hat seinen Protagonisten nicht zu einem Heiligen stilisiert, um seine Botschaft heller strahlen zu lassen, sondern ihm einen sorglosen, kleinkriminellen und in Bezug auf Frauenbeziehungen defizitären Charakter gegeben. Babtou ist kaum besser als sein Milieu, in dem er eben aufgewachsen ist. Das spielt Abschiebungsbefürwortern in die Karten. Soll er trotzdem keine Chance mehr bekommen?
Aber natürlich werden auch andere Themen nebenbei mit verhandelt: Homophobie, queere Community, Generationenkonflikt, Freundschaft. Viele davon sind absolute Klischeefallen. Wie ist die Umsetzung? Kommt auf den Vergleich an. Erfolgreiche französische Komödien wie Monsieur Claude und seine Töchter sind da wahrlich nicht zimperlich und feuern die Klischees im Sekundentakt raus. Das ist Programm und auf die Spitze getrieben. Letztlich bleibt es Geschmacksache, ob man darüber lachen kann oder nicht. Dietrich hat sich auch dafür entschieden, das ernste Anliegen des Films in eine mainstreamtaugliche Komödie zu packen und er kann dabei trotzdem eindeutig mehr als Klischeefiguren zeigen. Hierbei kommt ihm sicherlich zugute, dass er durch seine Projektarbeit mit jugendlichen Straftätern sowohl das kriminelle Milieu als auch die Problematik der Abschiebungen kennengelernt hat, so dass vieles sehr authentisch wirkt. Zum Beispiel die problematische Beziehung Babtous zu seinem Vater, der sich während dessen Gefängniszeit einen »neuen Sohn« zugelegt hat oder das hierarchische Gefüge innerhalb der Gang Cengos. Obwohl nicht jeder Gag absolute Originalität beanspruchen kann (Slapstick: Nase an Tür anschlagen; der Beamte, der sich bei der Wohnungsbegutachtung etwas zu sehr für den Dildo interessiert), ist der Film durchgehend witzig-leicht und unterhaltend und immer wieder überraschend, auch wenn einem natürlich bei manchen Szenenfolgen genrebedingt Vorgängerfilme wie der alte Green Card (1990) einfallen können, wo sich auch ein Paar bemüht, die Behörden mit einer Schein-Ehe zu täuschen und die intimsten Details der Beziehung gemeinsam auswendig gelernt werden. Aber auch Handlungstwists, die nicht verraten werden sollen, bringen immer wieder neuen Schwung, so wie das überraschende Ende, das den deutschen Behörden in gewisser Weise den Mittelfinger zeigt, wie das kurz sichtbare Tattoo von Dennis, das auf seinem Nacken prangt.
Deutsche Komödie? Geht doch!