Trautmann

D/GB 2018 · 120 min. · FSK: ab 12
Regie: Marcus H. Rosenmüller
Drehbuch: ,
Kamera: Daniel Gottschalk
Darsteller: David Kross, Freya Mavor, John Henshaw, Dervla Kirwan, Michael Socha u.a.
Nicht nur dichte Filmbiografie eines legendären Torhüters, sondern auch Ringen um Schuld und Sühne und einen neuen Heimatbegriff

Spielt mehr Fußball!

Auch Deutsch­land ist Entwick­lungs­land. Zumindest wenn es um die Produk­tion von Spiel­filmen geht, in denen auf die eine oder andere Weise Sport thema­ti­siert wird. Anders als in den USA, wo jede Leit­sportart konti­nu­ier­lich auch mit anspruchs­vollem Filmstoff unter­füt­tert wird – man denke nur an Produk­tionen wie Moneyball (Baseball), White Men can’t jump (Basket­ball) oder Jerry Maguire (Football) –, waren es in den letzten Jahren haupt­säch­lich Doku­men­tar­film­pro­duk­tionen, die sich alter Sommer­mär­chen, Extrem­berg­steiger oder Radfahrer annahmen, mit der unrühm­li­chen Ausnahme des Kinder­fuß­ball­film-Franchise' DIE WILDEN KERLE, das jedoch immerhin am Puls der Zeit operierte.

Denn wenn es um die Leit­sportart der Deutschen geht, den Fußball, scheint Gegenwart nicht inter­es­sant oder gar tabui­siert zu sein, ist die bildungs­bür­ger­liche Scham­grenze, Sport in den Mittel­punkt einer großen Film­pro­duk­tion zu stellen, dann doch einfach zu hoch gesteckt. Deshalb muss es mindes­tens histo­risch sein, wie etwa Sebastian Groblers Der ganz große Traum (2011), in dem das Erwach­sen­werden des Fußballs in Deutsch­land erzählt wird. Oder noch besser: es müssen Historie und Vergan­gen­heits­be­wäl­ti­gung im Doppel­pack inklu­diert sein, so wie in Sönke Wortmanns Das Wunder von Bern (2003), wo die schwie­rige Reso­zia­li­sie­rung eines Kriegs­heim­keh­rers mit der ebenso holprigen Held­wer­dung von Helmut Rahn verwoben wurde.

Auch Marcus H. Rosen­mül­lers Trautmann fällt augen­schein­lich in diese Kategorie. Denn Rosen­müller erzählt die Geschichte eines Kriegs­heim­keh­rers und dessen Versuche, mit seiner Vergan­gen­heit ins Reine zu kommen. Doch was Rosen­mül­lers Held Bert Trautmann (David Kross) von Wortmanns Bergmann Richard (Peter Lohmeyer) unter­scheidet, ist etwas, das Rosen­mül­lers Trautmann dann auch zu einem völlig anderen Film macht: Denn Trautmann kehrt eben nicht in die Heimat zurück, sondern entscheidet sich nach seiner Kriegs­ge­fan­gen­schaft, in Nord­eng­land zu bleiben, weil ihm über das Fußball­spielen und eine Liebes­be­zie­hung nicht nur England inzwi­schen mehr Heimat als Deutsch­land geworden ist, sondern auch, weil ihm die Distanz zu Deutsch­land ermög­licht, sich den eigenen Traumata des Krieges überhaupt erst zu stellen.

Rosen­müller hatte das Glück, für diese komplexe Geschichte nicht nur auf histo­ri­sche Quellen oder Erzäh­lungen aus zweiter Hand zugreifen zu können, sondern den wirk­li­chen Bernard Carl »Bert« Trautmann noch vor dessen Tod im Jahr 2013 getroffen zu haben, um mehrere Tage lang mit ihm über sein Leben zu sprechen. Ein Leben, das so verwun­der­lich, tragisch und dann auch versöhn­lich verläuft, dass es schon allein deswegen über­rascht, dass es bislang noch nicht verfilmt wurde.

Denn Rosen­mül­lers Trautmann ist nicht nur die dichte Film­bio­grafie des viel­leicht berühm­testen Torhüters Englands vom zufäl­ligen Torwart im Kriegs­ge­fan­ge­nen­lager bis zum Stamm­tor­hüter von Manchester City und einem unver­gess­li­chen FA-Cup-Finale, sondern auch ein Film über Schuld und Sühne, über unge­sühnte Kriegs­schuld, die einen gerade dann einholt, wenn man es am aller­we­nigsten erwartet. Trautmann zeigt aber vor allem auch, wie fluid Heimat (und Fußball) sein kann, und dass Heimat so wie Fußball überaus streit­bare Begriffe sind, um die es sich zu kämpfen lohnt, und sei es mit dem Fußball selbst.

Und viel­leicht funk­tio­niert Trautmann gerade deshalb so gut, ist dieser nichts verklä­rende, aber hoch­e­mo­tio­nale und große Gefühle nicht scheuende Film so gelungen, weil Marcus H. Rosen­müller sich dieses Themas ange­nommen hat. Denn Rosen­müller war mit seinem bishe­rigen – oft als »neuer Heimat­film« charak­te­ri­sierten – Werk ja nicht nur an einem immer wieder über­ra­schenden und radikalen Umschreiben des Heimat­be­griffes inter­es­siert, sondern stets auch an dem »Entwick­lungs­roman« seiner Prot­ago­nisten, sei es Sebastian Schneider in Wer früher stirbt ist länger tot, Kati und Jo in Rosen­mül­lers Coming-of-Age Trilogie, oder Amrita, Lili und Fabian in Sommer in Orange.

So wie diese »Heimat­su­chenden« ist auch Bert Trautmann ein »Heimat­su­chender«, ein nach Erlösung suchender Migrant, der gerade dadurch, dass er »Heimat« in der »Fremde« sucht und findet, zeigt, wie relativ »Fremde« sein kann, auch wenn es Wider­stand und Kampf bedeutet, diese Rela­ti­vität zu erzwingen, und es natürlich immer ein weiter Weg ist, den (Kriegs-)feind irgend­wann auch als (Fußball-)freund zu akzep­tieren. Mit dieser bis in wichtige Details ausge­führten Grund­dis­po­si­tion – wie etwa der Konflikt der jüdischen Gemeinde und der Fans von Manchester mit Traut­manns Kriegs- und Täter­ver­gan­gen­heit – könnte Trautmann in unserem gegen­wärtig so hart geführten Diskurs um Über­frem­dung unserer indigenen Werte kaum aktueller sein.

Schlachtfeld, Spielfeld

Ein Ball fliegt in hohem Bogen durch den blauen Himmel. Auf einer Wiese in den grünen Hügeln Nord­eng­lands landet er mit einem dumpfen Geräusch in den Armen eines jungen Mannes, der nur beim Fußball­spielen vergessen kann. Der Mann ist Bernhard »Bert« Trautmann, der spätere Ausnahme-Torhüter, dessen Leben der Münchner Regisseur Marcus H. Rosen­müller in einem bewe­genden Biopic zeigt, vom Aufstieg vom Kriegs­ge­fan­genen bis zum gefei­erten Torhüter bei Manchester City.

Trautmann war trau­ma­ti­siert durch den Krieg, wo er unter einem ster­benden Kameraden liegend in einem Minenfeld ausharrte. Der Film beginnt so mit der Geschichte eines Soldaten im Zweiten Weltkrieg, wie ihn viele Männer erlebt haben könnten. Er fühlt sich verant­wort­lich für all die Morde, die er nicht verhin­dern konnte. Die Taten, deren Zeuge er wurde, haben sich tief in sein Unter­be­wusst­sein gefressen und verfolgen ihn bis in seine Karriere als Profi­fuß­baller.

Die Frage nach Schuld und Zugehö­rig­keit zum Feind im Zweiten Weltkrieg spielt neben dem Fußball eine wichtige Rolle in Trautmann. Für das Leid des Natio­nal­so­zia­lismus wurde eine ganze Nation verant­wort­lich gemacht. Die Frage nach der Kriegs­schuld ist in Traut­manns Leben, der nach dem Krieg in England blieb, omni­prä­sent; er wird auch später immer noch als der »Feind« angesehen und stößt auf Hass und Bedro­hungen. Er ist ein Fremder, ein Deutscher, ein »Kraut«, ein Nazi und Kriegs­ver­bre­cher, aber er möchte doch nur Fußball spielen – um nicht an all die Gräuel des Krieges zu denken.

Trautmann ist aber auch eine Liebes­ge­schichte. Bert Trautmann und die Englän­derin Margaret über­winden gemeinsam die Barrieren, die ihnen als Paar wegen der Vergan­gen­heit im Weg stehen. Aber auch ihre Familie bleibt von Schick­sals­schlägen nicht verschont.

Die Bilder, die Regisseur Marcus H. Rosen­müller (Wer früher stirbt ist länger tot, Sommer in Orange) gemeinsam mit seinem Kame­ra­mann Daniel Gott­schalk auf die Leinwand bringt, sind in der Optik gehalten, wie man sie im Film gerne für die Nach­kriegs­jahre wählt. Sind die Bilder von den Schick­sals­schlägen in Traut­manns Leben noch dunkel und kontrast­reich, werden die Farben mit seinen Erfolgen immer heller und kräftiger, angeführt vom satten Grün des Fußball­ra­sens. Unter­mauert werden Traut­manns sagen­hafte Torhü­ter­fähig­keiten von Origi­nal­schwarz­weiß- Aufnahmen der Spiele, was das Biogra­fi­sche für den Zuschauer greifbar macht und ein klares Statement ist. Dieser Film will keine Fiktion sein. Ähnlich wie Sönke Wortmanns Das Wunder von Bern ist Trautmann ein real ange­legtes Fußball­mär­chen, vor dem Hinter­grund der Schwie­rig­keiten der Nach­kriegs­jahre.

Trautmann kommt ohne viel Filmmusik aus. In glück­li­chen Szenen unter­s­tützt beschwingter Swing oder klas­si­sche Musik die Handlung, die aber sonst auf Origi­nal­geräu­sche setzt. So fühlt man sich dem jungen Helden näher, man hört, was er hört, und es ist für den Zuschauer schon fast genauso schmerz­haft wie für Trautmann, wenn ein Schuss fällt oder ein voll­be­setztes Stadion ihn auspfeift.

Trautmann ist mit den vielen Rück­schlägen im Leben des Fußball­spie­lers manchmal schwer zu ertragen, man fragt sich, wie einem Menschen so viel Leid wider­fahren kann, aber so ist das Leben, und es wird in diesem Biopic authen­tisch gezeigt. Im Jahr 2019, mit anhal­tender Flücht­lings­de­batte, ist dieser Film auch ein Appell gegen den Frem­den­hass: Ressen­ti­ments haben im Fußball keinen Platz.

Trautmann musste viele Gegen­schläge einste­cken, jedoch nicht im Tor. Da bleibt der 2013 verstor­bene Torhüter von Manchester City unge­schlagen.