S/F/GB/D/GR/USA 2022 · 147 min. · FSK: ab 12 Regie: Ruben Östlund Drehbuch: Ruben Östlund Kamera: Fredrik Wenzel Darsteller: Woody Harrelson, Harris Dickinson, Oliver Ford Davies, Sunnyi Melles, Iris Berben u.a. |
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Alles zum Kotzen! | ||
(Foto: Alamode Film/Filmagentinnen) |
Man möchte vor lauter Oberflächlichkeit kotzen. In den ersten Minuten dieses Films wird man Zeuge eines Model-Castings und davon, wie ein unerträglich gut gelaunter Moderator den männlichen Bewerbern die dümmstmöglichen Fragen stellt. Schon hier ist klar, Ruben Östlund (The Square, Höhere Gewalt) präsentiert in seinem Cannes-Sieger Triangle of Sadness die geballte Inhaltsleere der gegenwärtigen Konsum- und Fame-Welt. In welche Sphären dieser Film dabei driftet, kann man sich hier aber noch nicht vorstellen.
Der erste Teil seines Werks konzentriert sich dabei ganz auf die beiden Hauptprotagonisten Carl (Harris Dickinson) und Yaya (Charlbi Dean Kriek), ein Model-Pärchen, bei dem sie finanziell ganz klar die Hosen anhat. So wird die Frage, wer das Abendessen bezahlen soll, schon mal zur kleinen Tragödie. Der in seiner Männlichkeit gekränkte Carl kann dabei nur zwischen verwirrtem Hundeblick und Ausrasten wechseln. Überhaupt fragt man sich, ob es sich um eine normale Beziehung handelt, oder nur um ein schönes Spiel für Yayas Social Media-Auftritte. Wie dem auch sei, einen gemeinsamen Urlaub muss man seinem Publikum auch noch gönnen. Und wo verbringt man den als Influencer und wandelnde Schaufensterpuppe besser als auf einer Luxusjacht?
Wenn man nun denkt, mit diesen beiden Figuren sei alles über die Farce des Reich- und Schönseins gesagt, dann sollte man abwarten, bis man das Gruselkabinett auf hoher See sieht. Da gibt es den russischen Dünger-Milliardär Dimitri (Zlatko Buric) samt seiner exzentrischen Ehefrau Vera (Sunnyi Melles), Theresa, eine deutsche Industriellengattin, die nach einem Schlaganfall nur noch zum Satz »In den Wolken« fähig ist, ein Rentnerpärchen, das ein Vermögen durch Handgranaten verdient hat und die anstrengend-freundliche Crew-Leiterin Paula (Vicki Berlin). Über allem thront dann noch Woody Harrelson als ständig besoffener Kapitän. Eines ist klar, die Typen, die Östlund in Triangle of Sadness aufmarschieren lässt, sind im Grunde eine Ansammlung von Karikaturen. Dass dieser Teil des Films aber trotzdem wunderbar funktioniert, liegt jedoch gleich an mehreren Aspekten. Ein ganz zentraler davon ist der hervorragende Cast. Trotz (oder wegen?) ihrer klaren Übertriebenheit macht es Spaß, diesen wunderbar in Szene gesetzten Figuren zuzuschauen. Irgendwie transformieren sie die antikapitalistischen Schablonen doch noch in wirkliche Menschen, mit denen man ehrliche Antipathie und sogar Momente der Sympathie hat. Ästhetisch schafft es Östlund hier, die perfekte Welt des schönen Scheins auf die Leinwand zu werfen. Bei aller betonten Künstlichkeit ist das trotzdem faszinierend. Zum Service gehört selbstverständlich auch, dass man jeden noch so abstrusen Wunsch erfüllt bekommt. So schickt Vera die Crew-Belegschaft aus lauter Herzensgüte zum Baden. Ein wunderbares Beispiel für einen Menschen, der vor lauter Luxus eigentlich nicht mehr weiß, was er tut und dessen gute Absichten im Grunde ins Leere laufen. Es ist dieser Humor, abstrus, aber immer noch hintergründig, der dafür sorgt, dass Triangle of Sadness wirklich Spaß macht.
Dann jedoch wechselt die Sozialsatire schlagartig zur Gross-Out-Comedy. Jetzt wird buchstäblich gekotzt. Dafür verantwortlich ist allerdings nicht die Oberflächlichkeit, sondern der vergammelte Fisch, der beim Kapitänsdinner gereicht wird. Und so schießen orange-braune Fontänen von Mageninhalt durch die Luft, bevor zum Grande Finale die Abwasserleitungen komplett den Geist aufgeben und sich über alle Decks eine Sintflut aus Fäkalien ergießt. Der Spaß, den Östlund beim Inszenieren dieser Schweinerei hatte, lässt sich nicht übersehen. Und das Vergnügen, das man selbst an ihr hat, kann man schwer leugnen. Selbst als Anhänger des Niveaus wird man einfach mitgerissen und erfreut sich am Erbrechen. Und so schwer es ist, man sollte es sich eingestehen: Es ist die simple Schadenfreude. Nach dem ganzen überheblichen und aufgesetzten Getue wünscht man es den Protagonisten einfach. Wenn sich dann noch der kommunistische Kapitän aus den USA und der russische Kapitalist über den Lautsprecher ein angesoffenes Rededuell liefern, wird es klar: nicht nur auf die Etikette wird sich erbrochen, sondern auch auf die ideologischen Werte, die nur noch leere Worthülsen sind.
Mit dem letzten Drittel kommt dann ein neuer Bruch ins Geschehen. Nun findet sich die feine Gesellschaft gestrandet auf einer scheinbar verlassenen Insel wieder. Das Kreuzfahrtschiff wurde von Piraten geentert und vernichtet. Die letzten Überlebenden, darunter auch Carl und Yaya, sitzen nun in der Patsche. Doch zum Glück hat es auch Abigail (Dolly De Leon) ans Trockene geschafft, auf dem Schiff noch eine einfache Arbeitskraft, jetzt die einzige, die weiß, wie man überleben kann. Blöderweise dreht sie den Spieß einfach um. Dicke Konten und glitzernde Armbanduhren zählen nun nichts mehr, und so müssen die Gestrandeten sich wohl oder übel der matriarchalen Diktatur unterordnen, die Abigail nun ins Leben ruft. Dass das ungerecht ist, weiß man. Aber wieder wünscht man es diesen Schießbudenfiguren. So schlecht Unterdrückung auch ist, wenn es die Richtigen trifft, darf man schon mal lachen. Oder? Dies sind mitunter die stärksten Momente von Triangle of Sadness, die, in denen man sich mitziehen lässt und im Anschluss ins Grübeln über die eigene Reaktion gerät. So sehr viele Momente und Personen etwas von konsumkritischen Abziehbildern haben, wenn Östlund sie ins Kippen bringt, werden sie interessant und stellen das eigene Resümieren infrage. Mitunter weiß man auch gar nicht mehr, ob es wirklich Abziehbilder sind oder doch nur die bittere Realität.
Auch für unser Schönlingspärchen wird es noch einmal haarsträubend. Auf den athletischen Jungen mit dem Hundeblick hat Abigail nämlich ein Auge geworfen. Und so heißt es immer, wenn die Pfeife schrillt: Antreten zum Liebesdienst. Es ist schon ziemlich klar, dass das ganze Geschehen auf eine Katastrophe hinausläuft. Obwohl man sich schon genau besehen mitten in einer befindet. So hinterlässt Triangle of Sadness letzten Endes ein pessimistisches Gefühl auf der Zunge. Die Scheinwelt des Geldes ist zerbrochen, die Diktatur des Proletariats ist höchstwahrscheinlich auch nicht vorübergehend und noch dazu in erster Linie auf das eigene Wohlergehen bedacht. Die moralischen Ansätze, die der Film immer wieder streift, fliegen letzten Endes über Bord. Trotzdem ist er kein reiner Sprung in den Pool des Nihilismus, sondern in seiner wunderschönen Uneindeutigkeit eine willkommene Einladung zum Hinterfragen – so eindeutig einem vieles erst vorkommt.
»Echte Gleichberechtigung von Mann und Frau kann nur innerhalb des Prozesses der sozialistischen Umwandlung der ganzen Gesellschaft verwirklicht werden.« – Mao Tse-tung
Dass Ruben Östlund auch dieses Jahr in Cannes mit der Goldenen Palme nach Hause fahren und damit zu einem der wenigen Doppel-Preisträger des Festivals werden würde, damit hatte im Vorfeld wohl niemand gerechnet. Aber zum einen passt es natürlich zum Lauf, den das skandinavische Kino seit ein paar Jahren bei Festivals und an den Kinokassen hat – man denke nur an Östlunds The Square, Vinterbergs Der Rausch oder Triers Der schlimmste Mensch der Welt – und dann ist unsere gegenwärtige Welt natürlich völlig aus den Fugen und grundlegende Kritik deshalb stets willkommen, um sich ein wenig besser zu fühlen.
Denn damit vor allem punktet Ruben Östlunds neuer Film Triangle of Sadness. Er liefert Basiskritik an unseren bestehenden Verhältnissen, wuchtet gegen den Kapitalismus als Ganzes und im Speziellen, zielt auf die Betonoberfläche der Haute Couture, auf den Yachten-Alltag mit Oligarchen und anderen sinnlos reichen Menschen und spielt in einem letzten Insel-Szenario aus, was vor langer Zeit schon Sigmund Freud 1915 in seinem Aufsatz und William Golding in seinem Herr der Fliegen gezeigt hat und was auch Bong Joon-ho in Parasite vor drei Jahre ähnlich exemplarisch vorführte: Die Firnis der Zivilisation ist dünn, Macht korrumpiert und die Armen sind natürlich nicht die besseren Herrscher.
Doch Östlund kompiliert diese Gedanken, Ideen und Szenarios zu einem humorvollen und immer wieder lauten Ganzen, bereitet es so slick & stylish auf, dass alles in dieser satirischen Tragikomödie neu und frisch erscheint und leistet sich auch immer wieder das, was z.B. schon in der Affen-Szene in The Square auffiel: radikale Ausraster. An Bord von Triangle of Sadness ist das die radikal in die Länge gezogene Kotz- und Scheißszene, in der Sunnyi Melles mit Bravour ausspielt, was Östlund uns hier sagen will. Was ja an sich schon gereicht hätte und auch wirklich anspielungsreichen Spaß macht oder einfach nur blödelnder, ekelerregender Slapstick ist, abhängig vom Betrachter und seiner psycho-sozialen Historie. Östlund garniert diesen »Ausbruch« allerdings noch mit ebenso nicht enden wollenden verbalen Kapitalismuskaskaden des amerikanischen, antikapitalistischen Kapitäns Thomas Smith (Woody Harrelson) und des antikommunistischen Oligarchen Dimitri (Zlatko Burić), was durch die toll herausgespielte versiffte Arroganz von Woody Harrelson und die zivilisierte Brachialität von Burić tatsächlich ebenfalls Spaß macht, aber dann doch ein etwas zu platter Wink mit dem relativistischen Zaunpfahl ist, um wirklich aufregend zu sein.
Nicht viel anders sieht es bei Östlunds Kritik an bestehenden Gender-Verhältnissen aus, in der ebenfalls Szenen in einer Länge ausgespielt werden, die sie eigentlich nicht verdient haben.
Da ist etwa der Moment im Restaurant, am Tisch des Model-Paares Carl (Harris Dickinson) und Yaya (Charlbi Dean Kriek), der auf einem persönlichen Erlebnis von Östlund basiert, wie er letzten Freitag der Süddeutschen Zeitung (und auch gerne in Online-Inteviews) erzählte: »Ich war damals noch nicht lang mit Sina zusammen, wir waren in Cannes, ich wollte sie beeindrucken, wir waren schick essen, und ich habe selbstverständlich gezahlt. Das war so am ersten Abend, am zweiten, auch am dritten. Dann dachte ich: Moment mal, irgendetwas läuft hier schief. Ich mag sie doch viel zu gerne dafür, dass
wir in diese Rollenmuster verfallen.« So banal wie Östland es im Interview erzählt, setzt Östlund die Szene dann auch um, nur, dass er sie ganz im Sinn postmoderner Relativität der Wahrheit hochsamplet und aus drei Abenden einen Abend macht und dieser Szene dadurch einen unnötig repetitiven Charakter ohne jeglichen dramaturgischen Mehrwert verleiht, den sie eigentlich nicht verdient hat. Ähnlich verhält es sich mit den Inselszenen, nachdem die Machtverhältnisse sich verkehrt
haben: Auch hier vertraut Östlund seinem initialen Erzählen des Kerntopos nicht, auch hier muss gleich mehrmals an das Rettungsboot geklopft werden und Carl natürlich nicht nur einmal hineinsteigen.
Das führt letztendlich zu einer Eindeutigkeit der Vieldeutigkeit, die Triangle of Sadness nicht gut tut, der Film am Ende nur bellt, aber fast nie wirklich beißt (so wie das etwa Parasite auf sehr ätzende Weise immer wieder tut).
Das hat allerdings auch einen anderen Grund. Denn anders als in seinen beiden letzten Filmen Höhere Gewalt und The Square, in denen Östlund das theoretische Gerüst seiner Kritik noch hinter einer dichten Erzählung über Menschen verbarg, deren Leiden um ihre Transformation, der bei Östlund ja immer eine grundlegende Deformation einer Gruppe in der Krise vorausgeht, uns dann auch tatsächlich berührt hat, haben wir es hier nicht mehr mit wirklichen Menschen und ihrer Tragik zu tun, sondern mit Platzhaltern gleich mehrerer theoretischer Konstrukte, die dementsprechend gegeneinander ausgespielt werden.
Dieser zutiefst thetische Ansatz reicht immerhin für Lachen und Staunen und das Gefühl, die Grundarchitektur unserer westlichen Misere erkannt und uns auch selber ein wenig besser verstanden zu haben, ohne gleich eine Handlungsaufforderung mit auf den Weg gekriegt zu haben, so wie das noch zu Maos Zeiten üblich war. Und das ist, obwohl Östlund hier wirklich nichts Neues erzählt, auch wichtig, kann man doch die Irrwege, die unsere Zivilisation begeht, nicht oft genug präsentieren. Für einen großen Film ist das allerdings zu wenig.