Deutschland 2020 · 89 min. · FSK: ab 12 Regie: Christian Petzold Drehbuch: Christian Petzold Kamera: Hans Fromm Darsteller: Paula Beer, Franz Rogowski, Maryam Zaree, Jacob Matschenz, Anne Ratte-Polle u.a. |
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Zwei Wasserwesen in ihrem Element | ||
(Foto: Schramm Film/ Christian Schulz) |
Undine Wibeau ist die neue Petzold'sche Geistergestalt. Paula Beer spielt die promovierte Historikerin, die Interessierte durch die Stadtgeschichte Berlins führt. Berlin sei ein »trockengelegter Sumpf«, der Etymologie nach, erklärt sie, Berlin heiße genau das. Christoph (Franz Rogowski) verliebt sich augenblicklich in sie. Als sie sich im Museumscafé wiederbegegnen, birst das mächtige Aquarium, mit einem großen Schwall spült das Wasser die beiden unter sich weg. Die Liebe ist ein teurer Spaß. Sie bekommen Hausverbot.
Undine Wibeau, das ist Undine, das Wasserwesen, aus dem neuzeitlichen Mythos. Die berühmteste Bearbeitung kam von Friedrich de la Motte Fouqué, seines Zeichens preußischer Adeliger. Seine Zeit war die Hochromantik, und die Geschichte von dem Wasserwesen, das zum Menschen wird, wenn sie sich in einen Menschen verliebt, faszinierte. Die Nixe Undine ist eine romantische Femme fatale, die dem Mann den Tod bringen wird, der es wagt, sie zu verlassen. Und die wieder eins wird mit dem Wasserelement, wenn sie allein zurückbleibt. Wenn der Geliebte stirbt, zum Beispiel.
Undine braucht also die Liebe, oder das Wasser, als Lebenselixier. Auch die Undine Wibeau, deren Nachname ist eine Hommage an Edgar Wibeau, Ulrich Plenzdorfs neoromantischen Antihelden aus »Die neuen Leiden des jungen W.«, und das verbindet die junge W. dann wiederum mit einem neuzeitlich gedachten Sturm und Drang, angesiedelt in der DDR. Nicht zufällig arbeitet Undine Wibeau also als Stadthistorikerin, sie gibt Führungen zur deutsch-deutschen Wendezeit und erklärt den städtebaulichen Wandel von Berlin. Und weil die Stadt ein wasserloser, trockengelegter Sumpf ist, braucht sie zwingend die Liebe, um überleben zu können. So verbindet Petzold elegant und subtil, schwärmerisch und romantisch die Elemente des Mythos und situiert die Geschichte präzise im Großstadtmythos von Berlin. Das ist bisweilen auch kitschig, aber von einem Kitsch, der wunderbar zu berühren weiß, weil er sich auf das Träumen bedingungslos einlässt.
Petzold verwirrt mit seinem neuen Film. Seine Wiedergängerfiguren sind wieder da, das Ab- und Eintauchen in die historische Geschichte. Auch in seinen letzten Filmen hielten sich die Figuren allein durch die Liebe aufrecht. Die Liebe wurde zu einer, zur einzigen Möglichkeit überhaupt, die Zeitgeschichte zu überwinden und Zeiten zu durchschreiten, gar den Unterschied von Leben und Tod auszulöschen. Untergründig erzählte Petzold immer die deutsche Geschichte mit. Das ist Arbeit am Mythos. Seine Version des Undine-Mythos vereinigt wie in Shape of Water zwei Wasserwesen – neben Undine ist da der berufsmäßige Tieftaucher, der im Wasser Turbinen repariert. Dabei begegnet er auch einmal einem Wels, einem legendären Tier. Keiner hat ihn gesehen, nur der Tieftaucher spürt ihn auf.
Trotz der Tiefe seines Themas verankert Petzold Undine aber weniger profund-tiefschürfend als seine letzten Filme Transit oder Phoenix, die beide einen starken historischen Untergrund haben, der die Schrecken der deutschen Geschichte miterzählt. Undine hingegen, die als Fremdenführerin den Schlüssel zu den städtebaulichen Verwerfungen der deutsch-deutschen Geschichte in ihrer Hand hält, ist Freelancerin und kann jederzeit die Verbindung kappen. Sie ist eine Figur, die von der Geschichte frei ist, seit langem zum ersten Mal bei Petzold.
Undine ist eher ein Film über die Trauer und das Abschiednehmen. Tode und Wiederbelebungen überlagern die Verbindung zwischen den Figuren, Liebestode, und die Trauer um den oder die Verflossene(n). Petzold ist romantisch, aber nicht restaurativ, er will nicht zum Alten zurück wie die Rekonstrukteure des Berliner Stadtschlosses. Anstatt im trockengelegten Sumpf des Alltags zu bleiben, so scheint er uns von der Leinwand zuzurufen, solle man lieber in tiefe Gewässer abtauchen und wieder einmal träumen, um lebendig zu bleiben. »Staying alive«, das Lied von den Bee Gees, das sich wie ein roter Faden durch den Film zieht, ist auch das Motto der Liebenden. Am Ende zeigt sich die Möglichkeit einer Zukunft ohne die Last, sich fortwährend nach dem Vergangenen zu sehnen.