Und morgen die ganze Welt

Deutschland/F 2020 · 111 min. · FSK: ab 12
Regie: Julia von Heinz
Drehbuch: ,
Kamera: Daniela Knapp
Darsteller: Mala Emde, Noah Saavedra, Tonio Schneider, Luisa-Céline Gaffron, Andreas Lust u.a.
Filmszene »Und morgen die ganze Welt«
Schwarz-Weiß – es wird schnell deutlich, wohin die Reise geht
(Foto: Alamode Film/Filmagentinnen)

Reinemachen

Trotz Schwächen ist Und morgen die ganze Welt ein wichtiger, hochpolitischer und sympathischer Film

»Wo der Besen nicht hinkommt, wird der Staub nicht von selbst verschwinden.«Worte des Vorsit­zenden Mao Tse Tung, 1967

Poli­ti­sche, enga­gierte Filme gibt es in Deutsch­land viel zu wenig und einen Film, der sich endlich einmal eines des Lieb­lings­monster des gutbür­ger­li­chen Deutsch­lands annimmt, der »Antifa«, also der »Anti­fa­schis­ti­schen Aktion«, und der dann auch noch die »Gewalt­frage« stellt, erst recht nicht. Das mag daran liegen, dass die »Antifa«, anders als etwa die Rote Armee Fraktion (RAF), das links­ex­treme Lieb­lings­monster der Deutschen schlechthin, nur schwer zu klas­si­fi­zieren ist, weil, wie die Wissen­schaft­li­chen Dienste des Deutschen Bundes­tages schreiben, es sich um »im Regelfall eher locker struk­tu­rierte, ephemere autonome Strö­mungen der linken bis links­ex­tremen Szene handelt.«

Um so wichtiger ist deshalb der neue Film von Julia von Heinz, die in Und morgen die ganze Welt auch ein wenig ihre eigene Geschichte erzählt, ihr Enga­ge­ment als junge Frau in der »Antifa«. Dieser Erfahrung spiegelt sich spürbar in dem doku­men­ta­ri­schen, fast schon ethno­gra­fi­schen Charakter, den Heinz' Film von Anfang an durch­zieht. Wir lernen das gutbür­ger­liche Haus kennen, aus dem Luisa (Mala Emde) über ihre Freundin Batte (Luisa-Céline Gaffron) in die links­ex­treme Szene aufbricht und sich – so wie Heinz wahr­schein­lich selbst in ihren jungen Jahren – zu fragen beginnt, wann und ob ange­sichts der zuneh­menden Rechts­ra­di­ka­li­sie­rung der Zeitpunkt gekommen ist, Gewalt anzu­wenden.

Heinz beob­achtet hier sehr genau und konsta­tiert, was viele Studien auch für die RAF fest­ge­halten haben – dass ein Teil der Mitglieder aus gutbür­ger­li­chem Haus stammt. Mit der tragi­schen Konse­quenz, dass aller Wider­stand sich dann auflöst, wenn die Schatten der eigenen Sozia­li­sie­rung sich plötzlich wieder zu mate­ria­li­sieren beginnen oder der Kampf aussichtslos ist. Zwar stellt Heinz in Person von Dietmar (Andreas Lust) auch einen »alten« Kämpfer, viel­leicht sogar noch aus RAF- oder Revo­lu­ti­onäre Zellen-Zeiten in den Raum, eine Art nüchterne, mora­li­sche Instanz, die Luisa dann aber auch nicht so richtig weiter­helfen kann.

Mala Emde spielt Heinz' Luisa so, wie Emde auch ihre Jule in Hans Wein­gart­ners wunder­barem »Laber- und Liebes-Roadmovie« 303 gespielt hat, als suchender Mensch, der sich fragt, wann und wie Handeln im Leben wichtig ist. Und morgen die ganze Welt sieht sich fast wie eine Fort­set­zung von Wein­gart­ners Film, nur ein paar Jahre oder auch nur Monate später, in denen Jule zur Luisa und damit zur handelnden Person wird, in einem Film, der ähnlich spontan und drama­tur­gisch reduziert wirkt. Denn so wie in 303 schnell deutlich wird, wohin die Reise geht, so ist es auch in dem Film von Heinz sehr schnell klar, was hier politisch und in Liebes­dingen sowieso passiert, auch wenn Und morgen die ganze Welt in seiner suchenden, dezidiert unein­deu­tigen Drama­turgie versucht, dem entge­gen­zu­wirken.

Was bei Wein­gartner einen ganz eigenen, sogar­tigen Charme ausmacht, wird bei Heinz aber irgend­wann zu einer drama­tur­gisch etwas drögen, zusehends zerfa­serten Ange­le­gen­heit, mehr noch, als Wein­gartner einen auf eine ganz neue Spur bringt, daran erinnern lässt, was möglich gewesen wäre und was Und morgen die ganze Welt fehlt. Denn Wein­gartner hat 2004 selbst einen enga­gierten, poli­ti­schen Film gemacht, in dem ebenfalls darüber nach­ge­dacht wurde, wann und ob die Zeit zum poli­ti­schen und gewalt­tä­tigen Handeln gekommen ist und in dem auch das von Heinz so stark bebil­derte Gemein­schafts­ge­fühl präsent ist. Seine Die fetten Jahre sind vorbei haben über­rascht, waren provo­kativ, und haben eine »fette«, an keiner Stelle vorher­seh­bare Geschichte erzählt. Nichts wirkte hier stereotyp, jeder Charakter chan­gierte und war schwer zu fassen. Bei Heinz hingegen hat man das Gefühl links und rechts nur Stereo­typen zu begegnen, poli­ti­schen Scha­blonen, die so handeln, wie es der Zuschauer erwartet. Das wäre für eine Doku­men­ta­tion über­ra­schend und aufregend, in einem Spielfilm langweilt es.

Das soll nicht bedeuten, dass die eigenen Ideen zugunsten eines »guten« Plots verraten werden sollen. Aber nicht nur Wein­gartner, sondern auch Regis­seure wie Zal Batman­glij mit seinem Thriller über eine anar­chis­ti­sche Gruppe in The East oder Burhan Qurbani mit seinen schwer zu fassenden Rostocker »Nazis« in Wir sind jung. Wir sind stark. haben gezeigt, dass man auch mit einem starken Narrativ und ambi­va­lenten Charak­teren politisch moti­viertes, »authen­ti­sches« und formal starkes Kino machen kann.

Auch wenn Und morgen die ganze Welt diese Stärken nicht besitzt, bleibt Heinz' Film dennoch ein hoch­po­li­ti­scher und sympa­thi­scher Film. Und ein wichtiger Film, der nicht umsonst nach Venedig einge­laden wurde, die Hofer Filmtage letzte Woche eröffnen durfte und nun auch noch die deutschen Oscar-Hoff­nungen vertritt. Denn letztlich geht es ja auch darum, Position zu beziehen, ums »Reine­ma­chen« und einen Stand der Dinge zu formu­lieren. Und das macht Und morgen die ganze Welt hervor­ra­gend.

Höhere Tochter im Antifa-Land

Julia von Heinz' autobiographisch gefärbter Und morgen die ganze Welt ist ein mutiges moralisches Drama

Eine höhere Tochter im Antifa-Land: Luisa, gespielt von der aus dem erfolg­rei­chen Roadmovie 303 bekannten Mala Emde, ist »die Neue« in einer idea­lis­ti­schen, auch konflikt­be­reiten Gruppe junger Leute, die die Welt besser machen wollen und gegen den alltä­g­li­chen Rassismus, gewalt­be­reites Ressen­ti­ment und rechte Gesinnung kämpfen, die sie als Vorbote eines neuen Faschismus empfinden.

Mit Luisas Augen taucht man ein in eine neue fremde Welt zwischen ernstem Enga­ge­ment und verspielten Abenteuer. Man kann hier gewis­ser­maßen der Antifa bei der Arbeit zusehen: Fitness-Training als Vorbe­rei­tung für die nächste Demo, Kampf­sport um gegen die Neonazis gewappnet zu sein, Plakate kleben, Klamotten für Flücht­linge sammeln und nicht zuletzt dichte Beob­ach­tung der rechten Szene. Bald wird es ernst: ein Spreng­stoff­lager wird entdeckt. Für Luisa und ihre Freunde stellt sich die Frage: Was tun?

In seinem Kern ist Und morgen die ganze Welt ein persön­li­ches Drama, das vor sehr aktuellem poli­ti­schem Hinter­grund ein mora­li­sches Dilemma entfaltet. Manches an Julia von Heinz' Film kann man kriti­sieren. Es war vorher schon klar, dass dieses Geschichte von der höheren Tochter im Antifa-Land weder der Antifa gefällt, noch den Hütern von Recht und Ordnung. Vor allem würde man sich eine prägnan­tere, zugleich offenere Film­sprache wünschen, etwas mehr Mut zum Exzess, und etwas weniger Willen zum braven »guten Geschmack«.
Aber im Land der Blinden ist die Einäugige Königin. Natürlich kann man an Julia von Heinz Film ein bisschen herum­mä­keln – doch die Stärken von »Und morgen die ganze Welt« fallen weitaus mehr ins Gewicht: In einer für den deutschen Film leider sehr unge­wöhn­li­chen Weise wird hier die Gewalt­frage gestellt. Endlich mal schwört ein Film der Gewalt nicht pauschal ab, zugunsten eines unver­bind­li­chen, spießigen Mora­lismus oder billigen Pazi­fismus, sondern formu­liert die Heraus­for­de­rung ange­messen: Manchen Anfein­dungen muss man mit Gewalt begegnen; der Entschluß zur Gewalt kann indi­vi­duell eine mora­li­sche Lösung sein, auch wenn man nicht Graf von Stauf­fen­berg heißt. Und keine Gewalt ist auch keine Lösung.
Die Frage »Wann ist Wider­stand etwas Positives?« steht im Zentrum – in dessen Tradition versteht sich die Antifa.

Dabei verherr­licht dieser Film keines­wegs Gewalt. Sondern er lässt nur einige Fragen offen, und verzichtet gerade am Ende darauf, alle positiven Figuren explizit der Gewalt absagen zu lassen. Zudem wird hier der Unter­schied zwischen Angriffs­ge­walt und vertei­di­gender Gegen­ge­walt deutlich heraus­ge­ar­beitet, ebenso wie die genau so wesent­liche Differenz zwischen Gewalt gegen Sachen und der gegen Menschen.

Der Film räumt auf mit dem Miss­ver­ständnis von Politik als einer Art öffent­li­cher Wohn­ge­mein­schaft, in der immer alles »ausdis­ku­tiert« werden muss – genau so wie mit dem thera­peu­ti­schen Blick auf unsere Verhält­nisse; mit der frommen Lüge, dass man irgendwie »doch alles verstehen muss« und »über alles reden kann«; er macht sich die Neonazis nicht bequem.

Die Neonazis sind hier nicht »one of us«, »eigent­lich so nett wie wir«, bloß auf die schiefe Bahn geraten. Sondern sie sind der Feind. Keine gebil­deten Bürger, keine »talking killer« mit Gründen für Rassismus, Menschen­ver­ach­tung und Mord, sondern dumpfe Primi­tiv­linge, die wir nicht verstehen müssen, auch wenn sie in den Parla­menten sitzen.
Einige haben an dem Film auszu­setzen, dass er die Neonazis nur als stumpfe Idioten zeigt. Das ist richtig, aber was sind denn nach ihrer Ansicht die Neonazis tatsäch­lich? Intel­lek­tu­elle?

Julia von Heinz macht klar, dass es so etwas wie Rechts­po­pu­lismus nicht gibt, außer in der Sprache der Beschwich­tiger. Es gibt Rechts­ra­di­kale, Rechts­ex­tre­misten und Neo-Nazis, und zwischen denen kann man diffe­ren­zieren. Ein Populist ist jemand wie Markus Söder. Oder Friedrich Merz.

Es ist diesem Film auch anzusehen, dass er von den deutschen Film­för­de­rern nicht wirklich gewollt wurde. Und zwar nicht, weil die deutschen Förderer so hervor­ra­gend sind, und sich einen viel besseren Film vorstellen können. Sondern weil sie sich nur einen viel schlech­teren vorstellen konnten, und alles daran­ge­setzt haben, auch diesen Film schlechter zu machen: Sie haben viel zu wenig Geld gegeben, so daß der Film am Ende in Deutsch­land nicht (komplett) finan­ziert werden konnte. Sondern nur mithilfe von fran­zö­si­schem Geld. Insgesamt war das Budget auch am Ende zu niedrig – dass man in NRW nicht drehen konnte, wurde zum Glück für Mannheim, wo der Film statt­dessen gedreht wurde.

Noch schwerer wiegt: Die unendlich lange Zeitdauer einer quälenden und quälend langsamen Produk­ti­ons­ge­schichte: Die erste Dreh­buch­fas­sung zu diesem Film lag dem WDR im Jahr 2002 vor – also arbeitet Julia von Heinz seit mindes­tens 18 Jahren an dem Stoff. Seitdem wurden die Dreh­bücher und Geschichten andauernd umge­schrieben, an allem Möglichen herum­ge­mä­kelt. Weil dieser Film offen­sicht­lich über den ästhe­ti­schen und drama­tur­gi­schen Horizont der Gremien hinaus­geht und ihnen moralisch-politisch nicht in den Kram passt. Die Zähigkeit der Regis­seurin, die hier auch ihre persön­liche Biogra­phie verar­beitet und auch darum trotz aller Hinder­nisse an ihrer Vision festhielt, bis einschließ­lich zu dem subtilen, sprechend offenen Ende ihren Film gemacht hat, ist hoch­respek­tabel – und macht allein den Film schon sympa­thisch.
Dass ich persön­lich mir mehr Exzess gewünscht hätte, und etwas weniger Kontrolle – so what?