Israel/F/D 2008 · 90 min. · FSK: ab 12 Regie: Ari Folman Drehbuch: Ari Folman Musik: Max Richter |
||
Nahostkrieg und Massaker als Animation |
Blaugraue Hunde hetzen durch die späte Nacht, der frühmorgendliche Himmel über ihnen ist getaucht in giftiges Gelb. Es sind genau 26. Wie Höllenhunde sehen sie aus, kein Wunder, denn sie entstammen einem brutalen Alptraum – der surreale Auftakt zu einem Film, in dem die Welt mehr als einmal surreale Züge entwickelt.
Waltz With Bashir ist ein ungewöhnliches Projekt, eine politische Dokumentation, die in Form eines Animationsfilms erzählt wird: Als 18-jähriger musste der bisher nur durch Fernseharbeiten bekannte israelische Regisseur Ari Folman im Libanonkrieg 1982 kämpfen. Dort wurde er zum Augenzeugen des Massakers von Sabra und Shatila wurde – einem der bis heute dunkelsten Kapitel des gesamten Nahost-Konflikts. Die Milizen der christlichen Falangisten ermordeten seinerzeit ein paar hundert palästinensische Frauen, Kindern und Männer, die in Flüchtlingslagern Zuflucht gefunden hatten, unbewaffnet und wehrlos waren. Noch schockierender: Das alles geschah unter den Augen der mit den Christen verbündeten Israelis – eine Schuld, die Folman bis heute nicht vergessen kann. Und ein politischer Skandal. Der damalige israelische Verteidigungsminister war Ariel Scharon. Wegen der Duldung der Massaker, von denen ihn seine Offiziere in Kenntnis gesetzt hatten, wurde er später verurteilt. Doch zwanzig Jahre nach später Sabra und Shatila wurde Scharon israelischer Premierminister.
Auf das konkrete Ereignis hin bezogen bietet der Film zwar die ebenso bittere wie empörende Erinnerung, das Aufreißen nur oberflächlich verheilter Wunden, aber inhaltlich nichts wirklich Neues. Viel wichtiger ist, wie Folman den Libanonfeldzug insgesamt schildert, und das Verhältnis von Armee und Heimatfront beschreibt: Dies ist völlig entfremdet, der Krieg ließ die Menschen zuhause, jedenfalls jene jenseits der Ideologen des seinerzeit regierenden rechtkonservativen Likud unter Ministerpräsident Begin, weitgehend kalt: Er störte das friedlich-hedonistische Leben der Mehrheit. Dies war der große Unterschied zu den vorhergehenden Nahost-Konflikten: Sie waren gerechte Kriege, sämtlich Verteidigungshandlungen, in denen es gegen einen übermächtigen Angreifer um die schiere Existenz des Staates ging, und am Ende gekrönt von glorreichen, in ihrem Ausmaß unerwarteten Siegen – etwa der Einnahme Jerusalems im Sechs-Tage-Krieg nach Jordaniens Angriff vom Juni 1967.
1982 griff Israel dagegen auf fremdes Territorium über. Und in der kühle Reaktion der Bevölkerung, die Folman beschreibt, liegt das insgeheime Wissen, dass man es hier mit etwas völlig anderem zu tun hat, das Israel hier seine politisch-moralische Unschuld verlor.
Den Feldzug selbst beschreibt er als Mischung aus Naivität und Zynismus. Kein bisschen wird der Feind verharmlost, der unvorbereitete junge Männer in einen brutalen, verlustreichen Kampf führte, dem sie kaum gewachsen waren. Atemberaubend sind einzelne – sämtlich exakt recherchierte, wahre – Episoden, die Folman erzählt: Etwa jene von dem einzigen Überlebenden eines Stoßtrupps, der vor dem sicheren Tod ins Meer floh, und fast einen Tag lang auf hoher See trieb, bis die Strömung den fast zu Tode Erschöpften an Land spülte, direkt vor die Füße einer israelischen Einheit.
Der Titel „Waltz with Bashir“ ist eine Anspielung auf den Falangisten-Fürsten Bashir Gemayel, der in den Jahren um 1980 der Poststar und Posterboy unter den christlichen Libanesen war. Gemayels Ermordung bot dem Massaker von Sabra und Shatila seinen Anlaß. Politisch ist der Film, besonders auf die israelische Situation bezogen, sehr mutig. Er wendet sich auch klar gegen übliche Machart von Dokumentarfilmen, in denen man – man denke etwa zuletzt an Errol Morris' Dokumentation Standard Operating Procedure
Wie hätte das ausgesehen? »Mittelalte Männer vor schwarzem Hintergrund, erzählen von der Zeit vor 25 Jahren, ohne irgendein Archivmaterial, dass sie unterstützt«, so Folman. Sein Film wird zum Essay über das Wesen der Erinnerung, die nach seiner Ansicht weit künstlicher ist, als man es glauben möchte: Der Mensch füllt die Löcher seiner Erinnerung mit ausgedachten Erinnerungen.
Die Animation auf Grundlage von Bildern des israelischen Kinderbuchautors David Polonsky ebnet diese Unterschiede ein, und schafft eine eigene Ebene. Bestechend schlüssig tritt hier popkulturelle Ästhetik in den Dienst der Aufklärung.
Waltz With Bashir, der in Deutschland von der Berliner Firma Razor Film – von ihr stammt auch der oscarnominierte Paradise Now – produziert wurde, ist eine präzise historische Dokumentation, erzählt aber zugleich etwas Universales: Die Entmenschlichung im Krieg, der sich Soldaten keiner Armee entziehen können, und die den Film brennend aktuell macht. Der sehr realistische Animationsstil, der weniger abstrakt ist, als etwa jener in Marjane Sarapis Persepolis, aber ebenfalls stark kontrastiert, holzschnittartig, bewirkt nur am Anfang Distanz: Fern aller Klischees findet Folman phantastische Bilder und der Horror des Krieges wirkt hier plötzlich surreal. Wesentlich dazu trägt die Musik bei, die Originales von 1982 – der Song »Good Morning Libanon/ to much pain to carry on/ may your nightmares pass...« ein zugleich trauriges und zynisches Lied, gespielt beim Einmarsch – mit Neuem mischt – wie dem Song I bombed Beirut today, nach I bombed Korea today von Cake.