Japan 2003 · 116 min. · FSK: ab 16 Regie: Takeshi Kitano Drehbuch: Takeshi Kitano, Kan Shimozawa Kamera: Katsumi Yanagishima Darsteller: Takeshi Kitano, Tadanobu Asano, Yui Natsukawa, Michiyo Ookusu u.a. |
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Kämpferische Geisha |
High Noon auf japanisch, mit Schwertern statt Pistolen. Ein spielsüchtiger Schwertkämpfer befreit ein Dorf von mehreren rivalisierenden Mafiosi-Banden, die es drangsalieren – wie einst Yôjimbô bei Kurosawa. Eine ernste Geschichte, die mit einem Hauch von Bauerntheater und viel formalem Witz erzählt wird: Einmal sieht man die Arbeiter auf dem Feld im Rhythmus der Musik schuften – dieser Film ist stellenweise auch ein eigenwilliges Musical im Stil von Lars von Triers Dancer in the Dark.
Zatoichi – Der blinde Samurai erzählt eine Episode um den »Masseur« Zatoichi (d.h. »Ichi der Blinde«), eine legendäre blinde Schwerkämpfer-Figur aus dem 19. Jahrhundert, die in Japan Held zahlloser, überaus populärer Romane, Comics, und TV-Folgen ist. Zudem entstanden zwischen 1962 und 1989 25 Zatoichi-Filme. Die Figur wurde in vielen Filmen verwandelt, von Takeshi Miikes Ichi – Der Killer, der in Deutschland nur auf dem Fantasy-Filmfest zu sehen war, bis hin zu dem inzwischen auch verfilmten US-Comic Daredevil. Zatoichi ist Kämpfer, aber auch Detektiv, Clown und Spieler – und, ob man es glaubt oder nicht: Ursprünglich geht diese vermeintlich so urjapanische Figur auf die französische Literatur des 19.Jahrhunderts zurück: Auf Balzacs Detektiv Vautrin, Hugos Jean Valjean (aus Les Misérables) und deren Popularisierung in der Figur des Vidocq, degenfechtendem Gründer der Pariser Sûreté, der u.a. in zwei Poe-Geschichten auftaucht.
Zu ersten Mal dreht Takeshi Kitano einen Film, dessen Geschichten und Figuren er nicht selbst erfunden hat. Kitanos erster Kostümfilm mischt seinen typischen cool-lakonischen Humor mit computeranimierten Schwertkämpfen im japanischen Stil. Konkret heißt das: Man sieht keine poetisch verlangsamte, durch Drahtseiltechnik ins Schwerelose gehobene Kampfkunst, sondern fast statisch-unbewegliche, wie am Boden festgewachsene Kämpfer, die ihre Starre nur durch sekundenschnelle, blitzartige Bewegungen unterbrechen. Ehe man erkennt, was geschieht, ist es schon wieder vorbei – in anderen Beispielen des in Japan weitverbreiteten Genres hat man das schon gesehen, Kitano, der auch selbst den Part des Zatoichi spielt, treibt es stilistisch auf die Spitze.
Oder er rhythmisiert Kämpfe, Geräusche und Schnitt. Das ist perfekt gemacht, gibt dem Ganzen aber eine Künstlichkeit, die den Betrachter auf Distanz hält. Hinzu kommt der exzessive Gebrauch von CGI-Elementen. Zu deutlich sieht man das Eingreifen des Computers. Einen europäischen Beobachter lässt Zatôichi daher etwas kühl im Vergleich zur elegischen Poesie von Hana-Bi, mit dem Kitano 1997 in Venedig gewann oder einem Gangsterfilm wie Brother. Weder Pathos, noch Ironie dominieren, der Film ist weder Tragödie noch Komödie. Zugleich verbindet Kitano seine melancholischen Figuren Kishuhiro mit dem Witz von Sonatine oder Hana-Bi. Zwischen kurzen Scherzen und den noch kürzeren Kampfeinlagen liegen lange Ruhepassagen, in denen viel geredet wird, aber trotzdem wenig passiert. Am ehesten erinnert Zatoichi in seiner Struktur an einen Western – bei dem man ja den Showdown auch eine Stunde lang erwartet, bevor er endlich kommt. Kitano ist auch in diesem Fall wieder alles Mögliche, allerdings kein Gary Cooper.
Takeshi Kitano hat sich erstmals entschlossen, seinen filmischen Blick in die Vergangenheit zu werfen. In seinem neuesten Werk greift der Regisseur, der durch poetische Gegenwartsgeschichten wie Hana-Bi und Kikujiros Sommer in Europa zum Regie-Star wurde, auf eine Figur zurück, die in Japan eine lange Geschichte im Unterhaltungskino hat: den geheimnisvollen Kämpfer Zatoichi.
Sein Zatoichi unterscheidet sich schon äußerlich von dessen früheren filmischen Inkarnationen: Der Blinde mit seiner blonden Stoppelfrisur könnte direkt aus dem heutigen stylishen Tokyo in die bäuerlich-historische Ländlichkeit des 19. Jahrhunderts geraten sein, seine Coolness verbindet ihn mit den Helden früherer Kitano-Filme wie Sonatine. Denn nach seiner kurzen Abstinenz in Dolls ist Kitano wieder sein eigener Hauptdarsteller, wie er auch neben der Regie für Buch, Schnitt und die Gestaltung der Kampfszenen Rechnung trägt. Im Vergleich zu den modisch gewordenen Schwertkampf-Balletten von Quentin Tarantinos Kill Bill wirkt die Choreographie der Kämpfe fast beiläufig: Die Kunst besteht darin, den Gegner möglichst schnell zu besiegen, entsprechend kurz inszeniert der Regisseur die Auseinandersetzungen, die zudem durch digitale Bearbeitung der Bilder einen surrealen Touch bekommen.
Ein blinder Masseur zieht von Ort zu Ort, um seine Dienste anzubieten. Doch schon zu Beginn wird klar, dass dieser Mann mehr ist als ein einfacher Wanderer: die Bande, die ihm seinen Stock wegnehmen will, hat seine Kampfkünste unterschätzt. Der Ort, an dem er schließlich ankommt, ist in der Hand einer Verbrecher-Bande, deren Aufstieg mit der Auslöschung einer Familie begann. Nur die beiden Kinder haben überlebt und versuchen jetzt, als Geishas getarnt, ihre Eltern zu rächen. Da auch die anderen Bewohner unter dem Regime der Gangster leiden, gibt es Gelegenheit genug für Zatoichi, seine Fähigkeiten in den Dienst der guten Sache zu stellen.
Es ist der klassisch Mythos vom geheimnisvollen Fremden, der als Rächer der Benachteiligten begangenes Unrecht vergilt. Auch aus dem Western kennt man dieses Motiv – kein Wunder, sind doch zwei Klassiker vom japanischen Kino inspiriert: Der Hollywood-Western Die glorreichen Sieben geht ebenso wie Sergio Leones Für eine Handvoll Dollar, der das Genre des Italo-Western auslöste, auf Vorlagen des Samurai-Film-Altmeisters Akira Kurosawa zurück, ein Vorbild, das auch Takeshi Kitano in seinem Film zitiert und würdigt.
Der Regisseur, der in seiner Bearbeitung des Stoffes auf 26 Zatoichi-Spielfilme und eine ausufernde Fernsehserie zurückblicken kann, spielt mit den Erwartungen der Zuschauer. Natürlich geht es in dieser stilisierten Version um die Verteidigung des Guten und das Besiegen des Bösen, die von Mord über Falschspiel und Kindesmissbrauch alle Register zieht. Kontrastiert wird die dramatische Geschichte durch komische Figuren wie den erfolglosen Spieler Shinkichi und durch musikalisch-rhythmische Einlagen. Im Finale darf dann schließlich gesteppt werden, wie es ein Busby Berkely im Hollywood-Musical nicht besser hätte inszenieren können.