Deutschland 2016 · 96 min. · FSK: ab 12 Regie: Lars Henning Drehbuch: Lars Henning Kamera: Carol Burandt von Kameke Darsteller: Peter Kurth, Karl Markovics, Catrin Striebeck, Leonardo Nigro, Jonathan Neo Völk u.a. |
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Peter Kurth in einem großartigen deutschen Rachedrama |
»Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.« Ein Mann, um die fünfzig, beim Gebet. Nur mit Unterhose bekleidet, kniet er vor seinem Bett.
Seine Finger sind gezeichnet von jenen Tatoos, wie sie für Strafgefangene typisch sind. Auch sein übriger massiger, fleischiger Leib trägt viele Tätowierungen. Er hat Augenringe, das Heulen der Elektro-Gitarre aus dem Off verstärkt den Eindruck
von Müdigkeit, Verlorenheit, Einsamkeit, aber auch Coolness. Der Blick des Mannes drückt Selbstbewusstsein aus, die Entschlossenheit, sich nichts zu billig abkaufen zu lassen. Es folgt eine lange Fahrt durch die Nacht, durch eine von Neon erleuchtete Großstadt. Später geht es mit der U-Bahn weiter – da trifft der Blick des Mannes den eines anderen, der auf der gegenüberliegenden Seite auf den Zug wartet und ihm hinterherblickt.
Er heiß Becker. Einen Vornamen erfahren wir nicht. Er macht das, was sich für entlassene Ex-Strafgefangene oft als letzte Chance darbietet – Arbeit in einer privaten Wachschutz-Einheit auf einem großen Fabrikgelände. Wie in vielen filmischen und überhaupt künstlerischen Bestandsaufnahmen unserer Gegenwart, wirkt auch in diesem Fall der »Sicherheitsdienst« als eine Metapher für Unsicherheit und Bedrohung.
Sie ist in kürzester Zeit unmittelbar zu greifen, als Becker
ein neuer Kollege vorgestellt wird. Der ist Ex-Polizist, und erkennt an Beckers Tattoos schnell dessen Knast-»Karriere«. Becker beäugt ihn misstrauisch und bleibt verschlossen und distanziert. Nach der Schicht gehen beide mit einer der Putzfrauen noch etwas trinken. Ein paar Biere später werden sie von zwei Schwarzen provoziert, und als Becker, der sich zunächst zurückhielt, sich auch in die Schlägerei einmischt, wird er schnell brutal, gewalttätig. Auf dem Heimweg nimmt ihn dann die
Putzfrau Rita zu sich nach Hause: Schneller, dumpfer Sex vor dem erschöpften Einschlafen. So sind nach einer Viertelstunde nicht ganz klischeefrei die Grundkonstellation dieses deutschen Film noir und ihre Hauptprotagonisten etabliert.
Regisseur Lars Henning entfaltet sie dann in seinem handwerklich jederzeit gekonnt inszenierten, formal und inhaltlich ambitionierten Debüt wie folgt: Becker saß achtzehn Jahre für einen Raubmord; der Mann, dessen Blick den seinen an der U-Bahn-Haltestelle kurz kreuzte, ist das überlebende Opfer der Tat, der für den Mord an Frau und Tochter nun persönlich Rache nehmen will. Er heißt Dahlmann und drängt sich zunehmend in Beckers zaghaft beginnendes neues Leben. Er ruft ihn an, verfolgt ihn. Ein Stalker, der sich offenen Psychoterrors bedient.
Getragen wird der Film von der atmosphärischen Dichte, der Bilder, in die die vornehmlich in der Nacht spielende Handkung getaucht ist. Und von zwei schauspielerische Glanzleistung: Peter Kurths Becker ist ein verschlossener, wortkarger Einzelgänger, dessen soziale Umgangsformen unbeholfen sind. Er bereut seine Tat vor über 18 Jahren, aber er kann das nicht wirklich zeigen, so wenig er seine im Knast erfahrenen Deformationen einfach abschütteln kann. Immer wieder bricht
die aufgestaute Wut aus ihm aus. »Wie geht’s Ihnen denn?« fragt der Ex-Gefängnispfarrer Becker, als der ihn in seinem alten Gefängnis besucht – einer der wenigen Menschen zu dem er persönlichen Kontakt zulässt. Die Antwort: »Muss.«
Karl Markovics' Dahlmann ist innerlich nicht weniger zerstört: Er sinnt auf Rache, mal als kalter Zyniker, dann einer dessen Gefühle komplett aus der Facon geraten.
Ungefähr in der Mitte des Films treffen beide zum ersten Mal direkt aufeinander. In einer Szene, die nicht zufällig an die Konfrontation zwischen Al Pacino und Robert de Niro in Heat Michael Manns erinnert, sitzen beide einander gegenüber. Scheinbar friedlich sind Wut, Hass und Angst nur mühsam kontrolliert im Zaum gehalten. Sie sitzen weit auseinander an den beiden Enden des länglichen Tisches, und die Kamera filmt diese Szene noch aus zusätzlicher Distanz, wie ein Beobachter. »Sie sitzen da und egal, was sie sagen, es wird nichts daran ändern«, sagt Dahlmann. »Ich will ne Lösung«, bittet Becker. »Wofür?« »Ich bin doch auch ein Opfer von damals.« – »Wie bitte? Was wollen Sie damit sagen?«
Es ist ein unlösbarer Konflikt. Reue und Rache treffen aufeinander in den beiden Hauptfiguren dieses Schuld-und-Sühne-Dramas. Dahlmann treibt Becker zurück in dessen Vergangenheit, und so wird die nächste Begegnung dieser beiden unrettbar Verstrickten blutig werden.
Zwischen den Jahren hat viel Verständnis für den rachesinnenden Familienvater. Er stellt die wichtige, schwer entscheidbare Frage, ob ein Gerichtsurteil, und die Reue des Täters eine Schuld tatsächlich angelten können, und ob solche Abgeltung überhaupt Sinn macht, ob nicht Vergebung der einzig moralische Ausweg wäre? Was ist das Recht der Opfer? Und wer ist ein Opfer?
Die Weihnachtszeit bildet als Zeit der Dunkelheit, wie der Besinnung und der Hoffnung auf Frieden den Hintergrund des Films. Der Titel meint damit aber natürlich auch die Zeit, die vergeht, während manche Vergangenheit partout nicht vergehen will, das Verdrängte der Opfer und Täter immer wiederkehrt. Zwischen den Jahren erzählt von Existenzen, die zwischen verschiedenen möglichen Lebensmodellen keinen Halt finden, und einem Verbrecher, der von seiner eigenen Tat eingeholt wird – der seltene Fall eines Rachedramas aus Deutschland und ein sehr gelungener Film.